Der Shanghai Hongqiao Flughafen sah aus, wie so viele andere Flughäfen auch. Die Atmosphäre hatte etwas seltsam vertrautes, erinnerte nur an so viele andere Flughäfen, an denen Pakhet schon gewesen war. Sie atmete durch, als sie mit Weiwens Wagen ins Parkhaus fuhren. Ihre Gastgeberin hatte es sich nicht nehmen lassen sie – gegen eine kleine weitere Bezahlung – selbst zum Flughafen zu bringen. Es war vorrangig aufgrund ihrer noch immer anhaltenden Nervosität, dass Pakhet zugestimmt hatte.
Sie sah zu der jungen Chinesin neben sich, deren Blick offenbar nach einem freien Parkplatz suchte. Selbst wenn Weiwen geschäftstüchtig dabei gewesen war, so hatte sie ihr doch deutlich geholfen. Auch die aktuellen Verbände, die ihre Wunden bedeckten, hatte Weiwen angelegt, hatte die Wunden vorher versorgt.
Schließlich fuhr Weiwen in eine Parklücke. Sie schaltete den Motor ab und lächelte Pakhet dann an. „Ich bringe dich noch rein.“
Pakhet nickte. Sie sah nicht, warum sie sich dagegen wehren sollte. Vornehmlich war sie müde. Sie hatte letzte Nacht nicht besonders gut geschlafen. Aktuell wollte sie nichts mehr, als nach Kapstadt zurück. Sie wollte mit Robert sprechen, wollte eine der Ärztinnen in der Zentrale auf ihre Wunden schauen lassen und dann einfach vergessen.
„Du bist dir sicher, dass du nicht noch einen Heiler sehen willst?“, fragte Weiwen, während sie den Kofferraum öffnete.
Pakhet nahm ihren Koffer, schüttelte dabei den Kopf. „Nein. Es wird schon bis daheim reichen.“ Der Rückflug bereitete ihr noch immer Kopfschmerzen. Die schnellste bezahlbare Verbindung, die sie bekommen hatte, bedeutete für sie noch immer eine Reise von 27 Stunden von denen sie mehr als die Hälfte am Flughafen in Amsterdam verbringen würde. Doch was sollte sie tun? Sie konnte im Flugzeug schlafen und am Flughafen würde sie sich wohl ein Buch holen und die Zeit in einem Coffeeshop totschlagen.
Zugegebenermaßen war sie unsicher, ob es keine Probleme mit ihren Wunden geben würde. Ging sie damit zum Flughafenarzt, würde es nur dumme Fragen geben. Dennoch: Wenn sie jetzt noch Geld für einen weiteren Heiler ausgab, wäre sie weit im Minus. Also musste es gehen. Sie hatte schlimmere Wunden überlebt.
„Danke dir noch einmal für deine Hilfe“, meinte sie zu Weiwen. Selbst wenn die Frau es vornehmlich wohl für das Geld getan hatte, so war sich Pakhet nur zu deutlich dessen bewusst, dass sie ihr auch das Leben gerettet hatte. Ohne Weiwen wäre sie allgemein aufgeschmissen gewesen.
Weiwen lächelte nur und zuckte mit den Schultern. „Immer wieder gerne.“ Sie hielt inne. „Soll ich dir den Koffer noch mit reinbringen?“
Pakhet nickte. „Danke.“
„Gerne. Sag mir Bescheid, solltest du noch einmal Hilfe in Shanghai brauchen.“
„Sicher.“ Pakhet seufzte, während sie sich nach dem nächsten Übergang ins eigentliche Flughafengebäude umsah. „Du rufst mich an, wenn dein Meister sich entschieden hat …“ Irgendwie musste sie immerhin erfahren, welche Gefallen der Drache von ihr wollte.
„Ja“, antwortete Weiwen und zeigte zu einem Schild, das den Weg zur Halle der Terminals ausschilderte.
Pakhet setzte sich in Bewegung. Auch der Gedanke an die zwei großen Gefallen bereitete ihr Bauchschmerzen. Aber sie würde es überleben. Sie hatte auch das hier überlebt. Und Li war tot. Sie würde auch noch andere Dinge überleben.
Der Schlaf war auch während des Fluges nicht erholsam. Albträume mischten sich mit Erinnerungen. Da waren die Schmerzen. Die Hände, die sie berührten. Die Schnitte. Die Verbrennungen. Die Dinge, die sie in ihren Körper steckten. Die Fesseln.
Atemlos erwachte sie, nur um im nächsten Moment festzustellen, dass sie sich noch immer im Flieger befand.
Sie saß mittig im Flieger. Da sie kurzfristig und Economy gebucht hatte, war kein Fensterplatz frei gewesen. Nicht einmal am Gang hatte sie einen Platz bekommen, so dass sie nun zwischen einer Japanerin und ihrem recht jungen Sohn auf der einen und einem schwitzigen Niederländer auf der anderen Seite eingeklemmt saß.
Eigentlich hatte sie einen Film geschaut. Genau. Eine Doku im Unterhaltungssystem des Fliegers. Diese war mittlerweile durchgelaufen, der Bildschirm in den Ruhemodus gegangen.
Sie seufzte. Ihr war kalt. Gleichzeitig klebte ihre Kleidung nassgeschwitzt an ihrem Körper. Vielleicht eine Folge des Albtraums. Vielleicht entwickelte sie auch eine Entzündung aufgrund einer der Wunden.
Sie schaltete den Bildschirm an und rief die Informationen zum Flug auf. Es war gerade später Abend – Ortszeit – und sie waren irgendwo über Russland. Wirklich lange hatte sie nicht geschlafen. Bis zur Ankunft in Amsterdam waren es noch knapp drei Stunden.
Pakhet atmete tief durch und rieb sich über die verschwitzte Stirn. Vielleicht sollte sie nach ihren Wunden schauen. Sie hatte ohnehin nichts besseres zu tun.
Also stieß sie den verschwitzten Niederländer, der sie beim Start des Fluges zugelabert hatte, als er gemerkt hatte, dass sie seine Sprache verstand, vorsichtig an. Auch er war am Dösen, öffnete jedoch rasch die Augen.
„Ja?“, fragte er in Niederländisch.
„Ich müsste aufs Klo“, flüsterte sie und kramte in ihrem Bordgepäck nach ihrer Toilettasche, in dem sie Verbandszeug hatte.
„Oh, natürlich.“ Er schnallte sich ab und stand auf, damit sie in den abgedunkelten Gang konnte.
Als sie erst einmal stand, atmete sie etwas befreiter. Die Wunde an ihrer Seite schmerzte deutlich. Dennoch war es gut, nicht in den Sitz gequetscht zu sein.
Der Flug war ruhig. Es gab keine Turbolenzen. Und allgemein war es ruhig in der Kabine. Viele versuchten etwas zu schlafen.
Vorsichtig ging Pakhet den Gang entlang nach hinten, wo sich die Toiletten befanden. Hier hinten standen zwei der Stewardessen bei der kleinen Küche und unterhielten sich. Beide lächelten auf die übliche professionelle Art, als sie Pakhet sahen, wirkten jedoch erleichtert, als diese in einer der Toiletten verschwand.
In der kleinen Kabine ließ sich Pakhet auf die geschlossene Toilette fallen. Sie tastete nach der Wunde an ihrem Hinterkopf. Bei dieser hatte Weiwen mit etwas Magie nachhelfen müssen, da sie eigentlich hätte genäht werden müssen. Entsprechend war sie jedoch von allen am wenigsten dramatisch.
Auch die Wunde an der Schulter schien wenig Probleme zu machen. Sie schmerzte zwar, jedoch hielt sich dieser Schmerz im Rahmen. Es war nicht das erste Mal, dass sie angeschossen worden war und alles in allem war der Schmerz aushaltbar.
Anders sah es mit ihrer Seite aus. Dort hatte sich der Schuss knapp unter der Haut durch ihre Seite gebohrt. Zwar schienen die Organe nicht verletzt und es war ein glatter Durchschuss gewesen. Dennoch musste irgendetwas darein gekommen sein. Das Fleisch um die Wunde herum war heiß und gerötet. Als sie das Pflaster anzog, war deutlich, wie viel Flüssigkeit aus der Wunde gelaufen war. Wahrscheinlich bildete sich irgendwo Eiter.
„Scheiße“, flüsterte Pakhet.
Aber sie würde durchhalten müssen, bis sie in Südafrika ankam. Bis dahin konnte sie nur hoffen, dass Ibuprofen die Infektion halbwegs unter Kontrolle halten würde.
Sie wusch sich die Wunde aus. Es wären nur noch zwanzig Stunden.
Sie verzog das Gesicht. „Nur noch“ …