Prompt: Ein Spaziergang im Grünen (12.04.2020)
Start: 19:30 Uhr
Ende: Uhr 20:30 Uhr
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Wie gut es tut.
Der Morgen ist noch jung, die Luft unbeschreiblich schön.
Die Sonne hat schon mehr Kraft, als ich gedacht habe.
Kurz nachdem ich den Ort verlassen habe, muss ich die leichte Trainingsjacke ausziehen.
Der Weg schlängelt sich den Hang hinauf, links und rechts ist er von Weinreben gesäumt.
Mich begleitet nur Vogelgezwitscher und hier und da eilt ein Häschen über den Weg.
Ich atme durch, sauge die Luft tief in meine Lungen und lege ein bisschen an Tempo zu. Allein mit mir, meinen Gedanken und Gefühlen. Etwas in mir hat mich regelrecht nach draußen gezogen.
Es ist eine besondere Stille, weder vor noch hinterm mir kann ich Menschen sehen. Es ist zu früh. Am Nachmittag, wenn die Temperaturen um die 20 Grad betragen werden, wird es hier von Spaziergängern und Fahrradfahrern nur so wimmeln.
Endlich erreiche ich die Kuppe und bleibe stehen.
Langsam drehe ich mich herum.
Zu meinen Füßen liegt der kleine Vorort.
Ich kann den Park sehen, die kleinen Wohnsiedlungen um ihn herum, die Einkaufspassage und weiter hinter den Übergang zu Stadt.
Kleine Wolken werden vom Wind getragen.
Ab und an verschwindet die Sonne und das Lüftchen kommt in Bewegung.
Ich setze meinen Weg fort und lasse die Gedanken zu, die wild durch meinen Kopf kreisen. Viele kleine Mosaiksteine, die ich auf diesem Spaziergang zusammensetzen möchte.
Der Weg ist jetzt breiter, eine Fahrstraße.
Gesperrt für den normalen Verkehr, aber geöffnet für die Winzer und Landwirte, deren Reben und Felder sich auf einer Länge von fast fünf Kilometern an ihr ausbreiten.
Es raschelt in einem Busch, wieder lässt sich ein Hase blicken, der aber vor mir erschrickt und sich schnell wieder verkriecht.
Nach 500 Metern erreiche ich das steinerne Kreuz, an welchem jetzt am Ostermorgen einige Blumensträuße liegen. Wieder einmal notiere ich mir den Gedanken, herauszufinden, warum dieses Kreuz hier steht. Fast wirkt es so auf mich, als würde es die Gegend bewachen. Oder beschützen.
Nochmal lasse ich meinen Blick über das Tal schweifen, das seit einigen Jahren meine Heimat ist.
Es fühlt sich unwirklich an, dass ich diesen Ort bald verlassen werde. Obwohl ich mit vollem Herzen hinter dieser Entscheidung stehe.
In den letzten Wochen haben wir unzählige Listen erstellt.
Dafür.
Dagegen.
Haben Ideen gesammelt.
Möglichkeiten abgewogen.
Einiges davon ist wertvoll, vieles nutzlos.
Da ist ein Punkt, der mit keinem Gegenargument ausgehebelt werden kann.
Der einfach so viel schwerer wiegt.
Und so sehr dies mein Herz versteht, der Verstand hat deutlich mehr Probleme.
Warum eigentlich?
Und auch deswegen bin ich heute morgen hier, auf diesem Spaziergang mit mir.
Da sind Bedenken. Angst will ich es gar nicht nennen.
Kleine flirrende, schwer zu greifende Fetzen.
Mahnungen, das trifft es am ehesten.
Was, wenn?
Was, wenn wir zu blauäugig sind?
Nein, nicht wir, er.
Was, wenn es nicht funktioniert?
Nicht nur mit den Plänen und Ideen, die nicht mehr als eine erste Gedankensammlung sind.
Sondern mit uns?
Mir fehlt ein doppelter Boden, ein guter Plan B.
Alles in mir schreit nach Sicherheit.
Dabei sollte ich wissen, dass es so etwas in Gänze nicht gibt.
Im Leben soll man Mut haben.
Herrje, wie oft habe ausgerechnet ich dies gepredigt?
Man sollte offen sein, sich einlassen auf Parallelwege.
Auch dann, wenn man nicht weiß, wohin sie führen.
Ob sie überhaupt irgendwo hinführen oder ob sie einem im Kreis zurück an die Weggabelung führen.
Vielleicht war mein Weg, abgesehen von diversen Stolperfallen zu geradlinig. Vielleicht fehlt mir der Glaube daran, das auch Umwege ans Ziel führen.
Vielleicht ist die Frage nach dem Ziel entscheidender?
Seufzend bleibe ich stehe.
In den letzten fast drei Jahren habe ich doch gelernt, dass zwei Schritte zurück nicht automatisch einen Rückschritt bedeuten.
Manchmal muss man zurück um besser zu sehen.
Habe ich unter Umständen das Ziel aus den Augen verloren?
Ist es nicht egal wo und von was wir leben, solange wir es gemeinsam meistern?
Oder ist das naiv?
Habe mich zu schnell von einer fixen Idee mitreißen lassen?
Ironischerweise stehe ich auch jetzt an einem Abzweig und entscheide mich ohne zu zögern für den Weg, der mich am schnellsten zurück in die Wohnung führt.
Vielleicht denke ich auch zu viel und blockiere mich damit. Ausschließen mag ich das nicht.
Denn nein, es ist keine fixe Idee.
Keine Entscheidung, die einfach nur aus einer Laune heraus getroffen wurde.
Nur weil sie für mich überraschend kam, beinahe aus dem Nichts, ist sie nicht nicht durchdacht. Und wenn ich ehrlich bin, dann hätte ich es kommen sehen können. Aber ich wollte es nicht sehen. Weil oberflächlich betrachtet doch alles perfekt war. Und genau da liegt der Kern des Problems.
Ich hatte mir diese perfekte Welt so sehr gewünscht, dass ich Kleinigkeiten nicht überrissen habe. Kleine Kratzer an der Oberfläche, die sich im Inneren getroffen haben.
Das ist es, was eigentlich an meinem Ego zerrt, wenn ich ehrlich zu mir bin.
Dafür gibt es aber eine Lösung und die ist ganz einfach. Mach es besser. So was kann passieren und nichts und niemand ist perfekt.
Daher ärgert es ich doppelt, dass ich in die Falle getappt bin.
Denn ich weiß es besser. Und allein der Gedanke, dass es gerade perfekt ist, hätte mir Mahnung sein sollen.
Während ich durchatme, gehe ich weiter.
Jetzt fühlt es sich in mir ruhig an.
Das Mosaik ist wieder ein Bild und ich muss lächeln.
Es geht doch um das große Ganze. Um uns.
Um das Glücklich werden, zufrieden sein.
Und wenn man dafür einen neuen, unbekannten Pfad folgen muss, dann werde ich das von Herzen gerne tun.
Aber, so sage ich mir, ein winzig kleines Auffangnetz, das muss mir gestattet sein. Darum werde ich bitten und dann mutig auf diese Reise gehen.
Versprochen.