Der Trank erlaubte einen tiefen, traumlosen Schlaf, erlaubte damit so etwas wie Erholung für sie. Dennoch blieb ein seltsam hohles Gefühl in ihrer Brust, als sie am nächsten Tag erwachte. Vielleicht waren da doch Träume gewesen, selbst wenn sie sich nicht erinnerte. Sie wollte nicht darüber nachdenken – sie konnte nicht. Noch nicht. Sie würde später Zeit dafür haben.
Als sie erwachte fand sie die weiße Katze Weiwens neben sich auf der Matratze liegen. Dabei konnte sie nicht genau sagen, ob das Tier sie einfach mochte, oder vielleicht dieses Zimmer eigentlich als sein Revier ansah und es daher gegen die fremde Person verteidigen musste. Als Pakhet sich jedoch aufrichtete, rieb die Katze ihren Kopf an ihr. Das war ein Zeichen, dass diese Tiere einen mochten, oder?
Vorsichtig strich Pakhet durch das weiche Fell, ehe sie sich aufrichtete. Wenigstens hatte sie niemand im Schlaf angegriffen – selbst die Katze nicht. Es schien hier wirklich sicher zu sein. Gut.
Das hieß, sie könnte sich dem nächsten Teil ihres Plans widmen, selbst wenn sie dafür noch eine andere Frage würde klären müssen.
Sie streckte sich, stand auf, machte ihre üblichen Dehnübungen und nahm dann ihre Kleidung vom Fußende der Luftmatratze, um sich im Badezimmer umzuziehen. Wie immer hatte sie in Shorts und einem Tanktop geschlafen.
Sie hatte einen Plan für den Tag: Sie würde sich auf die Suche nach Li machen, ihm folgen und sich dann einen Plan überlegen, wie sie ihn erledigen konnte. Doch dafür musste sie mehr wissen. Sie würde die Planung dieses Mal niemand anderen anvertrauen. Nicht Michael. Nicht jemanden wie Tenzien. Das war eins der Probleme beim letzten Versuch gewesen. Sie hatte sich darauf verlassen, dass Michaels Informationen verlässlich und vollständig waren. Es war eine dämliche Idee gewesen Li dort anzugreifen. Davon abgesehen, dass sie nicht gewusst hatte, dass er Magier war, wäre es an einem Ort ohne mehrere Sicherheitsleute verdammt noch einmal einfacher.
Und hey, irgendwo musste Li leben. Er hatte eine Familie, hatte er gesagt. Eine erwachsene Tochter. Er war wahrscheinlich nicht arm. Da würde er nicht irgendwo direkt umgeben von seinen Leuten leben, oder?
Ach, sie wusste es nicht. Bei diesen Mafia-Leuten konnte man nie wissen. Es gab welche, die folterten Leute vor ihren Kindern. Jedenfalls hatte sie solche Geschichten gehört. Und dann wurden die Kinder zu Leuten, die andere vor ihren Kindern ermordeten. Und so weiter …
Pakhet massierte sich die rechte Schläfe und schloss die Augen. Sie durfte nicht so viel darüber nachdenken. Ihr saß der Horror noch immer in den Knochen und es würde so bleiben. Wichtig war nur, dass sie ihren Job erledigte. Dass sie das ganze beendete. Das würde ihr wenigstens etwas Ruhe geben, etwas Frieden.
Angezogen erlaubte sie es sich in die Küche zu lugen, wo die Katze bereits an ihrem Futternapf saß, aber auch Weiwen mit einer Zeitschrift zu finden war.
Die junge Frau sah auf. „Ah, guten Morgen. Hast du gut schlafen können?“
Pakhet nickte und ging zu ihr hinüber. „Ja. Danke. Für den Zauber, meine ich.“
Ein mattes Lächeln zeigte sich auf Weiwens Gesicht. „Gerne.“ Natürlich tat sie es gern, solange man sie dafür bezahlte. „Hast du Hunger? Willst du Frühstück?“
„Hast du Kaffee?“
„Ja. Sogar eine Kaffeemaschine.“ Weiwen schien darauf unnatürlich stolz, doch Pakhet würde sich darüber nicht beschweren. Kaffee machte viele Dinge in ihrem Leben besser, erträglicher.
„Also. Frühstück?“, fragte Weiwen.
Pakhet lächelte matt. „Ja. Sicher. Danke.“
Knapp eine Stunde fuhr Weiwen mit ihr bei einem Leihwagenhändler vor. Zugegebenermaßen mochte Pakhet diese Idee noch immer nicht ganz, da auch solche Wagenverleihe öfter einmal zur Geldwäsche genutzt wurden. Doch Weiwen sagte, dieser wäre nicht mit den Triaden in Verbindung und was blieb Pakhet übrig, als ihr zu vertrauen?
Sie trug ihre simple Prothese und einen Glamour, in der Hoffnung, dass dieser sie vor Diskussionen mit dem Verleih bewahrte. Sie hatte immer einmal wieder Probleme damit gehabt. Menschen, die nicht glaubten, dass sie so fahren konnte.
Zugegebenermaßen tat sie sich noch immer mit Motorrädern schwer. Etwas, das sie ärgerte. Gerade hier wäre ein Motorrad, das schneller, wendiger in der Stadt war, von Vorteil gewesen. Doch sie traute es sich nicht zu, blieb bei einem sehr kleinen Wagen, zahlte mit einer ihrer Kreditkarten im Voraus.
Dann verabschiedete sie sich – für den Tag – von Weiwen. So sehr sie es auch hasste zu warten, wusste sie, dass sie bestenfalls heute nur nach Li suchen konnte. Bis die Zauber, die sie in Auftrag gegeben hatte, fertig waren, war es zu riskant zuzuschlagen. Sie wollte nicht noch einmal in so einer Situation landen.
Also fuhr sie mit der Hilfe eines Navis zum Apartmentkomplex, wo diese ganze Sache vor nun mehr fünf Tagen angefangen hatte.
Diesige Wolken – oder war es Smog? – hingen am Himmel, der darüber jedoch blau zu schien. Es war gerade klar genug, um dieses Blau noch durchschimmern zu sehen.
Ihr Magen zog sich zusammen, als sie aus dem Wagen ausstieg. Sie trug eine andere Perücke, dieses Mal eine blonde, die damit eher zu ihren Augenbrauen passte. Die Haare hingen nur knapp über ihre Ohren. Dazu trug sie dieses Mal Jeans und eine Lederjacke. Damit fühlte sie sich zumindest etwas sicherer.
Wahrscheinlich war Li nicht hier.
Sie wusste nicht einmal, wo sie gefangen gehalten worden war. War es hier gewesen? Noch immer konnte sie sich nicht wirklich erinnern. Dennoch war zumindest eine Sache auch hier, an die sie sich von ihrer Flucht erinnerte: Kräne.
Sie stieg aus dem kleinen Wagen aus und sah sich nervös um. Die Straße war nicht so leer, wie bei ihrem letzten Besuch. Da hinten war eine Frau mit einem Kinderwagen. Zwei Männer standen an einer Straßenecke und redeten. Eine Gruppe Schulkinder kam ihr entgegen. Es gab keinen Grund nervös zu sein, oder?
Nervös sah sie zu den Häusern zu beiden Seiten der Straße. Die hier waren jedenfalls höher als das, von dem sie geflohen war. Die Gebäude weiter die Straße herunter konnten jedoch passen.
Verflucht. Sie brauchte eine bessere Ausblickstation. Dabei war das hier ohnehin nicht mehr als eine vage Idee. Sie wusste nicht, ob Li hier war. Ach, sie hasste es, so wenig Informationen zu haben. Natürlich hatte Michael mehr Informationen, aber ihr grauste vor dem Preis. Nein, sie würde Li selbst finden. Sie würde ihn finden, ihm folgen und dann …
Sie atmete tief durch. Konzentration. Zuerst musste sie sich konzentrieren.
Langsam, aber mit festem Schritt bewegte sie sich die Straße hinab, die Hand in der Tasche ihrer Jacke. So konnte sie eine kleine Waffe in der rechten halten und gleichzeitig ihre Prothese versteckt halten.
Zumindest hatte sie einen vagen Plan.