Prompt: Luftikus (14.06.2020)
Start: 18:20 Uhr
Ende: 19: 20 Uhr
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Da sitzt er nun, der kleine Unglücksrabe.
Das Knie komplett verschrammt.
Eine Beule wird morgen blau schimmern.
Am Ellbogen verarzte ich gerade eine offene Stelle.
Tapfer beißt er auf die Lippen, aber in den blauen Augen schimmern Tränen.
»Wie genau ist das jetzt eigentlich passiert?“
Vielleicht lenkt ihn das ein wenig ab.
Der Sechsjährige legt seine Stirn kurz in Falten.
”Na, wir sind doch Ritter, der Simon und ich.«
Vorsichtig begutachte ich das Knie.
»Ritter?«, frage ich nach.
Der blonde Schopf nickt eifrig.
»Und wir mussten doch für das Turnier üben, Papa. Der Sieger bekommt die Burg mit der Prinzessin.«
Belustigt sehe ich ihn an.
»Und Goldtruhe«, schiebt er noch nach.
Nein, über mangelnde Fantasie meines Juniors kann ich mich weiß Gott nicht beklagen.
Immerhin entdecke ich in der Schürfwunde keine Steinchen oder Dreck. Da es auch nicht blutet, sollte es besser ohne Pflaster heilen.
»Also, ihr habt für das Turnier geübt?«, versuche ich ihn zur Kern der Geschichte zurückzuführen.
Während er seine Kratzer jetzt selbst inspiziert, erzählt er mir, dass sie eigentlich auf den Ponys reiten wollten, aber nicht durften. Also waren die beiden Jungs auf die glorreiche Idee gekommen, die Fahrräder als Ersatz zu nehmen. Da es ja ein richtiges Ritterturnier werden sollte, hatte sich ein jeder einen Holzstock geschnappt. Einhändig waren sie damit aufeinander zugefahren. Dabei hatten sie unterschätzt, dass man mit einer Hand nicht gut lenken kann und das ein Treffer sie direkt aus dem Sattel befördern könnte.
»Aber ich bin ein bisschen länger oben geblieben!« Die Tränen sind verschwunden, dafür strahlt er jetzt schon wieder.
Ich fahre ihm durch den blonden Schopf.
»Immerhin«, murmle ich.
Es folgt die ausufernde Erklärung, dass mein Sohn diese Übung gewonnen hat, da er zuvor schneller ins Baumhaus geklettert war und auch beim Schwertkamp gewonnen hatte.
»Schwertkampf?“, wiederhole ich.
Schuldbewusst senkt er jetzt den Blick.
Die alten Holzschwerter aus meine Kinderzeit sollen die Jungen nur unter Aufsicht nutzen und ich kann mich nun beim besten Willen nicht daran erinnern, dabei gewesen sein. Er druckst ein wenig herum und so erfahre ich, dass sie wohl den Schlüssel zur Werkstatt zufällig gefunden haben.
Schmunzelnd möchte ich wissen, um welche Prinzessin es ging und wo denn nun diese ominöse Goldtruhe ist.
»Die Prinzessin ist Sarah.« Er sieht mich mit ernstem Blick an.
Das Mädchen ist zwei Jahre älter als mein Sohn und zudem Simons Schwester.
Ich richte mich auf und packe den Erste-Hilfe-Koffer wieder zusammen.
Dann sehe ich rüber zu Simon, der von meinem Bruder versorgt wird. Auch der besten Freund meines Sohnes hat lediglich ein paar Schrammen davon getragen.
»Ich bringe Simon dann mal nach Hause. Prinzessin und Goldtruhe müssen bis morgen warten«, meint Martin. Enttäuscht sehen sich die Kinder an.
Alle Kratzer und der Schreck sind vergessen. Mit dem Versprechen, dass ich morgen Zeit für eine Übungsrunde mit den Schwertern haben, scheinen dann beide versöhnt.
Folgsam schiebt der kleine Ritter sein verbeultes Fahrrad zum Schuppen. Als ich das Haus betrete, steht meine Frau am Küchenfenster und beobachtet unseren Luftikus.
Ich trete hinter sie und berichte von der Heldenreise, die abrupt auf dem Kiesboden endete.
Lachend lehnt sie sich an mich.
»Ich finde, er schlägt immer mehr nach dir«, murmelt sie.
»Na na, ich war doch der Traumtänzer, vergessen?«, empöre ich mich halbherzig. Nein, ich kann die Gene hier nicht leugnen. Und vielleicht werde ich dem Ritternachwuchs morgen ein bisschen Nachhilfe geben. Denn ein Goldschatz und eine hübsche Prinzessin sind doch ein ehrenwertes Ziel.