Prompt: Postkarte von Irgendwo (19.04.2020)
Start: 19:40 Uhr
Ende: 20: 22 Uhr
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Das Motiv verrät nichts.
Es zeigt keine typische Landschaft. Weder Meer noch Berge. Kein Merkmal, welches man mit ein bisschen Recherche zuordnen könnte.
Ein grauer Hintergrund, davor ein paar Babyschuhe.
In gedruckten, schnörkeligen Buchstaben die Worte Hello, it´s me.
Auch die Briefmarke ist nicht hilfreich.
Denn offenbar wurde die Postkarte über einen Anbieter selbst erstellt und über dessen Poststraße verschickt. So was ist ja heute üblich, um individuelle Grüße aus dem Urlaub zu versenden.
Daher fehlt auch jeglicher Text in einer Handschrift.
Auch die Adresse und die knappen Worte sind eingedruckt.
Vor sieben Monaten ist sie einfach gegangen.
So lautlos wie sie in mein Leben getreten ist, so still war sie dann auch wieder weg.
Nur diese paar Wochen, in denen ich furchtbar wenig erfahren habe.
Charlotte - so hat sich sie vorgestellt.
Wir haben sechs Wochen zusammen diesen Weg und Erfahrungen geteilt und irgendwann das Bett.
Woher sie gekommen ist oder wohin verschwunden, das bleibt für mich ein Rätsel.
Als wir das Ziel erreicht hatten, haben wir geweint vor Glück, uns in den Armen gelegen und den Abend miteinander verbracht. Am nächsten Morgen ist sie auf und davon gewesen, nur ein Zettel hatte auf dem Kopfkissen gelegen.
Danke für alles, such mich nicht.
Wie auch?
Ich habe keine Handynummer, keinen Nachnamen, keinen Wohnort.
Wir haben kilometerlang über Gott und die Welt philosophiert, aber erst im Nachhinein ist mir aufgefallen, dass ich außer ihren Namen und ich vermeintliches Alter nichts persönliches erfahren habe.
Ich Idiot habe ihr dagegen noch all meine Daten beim letzten Abendessen in ihr uraltes Handy abgespeichert.
Klar, es hat mich an jenem Morgen getroffen und ich bin eine zeitlang enttäuscht gewesen. Aber gut, dann hat es eben nicht sollen sein. Und heute fische ich diese Postkarte aus dem Irgendwo aus dem Briefkasten und kurz steht meine Welt still.
Die kleinen Schuhe auf der Vorderseite sind rot.
Der kurze Text gibt nicht viel mehr Preis.
Gott hat mir ein Geschenk gemacht. Eine besondere Erinnerung an unsere Begegnung. Bitte trage auch du es im Herzen. C.
Ich kann es drehen und wenden wie ich möchte, ich finde keinen einzigen Ansatzpunkt.
Was bleibt ist die Frage, warum sie es mir dann überhaupt mitteilt.
Was soll ich mit diesem Wissen nun anfangen?
Vermutlich habe ich also eine Tochter.
Gezeugt in einer der Nächte, in denen wir uns in einer klammen Herberge nicht nur gegenseitig gewärmt haben.
Nochmal drehe ich die Karte in meinen Händen und mustere jedes Detail.
Frustriert lege ich sie dann aus der Hand.
Was mir geblieben ist aus jener Zeit sind ein paar heimliche Schnappschüsse.
Nun gut, dann bleibt mir nur der Weg, an den ich in den ersten Tagen nach meiner Rückkehr schon mal gedacht habe.
Ich logge mich in eine der Gruppen in den sozialen Netzwerken ein, suche ein besonders gutes Foto heraus und verfasse einen Post. Ohne die Tochter oder die seltsame Postkarte zu erwähnen.
Es ist spät am Abend, als sich eine Benachrichtigung im Sperrbildschirm des Handys zeigt.
Hallo Ralf, meine Name ist Karola. Du hast ein Foto gepostet und suchst eine junge Frau. Ich glaube, dass ich sie kenne. Bitte melde dich bei mir. VG Karola.
Neugierig öffne ich das Chatfenster und wir tauschen ein paar Nachrichten. Jene Karola ist sich sicher, dass sie Charlotte oder Laura (so nannte sie sich bei ihr) am Anfang ihrer Reise getroffen hat und bestimmt ein paar Tage mit ihr unterwegs war. Der Zeitablauf passt, das kann ich direkt mit meinem Pilgertagebuch abgleichen.
Es dauert ein bisschen, bis mir Karola dann überraschend den vollständigen Namen und Wohnort nennt. Erst will sie sichergehen, dass ich kein Serienmörder oder Stalker bin. Was ich gut verstehen kann.
Mich trifft dann fast der Schlag. Wenn die Daten stimmen, dann lebt sie nur 50 km weg von meinem Zuhause. Ich sehe zur Uhr. Es ist schon fast Mitternacht. Zu spät, oder? Doch dann werfe ich alle Bedenken über Bord und setze mich in mein Auto.
Immer wenn ich diese Geschichte später erzähle, will sie mir kaum jemand glauben. Wieder und wieder muss ich versichern, dass es genauso gewesen ist. Das Glück sucht sich manchmal seltsame Umwege.