Jo stopfte die letzten, wenigen Habseligkeiten in ihren großen Seesack und zog das Band fest. Nach der Trainingseinheit mit Bastian hatte sie den restlichen Tag mit ihm und seiner Frau Cam verbracht, die Jo bereits nach wenigen Minuten in ihr Herz geschlossen hatte. Die beiden Frauen hatten sich prächtig verstanden und Jo verstand gut, dass Bastian sie vergötterte. Auch wenn Cam ihr erzählt hatte, dass es bis dahin eine wahre Achterbahnfahrt gewesen war, denn Bastian hatte seine Gefühle lange Zeit nicht zugeben wollen. Jo musste schmunzeln. Ja, sie konnte sich wirklich lebhaft vorstellen, wie Bastian sich dagegen gewehrt hatte und als Cam ihr von einigen Momenten berichtet hatte, konnte Jo nicht anders, als Bastian aufzuziehen. Sie liebte ihn wie einen Bruder, aber zu hören, wie ungeschickt er sich bei Cam angestellt hatte, brachte Jo noch jetzt dazu, den Kopf zu schütteln.
Mit einem letzten prüfenden Blick, kontrollierte sie jetzt, ob sie all ihre Kleidungsstücke eingepackt hatte. Dann verließ Jo das Gästezimmer.
Als sie die Treppen hinunterstieg, ließ sie ganz bewusst die sechste Stufe aus, zwang sich aber, nicht ihren düsteren Gedanken nachzuhängen.
Stattdessen schnappte sie sich ihre Jacke von der Garderobe und schlüpfte hinein, als sie hörte, dass noch jemand aus der oberen Etage herunterkam.
„Bist du bereit?“, fragte Vellris und nahm ihr mit einem knappen Nicken die Jacke ab, die sie ihm reichte.
„Sicher“, bestätigte sie. „Nicht mein erster Undercover-Einsatz.“
Vellris fuhr sich in einer beiläufigen Geste über den Ziegenbart. „Ich weiß, Frea. Ich weiß. Aber das hier ist eine ganz neue Hausnummer. Wir können nur erahnen, wie viele Menschen diese Mistkerle in ihrer Gewalt haben.“
In Jos Mund bildete sich ein bitterer Geschmack. Vellris hatte Recht, es hing unglaublich viel von dieser Mission ab und wenn sie ihre Chance vergeigten, wüssten sie nicht, ob es jemals eine zweite geben würde.
„Nur kein Druck“, seufzte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme.
„Entschuldige.“ Vellris legte ihr den Arm um die Schulter und gemeinsam traten sie durch die Haustür. „Ich glaube fest daran, dass Gray und du das schaffen werdet.“
Noch bevor Jo etwas erwidern konnte, winkte ihnen Gray auf völlig übertriebene Weise zu. Er stand gemeinsam mit allen anderen wenige Meter vom Haus entfernt. „Da ist ja meine zauberhafte Frau“, rief er mit gespielter Entzückung. „Evelyn, darf ich dir sagen, wie umwerfend du heute wieder aussiehst?“
Jo verdrehte die Augen, als sie zu den anderen trat. „Kann ich ihn noch umtauschen?“, wollte sie dann an Duncan gewandt wissen.
Der zuckte nur mit den Schultern: „Tut mir leid, zu spät. So eine Ehe ist eine lebenslange Verbindung.“
„Ich hatte es befürchtet.“ Jo zog den Seesack auf ihrem Rücken zurecht.
„Glaubst du etwa, du würdest jemand besseres finden als mich?“ Gray schlang seinen Arm so plötzlich um ihre Taille, dass sie ins Straucheln geriet. Keine Sekunde später fand sie sich eng an seine Brust gedrückt wieder. „Liebste, ich werde dir beweisen, dass du mit mir die beste Wahl getroffen hast.“ Zärtlich strich er ihr mit dem Finger über die Wange und Jo konnte das Funkeln in seinen olivgrünen Augen sehen.
Sie schluckte die ironische Bemerkung herunter, die ihr auf der Zunge lag und ließ sich stattdessen auf seine Maskerade ein. Gray war gut, ohne Zweifel, aber was er konnte, konnte sie schon lange.
„Ich kann kaum erwarten, dass wir allein sind“, hauchte sie, leckte sich verführerisch über die Lippen und drängte sich noch etwas näher an ihn heran.
Grays Mundwinkel zuckte. Ganz leicht nur, aber Jo war es nicht entgangen. Und so überraschte es sie nicht, dass er sich zu ihr herunterbeugte. Sein Atem strich über ihre Wange und der Duft seines Aftershaves stieg ihr in die Nase.
„Das geht mir ganz genauso“, murmelte er nah an ihrem Ohr und in seiner Stimme schwang ein dunkles Grollen mit, das keinen Zweifel an seinen Worten ließ.
Jo seufzte sehnsüchtig auf, doch ehe sie die Chance bekam, noch mehr zu tun, mischte sich Peroy ein. „Alles klar, Leute. Gleichstand.“