Prompt: Meeresrauschen (21.06.2020) - nachgeschrieben 26.06.20
Start: 21:05 Uhr
Ende: 21:44 Uhr
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Der warme weiche Sand.
Die Sonne steht wie ein glühender roter Ball am Horizont.
Es wirkt, als würde sie jederzeit vom Wasser einfach verschluckt werden.
Nicht mal rosa Wolken hängen am Himmel.
Ein Kuss, ehrlich und pur.
Er schmeckt nach dem Lambrusco, dessen Flasche beinahe leer vor uns steht.
Die Wellen laufen sanft auf uns zu, werden zurückgezogen und umspielen hier und da unsere Zehen.
Wir flüstern, kichern, nippen am Wein.
Flüchtige Berührungen, Gedanken zwischen uns.
Das Meeresrauschen trägt davon, was wir nicht aussprechen.
Was wir uns nicht anvertrauen wollen und dennoch gesagt ist.
So viele Male davor, so oft geteilt.
Von der Liebe, dem Leben, dem Schmerz.
Ich wünsche mir, die Wellen würden davontragen, was wir nicht schaffen auszuhalten.
Wir lehnen aneinander, genießen die Wärme. Spüren die Hitze des anderen.
Vernebelte Wunschbilder.
Von dem, was passieren könnte.
Von all dem, was uns passiert ist.
Am Meer verstellt dir nichts den Blick.
Es liegt unendlich weit vor dir.
Rollt heran, schenkt dir keinen Fixpunkt.
Es entfernt sich nicht.
Ich sehe kein Land, kein Ende.
In den Dünen brennen Lichter.
Der Wind trägt deren Schein und murmelnde Stimmen herüber.
Dennoch sind wir ganz bei uns.
Mit jedem Schluck, mit jedem Blick.
Es braucht keine Worte.
Ich kenne deine Gedanken, deinen Kummer, deine Freude.
Wie so oft denke ich, dass es ungerecht ist.
Es vereint uns und trennt uns gleichermaßen.
Nur wir verstehen einander.
Und dieses Wissen treibt unsere Seelen wie Magnete in entgegengesetzte Richtungen.
Noch ein Kuss, den du mir schenkst.
Er schmeckt nach Beeren, prickelt, schärft meine Sinne und mein Verlangen.
Und wie so oft fürchte ich, dass es grundfalsch ist.
Das Meeresrauschen lässt die innere Stimme nicht verstummen.
Es ruft mir leise zu, dass es den Ballast nicht mitnehmen kann.
Und doch möchte ich einfach nicht daran denken.
Denn wir haben uns, nur uns.
Unsere Angst vorm Leben, unsere Trauer, unsere Freude und dieses Gefühl.
Du bist meine Hälfte. Mein verlorenes Ich.
Nur in dir finde ich Antworten auf Fragen, die ich mir nie gestellt habe.
Ich ahne, es kann nicht dauern, aber dennoch will ich dich kosten, genießen, nie mehr gehen lassen.
Deine Fingerspitzen malen über meine Brust.
Deine Augen funkeln im Abendlicht.
Deine Lippen versprechen vergessen.
Keiner von uns will die friedliche Stille durchbrechen.
Nur den Wellen hören wir zu.
Sehen die Sonne, wie sie langsam im Meer versinkt.
Untergeht.
Du bist der Spiegel meiner Scherben.
Kennst jedes kleines Mosaiksteinchen.
Du besitzt die Formel, alles zusammenzusetzen.
Ich bin, der die Fäden deiner Seele in den Händen hält.
Kenne jede Stolperfalle deines Herzens.
Ich verstehe jede unbewusste Geste, kann sie deuten und dich lenken.
Wir können uns nicht heilen, nicht retten.
Nur den Augenblick genießen.
Den Moment einfangen und fest verschließen.
Und müssen ihn doch fliegen lassen, weil wir nicht aufhalten können, wie wir sind.
Nicht mit, nicht ohne einander.
Zusammen weinen unsere Herzen.
Ohne einander sind wir ruhelos.
Denn nur du kennst die dunkelsten Wege in mir.
Nur ich kenne dein tiefstes Grau.
Nur du weißt um meine Passion.
Und nur ich kenne deine fröhlichsten Farben.
Ich sinke über dich, betrachte dein herzförmiges Gesicht, die glutschwarzen Augen, die Stupsnase und die Narbe neben deiner Nase.
Alles so vertraut.
Alles so bekannt, weil ich in dir mich sehe.
Wir haben uns gefunden in Trauer. Um uns schlagend, unverstanden, allein.
Nicht gewillt der Welt zu sagen, was wir von ihr halten.
Wir brauchten keine Worte, wir konnten in uns lesen.
Ein offenes Buch.
Die erschlagende Erkenntnis, mit all dem nicht allein zu sein.
Heute möchte ich dich spüren, dir nah sein.
Im versiegenden Sonnenlicht erkennen, was du für mich bist.
Was du immer sein wirst, egal wie es endet.
Du hältst mich für kitschig.
Naiv. Hoffnungslos verloren.
Ich fühle mich machtlos gegen deine Würde.
Du lässt nur selten los.
Dann aber tauchst du ein in ein Tränenmeer, in einen so brachialen Zorn, dass ich dem nichts entgegenzusetzen habe.
Weil es mir doch gar nicht anders geht und ich doch auch keine Heilung kenne. Wir sind Teenager mit uralten Seelen. Und immer wieder frage ich mich, warum die Welt das zulässt.
Heute weinst du vor Glück.
Weil die Farben des Himmels so unglaublich schön sind, dass du es gar nicht glauben kannst. Gelb, rot, lila, blau - aber es wird einfach noch nicht richtig schwarz.
Es ist so schön, dass wir tatsächlich für einen Moment alles vergessen.
Das Rauschen des Meeres wird leiser.
In mir ist Frieden und für einen Moment gestatte ich mir die Vorstellung, dass das Wasser den Kummer doch weggespült hat.