Nirug flog beunruhigt, aber immerhin nicht mehr völlig kopflos vor Angst über das weite Meer. Auf einmal neigte er den Kopf. Da war doch was! Es hörte sich an wie … »Lala!«, fiepte der Drache und sauste begeistert los. Er liebte Musik, vor allem, wenn Fanóla auf seiner Panflöte oder der Harfengitarre spielte. Vielleicht … Konnten diese melodischen Töne von Fanó kommen? Nirug kreiste über dem Abgrund, drauf und dran, sich hineinzustürzen.
Er bemerkte nicht, dass sich die Wasseroberfläche kräuselte. Dann stieg ein riesiges Ungeheuer empor. Ein Schatten fiel über den Drachen, der, das musste gesagt sein, in gut zehn Metern Höhe über den Abyssos flog. Nirug blinzelte verwirrt. War die Sonne schon weg? Aber das konnte nicht sein! Er spürte sein Bauchfell, das sich sträubte, und das Jucken in den Schuppen. Das konnte nur eins bedeuten: Gefahr. Große Gefahr. Lebensgefahr.
Nirug wandte sich um und fand sich Auge in Auge, nein, achtzehn Augen, mit einer gigantischen Wasserschlange wider. Einige Herzschläge lang war es totenstill. Dann stießen sowohl Nirug als auch Hydra, die dämonische Wasserschlange, einen schrillen Schrei aus, wobei Nirug es schaffte, lauter zu brüllen.
»WAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHH!!«, kreischte Nirug.
»RAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAHHHHHHHH!!«, fauchte es aus den neun Mündern Hydras.
Giftiger Atem, der die Farbe von blassgrün angenommen hatte, strömte aus ihren Nasenlöchern und hing wie Nebel in der Luft. Instinktiv fühlte Nirug den Rauch seines Feuers in sich aufsteigen. Sein ganzer Körper kribbelte. Schließlich kniff er die Augen zusammen und spie blaues Feuer in den Nebel hinein.
Auf einmal ertönten Mørligas Worte in Nirugs Kopf, als Rikhon erzählt hatte, dass Fanó das Meer fürchtete: »Jetzt weiß ich wenigstens, mit welchen Dämonen er es zu tun hat.«
Hydra war nicht der einzige Dämon, der im Meer am Abyssos lebte. Nirug riss die Augen auf und erblickte eine fünfköpfige Schlange, die allerdings keine Anstalten machte, ihn anzugreifen. Dieser Dämon hieß Kaliya. Und schließlich tauchten auch noch die Suguanaba auf: Aus dem giftigen Atem Hydras traten Gestalten, die den Menschen sehr ähnlich waren. Auch sie sahen nur teilnahmslos zu, wie Hydra brüllend ihren Atem ausspie.
Nirug war klar, dass ihm hier niemand zu Hilfe kommen würde. Er musste hier alleine durch. Die Angst wandelte sich in Wut. Nein, diese Dämonen würden ihm nichts anhaben!
Er schnaubte und spie nochmals Feuer. Blau vermischte sich mit Grün, umhüllte es. Hydra schrie gequält auf, denn das Licht blendete sie. Triumphierend fauchte Nirug und routierte den Kopf so schnell, dass das Feuer ihn einhüllte. Durch diesen Schutz der blauen Flammen flog er auf ein Schlangengesicht Hydras zu und krallte sich in die Nasenlöcher, aus denen der Atem ausströmte. Hydra schrie vor Schmerz. Die anderen Schlangenköpfe zischelten und schnappten nach Nirug, der geschickt auswich und dabei scharfe Hiebe verteilte.
Irgendwann gab Hydra auf. Der Drache knurrte die anderen Dämonenwesen an, die dem Kampf teilnahmslos beigewohnt hatten. Anscheinend hatten sie keine Lust drauf, wie die dämonische Wasserschlange von Nirug verbrannt und zerkratzt zu werden. Die grünen Atemschwaden, in denen die Siguanaba wandelten, zogen gen Horizont davon, wo sie sich in Luft auflösten. Kaliyas Köpfe zischelten Nirug freundlich zu, die Augen zwinkerten, und dann verschwand der Schlangendämon im Meer.
Nirug schnaubte erleichtert, aber er wusste, die Gefahr war noch lange nicht vorbei. Es würde noch ein härterer Kampf bevorstehen. Blieb zu hoffen, dass Mørli und Rikhon zu dem Zeitpunkt Fanó bereits befreit hatten und zu ihm gestoßen waren.
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Erklärung der Dämonen: Liste von www.daemonen.de
Hydra
Dämonische Wasserschlange der griech. Mythologie; ein neunköpfiges Ungeheuer, deren Atem giftig ist und deren Köpfe, einmal abgeschlagen, wieder nachwachsen.
Kaliya
(hinduistisch)
Schlangendämon (fünfköpfig), der die Wasser der Yamuna vergiftete und dafür von Krishna ins Meer verbannt wurde
Siguanaba
Wasserdämonen der Chorti-Indios. Sie erscheinen in männl. und weiblicher Gestalt und greifen jeweils die Menschen anderen Geschlechts an.