- Start: 30.10.2019 - 10:34 Uhr
- Ende: 30.10.2019 - 11:08 Uhr
Ein Schal flatterte im Wind. Scharlachrot. Schwarz stachen die Zaunpfähle durch das Weiß des Winters, und schwarz hoben sich die kahlen Bäume vor dem Nebel ab.
Der Kater zuckte mit einem Ohr. Dann sprang er von der Veranda und in die weiße Kälte. Schnee strich an seinem Bauchfell entlang, als das Tier mit schnellen Schritten weiterlief. Unter dem Schal hielt der schwarze Kater an und hob die Nase, um die schwache Duftspur aufzunehmen.
Ein letzter Blick zurück zum Haus, das in völliger Finsternis dalag. Dann sah der Kater zum Wald. Seine Pupillen weiteten sich und eine Veränderung ging in ihm vor. Die Gestalt wuchs in die Höhe, Muskeln drängten sich unter das seidige Fell und mit einem leisen Knurren öffnete der Panther halb sein Maul.
Elegant huschte die Raubkatze los, hinein in die Wälder. Schwarze Adler kreischten am Himmel. Der glühende Blick der Raubkatze registrierte zitternde Astklauen im Wind. Ihre Ohren hörten das flüsternde Trappeln der Beute und sie roch den Duft von rotem Blut, das noch fließen würde.
Geschmeidig lief der Panter los, sprang mit mächtigen Sätzen durch den Schnee und jagte über die Hügel.
Plötzlich blieb er wie angewurzelt stehen. Er keuchte leise. Die Ohren zuckten, dann duckte er sich leicht.
Weiter vorne im Wald war ein weißer Löwe aufgetaucht. Wie ein Geist im Nebel schob sich das mächtige Tier durch den Winterwald, unsichtbar für alle Sinne außer der Nase des Panters. Die schwarze Raubkatze duckte sich, doch der Löwe drehte den Kopf und zeigte drohend die Zähne. Er hatte den Panter bemerkt.
Mit einem Grollen erhob sich der Panter zu seiner vollen Größe. Er legte die Ohren an und stieß ein hohes Miauen aus, dem der Löwe mit tiefem Brüllen antwortete.
Eine Weile starrten sie einander in die Augen, doch keiner machte einen Schritt vor. Dann zuckte ein scharlachroter Pfeil über die verschneite Lichtung und entfernte sich mit wilden Sprüngen. Beide Kater drehten den Kopf, als die Tigerin vom Baum sprang und vor ihnen floh.
Der Panter eilte ihr hinterher, immer dem schwarz-rot gestreiften Schwanz hinterher. Der Löwe machte ein paar Schritte in dieselbe Richtung, blieb dann stehen und schickte den Fliehenden ein triumphierendes Brüllen hinterher.
Am Rand eines Grabens, in dem ein Bach floss, hielt die Tigerin an und sah sich um. Der Panter kam in einem Schneegestöber herangeschossen und warf sie um. Mit leisem, spielerischen Knurren wälzten sie sich durch den Schnee, sprangen auf, rannten, jagten einander, stellten sich auf die Hinterbeine, schlugen mit eingezogenen Krallen aufeinander ein.
Dann, ebenso plötzlich, wie es begonnen hatte, hörte das Spiel auf. Die Tigerin neigte den gestreiften Kopf zum Wasser und trank. Der Panter putzte den Schnee aus seinem Fell.
Einige Zeit saßen sie still beieinander. Dann erhob sich die Tigerin auf die Pfoten und schlich mit leise knirschenden Schritten davon.
Der Panter sah ihr nach. Er streckte sich genüsslich und schlug eine andere Richtung ein. Wieder witterte er Beute. Er überquerte einen Berg, balancierte auf einem schmalen Pfad, der an einem tiefen Abgrund entlangführte. Unten fiel der immer dichter fallende Schnee in ein scharlachrotes, glühendes Meer.
Ein Schwarm Zugvögel glitt über seinen Kopf hinweg. Der Panter sah ihnen einen Moment nach. Seine Schnurrhaare bebten. Schnee senkte sich auf seien Schultern, fleckte ihn. Elegant sprang er vom Pfad auf einen tiefer gelegenen Felsvorsprung, dann auf einen weiteren, bis er sicheren Boden erreicht hatte.
Seine Schritte wurden schneller und er senkte gleichzeitig den Körper, bis er halb durch den hohen Schnee schwamm. Dann hielt der Panter an. Mit gespitzten Ohren sah er nach vorne.
Beute. Eine Gazelle, die friedlich im Schnee graste. Dann hob sie den Kopf und sah sich um. Der Panter duckte sich tiefer. Kalt schnitt der Schnee in seine Ballen.
Die Gazelle machte ein paar Schritte und senkte den Kopf wieder. Lautlos huschte der Panter nach vorne, erstarrte, als die Gazelle den Kopf wieder hob.
Nur ganz sachte strich der Atem des Jägers über den Schnee und ließ feine Kristalle vor der pechschwarzen Nase tanzen. Wieder sah die Gazelle sich um. Ihre großen, dunklen Augen schimmerten.
Sie drehte den Kopf zum Panter, dann von ihm weg. Das war der Moment: Mit einem kräftigen Satz stieß sich der Jäger ab und flog durch die Luft, als hätte er sich den Vögeln am Himmel angeschlossen. Die Gazelle hörte ihn, drehte den Kopf, spannte die Beine zum Sprung ...
Zu spät. Scharlachrotes Blut spritzte in den Schnee. Der Panter spannte die Kiefer, bis die Gazelle sich nicht mehr rührte. Rotes Blut tropfte auch von seiner schwarzen Schnauze, wurde mit Schneeflocken gesprenkelt.
Geduldig hob der Panter die Beute an. Weiße Dampf stieg von dem Körper auf und folgte dem Panter wie eine Wolke, als er die Beute zurück in Richtung seiner Höhle trug. Eine feine Spur aus Blut markierte seinen Weg.
Lautlos tauchte der Panter in den Schutz des winterdürren, winterschwarzen Dschungels ein. Sein Fell verschwand im Spiel der toten Äste. Seine Schritte waren unhörbar, gingen im Knistern des fallenden Schnees unter.
Doch plötzlich hörte er ein Knurren. Fast hätte er seien Beute fallen lassen, als ihm ein Geruch in die Nase stieg.
Das Rudel!
Rot blitzte das Fell des jüngsten Wolfs auf, scharlachrot. Ein Fremdling, noch nicht lange im Rudel, doch nun rief er seien Gefährten herbei. Der schwarze Wolf trottete gemütlich zur Seite des Busches.
Der weiße Wolf, der größte der drei, war nicht zu erkennen, solange er sich nicht rührte. Doch der Panter konnte ihn riechen. Er schlüpfte zur dritten Seite hinaus, fort vom Rudel, als sich der Schnee dort plötzlich hob. Rot klaffte das Maul direkt vor ihm auf. Der weiße Wolf!
Der Panter schlug einen Haken und der Wolf bekam nur Schnee zu fassen. Der Panter rannte weiter, der schwarze und der rote Wolf näherten sich ihm von der Seite. Dann sprang der Panter auf das zugefrorene Meer und jagte über die Eisschicht, unter der die scharlachroten Blitze der großen Fische auftauchten.
Mit einem letzten Sprung rettete der Panter sich und die Beute auf einen weiteren schmalen Felsvorsprung am Rande der Berge. Die Wölfe, die das Meer außen umlaufen hatten, knurrten vor Frustration und schickten ihm ihr Heulen und ihren Lärm hinterher wie einen Heldenmarsch, als der Panter die Berge überwand und durch den Schnee dahinter schlich. Leise und lautlos durchquerte er das Revier des weißen Löwen, der zum Glück nirgendwo zu sehen war.
Endlich erschien der scharlachrote Schal. Der Panter richtete sich auf und als er unter dem flatternden Schal hindurchtrat wurde er wieder zum Kater. Nun schmerzten seine kalten Pfoten von der langen Reise und er spürte die Nässe im Fell. Eilig rannte er zur Tür der Menschen und kratzte daran.
Die Pforte schwang auf. Mit hohem Kreischen empfingen die Menschen die Maus, die er ihnen mitgebracht hatte. Sie rissen sie ihm aus dem Maul. In diesem kalten Winter würden sie hungrig sein, diese plumpen Riesen, die das Jagen einfach nicht erlernt hatten.
Der Kater trottete vor den Kamin und legte sich auf die weiße Matte davor. Endlich konnte er sich trocknen und seine Pfoten aufwärmen. Er begann gleich damit, sich zu putzen. Unzählige Gefahren hatte er für seine Menschen auf sich genommen, doch er wollte auch nicht, dass sie hungerten.
Scharlachrot knisterten die Flammen im wärmenden Kamin, verbrannten das Holz zu schwarzer Asche. Der Kater streckte sich auf dem Teppich aus und schloss die Augen.