- Start: 07.11.2020 - 20:40 Uhr
- Ende: 07.11.2020 - 20:55 Uhr
Am nächsten Tag musste er sich den Trümmern des Vorabends stellen.
Beim Frühstück stieß er auf eisiges Schweigen. Seine Mutter hatte den Tisch nicht für ihn mitgedeckt und ignorierte ihn, während sie Jacks Vater fertigmachte. Sie fütterte ihn, jedoch ebenfalls schweigend, statt ihm wie sonst irgendeinen Unsinn zu erzählen.
Jack packte seine Tasche und schlurfte zur Tür. "Bis heute Abend."
Er erhielt keine Antwort.
Die Arbeit war zu allem Überfluss auch längst nicht so schrecklich, wie er sich das ausgemalt hatte. Der zweite Tag lief schon deutlich besser, weil er nun langsam alle Abteilungen kannte, und wusste, wohin er ein Buch zurückbringen musste. Seine Vorarbeiterin, Janett, wies ihn in die Datenbank ein, wo alle Leihbücher geführt wurden.
Sie lachten viel und am Ende plauderten sie noch eine halbe Stunde beim Kaffeeautomaten.
Dann erinnerte sich Jack an den Abend, schulterte seine Tasche und schlurfte mit einem mulmigen Gefühl im Magen nach Hause. Er hatte selten Ärger mit seiner Mutter gehabt. Für gewöhnlich schrie er sie auch nicht an, sondern half stillschweigend bei der Pflege oder war ihr nicht im Weg. Jetzt malte er sich diverse Horrorszenarien aus. Davon, dass seine Mutter ihm heute sagen würde, er solle sich eine eigene Wohnung suchen, dazu, dass sie bereits das Schloss ausgetauscht und seine Sachen vor die Tür gestellt hatte.
Es standen keine Koffer auf dem Gehsteig. Jack atmete leicht auf und öffnete die Tür.
Er stellte seine Tasche ab, zog Jacke und Schuhe aus und trat leise ins Wohnzimmer. Seine Mutter kochte gerade, aber sie drehte sich um, als er nervös in der Türöffnung stand.
"Und? Wie war dein Tag?"
"E-eigentlich ganz gut", flüsterte er.
"Ganz genau", sagte seine Mutter. "Du hast dich nicht mit der Krankenkasse herumgeplagt. Du warst nicht draußen spazieren. Wusstest du, dass sie die Rampe beim Park gesperrt haben?"
Jack schüttelte den Kopf. "Seit wann ..."
Doch seine Mutter war noch nicht fertig. "Du hast keinen Haushalt heute gemacht. Du bist zwei Stunden später aufgestanden als wir, bist nur zur Arbeit gekommen und wieder zurück. Du hast keinen Stress. Keinen Ärger."
Jack sah auf seine Schuhspitzen. "Ich weiß."
"Warum bist du also derjenige, der sich benimmt, als hätte er den meisten Stress?"
"Ich ... weiß nicht." Er konnte es sich wirklich nicht erklären. Wenn er die Zeit nur zurückdrehen könnte! "Ich ... brauchte Zeit, um nachzudenken."
"Hättest du das anders sagen können?"
"Ja", gestand er.
Seine Mutter rührte wieder durch den Topf. "Dann mach es in Zukunft anders."
"Es tut mir leid", murmelte Jack.
"Du warst immer das Nesthäkchen, Jack. Es kann nicht sein, dass dich ein einziger Job so sehr stresst, okay?" Seine Mutter sah ihn wieder an. "Ich weiß, dass das viel für dich ist, aber du musst damit zurechtkommen. Und vor allem anders damit umgehen."
Er nickte beschämt.
"Und jetzt deck den Tisch", verlangte sie. "Wie war dein Tag?"
"Gut", antwortete er nochmals und wagte ein Lächeln. Ihr Tonfall war wieder freundlich. Das Gewitter war vorüber. "Ich habe eine sehr nette Kollegin und die Leute haben meistens noch Geduld mit mir."
"Sehr schön." Seine Mutter lächelte. "Das wird schon wieder."
Jack nickte und suchte Besteck heraus. "Was gibt es?"
"Eintopf mit Würstchen."
Jack wählte Löffel und tiefe Teller.
"Und hol deinen Vater zum Essen, ja?"