Bemerkung des Autors: Aeffle: Vor allem habe ich schon lange keine Gans mehr hier gesehen. Was ist mit denen eigentlich passiert? Sind die alle ausgeflogen? Bluey, ich glaube, du musst mir das mal erklären. Kannst du uns - in welcher Form auch immer - erzählen, was an dem Tag passiert ist, als die letzte Gans verschwunden ist? Wie kam es dazu, was waren die Folgen und, Gans wichtig: Sind die Gänse wieder aufgetaucht? Wenn ja, wie? *** Da ist das Ding. Es war ein wenig unwillig. *** Ach ja: Wie jedes Jahr um diese Zeit: Happy Birthday, Hades!
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Früher war alles besser. Natürlich. Früher war immer alles besser. Das Pony zum Beispiel. Während es damals in seinem jugendlichen Übermut über die Weiden Myffloniens tollte, Trolle vernichtete und nebenbei mit Gänsen warf, so hing es heute müde und vollgefressen mit einem Glas Rotwein auf der Couch. Sein Sportprogramm bestand daraus, sich von der linken auf die rechte Seite zu rollen und lauthals zu schnarchen.
Oder Hades. Auch der war früher… na ja… sehr viel früher… man möchte fast sagen, bei den alten Griechen… sehr viel agiler. Ob es besser war, dass er damals reihenweise Myfflonier mit seinem Hitzeblick einschüchterte? Das lag wohl im Auge des Betrachters. Doch in grauer Vorzeit eilte ihm sein Ruhm auch in anderen Bereichen weit voraus: Man rief ihn nur ehrfürchtig ‚Meister der Gänse‘.
Heute hingegen bedeckte Staub die Gänsefedern, letzte Zeugen einer heroischeren Epoche. Nichts war geblieben von dem einstigen Glanz der dienstältesten Myff-Mods. Böse Zungen behaupteten gar, dass es Zeit für sie wäre, zurückzutreten. Unfug, in ihrem jugendlichen Alter von ‚kurz vor scheintot‘, aber dennoch hielt sich das Geflüster hartnäckig. Jedes knackende Gelenk, jedes Mittagsschläfchen und vor allem die senile Bettflucht befeuerten die Gehässigkeiten zusätzlich.
Zum Glück gibt es wohlmeinende, treusorgende Myfflonier, die sich des Problems der faulen Alt-Eingreiftruppe annehmen wollten. Allen voran ein gewitztes kleines Äffchen namens Aeffle.
„Wir müssen sie nur daran erinnern, wer sie einmal waren“, erzählte es jedem, der es hören wollte. Was de facto niemand war. „Wenn wir sie erstmal wieder auf Gänse ansetzen…“
Spätestens hier tauschte es seine Zuhörerschaft gegen Staubwolken ein, so eilig verschwand das Publikum. Die Mods mit Gänsen belästigen? So lebensmüde konnte niemand sein. Denn die beiden grauen Herrschaften waren nicht nur alt, sondern auch jähzornig geworden – zumindest wenn man bösartigen Gerüchten Glauben schenkte. Die natürlich nicht stimmten, trotzdem zitterte ganz Myfflonien schon bei dem Gedanken daran, die beiden zu verärgern. Mochten die Herrschaften auch alt und klapprig sein, ihre Dienstwaffen waren immer noch scharf.
„Dann mach ich es eben alleine“, brummte das Aeffle frustriert, nachdem sich selbst der sonst so mutige Schwelefant am Horizont davonpropellte. Was vielleicht auch daran lag, dass der noch immer ein Trauma von einer Begegnung mit dem Pingi hatte… Auch das waren jedoch nur unbestätigte Gerüchte. „Ihr könnt mich alle mal am Ar…“
Es ploffte hinter ihr.
„…m packen. Am Arm könnt ihr mich packen“, rief das Aeffle schnell und drehte sich unschuldig grinsend zu Hades um. „Ich hab nichts gemacht.“
„Soso.“ Der Mod-Gott funkelte sein Gegenüber an. „Du warst aber nah dran.“
„Das kannst du nicht beweisen“, entgegnete es und schwang sich auf den nächsten Baum.
Hoheitsvoll gönnte der Myff-Polizist dem Äffchen die Flucht. Und sei es, weil er selbst Höhenangst hatte. Davon ab wäre es viel zu anstrengend, hinterher zu klettern. Das konnten andere machen, er war dazu zu alt…ersweise.
Hätte er gewusst, was das kleine Tier ausbrütete, hätte er es lieber am Kragen gepackt und einmal kräftig geschüttelt. So beschloss er jedoch, sich in seine Höhle zurückzuziehen, die Flauschpuschen überzustreifen und einen feinen Salat zu essen… Einen einzelnen Myfflonier anzufunkeln war genug des Tagewerks. Schließlich war Donnerstag, da wollte er es nicht übertreiben.
„Sind wir bald da?“, quengelte das Haserl, das sich dann doch noch bereit erklärt hatte, Aeffle zu begleiten.
„Nein.“
„Sind wir bald da?“
„Jetzt sei nicht so ungeduldig.“ Aeffle hantierte umständlich mit der Karte herum. „Irgendwo hier muss es doch sein?“ Es kratzte sich mit seinem Schwanz am Kopf.
Neugierig hüpfte das Haserl zu ihm. „Da ist es!“, rief es.
„Wo?“
„Da!“ Es zeigte auf das große, rote Kreuz auf der Karte. „Da müssen wir hin.“ Es strahlte, als hätte es den Chemie-Nobelpreis gewonnen.
„Das weiß ich auch.“
„Na dann los.“
„Weißt du denn, in welche Richtung wir gehen müssen?“
Nachdenklich packte Haserl eins ihrer Ohren und putzte es possierlich mit den Vorderpfoten. „Also, wenn ich mir die Karte so anschaue und mich hier gründlich umsehe… ich hab keine Ahnung.“
„Was sucht ihr denn?“, fragte da ein Phantom und beugte sich über die beiden Tiere. Die hinter einer weißen Maske verborgenen Augen funkelten gefährlich.
Mit einem Aufschrei flüchteten die Angesprochenen. Aeffle schwang sich auf den nächsten Baum und das Haserl stürzte sich in das erstbeste Mauseloch. Der Erfolg der Aktion war höchst unterschiedlich. Während das Phantom einfach hinter dem Äffchen herschwebte, ließ es das Häschen, das im viel zu kleinen Höhleneingang stecken geblieben war, links liegen. Womit das Haserl wohl den Preis für die beste Flucht gewonnen hatte. Trotz Abzügen in der B-Note für mangelhafte Ausführung.
„Jetzt sag doch mal, was ihr sucht!“ Das Phantom Anerya hielt ein Mod-Schild hoch. „Ich kann euch helfen.“
„Oh“, bemerkte das Aeffle und kam sich ein wenig dämlich vor. Aber wer sollte bei dem schnell wachsenden und wechselnden Team noch die Übersicht behalten, wer drin und wer draußen war? „Wir suchen den Gänseteich.“
„Ach, das ist doch ganz leicht. Ich kann euch hinbringen.“
„Das wäre sehr nett.“ Das Äffchen sprang vom Baum und tippte das Haserl an, von dem noch immer nur der Hintern zu sehen war. „Komm, wir müssen los.“
„Ich stecke fest“, gab die Angesprochene zurück.
Aeffle seufzte, packte die Blume des Haserls und … über den Rest schweigt des Sängers Höflichkeit. Es war weder angenehm noch ansehnlich, was sich da abspielte, und es dauerte unglaublich lange. Am Ende konnte das Haserl jedoch befreit werden. Außer einer recht roten Rübe aufgrund der Peinlichkeit war kein sichtbarer Schaden entstanden.
Endlich zog die Dreiergruppe von dannen, sprang schon bald über einige sanfte Auen, tollte am Fluss entlang und landete schließlich am vielgerühmten Gänseteich. Oder dem, was davon übrig war.
„Was ist das denn?“, fragte das Haserl entsetzt, erhielt aber keine Antwort. Ihre Begleiter waren zu erschrocken von dem, was sie sahen.
Zugegeben, keiner der drei hatte den ursprünglichen Zustand des Teiches miterlebt, die glasklare, spiegelglatte Wasserfläche, auf der vielerlei Gänse dahintrieben, elegant wie Schwäne und exotisch wie Papageien (was schon eine sehr bizarre Mischung darstellte). Doch selbst ein Blinder hätte erkannt, dass er hier einer Naturkatastrophe ansichtig wurde.
Dort, wo einst ein See gewesen war, stapelten sich jetzt Enten über Enten. Kein Platz war unbesetzt, im Gegenteil. Die Vögel kletterten regelrecht übereinander, hackten mit den Schnäbeln und schlugen mit den Flügeln, nur um wenigstens einen Fuß ins Wasser tauchen zu können. Es war ein heilloses Durcheinander aus Kot, Federn und Schlamm, in dem die Tiere hausten. Der Gestank nahm den drei Besuchern den Atem und sie wussten nicht, ob sie sich erst die Ohren oder die Nase zuhalten sollten. Nicht nur der Geruch war unerträglich, die Lautstärke der Federviecher war es auch.
„Ich muss Hilfe holen“, erklärte das Phantom, als es sich von seinem Schrecken erholt hatte und verschwand eilig.
„Anerya kann uns doch nicht einfach alleine lassen!“, protestierte das Haserl. „Wir müssen helfen, etwas unternehmen…“
„Sie wird bald wieder zurück sein“, tröstete das Aeffle. „Und bestimmt hat sie dann auch eine Lösung für das Problem. Sie ist schließlich ein Mod. Wie lange kann sie schon brauchen?“
Nun, nicht jeder hatte Hades Ploffkräfte und die Wege in Myfflonien konnten sehr weit sein. Sehr, sehr weit. Zum Glück für den Leser unterschieden sich Erzählgeschwindigkeit und erzählte Geschwindigkeit voneinander. Oder, um weniger herausragende Autoren als mich zu zitieren:
-Zeitsprung-
„Guckt mal, wen ich gefunden habe“, rief Anerya stolz.
Das Löwenkind, das eher unfreiwillig unter Hades’ Sessel hervorgezerrt worden war, knurrte leise.
„Du kannst doch nicht alle Enten fressen lassen“, keuchte Haserl entsetzt.
„Dann hätte ich Hades mitgebracht“, antwortete Anerya. „Der hätte die mit seinem Hitzeblick flambiert und anschließend mit Knödeln und Rotkohl…“
Freak knurrte wieder. „Lass das, du machst ihnen Angst. Aber gegen Ente hätte ich auch nichts. Zum Beispiel auf Nudeln mit einem feinen Orangensößchen…“
„Oder gefüllt! Das ist auch sehr lecker…“
„Eigentlich wollten wir die Enten retten, nicht essen“, wandte Aeffle schüchtern ein.
„Ach ja, richtig.“ Das Löwenkind setzte sich auf sein Hinterteil und strich sich die Schnurrhaare glatt. „Die Frage ist nur, wie.“
Die vier steckten die Köpfe zusammen und überlegten.
„Wir könnten den Teich größer machen!“, schlug Aeffle vor.
„Geht nicht“, antwortete Anerya. „Seit der Magier Adminius Myfflonien an seine Gilde verkauft hat, tut sich hier noch weniger als sonst.“
„Es gibt allerdings auch kaum noch Fehler – von den offensichtlichen Unzulänglichkeiten abgesehen“, wandte Freak ein und schielte in Richtung der Enten. So ganz wollte sie die Idee von einem saftigen Braten noch nicht aufgeben.
„Na ja, aber wenn wir alle mit anpacken und graben?“
„Dauert zu lange. In der Zeit, die wir hier gewartet haben, sind doch schon drei neue Gelege ausgeschlüpft“, wandte Haserl ein. „Es gibt einfach zu viele Entenküken. Das hat zu der Überpopulation geführt.“
„Mh, aber das war doch früher nicht so“, bemerkte Freak.
„Damals haben sich auch Enten und Gänse die gleiche biologische Nische geteilt. Sie standen quasi in Konkurrenz zueinander um Nistplätze und Futter.“
„Sherlock Haserl scheint auf der richtigen Spur zu sein. Es gibt zu viele Enten, weil es keine Gänse mehr gibt“, nickte das Phantom zustimmend.
„Wo sind denn die Gänse hin?“, summte Freak auf die Melodie von Pete Seegers ‚Where have all the flowers gone?’. Dann verfluchte sie Hades für den Ohrwurm. „Und wo kommen die Enten her?“
„Wahrscheinlich haben die sich auch gegenseitig vom Vöge…“ Das Haserl schaute sich vorsichtig um, aber es blieb still. Kein Ploffen, kein Hufeklappern. „Sie haben sich bestimmt vom Vermehren abgehalten.“ Zufrieden mit der Formulierung, die der Alterskennzeichnung entsprach, ließ sich das Haserl auf sein Hinterteil fallen und putzte wieder sein Ohr. „Wenn wir den Ausgangszustand wieder herstellen, sollte sich alles normalisieren.“
„Also brauchen wir nur ein paar Gänse ansiedeln und das Problem löst sich von alleine?“, fragte das Aeffle vorsichtig. „Aber woher nehmen und nicht stehlen?“
Freak maunzte. „Ich glaub, da hilft alles nichts. Wir müssen Hades und Bluey Bescheid geben. Die wissen doch sonst immer, was zu tun ist.“
Die anderen Drei starrten sie an, als wäre sie von allen guten Geistern verlassen worden.
„Hey, ich wohne bei Hades und lebe immer noch“, wandte Freak ein.
Dagegen ließ sich schwerlich etwas einwenden und so marschierten die vier Myfflonier in Richtung des Großmeisters.
Auf der bunten Blumenwiese erwachte in genau diesem Moment ein Pony aus dem Tiefschlaf. Müde tapste es in seinen Verschlag und suchte nach den Haferkeksen, bis ihm einfiel, dass es sich selbst auf Möhrchendiät gesetzt hatte. So ein Mist. Seufzend ging es also weiter und stopfte seinen Kopf in den Korb, in dem es die Rüben aufbewahrte. Kaffee wäre die bessere Alternative gewesen, aber auf nüchternen Magen und ohne Milch oder Zucker oder wenigstens einer Spur Kakao?
Als es endlich die Augen einen Spaltbreit öffnen konnte, blickte es, wie schon seit Monaten zu einem Taschentuch, in dem sich ein Knoten befand. An irgendetwas musste es sich noch erinnern. Aber woran? Das Ding hing da schon eine Weile und hatte bereits mächtig Staub angesetzt.
Bluey selbst hätte sich natürlich einen Zettel geschrieben, statt so eine vorsintflutliche Methode zu wählen, aber das Sirenchen hatte behauptet, so würde das auch funktionieren. Offensichtlich nicht, sonst wüsste das Pony, woran es denken sollte. War mal wieder so typisch. Und die Freundin konnte es nicht fragen, schließlich war diese ins große Meer geschwommen, um endlich eine Meister-Sängerin zu werden, was natürlich eine langjährige Ausbildung erforderte. Und wenn die blaue Nixe dann endlich zu Weltruhm gelangt war, wer sagte, dass sie jemals zurückkehrte? Währenddessen blieb Bluey nichts als ein Knoten in einem Taschentuch, um sich daran zu erinnern, dass… Oh nein!
Schlagartig setzten sich die kleinen Rädchen im Ponyhirn in Bewegung. Und das, was da aus den hintersten Winkeln der grau-blauen Zellen hervorgekrochen kam, war ernst. Sehr ernst. Katastrophal beinahe.
„Verda…“ Das Pferdchen fluchte vor sich hin und rannte los. Wie hatte es das nur vergessen können? Quel malheur! Jetzt gab es nur noch einen, der ihm helfen konnte. So der das Pony nicht mit der Nagelkeule erschlagen würde. Aber auf dem Rating? Unwahrscheinlich, es sei denn, er könnte es irgendwie schick verpacken…
Die letzte Hoffnung Myffloniens versuchte derzeit, aus dem Gebrabbel seiner vier Besucher schlau zu werden. Aber er verstand nur Ente.
„...und der ganze See ist voll davon...“
„...Enten, nichts als Enten!“
„Wir brauchen Gänse.“
„Bloß nicht“, warf Hades ein. Allerdings hörte ihm keiner zu. Wie immer.
„Sie stapeln sich überall.“
„Die Gänse?“ Ihm schwirrte der Kopf. Mussten die vier immer durcheinander reden? Er war ein alter Mann und kein D-Zug. Da ging das mit dem Verständnis nicht mehr so gut. Er atmete tief durch. „Fangen wir doch mal ganz von vorne an. Und nur einer redet. Aeffle, du scheinst das Drama angezettelt zu haben.“
„Hab ich“, erwiderte das Äffchen stolz und schwang sich auf den Tisch. „Ich wollte zum Gänseteich.“
„Warum?“
„Ich wollte euch mit Gä...“ Es begann leise und übertrieben unschuldig zu pfeifen. „Ich wollte nur mal gucken, wie es da aussieht.“
„Wir sind spazieren gegangen“, warf das Haserl ein. „Völlig ohne Hintergedanken.“
„Und ich hab ihnen nur den Weg gezeigt!“, rief Anerya dazwischen.
Der Mod-Gott war jedoch nicht so leicht von einer Spur abzubringen, wenn er sie einmal aufgenommen hatte. „Das erklärt immer noch nicht, was ihr da wolltet?“
Haserl und Aeffle sahen sich an. „Wir... wir...“
„Chef!“ Ein dröhnender Ruf erschütterte die Wände der Wohnhöhle und ließ die Bilder bedenklich in ihren Rahmen zittern. Hufgeklapper näherte sich und kündigte das blaue Pony an.
„Was hat sie jetzt wieder angestellt?“, seufzte Hades.
„Gerettet“, flüsterte Aeffle dem Häschen zu, nachdem es zu der Freundin heruntergehüpft war. „Das war kna...“
Das Hufgeklapper kam aus dem Takt, man hörte ein unterdrücktes ‚Mist’ und dann rollten auch schon 450kg Pony in den Raum. Geistesgegenwärtig versteckte sich Freak unter Hades’ Sessel. Das Phantom schwebte an die Decke. Hades machte einen Schritt zur Seite. Der Rest war nicht so schnell und geriet in die Schussbahn. In einem Knäuel aus Beinen, Ohren und Pfoten gingen Haserl und Aeffle zu Boden, begleitet von einer Menge blauen Fells und Schwabbelspecks.
Sekunden später sah man nichts mehr. Vielleicht hätte Hades nicht gerade allen Staub unter den Teppich kehren sollen, denn kaum rollte Bluey vollkommen unkontrolliert darüber, breitete sich eine riesige Wolke aus.
Schreie, Flüche und ein entsetzliches Krachen... Dann gespenstische Stille. Die Sicht wurde nur langsam besser – wo war eigentlich ein Wolkenloch, wenn man es mal brauchte?
Währenddessen tasteten die Anwesenden blind umher, um festzustellen, ob sie noch ganz waren oder anderweitige Schäden erlitten hatten.
„Mein Bein! Ich spüre mein Bein nicht mehr“, rief Aeffle entsetzt und hielt etwas Schmales in die Höhe. „Oh nein, es ist ab!“
Hades, der mittlerweile über das Durcheinander gucken konnte, brach in Gelächter aus, das er nur mühsam mit einer vorgetäuschten Hustenattacke maskieren konnte. „Wohl kaum, liebstes Äffchen. Aber Bluey schuldet mir einen neuen Tisch.“
Das Haserl, das sehr mutig war, betastete das Corpus Delicti. „Das ist nur Holz“, konstatierte es fachmännisch. Dann begann es sich erst mal zu putzen. So konnte es ja nicht herumlaufen.
„Puh, ich dachte schon...“ Aeffle warf beschämt das Tischbein weg und suchte sich Splitter vom Fell.
Vom eigentlichen Unruhestifter kam wenig. Das Pony lag ohnmächtig in der Ecke, alle Viere von sich gestreckt.
„Das hat es verdient“, murmelte Freak, nachdem sie sich vorsichtig aus der Deckung getraut hatte. Allerdings nur mit der Nasenspitze. Die Erfahrung lehrte, dass hier noch ein Gewitter runterkommen konnte. „Immer das Gleiche!“
Hades kramte einen Haferkeks aus der Notfalldose und hielt ihm Bluey unter die Nüstern. Sofort begann die Kleine zu schnüffeln.
„Kekse!“ Sie schmatzte begeistert und versuchte, das Gebäck mit der Zunge zu angeln.
Der Mod-Gott zog es schnell außerhalb der Reichweite. „Erst, wenn du mir sagst, was so eilig war.“
Schlagartig war Bluey wach. „Es ist eine Katastrophe, Chef! Die Gänse sind weg.“
„Das sagen wir doch die ganze Zeit“, warf das Haserl ein.
„Warum sind die Gänse weg?“
Das Pony zeigte sein breitestes Grinsen, das nur unzureichend kaschierte, dass es Unheil zu verkünden hatte. Wahrscheinlich weil es mit dem Gesichtsausdruck wie der Joker wirkte, nur ohne Make-up. „Du erinnerst dich, dass Siren sie immer gefüttert hat?“
„Dabei haben wir es ihr so oft verboten.“
„Wassertiere unter sich.“ Die beiden Alt-Mods teilten ein wehmütiges Lächeln. „Na ja, dann ist sie ja gegangen, um im großen Meer zu schwimmen.“
Hades seufzte. „Ich kenne die Geschichte. Was hat das mit den Gänsen zu tun?“
„Nun, jetzt hat sie ja niemand mehr gefüttert.“
„Zum Glück.“ Hades spürte geradezu das ‚Äh... nein!’ vom Pony und er beschloss, den Dialog abzukürzen. „Warum?“ Das Pferdchen blinzelte ihn nur unschuldig an. „Hör mal, sonst quasselst du auch ohne Punkt und Komma, jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“
„Also, es gibt den nationalen Gänse-Feiertag. An dem brauchen die Vögel nun mal spezielle Nahrungsmittel, sonst verlieren ihre Federn ihre Farbe.“
Haserl runzelte die Stirn. „Die meisten Gänse haben doch keine Farbe.“
„Unsere schon. Teilweise. Jetzt nicht mehr.“
„Bluey?“ Der Myff-Polizist knurrte drohend und überlegte, ob er doch noch mal seinen Hitzeblick aus den Archiven kramen sollte, auch wenn er den eigentlich nicht mehr nutzte, um Ähnlichkeiten mit gewissen Disney-Charakteren zu vermeiden.
„Ich hab vergessen, die Lebensmittel bereitzulegen, also haben wir nur noch ordinäre weiße Gänse auf Myff. Dafür schämen sich die Vögel aber und deshalb haben sie sich versteckt.“ Die Kleine holte tief Luft. „Wenn wir sie bis heute Abend nicht füttern, dann verschwinden sie für immer!“
„Warum das denn?“, wollte Anerya wissen.
„Autorische Willkür in der Plotlogik, einfach nicht hinterfragen“, brummte die Angesprochene. „Wir brauchen rote Bete, Kurkuma, Belugalinsen...“ Sie trat dem Chef vors Schienbein. „Hilf mir, sonst ist alles verloren. Nie wieder Nicht-Enten.“
Hades’ zugegeben sehr verspätete Reaktion auf diese Eröffnung war – außer für Kenner vorheriger Ereignisse – mehr als überraschend. Langsam, ganz langsam zuckte es in seinem Gesicht. „Die Gänse sind weg. Sie sind wirklich weg!“ Die Mundwinkel hoben sich, die Augen begannen zu strahlen, er riss die Arme hoch und rannte jubelnd durch seine Wohnung. „Mögen sie niemals wiederkehren.“
„Aber das stört das Gleichgewicht der Natur“, wandte Freak ein. Sie war sich wohl bewusst, dass sie sich noch immer unter einem Sessel versteckte. Mutig ging die Welt zugrunde, aber sie war ein kleiner Löwe und wollte noch lange leben.
„Das geht so nicht“, bekräftigte auch Haserl.
„Niemand wird die Gänse zurückholen“, erklärte der Mod-Gott. „Außer euch kennt niemand das Problem und ihr werdet die Höhle nicht verlassen.“ Drohend klatschte er die aus der Luft gezogene Nagelkeule in seine Handfläche. Es hätte bedrohlicher gewirkt, wenn er sich dabei nicht selbst in die Finger gestochen hätte, nur um dann fluchend und schimpfend auf einem Bein zu hüpfen.
„Was machen wir dann mit den überzähligen Enten?“, wandte das Haserl ein.
„Rotkohl, Klöße, Füllen ist auch nett... und es gibt bestimmt noch andere tolle Gerichte.“
Bluey nickte zustimmend. „Da hat er vollkommen Recht. Wer braucht schon Gänse.“ Vorsichtig bewegte sie sich Richtung Ausgang. Er, also der Myff-Polizist, durfte keinesfalls merken, was sie plante. „Übrigens, wusstet ihr, dass Hades heute Geburtstag hat?“ Wie zufällig lagen auf einmal Partyhütchen herum und während der Chef sich noch vergebens gegen die vier Feierwütigen wehrte, verschwand das Pferdchen eilig. Mit etwas Glück würde sich das Geburtstags... – okay, ‚Kind’ konnte man in dem Alter schlecht sagen – der Geburtstagsopa auf Allys Südseeinsel verploffen und das Ende des Trubels abwarten. Hauptsache er kam ihr erstmal nicht in die Quere.
Es war gar nicht so einfach, die Zutaten zusammenzuklauben. Belugalinsen, Paprika, Süßkartoffel und Spinat hatte das Pony noch in der heimatlichen Küche gefunden und eingepackt. Fehlte noch Kurkuma und rote Bete. Gar nicht so einfach, da ohne einen Supermarkt dranzukommen. Blöde Sperrstunde!
Selbst in der Essen-Tausch-Börse war tote Hose. Zumindest was oben genannte Zutaten anging. War ja so klar.
Zum Glück kannte das Pony eine geheime Geheimadresse. Irgendwo in einem dunklen Winkel Myfflonien gab es noch Reste eines alten, verfallenen Restaurants, das einst um die Weihnachtszeit eröffnet und nach einem einzigen Besuch von Bluey wieder geschlossen worden war. Und das hatte nichts damit zu tun, dass sie sich quer durchs Buffet gefressen hatte, nur um dann einzuschlafen. Ganz sicher nicht!
In jedem Fall befanden sich hier im Gewürzschrank noch einige kümmerliche Reste und zum Glück ein originalverpacktes Döschen voll Kurkuma. Fehlte nur noch rote Bete. Aber woher nehmen und nicht stehlen? Die meisten Leute fanden das Zeug – zurecht – widerlich.
Die Uhr tickte langsam Richtung Mitternacht, während Bluey durch Myfflonien streifte. Wo waren die dösigen Plotholes, wenn man sie mal brauchte?
„Wir sollten aufhören, so viel aufzuräumen“, brummte das Pony. „Man findet einfach nichts wieder.“
Inzwischen war es elf Uhr nachts. Keine Chance mehr auf rote Bete. Bekümmert trabte Bluey zum Treffpunkt und legte ihre Schätze aus. Vielleicht würde es ja gar nicht bemerkt, dass etwas fehlte?
Fünf Minuten vor Zwölf. Tatsächlich ließen sich ein oder zwei Gänse blicken. Diejenigen, die ohne rot auskommen würden. Doch es waren bei weitem zu wenige, um die myfflonische Population zu sichern. Wenn nicht noch eine Last-Minute-Rettung erschien – und Bluey stellte sich hier so etwas wie einen Engel oder ein anders überirdisch-schönes, mystisches Wesen vor, mit dem man hinterher einen Zur-Feier-Des-Tages-Kaffee trinken gehen konnte – dann wäre es aus mit den Gänsen.
Vier Minuten vor Mitternacht. Keine Sorge, ein optisch ansprechender, durchtrainierter Typ würde schon noch den Tag retten. Weitere Details waren jetzt erst mal nicht so entscheidend. Okay, Vampire und Werwölfe mussten es nun nicht gerade sein. Das erste grenzte an Nekrophilie und war verboten, das zweite war viel zu haarig. Pony war Team ‚Bella wird alt und alleine sterben‘.
Drei Minuten vor Zwölf. So langsam wurde es aber Zeit. Gut, die Ansprüche könnte man noch etwas herunterschrauben. Hauptsache jemand, der rote Bete vorbeibrächte. Vom Pony aus auch Beete mit Doppel-E. So kleinlich war es nicht. Nur musste allmählich etwas passieren. Egal was. Sogar für das Pferdchen blamabel und für alle anderen lustig wäre zufrieden stellend.
Zwei Minuten vor Zwölf.
„Okay, ich schnitz mir meinen eigenen Gary Stu, wenn es sein muss. Hauptsache, jemand bringt das verdammte Zeug vorbei.“ Dann erinnerte Bluey sich daran, dass sie nicht fluchen sollte. Und Schimpfen war schlecht für das innere Gleichgewicht. „Könnte bitte jemand rote Bete vorbeibringen? Und wenn es ein alter, zorniger, buckliger Mann...“
Ploff.
„... das ist nicht dein Ernst, Chef?“
Hades blinzelte dreimal. „Was ist passiert?“
„Ich brauch rote Bete. Für die Gänse. Also gib es raus.“
„Nein.“
„Doch.“
„Nein.“
„Hör mal, dazu haben wir keine Zeit und du bist zu alt dafür.“
Der Myff-Polizist runzelte die Stirn. „Du doch auch.“
„Mein inneres Kind ist nie zu alt, nur zu albern. Und jetzt rück die Rübe raus, dafür bist du doch hier.“
Eine Minute vor Zwölf. Es ploffte zweimal, dann war der Mod-Gott zurück, um die Gänse zu retten. Wie in Zeitlupe warf er einen Sack rote Bete auf den Stapel mit anderen Lebensmitteln. Innerhalb von Sekunden kamen Gänse aus allen Ecken Myffloniens angerannt und fraßen das bereitliegende Mahl. Schon bald erlangten sie ihre bunten Federn zurück und watschelten zufrieden in Richtung ihres Teiches. Dort würden sie sich rabiat aber konsequent Platz verschaffen und auf lange Sicht das natürliche Gleichgewicht wieder herstellen.
„Ente gut, alles gut“, bemerkte Bluey.
„Ente eben nicht gut. Wir haben immer noch zu viele Flatterviecher.“
„Dann siedeln wir sie halt um... und nein, nicht in deinen Magen. Zumindest nicht, solange es jemand mitbekommt.“
Damit konnte Hades durchaus leben. „Apropos mitbekommen: Wenn du jemandem verrätst, dass ich geholfen hab, die Gänse zu retten... Denk an meinen schlechten Ruf.“
Bluey grinste. Natürlich musste niemand erfahren, dass der Chef eigentlich ein riesengroßer Softie war. „Keine Sorge, ich halte dicht. Das würde mir doch ohnehin niemand glauben.“
„Weiß ich doch, alte Freundin.“
„Hey, ich bin nicht alt. Zumindest im Vergleich mit dir!“ Das Pony lächelte. „Was meinst du, gehen wir auf einen verspäteten Geburtstagskakao zu mir?“
„Aber nur, wenn du die Partyhütchen im Schrank lässt.“
„Natürlich, Chef. Versprochen.“ Von Konfetti, Haarreifen und Tröten hatte er allerdings nichts gesagt...