Bemerkung des Autors: Da ist sie! Da ist sie! Das Ganser für bluechen kommt angerauscht und landet auf deren Schulter uns säuselt, „Liebste, ich hab bemerkt, dass du noch gar keine Gans-Geschichte bei deinen Texten hast.“ Bekümmert sieht sich bluechen an und wispert weiter: „Ein Wurm, der ein großer Drache sein wollte Ritter Kunibert und Cinderella fünf Zwerge die verzweifelt versuchen noch zwei Betten zu belegen ein großer böser Hase und Eugen Roth - das sind die Zutaten für eine kleine Geschichte“ Dann wünsche ich dir viel Spaß, solltest du annehmen, freu ich mich schon tierisch auf das Ergebnis ;) LG Ally-Gans ***Disclaimer: Ich hab mich bei verdammt vielen Leuten bedient, um diesen Text zusammenzubekommen. Unter anderem: Eugen Roth und vor allem Disney! Davon gehört natürlich nichts mir.***
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Cinderella war es leid. Im ganzen Märchenreich tanzte die Emanzipation auf den Tischen. Schneewittchen hatte ihren Prinzen aus dem Schloss geworfen und gleich zwei der Zwerge als Haushälter an den Hof zitiert. Schneeweißchen und Rosenrot hatten ihre Hochzeit abgeblasen und waren studieren gegangen. Dornröschen arbeitete als selbständige Gärtnerin. Rotkäppchen ließ den Wolf die Großmutter versorgen, was dieser ob der „Förderprämie für männliche Pflegekräfte“ gerne tat. Aber sie selbst? Sie traute sich nicht einmal mit ihrer Kreditkarte alleine Schuhe shoppen zu gehen. Stattdessen probierte sie immer brav den linken Schuh an, um sich von ihrem Mann den rechten bringen zu lassen. Er liebte dieses Spiel, aber sie empfand es als albern. Vor allem, da die zwei Taubenverkäuferinnen immer folgenden Spruch aufsagten: „Ruckedigu, Ruckedigu, er passt, dieser Schuh. Der Schuh ist echt fein, bezahl und nimm ihn mit heim.“ Aber das Schlimmste war, dass all ihre Freundinnen über sie spotteten.
„Du musst einfach mehr an dich denken“, erklärte Dornröschen, als sie nach dem täglichen Yoga gemeinsam einen „Verwunschenen Wald“-Cocktail tranken.
„Stell dich mehr in den Vordergrund. Deine Wünsche, deine Bedürfnisse sind wichtig. Du kannst doch nicht nur Prinzessin sein“, pflichtete Schneeweißchen bei und schlug die Beine kokett übereinander. Damit verwirrte sie einen Kellner derart, dass dieser über seine eigenen Füße stolperte und den Inhalt der Gläser auf seinem Tablett über einen unbeteiligten Gast goss. Es handelte sich um einen etwa fünfzigjährigen Mann, der seltsamer Weise schwarz-weiß war.
„Auf Pille nicht noch Salbe hoff’, wer täglich dreizehn Halbe soff“, kommentierte der Mann das Geschehen zumindest vom Tonfall trocken.
„Das ist mir äußerst peinlich“, murmelte der Kellner und drückte ihm einen Stapel Papierservietten in die Hand, während er gleichzeitig versuchte noch einmal einen Blick auf Schneeweißchens makellose Beine zu werfen.
„Ein Mensch, entschlusslos und verträumt, hat wiederholt sein Glück versäumt“, brummte der schwarz-weiße Mann.
Der Kellner blickte ihn irritiert an. „Du quatscht in Rätseln, Kumpel.“
Sein Gegenüber seufzte gequält ob der Verunstaltung der deutschen Sprache. „In Versen, nicht in Rätseln.“
„Ich verstehe Euch trotzdem nicht, Herr…“
„Roth, Eugen Roth mit vollem Namen.”
Der Kellner hörte nur mit halben Ohr zu, denn gerade verließen die Prinzessinnen das Studio und er versuchte noch einen letzten Blick zu erhaschen. Worauf genau der junge Mann schielte, konnte sich Eugen durchaus denken, daher murmelte er noch warnend: „Doch ist der Trost ihm einzuräumen: Man kann sein Unglück auch versäumen.“ Dann grinste er und nutzte die Gunst der Stunde, um unbemerkt die Zeche zu prellen. Der Kellner war von den Damen derart abgelenkt, dass er sich keinesfalls an den Namen des Gastes erinnern würde. Und so kam es, dass an diesem Abend ein unschuldiger Kellner in der Ausnüchterungszelle schlief, da er partout nicht davon zu überzeugen war, dass es keinen „schwarz-weißen Rotäugigen“ gab. Doch das ist eine andere Geschichte.
Cinderella hatte unterdessen die Prinzessinnennase gestrichen voll. Wieder wollte ihr Prinz Schuhe kaufen. Als ob Frauen keine anderen Interessen hätten! Sie brach einen riesigen Streit vom Zaun. Anschließend schnappte sie sich Schneeweißchen und Rosenrot und beschloss einen zünftigen Mädelsabend zu veranstalten. Dafür suchten sie ihre Lieblingscocktailbar „Vergifteter Apfel“ auf, in die Schneewittchen seltsamer Weise nie mitkommen wollte, obwohl hier doch die neusten Bands spielten. Heute Abend trat zum Beispiel „Jorinde“ auf, die nach seinem Ausstieg bei „Jorinde und Joringel“ eine Solokarriere versuchte. „Singt wie eine Nachtigall“ stand auf dem Flyer.
„Da bin ich aber mal gespannt“, bemerkte Cinderella.
„Ihre Managerin ist die Hexe vom alten Schloss. Die hat schon einige Talente entdeckt“, gab Schneeweißchen zurück.
Cinderella zuckte mit den Achseln. Eilig kam der Kellner vorbei und sie bestellten, während Jorinde ihre tatsächlich zauberhafte Stimme erschallen ließ.
„Dein Problem“, analysierte Rosenrot einige Zeit später „dein Problem ist, dass du so verdammt gut aussiehst.“
„Ich hätte dich warnen sollen“, bemerkte Schneeweißchen. „Zwei „Hex’ on the Beach“ und sie redet mit ihrem Spiegelbild.“
Cinderella zuckte die Achseln und nahm den Strohhalm ihres „Ritter Colada“ zwischen die Lippen. „Wo sie Recht hat…“, bemerkte sie einen tiefen Schluck später. „Sie ist das blühende, junge Leben und ich bin nur noch eine verzweifelte Hausfrau.“
Schneeweißchen seufzte genervt. „So ein Quatsch. Was du brauchst, ist ein richtiges Abenteuer. Eins, in dem du mal beide Schuhe an deinen eigenen Füßen trägst.“
Allein der Gedanke daran ängstigte Cinderella so sehr, dass sie sich an ihrem Colada verschluckte. Der anschließende Hustenfall trieb ihr die Tränen in die Augen und gleich weiter über die Wangen.
„Oh, Schatz, du hast dein Make-up verschmiert“, sagte Schneeweißchen lächelnd, machte aber keine Anstalten der Freundin zu helfen.
Diese wischte sich erfolglos unter den Augen rum. „Jetzt besser?“
Schneeweißchen schüttelte den Kopf und versuchte anstandshalber ihre Mundwinkel unter Kontrolle zu halten.
Leider gelang das ihrer Schwester nicht ganz so gut. Diese zeigte auf den Spiegel und brüllte: „Ein Panda!“
Cinderella beschloss, dass es Zeit war sich diskret zurückzuziehen. „Ich geh mal für kleine Königstiger“, rief sie Schneeweißchen zu.
Diese blickte sie verständnislos an.
„Für rosa Flamingos? Kleine Prinzessinnen? In die Keramikabteilung?” Cinderella seufzte. Es war Zeit, das Prinzessinnengehabe abzulegen und den guten alten Proll rauszukramen. „Ich geh pullern“, brüllte sie. Zu spät registrierte sie, dass die Musik gerade ausgeschaltet wurde. Spontan wollte ihr noch ein Ausdruck mit „sch“ über die Lippen schlüpfen, doch sie ahnte, dass dieser ihre Situation nur verschlimmern würde. Daher trat sie schleunigst den Rückzug auf die stillen Örtlichkeiten an, wo sie eilig die nötigen Reparaturarbeiten an ihrem Make-up vornahm.
Als Cinderella mit frisch gepuderter Nase und aufgefrischter Wimperntusche aus der Damentoilette zurückkam, vertrat ihr ein Ritter mit heruntergeklapptem Visier den Weg.
„Ich habe gehört, Ihr sucht ein kleines Abenteuer?“, dröhnte es blechern aus dem Helm. „Mein Name ist Ritter Kunibert, zu Euren Diensten.“
Cinderella zögerte. „Öh… Also… Ein Abenteuer? Ich weiß ja nicht.“
„Überlegt es Euch gut. Ich habe heute meine extragroße Lanze dabei. Wenn Ihr wollt, können wir zu meinem schnittigen Ferrari gehen und direkt loslegen.“
Über seine Schulter konnte Cinderella Schneeweißchen heftig gestikulieren und nicken sehen. Sie warf noch einmal einen Blick auf die schmucke und vor allem saubere Rüstung ihres Gegenübers, dann stimmte sie seufzend zu.
Sekunden später befand sie sich auf seinem Rücksitz. „So etwas habe ich wirklich noch nie gemacht“, gestand sie leise und leckte sich nervös über die Lippen. Ihr Herz klopfte so laut, dass sie einen Augenblick nicht genau wusste, was er ihr durch seinen Helm zuflüsterte.
„So nehmt doch das verdammte Ding ab“, brummte sie ungehalten und versuchte ihn auszuziehen.
„Besser, Ihr setzt auch einen auf“, beschied Kunibert und reichte ihr seinen Beireiterhelm, den sie kommentarlos überstülpte. Allerdings klappte sie ihr Visier hoch.
„Ferrari ist manchmal etwas stürmisch“, ergänzte der Ritter. Liebevoll klopfte er den Hals seines Pferdes, dann drehte er sich zu ihr um und begann umständlich an ihr rumzufummeln. Cinderella stöhnte auf, denn seine gepanzerten Hände waren so ungeschickt, dass er es einfach nicht schaffte, ihr den Sicherheitsgurt um die Hüften zu legen.
„Ich mach’s mir schon selbst“, erklärte sie, stieß unwillig seine Hände beiseite und schnallte sich fest.
„Ihr macht das offensichtlich nicht zum ersten Mal“, erklärte er anerkennend, dann legte er sich selbst seine Sicherheitsgurte an. Anschließend ergriff er die Zügel und lenkte seinen Ferrari vorsichtig auf die Landstraße.
„Wohin soll es denn gehen?“, fragte Cinderella.
„In der Beireitersatteltasche ist eine Karte und eine Taschenkerze. Ihr müsst navigieren.“
„So habe ich mir das aber nicht vorgestellt. In normalen Märchen weiß der Held immer, wo es lang geht.“
„Wäre das hier ein normales Märchen würdet Ihr in einem Turm oder einer Besenkammer hocken und auf Eure Rettung warten.“
Cinderella strafte ihn mit hoheitsvollem Schweigen. Die Lippen fest aufeinanderpressend kramte sie die Karte hervor und klappte diese auseinander. Dabei stellte sie fest, dass sie durch das fahle Mondlicht zwar halbwegs sehen, aber leider keine Karte lesen konnte. Daher klaubte sie nun auch die Taschenkerze hervor. „Habt Ihr Feuer?“, fragte sie Kunibert.
„Nein, ich rauche nicht mehr“, antwortete dieser, ohne sich umzudrehen. „Übrigens, Ferrari ist ein Nichtraucherpferd.“
„Ich brauche Feuer für die Taschenkerze.“
Er schlug sich mit der gepanzerten Faust vor die Stirn, dass die Scharniere nur so klapperten. „Ich wusste, ich hatte etwas vergessen.“
Cinderella verdrehte die Augen und fragte sich, wie sie nur zu so einen „Helden“ hatte kommen können.
Glücklicherweise waren in Märchen schwer nachvollziehbare Wendungen der Handlung nicht ungewöhnlich und so kam in diesem Moment ein kleines, ärmlich gekleidetes Mädchen um die Ecke. „Schwefelhölzer! Frische, leicht entzündliche Schwefelhölzer.“
Kunibert rief das Mädchen zu sich. Er begutachtete die feilgebotene Ware mit Kennerblick, zumindest kam es Cinderella so vor. Wer wusste schon, wie viel er durch die schmalen Schlitze seines Visiers wirklich sah.
Kunibert wählte eine Schachtel aus und zahlte ohne zu zögern den opulenten Preis. Dann reichte er sie an Cinderella weiter, die schleunigst die Taschenkerze entzündete. Schnell fand sie den „Vergifteten Apfel“ und damit auch ihren Standort.
„Auf der Karte ist ein grünes Kreuz“, sagte sie. „Ist das unser Ziel?“
Er nickte. „Den Gerüchten zur Folge treibt dort ein schrecklicher Drache sein Unwesen.“
„Nun, dann geradeaus und am alten Baum links.“
Es stellte sich bald heraus, dass Kuniberts und Cinderellas Definition von links und rechts stark voneinander abwich und so dauerte es bis weit in die Nacht hinein, bis sie endlich an dem grünen Kreuz ankamen. Zum Glück gab es hier keine Sperrstunde und so konnten sie, nachdem sie sich beide von Helm und Sicherheitsgurt befreit hatten, den hell erleuchteten Gasthof betreten.
Kaum durch die Tür getreten, stellte sich Kunibert breitbeinig hin und brüllte: „Ich bin Ritter Kunibert und das ist meine Azubine. Welch Untier treibt in diesem Dorf sein Unwesen?“
Cinderella war froh, dass sie die einzigen Gäste waren, sonst hätte dieser Auftritt bestimmt für peinliche Gerüchte gesorgt.
Der Wirt schob Kunibert gelangweilt ein Glas hinüber.
„Nein, danke, ich trinke nicht. Vor allem nicht, wenn ich vorhabe, ein Untier zu erschlagen“, erklärte der Ritter in dem gleichen, lauten Ton.
„Da drin befindet sich das Untier. Es ist ein Wurm, der steif und fest behauptet, ein Drache zu sein.“ Der Wirt zog eine abschätzige Grimasse. „Damit fällt er den Dorfbewohnern derart auf den Wecker, dass sie beschlossen ihn hier einzusperren.“
Cinderella ging zum Tresen und sah tief ins Glas. Darin befand sich ein kleines Ding, das sich nun zu seiner vollen Höhe von einer Daumenbreite aufrichtete und die winzige Faust in Richtung Wirt schüttelte. „Ich bin kein Wurm. Ich bin ein furchterregender Drache“, fiepte es dabei.
Cinderellas mütterliche Beschützerinstinkte erwachten sofort. „Ach, bist du niedlich“, quietschte sie, als wäre sie ein sechzehnjähriger Teenager.
Der Wurm beäugte sie kurz, dann warf er sich in die Brust und sagte: „Ich werde Euch entführen, holde Jungfrau, und in meinem Drachenhort gefangen halten.“
Sie lächelte nachsichtig. „Daraus wird leider nichts. Ich bin bereits verheiratet.“
„Heutzutage gibt es auch nirgendwo anständige Jungfrauen“, brummte der Wurm enttäuscht und verschränkte die dünnen Ärmchen vor der Brust.
Währenddessen hatte Kunibert begonnen, seine extralange Lanze auszupacken und zusammenzuschrauben. „Ich töte das Untier und befreie das Dorf“, brüllte er, dann hob er die Lanze auf. Es dauerte einen Augenblick, bis er sie richtig ausbalancieren konnte. „Tretet zur Seite“, wies er Cinderella an.
„Aber… das ist doch gar kein Drache“, wandte sie ein und bewegte sich keinen Zentimeter.
„Das stimmt“, kreischte der Wurm in Todesangst. „Ich bin nur ein harmloser Wurm. Ich tue keiner Menschenseele etwas zu leide.“
Kunibert ließ enttäuscht die Lanze sinken. „Einen Wurm zu erstechen ist keine Tat, die einem Mann meines Kalibers würdig ist.“
„Hier kann er aber nicht bleiben“, erklärte der Wirt entschieden. „Er vertreibt alle meine Gäste mit seinem albernen Geschwätz.“ Er funkelte den Wurm drohend an. „Wenn Ihr Euch nicht um ihn kümmert, werde ich es tun.“
„Er ist so niedlich. Darf ich ihn behalten?“, fragte Cinderella.
Der Wirt brummte unwillig, denn er hätte den Wurm gerne für seine Untaten zur Rechenschaft gezogen, band dann aber ein Tuch über die Öffnung des Glases und reichte es ihr. „Dafür müsst Ihr mir aber einen Gefallen tun. Die Minen der Zwerge hinter den sieben Bergen sind in den letzten Tagen stillgelegt worden. Ich befürchte, dass sich irgendein Unglück ereignet hat. Findet heraus, was dort passiert ist und bringt sie dazu weiterzuarbeiten, wenn Ihr könnt.“
Kunibert nahm die Aufgabe mit Freuden an, packte seine Lanze wieder zusammen und half Cinderella auf Ferrari. Dann schwang er sich selbst hinauf. Cinderella verstaute den Holzwurm mitsamt seinem Glas vorsichtig in der Satteltasche und los ging es.
Im frühen Morgengrauen erreichten sie endlich die Kreuzung, die hinter die sieben Berge führte. Doch wie erstaunt waren sie, als sie die Masse von Märchengestalten sahen, die sich in die gleiche Richtung bewegte.
„Was ist denn hier los?“, fragte Cinderella erstaunt.
„Nicht drängeln“, rief Rumpelstilzchen, als sie es überholten. „Wir waren vor Euch da.“
„Ich warte schon seit zwei Tagen“, erklärte der Wolf. „Ihr könnt mir nicht den Platz stehlen, nur weil ich gerade Wasser abschlagen war.“
„Aber wir wollen doch nur wissen…“
„Hinten anstellen“, riefen nun auch andere Märchenfiguren im Chor.
Kunibert blieb nichts anderes übrig, als Ferrari zurückzulenken und sich hinten in die mittlerweile dichter werdende Schlange einzureihen.
Sie rückten nur langsam vor und das war entsprechend langweilig. Kunibert war kein eloquenter Redner und der Wurm traute sich kaum den Mund zu öffnen, solange der Ritter in der Nähe war. Die einzigen Unterbrechungen waren ein Zwerg, der ihnen jeweils eine Nummer zum Ankleben gab, und eine blonde Reporterin vom „Hexpress“, die Cinderella ein Mikro unter die Nase hielt. Hinter ihr stand ein Esel, der eine Kamera auf die beiden Frauen richtete.
„Warum seid Ihr hier?“, wollte die wunderschöne Hexe wissen.
„Öhm, ich wollte mal ein bisschen was riskieren.“
„Liebe Zuschauer, wir sprechen hier mit einer mutigen Pionierin, die es wagt aus der emanzipierten Welt auszubrechen, um wieder in ein traditionelles Rollenbild zurückzugelangen.“ Sie wandte sich zu Cinderella. „Darf ich Euren Namen erfahren?“
„Cinde…“
Plötzlich fiel ihr die Hexe um den Hals, beziehungsweise, sie wäre ihr um den Hals gefallen, hätte Cinderella auf dem Boden gestanden. So umarmte sie nur ihren Unterschenkel. „Cindy, ich finde toll, dass du so mutig bist.“
„Ähm… aber…“ Cinderella wusste nicht, wogegen sie zuerst protestieren sollte. Die Verstümmelung ihres Namens, den unwillkommenen Körperkontakt oder die Unterstellung, dass sie zurück an den Herd wollte.
„Liebe Zuschauer, offensichtlich fällt es dieser Kandidatin schwer, ihre Geschichte in Worte zu fassen. Das können wir verstehen. Bestimmt steckt ein hartes Schicksal, dessen Ausmaß wir kaum erahnen können, hinter dieser niedlichen, behelmten Fassade.“
„Aber…“
Die Hexe drehte sich zu ihr um. „Cindy, wir drücken dir von ganzem Herzen die Daumen. Toi, toi, toi.“ Sie streichelte ihr noch schnell mit der Hand über den Oberschenkel und sauste, von Kameraleuten verfolgt, davon.
Cinderella starrte der Frau fassungslos hinterher. „Was war das denn?“
Kunibert drehte ihr sein immer noch geschlossenes Visier zu. „Ihr hättet mich ruhig vorstellen können“, brummte er missgelaunt.
„Ihr habt doch gesehen, dass…“
Die Hexe kam zurück gerannt, dieses Mal allerdings ohne Mikro. „Komm mit, Cindy. Du kannst vor.“
„Nicht ohne Ritter Kunibert.“
„Ah, er ist wohl dein Maskottchen? Schön, schön. Aber er darf nicht mit reinkommen.“ Sie griff die Zügel von Ferrari und zerrte ihn mit. Die Märchenfiguren, die sie so überholten, murrten ungehalten.
Erst kurz vor dem Haus der Zwerge ließ die Hexe das Pferd los. Sie winkte dem Esel, der ihr ihr Mikro reichte.
Cinderella und Kunibert kletterten währenddessen von Ferrari. Allerdings setzte nur Cinderella ihren Helm ab. Kunibert hingegen verharrte wie eine Statue neben seinem Pferd und schmollte beleidigt, zumindest musste die Prinzessin das befürchten. Sehen konnte sie es durch das Visier leider nicht.
„Cindy steht kurz vor ihrem großen, alles entscheidenden Auftritt bei ZSDSM“, begann die Hexe ihren Einführungsbeitrag. „Für alle Zuschauer, die erst später eingeschaltet haben: ZSDSM steht für „Zwerge suchen die super Mitbewohner“. Seit Schneewittchen zwei von ihnen zu sich ins Schloss befohlen hat, stehen im Haus zwei Betten leer. Diese sollen nun besetzt werden, doch in den letzten Tagen fand sich noch kein geeigneter Kandidat. Die Jury, bestehend aus Doc, Happy und Grumpy, ist verzweifelt. Wird Cindy es schaffen ihnen neue Hoffnung zu geben?“ Sie drehte sich zu Cinderella. „Cindy, wie fühlst du dich vor deinem großen, alles entscheidenden Auftritt?“
„Äh…“, stotterte Cinderella.
„Ihr fehlen vor Nervosität die Worte, meine sehr verehrten Damen und Herren. Hoffen wir, dass sie im Flur ihre Stimme wieder findet.“ Mit einer Geste bedeutete sie Cinderella das Haus zu betreten.
Diese verdrehte die Augen und stapfte gefolgt von dem Kamera-Esel durch den Flur, bis vor das Zimmer, über dessen Eingang in großen Lettern „ZSDSM“ prangte. Sie atmete noch einmal tief ein, dann öffnete sie die Tür und trat ein.
„Ich muss mit Euch reden“, erklärte sie ohne Umschweife.
„Stell dich doch bitte auf den Stern“, erklärte der mittlere Zwerg, den sie anhand von Schneewittchens Beschreibung als Doc erkannte. „Was hast du denn vorbereitet?“
„Vorbereitet?“, echote Cinderella.
Grumpy, der am Gesichtsausdruck leicht von Happy zu unterscheiden war, murmelte: „Das fängt ja schon gut an.“
„Wir suchen zwei neue Mitbewohner. Um sich zu qualifizieren müssen zuerst die Fähigkeiten im Zwergengesang bewiesen werden. Während des Recalls steht Haushaltsführung auf dem Programm. Die besten zehn Teilnehmer qualifizieren sich für das Finale, das in unserer Mine stattfindet.“
„Bis dahin betritt niemand die Minen“, erklärte Happy mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht.
„Das heißt, wegen diesem ganzen Quatsch arbeitet Ihr nicht?“, fragte Cinderella entgeistert.
„Quatsch?“, fauchte Grumpy. „Quatsch nennst du das? Das hier ist ein höchst ernster, absolut unmanipulierter Wettbewerb. Niemand, bei dem nicht das totale Zwergenfeeling rüber kommt, kann sich für den Recall qualifizieren.“ Er wandte sich an die beiden rechts von ihm sitzenden Zwerge. „Wählen wir sie raus.“
„Aber sie hat noch gar nicht gesungen“, entgegnete Happy.
„Wir brauchen sie nicht singen hören. Bei ihr kommt einfach nicht das richtige Gefühl rüber.“
„Dafür sieht sie aber sehr gut aus“, erklärte Happy.
„Das disqualifiziert sie noch mehr, als es ihr Verhalten könnte“, wandte Grumpy ein.
„Sing einfach, mein Kind“, bat Doc, den Disput der anderen Jurymitglieder ignorierend.
Cinderella räusperte sich. „Wir rackern und wir plagen uns den lieben langen Tag, wir graben, hacken pausenlos, so geht es Schlag auf Schlag. Es ist kein Trick, mit viel Geschick und noch mehr Pickpick“, sang sie.
Die Jury horchte überrascht auf, als sie diese bekannte Melodie hörte.
„Heyho, heyho, wir sind vergnügt und froh.“ In ihr fröhliches Pfeifen stimmten die Zwerge begeistert mit ein. „Heyho, heyho, heyho, heyho, heyho, wir sind vergnügt und froh.“
„Sie hat das Gefühl doch“, seufzte Happy verträumt, als sie geendet hatte.
„Hm“, bemerkte Grumpy nur, doch für ihn war es ein unglaubliches Kompliment.
„Schneewittchen hat mich dieses Lied gelehrt“, erklärte Cinderella bescheiden.
Die Zwerge sogen erschrocken die Luft ein und der Kamera-Esel wirbelte so ruckartig zu ihr herum, dass den Zuschauern am Bildschirm furchtbar übel wurde.
„Sag diesen Namen nicht in diesem Haus“, forderte Doc mit vor Zorn bebender Stimme. „Wegen Ihr-Wisst-Schon-Wem stehen die beiden Betten leer. Wegen Ihr-Wisst-Schon-Wem sind wir nur noch die fünf Zwerge hinter den sieben Bergen.“
Cinderella erkannte ihre Chance. „Wenn ich Ihr-Wisst-Schon-Wen überreden könnte, Eure Freunde hierher zurückkehren zu lassen, würdet Ihr dann wieder arbeiten gehen?“
Die drei Zwerge nickten synchron. „Natürlich würden wir das“, erklärte Doc.
Cinderella trat ans Fenster, öffnete es und sang einen leisen Triller. Daraufhin kam ein kleiner, weißer Vogel angeflogen, setzte sich vor ihr nieder und öffnete den Schnabel.
„Zentrale? Verbindet mich bitte mit Schneewittchen“, sprach sie hinein.
Der Vogel tschilpte zweimal kurz, dann nahm die Prinzessin auch schon ab. „Hier Schneewitschen?“
Cinderella seufzte. Ihre Freundin hatte offensichtlich schon wieder zu viel Apfelsaft getrunken, dabei wusste sie doch, dass sie den nicht vertrug. „Rück deine Zwerge raus und such dir neue Haushälter.“
„Cindyrellla, bissu das?“
„Ja, bin ich. Und jetzt schick die Zwerge nach Hause, du ruinierst das ökologische Märchengleichgewicht.“
„Wennu meinst… meine Schwiegermutter is hier, sie kann die mal eben schüggn… Schwiegerma?“
Ploff! Zwei Zwerge materialisierten sich mitten im Raum. Doc und Happy starrten einen Moment entgeistert, dann stürmten sie auf die Rückkehrer zu und umarmten sie freudig. Grumpy ließ sich zu einem begeisterten „Hm!“ hinreißen und brachte seine Mundwinkel ausnahmsweise in waagerechte Position.
„Abba isch will wasss dafür haben“, nuschelte Schneewittchen. „Sonst ruf isch sie wieder sssurück.“
„Wie wäre es mit vier handgearbeiteten Diamantohrringen?“
„Isch hätte lieber sssswei Paar.“
„Geht in Ordnung. Du, ich muss auflegen. Tschüssi, Kleine! Und grüß deine Schwiegerma!“ Cinderella schloss den Schnabel des Vogels, ohne Schneewittchens Antwort abzuwarten, und drehte sich um, nur um einer wutschnaubenden blonden Hexe gegenüber zu stehen.
„Du machst mir meine Sendung kaputt“, fauchte diese. „Das Konzept sieht vor, dass hier neue Mitbewohner gefunden werden. So geht das aber nicht.“
„Vielleicht fragst du Schneewittchen, ob sie zwei Haushälter casten möchte?“, schlug Cinderella vor. „Sie wäre dir für diese Gelegenheit bestimmt dankbar.“
„SSDSH? Keine so schlechte Idee“, murmelte die Hexe und war schon in ihr Marketingkonzept versunken.
Cinderella nutzte die Gelegenheit, um eilig das Haus zu verlassen. „Steigt schnell auf“, rief sie Kunibert zu, denn sie ahnte, was passieren würde, wenn erst mal bekannt wurde, dass kein weiteres Casting notwendig war.
Dieser starrte sie überrascht an. „Warum denn das?“
„Tut einfach, was ich sage.“ Sie kletterten in den Sattel und Kunibert wollte sich wieder anschnallen, doch sie hinderte ihn. „Reitet zu!“ Sie griff an ihm vorbei nach den Zügel und trat Ferrari so heftig in die Seiten, dass dieser mit qualmenden Hufeisen losgaloppierte.
Schon trat der Kamera-Esel hinter ihnen aus dem Haus. „Das Casting wird abgebrochen. Die Betten sind belegt.“
Ein gewaltiger Aufschrei aus vielen Kehlen folgte seinen Worten. Schnell war die Wurzel allen Übels gefunden und so fanden sich Kunibert und Cinderella von einem wütenden Mob aus Märchengestalten verfolgt.
„Schneller, Ferrari, schneller“, feuerte sie das Pferd an, während sie einen gefährlich aussehenden Schlingerkurs lenkte.
„Gnädigste, Ihr reitet wie ein Verkehrsrowdy“, beschwerte sich Ritter Kunibert. „Ich sag ja immer: Frau am Steuer, das wird teuer.“
„Wenn Ihr auf den Mob warten wollt“, Cinderella zeigte mit dem Daumen nach hinten, „dann könnt Ihr gerne absteigen.“
Unerklärlicher Weise hatten Teile des Mobs mittlerweile Fackeln und Mistforken in den Händen, die sie wütend schwenkten.
„Ich verzichte dankend“, bemerkte Kunibert und schwieg, während Cinderella Ferrari auf einen weniger riskanten Kurs brachte und ihn, als sie sicher war die Meute hinter sich gelassen zu haben, durchparierte.
„Ihr dürft übernehmen“, erklärte sie.
Kunibert grummelte etwas Unverständliches in sein immer noch geschlossenes Visier. Dann bestand er darauf, dass sie sich ordentlich anschnallte und ihren Helm aufsetzte. Erst danach ritt er langsam weiter.
„Wäret Ihr so gut und würdet mich nach Hause bringen?“, fragte Cinderella, die keine Lust mehr auf Abenteuer hatte.
Kunibert nickte. „Kein Problem. Vorher reiten wir noch an der nächsten Tanke vorbei.“
Gesagt, getan. Ein gutes Frühstück später machten sie gemächlich auf den Weg zurück zu Cinderellas Schloss.
„Wisst Ihr“, erklärte sie gerade, um das einschläfernde Schweigen zu unterbrechen. „Ich habe langsam wirklich genug von Abenteuern. Es war eine blöde Idee von Schneeweißchen. Warum habe ich da überhaupt mitgemacht? Ich hätte doch zu Hause bleiben und Schuhe kaufen können. Aber nein, ich wollte ja unbedingt mehr von der Welt sehen. Wie dumm ich doch war.“ So oder so ähnlich lamentierte sie in einer Tour fort.
Der arme Ritter Kunibert hatte das Gefühl, dass seine Nerven von einer kleinen Stichsäge bearbeitet wurden und er fragte sich, ob er wohl schon aus den Ohren blutete. Die Reise erschien ihm immer lang und länger zu werden. Zumindest wusste er jetzt wieder, warum er überzeugter Single war.
Als es Nachmittag war, näherten sie sich endlich Cinderellas Heimatstadt. Nur noch wenige Minuten und er wäre sie endlich los.
„GRRRRRRRRROOOOOOOOOAAAR“, ertönte es da auf einmal.
Cinderella war ihrem Vordermann einen strafenden Blick zu, den dieser durch den Helm allerdings nicht bemerkte. „Ihr hättet doch sagen können, dass Ihr Hunger habt“, bemerkte sie spitz.
„Dann hätte ich Euer Gefasel unterbrechen müssen“, fauchte er zurück. „Außerdem war ich das nicht.“
Cinderella wurde kreidebleich. „Könnte das Ferrari…?“
Sie kam nicht dazu die Frage zu stellen, denn in diesem Moment tauchte hinter ihnen ein großer, böser Hase auf.
„GRRRRRRRRROOOOOOOOOAAAR“, brüllte er wieder.
Ferrari erschrak und wieherte ängstlich. Der Hase bemerkte sie und hielt nun direkt auf sie zu. Kunibert gab Ferrari die Sporen, allerdings so ungeschickt, dass dieser in der Bewegung regelrecht abgewürgt wurde und hoppelnd zum Stehen kam.
Schon war der Hase heran und hob drohend die Pfote, die so riesig war, dass Ferrari sie als Unterstand hätte benutzen können.
„Wir werden alle sterben“, kreischte der Wurm, der sich irgendwie durch das Tuch genagt und aus der Satteltasche befreit hatte.
Eiliges Hufgetrappel ertönte und vor ihnen tauchte ein einzelner Reiter auf, der Mundharmonika spielte. Der Hase erstarrte mitten in der Bewegung, dann presste er sich beide Vorderpfoten auf die Löffel, drehte er sich blitzschnell um und hoppelte auf den Hinterbeinen von dannen.
„Kein Hase mag den Klang einer Mundharmonika“, erklärte der Herannahende, als er sich auf Hörweite genähert hatte.
Cinderella erkannte ihn sofort. Sie löste den Sicherheitsgurt, sprang vom Pferd, riss den Helm ab und schüttelte ihre Haare aus. Dann stürmte sie auf den Mann zu.
„Mein Prinz“, rief sie.
„Cinderella“, antwortete er und sprang vom Pferd, um ebenfalls auf sie zuzulaufen.
„Mein Prinz.“
„Cinderella.“
„Mein Prinz“
„Nenn mich doch Walter.“
„Oh, Walter, ich habe dich so vermisst.“
„Cinderella, als ich dich bei ZSDSM gesehen habe, wusste ich, wo ich dich finden würde und eilte dir entgegen.“
Sie erreichten sich und fielen sich in die Arme. Dann versanken sie in einen Kuss, der zu allem Überfluss auch noch von einem Regen aus Rosenblättern begleitet und mit sanfter Geigenmusik untermalt wurde.
Kunibert hob den Wurm auf den Beireitersitz. „So ein Kitsch“, bemerkte er.
„Ein echtes Märchen“, seufzte der Wurm gerührt.
„Was meinst du, willst du wirklich bei ihr bleiben, oder soll ich dich zu einem echten Drachen erziehen?“, fragte Kunibert.
Der Wurm überlegte nicht lange. „Wenn ich groß bin, dann will ich Drache werden.“
„Gut, kleiner Freund. Dann komm. Mit meiner Ausbildung wirst du die Welt in Angst und Schrecken versetzen.“
Kunibert wendete seinen Ferrari und ritt mit dem Wurm in den urplötzlich eintretenden Sonnenuntergang davon.
Einige Tage später saß Cinderella wieder in ihrem Schuhgeschäft und probierte einen rosa Stiletto an. Walter eilte herbei, um ihr den zweiten Schuh zu reichen. Dankbar streifte sie ihn über, während die zwei Taubenverkäuferinnen mal wieder ein leises „Ruckedigu, Ruckedigu, er passt, dieser Schuh. Der Schuh ist echt fein, bezahl und nimm ihn mit heim.“ anstimmten.
Cinderella deutete auf die beiden Vögel. „Walter, du darfst mir gerne öfter Schuhe kaufen, aber die Tauben müssen wir los werden.“
„Alles, was du dir wünscht, meine Liebe“, antwortete er und küsste ihren Handrücken. „Sie werden dich nie wieder belästigen.“
An diesem Abend servierte der Koch zwei ungewöhnlich kleine Hühnchen. Cinderella genoss jeden Bissen. Dann beugte sie sich zu ihrem Walter und flüsterte liebevoll: „Ruckedigu, Ruckedigu, nun hab ich Ruh, will kein Abenteurer mehr sein, bleibe lieber mit dir daheim."