Erwartungsvoll trabte Bluey den Weg zur Wohnhöhle des allmächtigen Myff-Polizisten hoch. Was wohl der große Meister so getrieben hatte? Und ob er überhaupt schon aufgestanden wäre? Sie liebte nichts mehr, als ihn mit einem zärtlich ins Ohr gebrüllten „GUTEN MORGÄÄÄÄN!“ aus dem Bett zu werfen. Dafür nahm sie auch die Beulen von der Nagelkeule in Kauf.
Noch mit dem Gedanken beschäftigt, betrat sie den Ort, der unter den Myffloniern wie kein anderer für Grauen und Schrecken stand. Glaubte man unbestätigten Gerüchten, lebte hier nicht nur ein mörderisch mies gelaunter Mod-Gott, sondern auch ein fieser Fuchs, ein brummeliger Bär und eine freche Fledermaus. Doch heute war niemand anzutreffen. Schlimmer noch …
Die Wohnhöhle war leer!
Leer im Sinne von verlassen.
Nur ein Zettel hin an der Tür: „Mache Urlaub auf der Insel“.
„Urlaub?“ Das Pony sprach das Wort aus, als kenne es seine Bedeutung nicht. „Urlaub?“ Wütend trat sie gegen den Türpfosten. „Hast du vergessen, was das letzte Mal passiert ist, als einer von uns auf die Insel verschwand? Myff war danach nie wieder so wie vorher.“
Zugegeben, die Situation war wohl kaum vergleichbar mit des Ponys Aufenthalt in London. Zumindest nicht vom Ergebnis, denn dieses würde sich kaum wiederholen. Admorix hatte tatsächlich seinen seit Jahre angedrohten Wandlungszauber über das Land geschickt und es in neuem Glanz erstrahlen lassen. Zumindest optisch. Der Wirbelwind, den der Spruch zusätzlich auslöste – wie immer gab es (un)erwartete Risiken und Nebenwirkungen –, fegte nicht nur Teile des Marktplatzes von dannen, auch einige Geschichten und Myfflonier verschwanden. Dafür tauchten andere, längst vergessene Mod-Geister wieder auf, nur um kurzzeitig die heiligen Lande mit Unflätigkeit zu überziehen. Und dann fielen die Sterne vom Himmel und verglühten einer nach dem anderen, bis keiner mehr übrig war. Die dunkle Nacht, die zurückblieb und sich immer wieder in einen der gefürchteten 404-Schneestürme verwandelte, glich der scheinbaren Apokalypse.
Aufgewühlt von der plötzlichen Veränderung waren die Bewohner Myfflonias zu der Wohnhöhle des Mod-Gottes gezogen und hatten dort ihre Fragen, Forderungen und Wünsche geäußert. Beziehungsweise gebrüllt. Dabei waren sie oft zu verstört, um zu bemerken, dass bereits eine Liste mit Antworten und Erklärungen an der Tür hing. Vom Lesen dieses Anschlags sollte gar nicht erst gesprochen werden.
Stattdessen formierte sich ein „Früher war alles besser“-Mob, der drohte, marodierend durch die dunkeln Straßen zu ziehen. Die gezielt geworfene Nagelkeule und die zuschlagende Bratpfanne halfen kaum dabei, die Ordnung wieder herzustellen. Erst allmählich beruhigten sich die Myfflonier.
Bis heute hatte sich das Land nicht vollständig erholt. Was auch daran liegen mochte, dass noch immer Reparaturzauber nötig waren. Dummerweise war Admorix gerade in ferne Lande zum großen Konsulat „Berufliche Magische Weise“ gerufen worden und konnte daher nicht helfen. Doch es wurde gemunkelt, dass er andere Zauberer sein Werk vollenden lassen wollte.
Kurzum – eigentlich war der Urlaub für die Mods gestrichen. Hielt sich nur keiner dran. Auch die blaue Zweifaltigkeit plante bereits, eine unschuldige Stadt zu heimzusuchen und die Bewohner vier Tage lang zu terrorisieren, die Lebensmittel zu plündern, zu morden, zu brandschatzen … oder was man auf einer Städtetour sonst so macht.
„Lässt der mich einfach sitzen“, beendete Bluey ihre entsetzte Überlegung. „Glaubt der echt, dass ich hier eine Woche lang alles alleine mache? Da hat er sich aber geschnitten.“ Sie drehte den Kopf nach links, dann nach rechts. Niemand zu sehen. Vorsichtig packte sie die Abwesenheitsnotiz mit den Zähnen und zog daran. Vergeblich.
„Vvverdammter Ffffupfferklebffer!“ Kurz bevor sie die Erfolglosigkeit ihres Vorhabens einsehen konnte, bestrafte sich ihre Impertinenz von selbst. Und wie so oft kam die Strafe von oben.
RUMS
„Schdäanschen … ich dachte, die wären alle verschwunden.“ Der Blick des Ponys klarte sich auf und es blickte direkt in das reichlich verschwommene Gesicht einer Fledermaus, die sich auf seiner Nüster niedergelassen hatte. „Wer bisn du?“
„Fledderair, zu Ihren Diensten. Ich musste hier den Koffer des Pinguins abholen.“
„Wo isn der Pingu… AUCH auf der Insel?“ Das Pony brüllte so laut, dass die Fledermaus zusammenzuckte. Doch sie blieb tapfer auf der Nüster sitzen.
„Ja, Hades und Pingi sind zusammen nach Schottland gefahren. Aber der (hier folgte ein Wort, welches das Pony einfach überhörte, weil es keine Lust hatte, die Fledermaus für etwas zu bestrafen, dass es spontan ebenfalls gedacht, aber nicht ausgesprochen hatte) hat den Koffer hier gelassen. Jetzt muss ich ihm seine Brocken hinterher tragen.“ Die Fledermaus plusterte sich zu ihrer vollen Größe von zehn Zentimetern auf. „Wissen Sie eigentlich, wie schwer das Ding ist? Beim Versuch, damit loszufliegen, bin ich ins Trudeln geraten und Ihnen gegen den Kopf geflogen.“
„Ich hab‘s gemerkt!“
„Es tut mir fürchterlich leid, was passiert ist.“
„Ist ja nicht Ihre Schuld. Sie haben ja den Koffer nicht so voll gestopft.“
Zum Glück war Bluey nicht bösartig, sondern von gütigem, verzeihendem Wesen. Hätte sie zumindest behauptet. Deshalb lud sie die Fledermaus ein, ihr ein Entschuldigungseis zu zahlen – und selbst eins zu essen. Diese entschied sich zwar für Salat, kam aber brav mit. Nur der Koffer stand noch eine laaaaange Weile alleine vor der Wohnhöhle, bevor er die Weiterreise per Fledderair antrat. Hups. Versehen und so … Aber was machte es schon, wenn das Gepäck ein wenig später ankäme. Wer so viel Kram in einen Koffer packte, hatte doch bestimmt noch einen zweiten dabei.