Am nächsten Tag war strahlendes Wetter. Sie flogen die ganze Zeit, nur ein- zweimal machten sie Pause für »kleine Nirugs und große Rikhons«. Mørliga war schweigsam. Auch trank und aß er nichts. Seine Finger konnte er wieder ohne Probleme bewegen. Nach wie vor verhielt er sich Rikhon gegenüber voller Hohn und mit einer frechen Schnauze, die nicht einmal Fanóla an den Tag legte.
Aber zu Nirug war er freundlich. Neidisch musste Rikhon feststellen, dass sich anscheinend so etwas wie Freundschaft oder zumindest Akzeptanz zwischen Drache und Elf gebildet hatte.
Der Chronistenkrieger wusste nicht so recht, was er von Mør halten sollte. Immer wenn er ihn ansah, tauchte Fanó in seinem Kopf auf. Ein lachender Fanóla, der fröhlich zwischen den Bäumen im Wald umherlief, auf der Suche nach einem Versteck vor Rikhon. Ein trotziger Fanóla, der ihn aus verletzten Augen anblickte, weil Rikhons Temperament mit ihm durchgegangen war. Und ein weinender Fanóla, der Angst vor seinem unausweichlichem Schicksal hatte und Schutz davor in Rikhons Armen gesucht hatte.
Der Chronistenkrieger schluckte. Mørliga war ganz anders als sein weißer Bruder. Er war laut, wo Fanó still war. Gemein, wo Fanó friedlich war. Bissig, wo Fanó flauschig war. Allerdings war das anscheinend nichts weiter als eine Fassade. Nirug täuschte sich nie, wenn es um die Gefühlswelten eines Wesens ging, wusste Rikhon.
»Wir sind bald da. Riecht ihr das Salz?« Mørliga reckte die Nase in die Luft, und Nirug ruuute zustimmend.
»Ja. Der Abyssos befindet sich also im Meer? Na super!«, knurrte Rikhon ärgerlich.
»Kannst du nicht schwimmen?«, fragte Mør spöttisch und Rikhon funkelte ihn an.
»Ich sehr wohl. Aber Fanó hat Angst vor dem Meer. Er kann schwimmen, zwar nicht sehr gut, doch endlose Gewässer mag er nicht. Ich weiß allerdings, dass er damals, vor dem Kampf mit dir, beim Meermaiden Reef war. Das ist eine Art Grotte.«
»WAS?!« Mørs Augen weiteten sich entsetzt. Nach kurzem Nachdenken wurde seine Miene wie immer steinern. »Das hilft mir enorm. Jetzt weiß ich wenigstens, mit welchen Dämonen er es zu tun hat.«
Ein wenig ärgerlich sah er Rikhon an. »Es wäre schön gewesen, wenn du mir das eher gesagt hättest.«
»Entschuldige mal, ich sehe keinen Grund, ausgerechnet dir Fanós Ängste anzuvertrauen!«, fauchte Rikhon.
Mør funkelte ihn an, doch entgegen seiner Gewohnheit schwieg er und sah nach vorne. »Da ist er. Wir sind da.«
Rikhon spähte nach unten. Ein riesiges Meer mit gewaltigen Wellen. Und mittendrin, als hätte ein Kind willkürlich einen Bleistiftstrich durch eine blau angemalte Fläche gezogen, ein zackiger Riss. Der Abgrund. Abyssos.