Prompt: Flackern im Wind (02.02.2020) - nachgeschrieben 03.02.20
Startzeit: 10:25 Uhr
Ende: 11:20 Uhr
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Die Unwetterwarnung läuft schon den ganzen Tag im Radio und bestimmt an die zwanzig Mal ploppt am Nachmittag das Mitteilungsfenster der Wetter-App auf.
Starkregen und Wind bis hin zum Orkan wird erwartet.
Schon das Wochenende ist ungemütlich gewesen. Dauerregen, teilweise ist es gar nicht richtig hell geworden und auch jetzt wiegen sich die kleinen Birken auf der anderen Straßenseite hin und her.
Kritisch beäugt Jan vom Fenster des Kinderzimmers die parkenden Autos. Die Birken ins noch jung, nicht sehr stabil. Vielleicht besser, wenn er das Auto doch in den Innenhof umparkt. Sie nutzen die beiden Stellplätze dort selten, weil es recht eng ist und die Kinder auf dem Weg zum hauseigenen Spielplatz daran vorbei müssen. Schon manch ein Nachbar hat sich über Schrammen geärgert. Gut, denkt er, das kan er gleich erledigen, ehe er den Kurzen aus dem Kindergarten holt. Jener liegt nur wenige Minuten entfernt im Park und schließt heute wegen der Unwetterwarnung früher.
Es gießt wie aus Strömen, als er mit David an der Hand wieder Zuhause ankommt. Er hilft dem Kind aus den Gummistiefeln und nimmt ihm die Regenjacke ab. Trotzdem ist der Junge richtig nass. Kurzerhand verfrachtet er den Sechsjährigen in die Badewanne. Mittlerweile peitscht der Regen gegen das Dachfenster und der Wind pfeift ums Haus. Davids Augen sind schreckgeweitet, als es draußen laut klappert. Vermutlich hat Jan doch einen Blumentopf auf dem Balkon übersehen. Irgendwo knallt eine Tür laut zu. Jan kann nicht sagen, ob es nebenan oder in der eigenen Wohnung war. Sein Blick geht zur Uhr. Isabelle ist noch im Büro und ihm gefällt der Gedanke nicht, dass sie die knappe Viertelstunde zu Fuß allein zurücklegt. Andererseits kann er David nicht alleine lassen. Sein Sohn sitzt ziemlich schweigsam für seine Verhältnisse auf dem Sofa und hält seine Kuscheldecke im Arm.
Seufzend wählt Jan ihre Handynummer. Beiläufig schaltet er den Fernseher ein. Etwas Ablenkung für David kann nicht schaden.
"Ich wollte gerade los!", begrüßt ihn seine Frau am anderen Ende der Leitung.
"Geh nicht durch den Park, Liebling. Bleib an der Straße." Er beißt sich auf die Lippe, will nicht zu viel Sorge durchklingen lassen. Sie hält ihn sowieso für überfürsorglich. Sie ist nicht krank, wie sie immer wieder betont, nur schwanger. Mittlerweile im siebten Monat und ihr letzter Arbeitstag steht bald an.
"Das war mein Plan. Carla begleitet mich bis zur Galerie und die letzten 200 Meter schaffe ich dann auch noch. Soll ich von unterwegs noch was mitbringen?"
Er beißt sich erneute auf die Lippeund spürt, wie er bis in die Haarwurzeln rot wird. Dann verneint er. Sie kann ja nicht wissen, dass er schon am Morgen die Vorräte aufgestockt hat.
Rein vorsorglich.
Konserven zieren den Vorratsraum hinter der Küche.
Der Tiefkühler ist randvoll.
Außerdem Batterien, Kerzen, Feuerzeuge und vier Wasserkisten.
David starrt wie gebannt auf die Zeichentrickserie und hat sich in die Decke eingerollt. Jan beschließt das Gemüse zu putzen, damit er gleich mit kochen beginnen kann, wenn sie daheim ist. Auerdem sieht er vom Küchenfenster zur Straße. Wenn sie die Galerie verlässt, müsste er sie perfekt im Auge haben.
Und tatsächlich kann er sie dann sehen, wie sie sich langsam auf das Haus zubewegt. Die rote Kapuze ihrer Wind- und Regenjacke leuchtet in der trüben Dämmerung. Sie hebt die Hand und winkt. Jan fühlt sich eigentümlich ertappt.
Mit einem Schmunzeln steht sie wenig später vor ihm.
"Du bist ja für den Weltuntergang gewappnet!"
Sie streicht ihm über den Arm.
"Lach mich ruhig aus", brummt er.
Ihre Mundwinkel zucken ein bisschen. Sie ruht unglaublich in sich in den letzten Wochen und scheint vor überhaupt nichts Angst zu haben.
Auch eine Stunde später nicht, als der Wind noch kräftiger wird.
Sie haben schon gegessen und Isabelle hat sich mit David auf das Sofa gekuschelt. Der Fernseher ist längst wieder aus, sie liest dem Jungen eine Geschichte vor. Der hört zwar zu, schreckt bei jedem Geräusch von draußen aber zusammen. Jan kommt zu ihnen und setzt sie auf die Kante. Eine Hand legt er auf Isabelles Bauch. Das ungeborene Leben darin scheint auch aufgeregt zu sein, wie er festellt. Zumindest sind die Tritte stark und kräftig. Damit lässt sich auch David ablenken. Isabelle legt das Buch beiseite.
Ein Donnergrollen zerreißt die idyllische Stille und David schießt in Jans Arme. Ein Blitz erhellt den Raum fast zeitgleich. Dann flackert kurz das Licht.
Mit einem Mal sitzen sie im Dunkeln.
Erschrocken zieht Isabelle die Luft ein.
Mit einem großen Schritt ist Jan am Fenster.
"Alles dunkel", murmelt er.
Ein großer Knall lenkt ihn ab. Ein Stück die Straße runter hat drei Bäume entwurzelt und nicht alle haben ihre Fahrzeuge umgeparkt.
Puh, denkt er. Nicht aus zudenken, da hätte noch jemand darin gesessen.
Wieder blitzt und donnert es, dann liegt wieder alles dunkel da.
Sirenen sind zu hören.
Er hört die ängstliche Stimme Davids.
"Alles gut, mein Schatz. Nur ein Unwetter, uns kann hier drinnen nichts passieren", erklärt Jan so ruhig wie möglich. Er sieht Isabelle an, die deutlich blasser als vorher ist.
"Ich hole mal die Kerzen und mache uns Licht."
Es dauert dann bis zum Morgen. Bis sie wieder Strom haben.
Sie haben den Abend und die Nacht mit David und den Katzen, sie sich erst langsam wieder heraus getraut haben, im Bett verbracht. Jan hatte Kerzen angezündet und Tee mit Hilfe des Gaskochers aufgebrüht. Er und Isabelle hatten abwechselns vorgelesen, bis David eingeschlagen gewesen war.
Erst weit nach Mitternacht hatte der Sturm und der Regen nachgelassen.
Jetzt steht Jan am Küchenfenster.
Entwurztelte Bäume am Straßenrand.
Zwei völlig zerstörte Autos.
Unrat, Äste, aufgerissene Müllsäcke - ein kleiner Kriegsschauplatz.
Der Kindergarten bleibt heute geschlossen, das Dach wurde beschädigt und der Außenbereich verwüstet.
Müde tritt Isabelle neben ihn und er zieht sie in seine Arme.
"Ich liebe dich dafür", sagt sie zärtlich.
Irritiert siehter sie an.
"Wofür?", will er wissen.
Sie lächelt.
"Fürsorge, Jan. Vielleicht reagiere ich da manchmal albern, aber ich weiß das zu schätzen. Und ich weiß, warum du es tust."
Ihr Blick ist voller Wärme.
"Dann ist ja gut", murmelt er.
Sein Beschützerinstinkt ist ausgeprägt wie selten in seinem Leben. Dafür kann er schließlich nichts. Er möchte nur, dass es allen gut geht und niemandem etwas passiert. Am Liebsten würde er rund um die Uhr auf die beiden aufpassen.
Das war immerhin das Mindestens was sie verdient hatten.