Ein weißes Mäulchen schob sich in Rikhons Gesichtsfeld. Sanfte, schwarze Augen sahen ihn an.
»Na, meine Kleine? Bist du der Außenposten und sorgst dafür, dass niemand das Grundstück betritt?« Rikhon strich dem Maulesel über die Stirn. Ayorina brummte und stupste ihren Herrn auffordernd an.
»Nein, Milchbier ist nicht gut für dich! Und den Zigarro bekommst du erst recht nicht. Aber lass mich mal sehen, vielleicht …« Der Chronistenkrieger schob eine Hand in seine Manteltaschen und zog ein paar getrocknete Graskügelchen hervor. Ayorina fraß und steckte anschließend ihren Kopf unter Rikhons Arm, um geflauscht zu werden. Gedankenverloren strich Rikhon seinem Maulesel über das Fell und klopfte ihm den Hals.
»Rikhooooooonn? Rikhoooooonn!!« Nirugs Rufe ließen Rikhon aufspringen. Irgendetwas war passiert!
»Nei, Fanooo Malen! Fanooo Bild! Nei Mør Bild! Mør böse! Nirug Nam-Nam Mør, maaaaaaa!«
Auweia! Das klang ja gar nicht gut! Rikhon rannte, so schnell er konnte, ins Haus und die Treppen hoch. In Fanos Zimmer fand er einen wütend fauchenden Nirug mit drohend erhobenen Flügeln vor. Winzige blaue Flämmchen schossen aus seinen Nasenlöchern.
Rikhon trat rasch zu seinem Mitbewohner und legte ihm beruhigend die Hand auf die schuppige Flanke.
»Was ist los, Nirug? Beruhig dich und sag mir, was Mør getan hat.« Er sah sich um und entdeckte den Elfen in der Gestalt des Lyfux’ in der Ecke des Zimmers. Völlig verängstigt winselte das Tier und bearbeitete den Holzboden mit seinen Pfoten. Erst jetzt erkannte Rikhon, dass Mørliga vor lauter Panik und in dem verzweifelten Versuch, zu entkommen, eine zuvor schon morsche und lockere Bodenplatte so fest mit seinen Krallen bearbeitet hatte, dass diese nun zersplittert und herausgerissen worden war.
Vor Mørligas Pfoten lag ein zerknülltes Blatt Papier.
Rikhon ging zu dem Lyfux, der sofort mit dem Kratzen aufhörte und sich mit gesträubtem Fell aufrichtete. Der Chronistenkrieger hob das Papier auf und strich es glatt.
Verwirrt blickte er auf die ihm fremden Symbole und Zeichnungen.
»Was ist das?«, fragte er halblaut. Ein unterdrücktes Wimmern antwortete ihm.
Mørliga hatte sich zurückverwandelt und starrte auf seine blutigen Finger.
»Mein Bruder ist wohl doch nicht so dumm. Das sind Riten zur Dämonenaustreibung beziehungsweise …« Er zog einen Holzsplitter mit den Zähnen aus dem Fleisch seiner Hand. »… Formeln, um sich vor Dämonen zu schützen. Anscheinend hat er genau gewusst, was ihm blüht.«
Rikhon sah Nirug an. Der Drache verdrehte die Augen, tappste aber widerwillig zu Mørliga und blies sanft heiße Luft auf die verletzten Finger. Erstaunt beobachtete der Elf, wie die Splitter von alleine rausfielen und die Wunden sich schlossen. Es ziepte und tat ein wenig weh, doch so schlimm war es nicht.
»D-danke, Nirug!«, stammelte Mør überrascht und zuckte zusammen, als Rikhons Hand unsanft auf seiner Schulter landete.
»Du hast nicht geschlafen, stimmt’s?«, knurrte der Chronistenkrieger und der Elf schüttelte den Kopf.
»Ich habe was für die Dämonen vorbereitet. Das heißt, ich wollte es, aber mein Bruder hat mir die Arbeit abgenommen.« Mørliga deutete auf das Blatt und blickte dann zu Nirug und Rikhon.
»Wir sollten aufbrechen. Jetzt!«
Rikhon ging wortlos aus dem Zimmer und holte den Rucksack, in dem all das Zeug war, was ihm auf Reisen gute Dienste leistete. In der Küche packte er noch alles Ess- und Trinkbare ein, was sich im Kühlschrank und in den Regalen befand. Wer wusste schon, wann sie wiederkommen würden?