Jo war dankbar, dass die Verstärkung, die Taye ihnen geschickt hatte, alles Weitere übernommen hatte und so war sie gemeinsam mit ihrem Team und den drei Entführungsopfern aufgebrochen. Unterwegs hatte sich Taye bei ihnen gemeldet und ihnen erklärt, dass Bastian sie bei sich zu Hause erwartete. Und so hatten sie sich zurück nach Toronto teleportiert.
„Da seid ihr ja“, empfing Bastian sie mit ernster Miene, als sie die Einfahrt hinaufkamen. Er winkte sie herein. „Sind die beiden Männer auch verletzt?“, wollte er mit einem prüfenden Blick auf die Geretteten wissen.
„Nicht schwerwiegend“, gab Aiden eine knappe Antwort und Bastian nickte. „Bringt die beiden nach oben.“ Er rief nach seinem Bruder und gleich darauf erschien Duncan am Treppenabsatz.
„Hier oben haben wir Betten für sie hergerichtet“, sagte er und Aiden und Vellris machten sich daran, die beiden Männer nach oben zu tragen.
„Und für sie haben wir in der Bibliothek alles vorbereitet“, erklärte Bastian und musterte die Frau, die Peroy nach wie vor in den Armen hielt. Soweit Jo einschätzen konnte, hatte sie sich bisher noch nicht einmal geregt und ihr Herzschlag schien immer schwächer zu werden. Der Tod hatte seine Krallen nach ihr ausgestreckt, das war nicht zu leugnen.
„Verflucht“, stieß Bastian in dem Moment aus, als habe er einen ähnlichen Gedanken gehabt. „Beeilen wir uns.“
Peroy gab einen zustimmenden Laut von sich, als er die Frau hinter Bastian her in die Bibliothek trug. Jos Blick traf sich mit Grays und sie wussten beide, dass es nicht gut aussah. Deshalb war Jo auch dankbar, als sie Grays Hand auf ihrer Schulter spürte, als sie kurz darauf ebenfalls die geräumige Bibliothek betraten.
Jo staunte, denn die sonst so gemütliche Sitzgruppe war beiseitegeschoben worden und hatte Platz für eine Art mobiles Krankenzimmer gemacht. Eine breite Liege bildete das Zentrum, während zu beiden Seiten Tische mit Gerätschaften, Spritzen, Medikamenten und Chirurgenbesteck aufgestellt worden waren. Ein schlanker Mann im Arztkittel beugte sich gerade prüfend über die junge Frau, die von Peroy auf der Liege abgelegt wurde.
Mit geübten Griffen prüfte der Arzt die Vitalwerte und sein ernster Gesichtsausdruck war die Bestätigung für das, was Jo längst wusste. Es stand nicht gut um die blonde Frau.
Jo beobachtete, wie der Arzt mit einer kleinen Nadel in ihre Fingerspitze stach und dann die Haut zusammenpresste. Es dauerte einen Moment, aber schließlich erhielt er auf diese Weise einen einzelnen Blutstropfen, den er mit dem behandschuhten Daumen auffing und dann kostete.
Peroy stieß ein leises Knurren aus, doch der Arzt ignorierte ihn. „A negativ“, sagte er und Bastian eilte davon.
Jos Blick ruhte auf Peroy, der den Doktor keine Sekunde aus den Augen ließ und ganz genau jede seiner Bewegungen verfolgte.
„Dr. Luger“, sagte Bastian, der mit einigen Blutkonserven zurückkehrte und eine davon an den Tropf hängte.
„Danke.“ Der Arzt legte seiner Patientin einen Zugang, ehe er den Blutbeutel über einen kleinen Schlauch mit diesem verband. „Sie wird einige Beutel benötigen“, erklärte er und Bastian nickte.
„Ich kümmere mich darum.“
„Himmel.“ Ein plötzlicher Ausruf ließ Jo herumfahren, gerade in dem Moment, als Cam den Raum betrat. Erschrocken blickte sie auf die junge Frau. „Was haben sie ihr nur angetan?“
Niemand antwortete und Jo spürte einen dicken Kloß im Hals. Sie wollte sich nicht einmal vorstellen, was der Frau widerfahren war.
Cam trat neben Jo und Gray, während der Arzt sich daran machte, die Wunden nach und nach zu versorgen. Dabei begann er mit denen, die am tiefsten wirkten, desinfizierte sie und setzte auch an einigen die Nadel an, um sie mit einigen Stichen zu vernähen. Dabei wirkte er so konzentriert, dass niemand wagte, ein Wort zu sagen. Sie alle sahen dem Mann bei seiner Arbeit zu, während Bastian darauf achtete, dass sie inzwischen mit Blut versorgt wurde.
Erst als Dr. Luger eine Schere nahm und ihr die zerfetzte Kleidung vom Leib schnitt, spürte Jo den Wunsch, ihr etwas Privatsphäre zu verschaffen. Sie räusperte sich und offenbar war das für Gray und Cam bereits ausreichend. Während Gray sich wortlos umdrehte, nickte Cam Bastian knapp zu und verließ ebenfalls den Raum.
„Peroy?“ Jo trat an den großgewachsenen Mann heran und legte zögerlich eine Hand auf seinen Arm. „Lass uns nebenan warten, bis Dr. Luger seine Arbeit getan hat.“
„Nein“, erhielt sie eine einsilbige Antwort.
„Peroy, wir können im Moment nichts für sie tun“, versuchte Jo es erneut, doch noch immer nahm ihr Freund den Blick nicht von der Frau, die er gerettet hatte.
„Ich bleibe hier“, sagte er bestimmt und Jo wusste, dass es zwecklos wäre, jetzt mit ihm zu Diskutieren. Sie kannte ihn inzwischen gut genug, um zu erkennen, dass er sich im Augenblick für die Sicherheit der Frau verantwortlich fühlte.
Sie seufzte leise. Hoffentlich konnte Dr. Luger die junge Frau retten.