- Start: 03.12.2021 - 18:49 Uhr
- Ende: 03.12.2021 - 19:21 Uhr
CN: Zwei, drei Schimpfwörter
Sie sah auf den Lichtjahrzähler. Eine hübsche Zahl. Sie eröffnete gleich mit 9 Millionen. Ging stark mit 999 Tausend ins Mittelfeld und endete, ebenfalls stark, aber etwas sanfter, mit Neunhundertachtundsiebzig.
Doch das gesamte vordere Sichtfeld des Bildschirms wurde von Neunen eingenommen. Und der Zähler stieg weiter.
"Captain!", rief ihr erster Offizier. "Die kleben uns immer noch am Arsch. Wir müssen kapitulieren!"
Grinsend bleckte sie die Zähne. "Yewa N'goto gibt nicht auf. Niemals!"
Mark, der erste Offizier, rollte die Augen. "Reine Willenskraft oder alte Prinzipien machen uns den Tank auch nicht voll. Die Thraxianer werden uns einholen."
"Werden sie nicht", widersprach sie. "Sie werden uns nicht über die Grenze folgen."
"Welche Grenze?" Nun doch neugierig trat Mark näher.
Yewa deutete auf die Anzeige.
979.
"Die Lichtgrenze!", murmelte Mark.
Noch kein Schiff war in den Raum der 10-Millionen-Lichtjahre vorgedrungen. Selbst die 9er wurden meistens gemieden, und in den 7ern und 8ern trieben sich vor allem Piraten und Ausgestoßene herum. So weit wie jetzt war noch kaum jemand vorgedrungen.
"Captain ..."
Yewa schüttelte den Kopf, als Mark nach der Bremse greifen wollte. "Nicht. Wir haben so viel dafür getan, das Xorx abzubauen. Ich lasse mir das nicht von irgendwelchen dahergelaufenen Trotteln abnehmen."
980.
Draußen jagte der Weltraum vorüber. Im Hypherraum geschah etwas interessantes. Während das Licht im Raumschiff konstant blieb (und sich sozusagen mit doppelter Lichtgeschwindigkeit bewegte), glitten die einzelnen Photonen neben den Scheiben vorbei. Die Crew konnte nichts außerhalb des Schiffes sehen, denn kein Lichtstrahl fand seinen Weg herein, doch sie sahen unzählige, hellglühende Punkte, die sie wie Glühwürmchen begleiteten. Sobald man den Hebel umlegte, hüllte absolute Schwärze das Schiff ein, doch einzelne Lichtpartikel tanzten um sie herum wie Fischschwärme um einen Hai. Die vielen Farben des Lichts waren unglaublich, denn nicht alle Strahlen waren gleich gebrochen, und so erglühte ein wahrer Regenbogen vor den Scheiben.
987.
Yewa riss sich von der Betrachtung der Lichter los und sah auf die anderen Messgeräte. Die thraxianische Flotte wurde noch immer hinter ihnen angezeigt. Doch ein paar ihrer Schiffe hingen jetzt schief. Diese Narren! Offenbar hatten sie versucht, auf sie zu schießen, trotz Hyperraum. Die Geschosse hatten ihre eigenen Schiffe zerfetzt. Die Thraxianer waren verzweifelt.
Ein Grinsen kroch über Yewas Lippen.
"Selbst wenn wir entkommen", sagte Mark, "wird uns das nichts bringen. Dann sitzen wir auf einem riesigen Vermögen mitten im Nichts fest. Wir wissen nicht einmal, ob das Universum hinter den Neunen noch weitergeht. Vielleicht hört es einfach auf."
"Wir haben sowieso nicht genug Treibstoff, um zum Zentrum zurückzukehren", widersprach Yewa. "Was sollen wir sonst tun?"
"Wenn nun das Universum endet ..."
"Wieso sollte es? Das wäre verrückt. Nein, wir müssen es einfach versuchen, Mark."
"Ohne Treibstoff ..."
"Die Thraxianer würden uns ebenfalls töten!", fuhr Yewa auf. "Denkst du denn, sie nehmen uns einfach mit? Nein. Sie zerfetzen uns. So haben wir wenigstens eine geringe Chance, einen Meteoriten mit Brennstein zu finden."
Mark seufzte, zweifellos angesichts der geringen Größe dieser Chance.
992.
Yewa leckte sich die Lippen. Fast nur noch Neunen. Wenn sie ehrlich war, dann war sie hungrig darauf, das Universum jenseits von diesem zu erblicken. In ihrer Karriere hatte sie bereits so viele Wunder gesehen. Welche würde sie an einem Ort erblicken, den noch niemand vor ihr betreten hatte? Fremdartige Planeten, womöglich sogar mit Leben. Riesige Sterne. Ganze Galaxien ...
995.
"Captain. Die Thraxianer bremsen."
Yewa sah auf die Anzeigen. Immer weniger Schiffe wurden von ihren Scannern erfasst. Und auch die Anzeige für den Treibstoff blinkte nun rot. Sie fuhr die letzten Schilde herunter, auch wenn ihre Außenhülle nun unter dem Druck des Hyperraums ächzte, und leitete die Energie in die Reservedrüsen.
997. Nur noch drei Schiffe verblieben.
"Vielleicht können wir es mit denen aufnehmen."
"Nein, Mark, das sind Scouts. Sobald wir anhalten, warpen die ganzen anderen sich zu ihnen."
998. Die Schiffe blitzten auf und verschwanden eines nach dem anderen von ihrem Scanner.
Dann war es so weit. 9.999.999. Eine Zahl, so unwirklich, als käme sie aus einem Märchen.
Mark fasste nach der Bremse. Yewa ergriff sie vor ihm und sah angespannt auf den Bildschirm.
Jeden Moment ...
Dann verschwanden die Neunen einfach, und Nullen nahmen ihren Platz ein. Yewa zog die Bremse und die reale Welt kehrte zurück. Die tanzenden Lichter verließen sie. Stattdessen schwebte das angeschlagene Schiff in einer düsteren Schwärze.
"Umgebungsscann durchführen", befahl sie.
"Captain, die Sauerstoffreserven sind niedrig."
Sie nickte dem Crewmitglied zu, dass das vermeldet hatte, und sah weiter wie gebannt auf den Lichtjahrzähler.
Nur noch Nullen. Als wären sie wieder im Zentrum des Universums. Denn die neue 1 konnte nicht länger angezeigt werden.
Unfassbar.
Zehn Millionen Lichtjahre. Sie fühlte sich mit einem Mal klein. Und verloren. Wo waren die Feuerwerke, dafür, dass sie so einen Ort entdeckt hatte? Wo die heroischen Fanfaren?
Stattdessen waren sie irgendwo im Nichts, das Schiff kaputt, und keine Rettung in Sicht.
"Scan abgeschlossen. Hier in der Nähe befindet sich ein kleines Sonnensystem", meldete ein Techniker.
"Gibt es dort Treibstoff?" Mark eilte zu ihm.
"Die ersten Scans zeigen nichts. Es sind acht oder neun Planeten."
"Niedlich", kommentierte Yewa und schwang sich aus ihrem Stuhl, um die Scans selbst zu betrachten. Ihnen blieben noch einige Stunden, um zu landen, und sie sollte einen der Planeten für den ersten tieferen Scan auswählen.
"Den vierten."
Es dauerte eine Weile, bis die Ergebnisse kamen. Währenddessen sanken die Energielevel der Versorgesysteme konstant. Irgendwo war musste ein Leck sein, wohl nach dem Kampf.
Sie hätte den Hyperraum vielleicht doch früher verlassen sollen. Das hätte ihnen ein paar Stunden mehr Zeit verschafft.
"Kein Treibstoff, Captain", vermeldete Mark den Scan. "Wir haben eine 5%ige Chance auf Wasservorkommen. Sollen wir landen und weitersehen?"
"Nein." Yewa beugte sich vor. Ihnen blieb noch Zeit für einen zweiten Scan eines Planeten.
Sie entschied sich für den Dritten, der annähernd in der Goldilock-Zone lag. Näher an der Sonne, und es würde ihre Hülle schmelzen, weiter draußen würden sie zu viel Energie auf Wärmezufuhr verschwenden. Vielleicht hatten sie mit diesem Planeten ja Glück.
Etwas piepste. Sie hatten Treibstoff gefunden! Und zwar schneller, als Yewa gehofft hatte.
Doch dann trudelten immer mehr Daten ein.
"Wasser!", rief Mark erfreut. "Und Biomasse." Das klang schon etwas besorgter. "Captain ... der Planet beherbergt Leben."
"Intelligentes Leben?"
"Der Computer berechnet eine Wahrscheinlichkeit von 2%."
2%! Das war unglaublich viel. Im ihrer Laufbahn hatte Yewa nur einen 0,5%-Chance-Planeten entdeckt, und der war zu ihrer Enttäuschung nicht entwickelt gewesen. Ein 2%-Planet, selbst wenn es dort kein intelligentes Leben gab, war eine Sensation für sich.
"Wir gehen runter", entschied sie und steuerte das Schiff auf den Planeten vor.
Staunend betrachtete die Crew die große Kugel vor ihnen. Es gab grünes und braunes Land, aber die meiste Oberfläche wurde von blauem Wasser eingenommen. Weiße Streifen von Wolken sprenkelten die Oberfläche.