- Start: 30.09.2020 - 15:38 Uhr
- Ende: 30.09.2020 - 15:54 Uhr
Flüsternd fällt der Schnee auf den zugefrorenen Teich hoch oben im Gebirge. Still und majestätisch ziehen mächtige Wolken dahin, scheinbar nur eine Handbreit über den Berggipfeln, welche im dichter werdenden Schneetreiben zu verschwinden beginnen. Pechschwarzer Feuerstein blitzt aus der schützenden Decke, dunkel wie der Himmel jenseits der Wolken und wie das lange Haar der Frau, die furchtlos auf das Eis tritt.
Ihre Haut ist elfenbeinfarben und ihre Augen geheimnisvoll Blau wie das durch die Eisschicht schimmernde Wasser. Sie trägt ein schwarzes Kleid, das glitzert wie tausend gefrorene Tränen. Ihre Schritte klingeln auf dem Eis wie Glöckchen, einige Schneeflocken verweilen auf ihren kalten Wangen.
Leise tritt sie auf die Eisfläche und bleibt stehen, mitten im sanften Wirbel der Flocken, die sie umschmiegen wie ein durchscheinender Mantel. In dem dunklen Blau weit unter ihr ziehen Karpfen ihre Kreise. Das Lied eines Wolfes durchbricht die Stille des Winters und die Frau richtet den Blick zum Ufer.
Dort, auf einem rauen Felsen, steht eine Trauerweide mit zu Eiszapfen gefrorenen Blättern. Einem Windspiel gleich klingeln sie, als ein schwarzer Wolf in den Vorhang ihrer Zweige eintaucht. Doch auf der anderen Seite tritt ein Mann mit weißem Haar und schwarzer Kleidung hervor, schwarz wie Feuerstein sind seine Augen. Und wie ein dumpfer, ferner Herzschlag hallen seine Schritte über dem See, als er zur Mitte tritt, an die Seite der Frau.
Er kniet vor ihr nieder und reicht ihr stumm eine hellblaue Blüte mit Raureif auf den Blättern. Mit einem Lächeln nimmt die Frau sie an und steckt sie in ihr langes Haar. Als der Mann sie zum Tanz bittet, schmiegt sie sich mit dem Rücken an seinen Bauch. Seine Arme umfassen sie und sie legt die Hände auf die Seinen.
Einen Moment ist es still, als halte die ganze Welt den Atem an. Ein Windhauch fährt durch die Zweige der Trauerweide und ihre Blätter klirren und klimpern wie der zarteste Engelsgesang. Da setzen sich die Tänzer im gleichen Moment in Bewegung. Sie ziehen das Bein im Halbkreis nach hinten, und schon gleiten sie wie auf Schlittschuhen über den stillen See. Erst langsam und zögerlich, mit schweigenden Kreisen und gemächlichen Drehungen. Doch wie Wind und Flockentanz auffrischen, so werden auch die Tänzer schneller. In das Spiel der Trauerweide mischt sich der vielstimmige Gesang der Wölfe. Die Luft schwingt wieder als wäre der Wind zu Wasser geworden. Wasser, durch das Tänzer und Tänzerin gleiten, schweben und wirbeln. Sie wiegen sich wie die See, brechen aneinander wie Wellen am Strand, und all dies zu der Musik der dunkelsten Jahreszeit. Die Flocken, so scheint es, folgen ihren Bewegungen wie Luftblasen es unter dem Wasser tun würden.
Dies ist die Stunde der Kälte, wenn aus Stillstand ein neues Tanz beginnt. Die Zeit, da Flüstern zu einem Lied anschwillt und dieses Lied die Welt mit seinem Bann verzaubert. Winters Klang hallt weit über die Lande, vom Berg hinunter in selbst das tiefste Tal, und die Tänzer des Eises tanzen im Reigen der Flocken.
Und als Stille einkehrt und die Welt zum tiefen Schlaf zurückkehrt, da wurden ihr Träume voll zauberhaften Lichts geschenkt, flackernd und erglühend, ersterbend und neu entstehend wie Nebelschleier über den Feldern an einem kühlen Morgen. Und so schreitet der Winter majestätisch zur Ruhe.