Zusammen hatten sie eine wunderbare, mit Liebe erfüllte Zeit miteinander verbracht. Mehr als einhundert Vollmonde hatten sie zusammen erleben und bestaunen dürfen. Jedes Mal, wenn der voll beleuchtete Mond über den Himmel wanderte, spazierten sie über Trampelpfade, die sich über die Jahre am Boden gebildet hatten. Sie genossen ihre Zweisamkeit, schauten gen Himmel und bewunderten das Funkeln der wandernden Lichter am Firmament. In der wärmeren Jahreszeit waren sie immer nur mit Leinentüchern bedeckt gewesen, die ihre nackten Körper vor den Blicken ihrer Untertanen schützten. Wenn es kühler wurde, streiften sie ihre kuttenartigen Gewänder aus Jute über. Nackt waren sie aber auch unter dieser Bekleidung, denn diese Nachtspaziergänge nutzten die Beiden immer dafür, um sich körperlich näher zu kommen, sehr viel näher.
Im hellen Lichte des strahlenden Mondes vollführten ihre nackten Körper einen ästhetischen Liebestanz. Dabei vergaßen sie die kühle Wüstennacht, da sich ihr Blut durch das hemmungslose Liebesspiel stark erwärmte. Statt zu frieren, fingen sie an zu transpirieren. Sie erlebten gemeinsam den Himmel auf Erden. Ihre vollkommen entblößten, erhitzten Leiber zuckten vor Ekstase, hinterließen Abdrücke im abgekühlten Sand, bis sie letztendlich erschöpft, still und ruhig auf dem Boden liegen blieben und abermals gen Himmel schauten, bis sie sich wieder erholt hatten. Manchmal trug er seine Gemahlin dann auf Händen zu ihren Gemächern. Dort wuschen sie sich gegenseitig den Sand von ihren verschwitzten Körpern und führten ihr Liebesritual fort.
Sie genossen einander mit allen fünf Sinnen, schauten sich dabei tief in die Augen und hörten den Herzschlag und die Atmung des Partners. Sie streichelten und küssten jeden Quadratzentimeter ihrer nackten Haut, nahmen den ausströmenden Duft ihrer Pheromone wahr und schmeckten die intimsten Bereiche ihrer Körper. Die meiste Zeit allerdings blieben sie bis zum Sonnenaufgang im Sand liegen, bedeckten sich mit ihren Kutten und hielten sich fest umarmt. Es hätte ewig so weitergehen können, da nach seiner Vorstellung Götter schließlich unsterblich waren. Ein fataler Irrtum...
Beim letzten nächtlichen Spaziergang kam alles anders, die Hölle brach über sie herein. In der Luft glühten Hunderte von Lichtstreifen, die man in der heutigen Zeit als Sternschnuppen bezeichnet. Die Erde durchquerte, auf ihrem Weg um das Zentralgestirn unseres Sonnensystems, einen Asteroidenschwarm. Dieser wiederum durchquerte die schützende Lufthülle der Erde und erzeugte so ein spektakuläres Schauspiel am Nachthimmel. Das Liebespaar hielt sich fest und schaute fasziniert nach oben. Sie blieben wie versteinert auf der Stelle stehen. Manchmal hörten sie sogar ein lautes Zischen, wenn ein winziger Meteor es fast bis auf die Erdoberfläche geschafft hatte. Dass sich die Beiden in Gefahr befanden, kam ihnen überhaupt nicht in den Sinn. Als sogenannte Götter fühlten sie sich unbesiegbar und unsterblich. Dass das nur ein Trugschluss war, wurde ihm schlagartig bewusst, als ihm seine Geliebte aus den Armen gerissen wurde. Die Anzahl der glühenden Kleinstkörper hatte sich in kürzester Zeit immens erhöht. Mehr und mehr zischende und knallende Geräusche hatten ihre Ohren erreicht. Die sandige Umgebung musste einige Treffer hinnehmen. Neben ihnen schlug noch ein kleiner Feuerball in den Sand, der schlagartig geschmolzen wurde, als es passierte. Ein glühender Lichtstreifen traf seine geliebte Begleiterin mitten in die Brust, die sofort in Flammen stand. Der Pharao spürte nur die Hitze, die seine Kleidung leicht ansengte.
Ihr Gewand aber hatte Feuer gefangen. Sie wurde mehrere Meter von ihm weggeschleudert, flog durch die Luft und landete im weichen Sand. Dieses plötzliche Ereignis und der dabei entstandene laute Knall hatten ihn in eine Schockstarre versetzt. Sie wand sich in den Flammen und krümmte sich vor Schmerzen. Ihr Überlebenskampf dauerte nur wenige Sekunden. Als sie regungslos im aufgewühlten Sand liegen blieb, löste sich seine Starre. Schreiend lief er auf seine Gemahlin zu, die ihn nicht mit weit geöffneten Armen in Empfang nahm. Die Umarmung war diesmal nur einseitig, nachdem er mit dem herumliegenden Sand die Flammen gelöscht hatte. Er hob ihren Oberkörper etwas an, der nur noch aus einzelnen Fleischfetzen bestand. Schlagartig realisierte er, dass das, was er in den Händen hielt, nicht mehr seine geliebte Göttin war, sondern nur noch totes Fleisch und gebrochene Knochen. Sein trauernder Schrei schallte durch die kühle Nacht. Er riss seinen Kopf flehend nach oben und bemerkte den riesigen Vollmond, der nun in einen blutroten Farbton getaucht war. Eine totale Mondfinsternis begleitete seine Trauer. Der Sternschnuppenregen aber hatte aufgehört, nachdem keine weiteren Objekte mehr in die Atmosphäre eingetaucht waren. Der weinende Gott war alleine. Seine blutverschmierten Hände griffen nach dem zerfetzten Körper seiner Gemahlin und hoben ihn hoch. Weinend und sich kaum auf den Beinen haltend, spazierte er ein letztes Mal mit seiner Geliebten.
Nun lag sie in der Grabkammer aufgebahrt vor ihm. In der Kammer, in der sie zusammen bis in alle Ewigkeit schlafen wollten. Er seufzte ein weiteres Mal und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Seine Gedanken drehten sich nur um die Tote. Sie hatte ihn verlassen, nicht freiwillig, trotzdem würde sie nie wieder zu ihm zurückkehren. Er schaute auf ihre geschlossenen Augen. Nie wieder würde er diesen Glanz in ihnen sehen dürfen. Langsam bewegte er einen Arm in Richtung des Kopfes der Toten und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dieses wunderschöne Gesicht, das er so oft gestreichelt hatte, das er viele Male geküsst hatte, das er angebetet hatte. Aus diesem Gesicht war alles Leben endgültig gewichen.
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Er erinnerte sich an ihre gemeinsame Zeit, in der sie glücklich und zufrieden gewesen waren. Sie hatten ihr bisheriges Leben in vollen Zügen genossen, speisten die feinsten Köstlichkeiten, tranken die edelsten Weine, feierten die wildesten Feste, die oft zu hemmungslosen Orgien ausgeartet waren. Zutritt erhielten nur einige wenige Privilegierte, die zu ihren schönsten Untertanen gehörten. Später hatten sie regelmäßig zu ihren Orgien eingeladen, bei denen auch reichlich Alkohol getrunken wurde. Die beiden göttlichen Veranstalter hatten sich aber nie unter das normale Volk gemischt, sondern beobachteten das wilde Treiben von ihrer erhabeneren Position aus. Auf einem Podest von der Mitte des Raumes aus hatten sie einen perfekten Überblick auf die Gäste, deren Körper immer wieder ekstatisch zuckten. Dort wurden sie von zwei nackten, einer weiblichen und einem männlichen Auserwählten mit allerlei Delikatessen versorgt. Meistens gab es leichte Kost, in Form von Obst und Früchten. Grüne und rote Trauben, Avocados, Ananas, Erdbeeren und andere exotische, süße Früchte gaben den Liebenden die Energie für ein langes Liebesspiel. Für die Erweckung der Libido wurden auch Granatäpfel, frische Austern und allerlei Nüsse aufgetischt. Zwischendurch gesellten sich die beiden Diener zu dem Gastgeberpaar und stellten sich ebenfalls als Leckerbissen zur Verfügung. Es wurde genascht, von Tellern sowie von entblößten Körpern, die speziell dafür mit den Speisen dekoriert wurden. Das Beobachten der Orgie und das Kosten der süßen, feuchten Früchte ihrer beiden Auserwählten war für sie wie ein anregendes Vorspiel. Der darauffolgende Liebesakt der beiden Götter stellte jedoch alles andere in den Schatten.
Ein Liebesakt, den er nie mehr würde genießen können. Er wischte die Gedanken an ihren erotischen Momenten zur Seite, da ihm sein Sohn in den Sinn kam. Sein Kind, das seine Mutter verloren hatte, die er abgöttisch liebte, war ebenfalls am Boden zerstört. Auch er würde niemals wieder in ihre liebevollen und fürsorglichen Augen schauen können. Würde der Gott mit dieser Situation alleine fertig werden? Sein Sohn war zwar schon zu einem jungen Mann gereift, hatte aber immer eine besondere Verbindung zu seiner Mutter gehabt. Konnte er sie vollkommen ersetzen? Ein brutaler Schmerz durchzog wieder sein Herz, der allerdings nur ein Bruchteil von dem widerspiegelte, welcher seine verstorbene Geliebte hatte erleiden müssen. Der Pharao zweifelte. Hatte sein Leben jetzt eigentlich noch einen Sinn? Wie in Trance verließ er die Kammer und begab sich über eine Treppe nach oben. Als er in die Helligkeit trat, schloss er für einige Momente die Augen, öffnete sie dann aber zu engen Schlitzen, da die Lichtstrahlen der gleißenden Mittagssonne ihn blendeten. Tief atmete er die heiße Wüstenluft ein, die ihn fast zum Husten reizte. Er schaute über das Areal, das über der unterirdischen Pyramide lag. Nichts war davon zu erkennen, dass unter dem Sand ein Höhlensystem lag. Seit Menschen dieses Gebiet besiedelt hatten, hatte sich nichts verändert. Sand, Sand und nochmals Sand, soweit man schauen konnte. Der einzige Lichtblick in dieser Ödnis war ihr kleines Dorf und die fruchtbare Oase. Eigentlich wollte er dorthin zurückkehren, um die letzten Vorkehrungen für die Totenfeier zu treffen, als er im Wüstensand weiße und rote Punkte entdeckte. Er stutzte, da er so etwas hier im Sand noch nie gesehen hatte. Sie bewegten sich im Wind hin und her und wurden immer größer, je länger er sie beobachtete. Seine Trauer war für einen kurzen Augenblick vergessen, denn seine Neugierde war stärker. Langsam ging er einige Schritte auf die wachsenden Punkte zu, die immer mehr nach Blüten aussahen, je näher er ihnen kam. Ein kleiner Stich durchzog sein blutendes Herz, als ihm bewusst wurde, dass er sich wieder genau an dem Ort befand, an dem eine höhere Macht ihm seine Geliebte entrissen hatte. Sollte er denn nicht die höchste Macht darstellen? War er gar nicht unsterblich, allmächtig? War er gar kein Gott? Er begann, an sich zu zweifeln. Hätte er sie denn nicht retten können müssen?
Er näherte sich den rotweißen Punkten weiter an, die bereits zu großen Flächen angewachsen waren.
Fortsetzung mit Teil 5 des Prologs...