Nakaa wich zurück. Mørliga knurrte, fuhr die Krallen aus und duckte sich sprungbereit. Gerade, als er sich auf den Drachendämon stürzen wollte, verstummten Fanós Schreie.
»Nimm ihn, ich gebe ihn dir!« Nakaa winselte voller Angst. »Ich will nicht mit dir kämpfen, Herr!«
Dämonen waren Feiglinge, Mørliga wusste das. Manche lehnten sich gegen ihn auf, und dann hatte er erst recht seinen Spaß. Leider war Nakaa einmal eine Seele gewesen, die vor den Mächtigen kuschte und sich ihrem Willen unterwarf.
Dabei hätte es so ein epischer Kampf werden können! Mørliga seufzte enttäuscht und griff nach Fanó. Sein Bruder war in seiner Seelengestalt, einem aus Farblichtern bestehenden Wolf.
»Na los! Raus hier!«, fauchte Mørli, und der Wolf lief neben ihm her. Die Farblichter leuchteten im Dunkel stärker und blendeten Mør, den das nicht kümmerte. Im Abyssos funktionierten die Sinne anders.
»Wir müssen gleich springen!« Fanó blickte ihn aus panisch aufgerissenen Augen an. »Und dann fallen wir.«
Eins … zwei … drei … Sprung! Und dann der Fall. Ins Meer. Ins Leben.
Der Lyfux wusste, wenn Fanóla ihn zuerst sehen würde, würde er vermutlich gleich einen Anfall kriegen. Besser, wenn er sich außer Sichtweite befand. Mit einem beherzten Satz verbarg er sich hinter einem Strauch und beobachtete, was geschah.
»Fanooooooo! Fanoooooo daaaaaaa!«, ertönte ein Jubelschrei von Nirug, der eben mit Rikhon und einer Zwergendame auf der Lichtung landete. Der Drache war ganz außer sich vor Freude; er schleckte Fanó mit seiner Zunge quer übers Gesicht. Rikhon stützte den Elfenjungen und legte ihm einen Arm um die Schultern. Als wolle er Fanó beschützen, dachte Mørliga und im selben Moment wusste er, dass niemand anderes als der Chronistenkrieger am besten dazu geeignet war. Er mochte ein Hitzkopf sein, aber er hatte ein großes Herz. Ein Kämpferherz.
Nirug machte laut: »Ruuuuuuu!«. Mør unterdrückte ein Knurren, in dem Zuneigung mitschwang. Ja, Nirug war ein Kumpel geworden. So jung er auch war, hatte er doch Mut bewiesen, indem er gegen Hydra gekämpft hatte. Sein blaues Feuer hatte Fanó zwar nicht retten können, aber Mørliga geholfen, zum Großteil unbehelligt in den Abyssos zurückkehren zu können.
Der schwarze Lyfux trat hervor und ging langsam auf die kleine Gruppe zu. Die Zwergendame blickte ihn böse an, doch er beachtete sie nicht. Er fixierte Fanóla, der sehr ängstlich aussah.
»Die Schuld ist beglichen. Ich bin das Tier aus dem Abgrund. Ich habe dich erlöst«, sagte Mørliga. »Der Schneeschwanwolf wird zur Rechenschaft gezogen werden, aber nicht von mir. Ich kümmere mich nur um Shokân.«
Er wandte sich ab, wollte gehen.
»W-warte!«, rief Fanó mit dünner Stimme.
Mørliga blieb stehen.
»Danke. Danke, dass du mich befreit hast.«
Der Lyfux zuckte mit den Ohren, drehte sich um – und stieß einen Laut aus, der stark an das Schnurren einer Katze erinnerte.
»Ich hab nur meine Pflicht als großer Bruder erfüllt. Sei nicht so töricht und denke, dass ich dich von nun an gut leiden kann!« Bei diesen Worten peitschte der Schweif ganz kurz hin und her, und Rikhon lachte. Nirug schnaubte belustigt und Fanó grinste.
»Sollte der Mensch mal wieder seine Wut an dir auslassen wollen, guck einfach in den Spiegel, und ich komme sofort. Er hat den Abyssos schon kennengelernt, und ich bin mir sicher, dass er nicht so schnell wieder dorthin zurück will.«
Rikhon hob drohend seinen Dolch. »Du redest Schwachsinn, Elfenbastard! Halt den Mund, bevor ich aus deinem Pelz für meine Freundin einen Schal mache!«
Mørliga stieß ein Heulen aus, das sowohl Provokation als auch ein Abschiedsgruß zugleich war. Dann hetzte er davon. Rannte so lange, bis das Meer auftauchte. Dort blieb er stehen. Die Sonne schickte ihre letzten Strahlen über das Reich. Mørliga schloss die Augen, sog die Wärme in sich auf, füllte das Schwarz in sich mit Licht, und sprang. Ein Sprung ins Nass, in Kälte und Tiefe. Dort würde er bleiben, bis der Spiegel seines Bruders Stimme zu ihm tragen würde.
ENDE