Sonnenlicht schien in das Zimmer, das nach einem einfachen Arbeitszimmer aussah. Die Wände waren weiß gestrichen. Da war ein Schreibtisch, daneben ein Regal, gefüllt mich Büchern in verschiedenen Sprachen. Die meisten jedoch chinesisch. Ob Mandarin oder Kantonesisch konnte sie nicht sagen.
Da lag ein Bademantel über dem Stuhl. War er für sie?
Pakhet sah sich um. Aktuell wünschte sie sich nichts mehr, als Kleidung.
Sie konnte sich später entschuldigen. So nahm sie erst einmal den Bademantel und zog ihn sich über. Sie atmete durch, als sie den Mantel vor dem Körper zuband. Ja. So fühlte es sich besser an.
„Hallo?“, fragte sie in die Leere hinein.
Sie kam sich mies vor, sich einfach umzuschauen. Aber ihr blieb kaum eine Wahl, da sie auch Hunger hatte.
Den Raum hatte sie durch einen großen Standspiegel betreten, der nun unscheinbar hinter ihr stand. Zu ihrer rechten – dank der Raumgröße keine zwei Meter von ihr entfernt – war eine weiße Tür. Vorsichtig ging sie dahin hinüber, fand hinter der Tür einen schmalen Gang. „Hallo?“
Eine Stimme erklang irgendwo weiter den Gang hinab: „Entschuldigen Sie.“ Die Stimme hatte erneut Dialekt, doch aktuell war Pakhet wacher, tat sich damit leichter sie zu verstehen.
Eine andere Tür wurde geöffnet. Licht drang in den Flur. Dann kam eine kleine, behäbig wirkende, jedoch junge Frau in den Flur gelaufen. „Entschuldigen Sie. Ich habe die Katze gefüttert.“
Pakhet bevorzugte es diese Aussage unkommentiert zu lassen, hob daher nur eine Augenbraue. „Ich … ich bin mir nicht ganz sicher, wo ich bin.“
„In meiner Wohnung“, erwiderte die Frau. „Entschuldigen Sie. Sie kennen mich nicht. Ich bin Weiwen. Meinen Nachnamen müssen Sie ja nicht wissen. Ich habe Sie zu Meister Hualong gebracht.“
Für einen Moment zögerte Pakhet. „Dann haben Sie mir mein Leben gerettet. Danke.“
„Ja. Ihr Kontakt hat mich angerufen. Wir sind so schnell gekommen, wie wir konnten. Dankbarerweise waren Sie nicht so weit entfernt.“
Pakhet nickte. Sie war sich nicht sicher, was sie sagen sollte. Es fühlte sich seltsam unwirklich an. Hier zu sein. Zu leben. Die Sonne draußen. „Haben Sie Kleidung für mich?“, fragte sie schließlich, um die Frau, die ihr gerade einmal bis zur Brust reichte, nicht mit offenen Mund anzustarren.
„Kleidung? Oh, natürlich. Wir haben Ihren Koffer mitgenommen“, erwiderte die Frau. „Und die anderen Dinge. Die Bezahlung haben wir uns schon genommen. Wenn das in Ordnung ist. 450 Yuan.“
Wieder nickte Pakhet bloß. „Ja, das ist in Ordnung. Sie …“ Sie unterbrach sich. „Wo ist mein Koffer?“
„Ich bringe ihn Ihnen“, antwortete die Frau. Ohne auf eine Erwiderung zu warten, wandte sie sich ab und verschwand in einem weiteren Zimmer.
Es waren einige Laute zu hören, als sie offenbar nach den richtigen Dingen suchte. Die vorher erwähnte Katze nutzte die Zeit, um ihrem vorherigen Raum zu fliehen. Sie kam den Gang hinaufgelaufen, huschte an Pakhets Beinen vorbei und hockte sich in den Raum.
Von dort aus beobachtete sie Pakhet und ließ ein vorwurfsvolles Mauzen von sich hören.
Pakhet starrte das Tier nur an. Sie wusste nicht wirklich, wie sie damit umgehen sollte.
Die Katze war recht groß, vornehmlich weiß, jedoch mit einem länglichen grauen Flecken am Rücken, sowie grauen Spitzen an den Ohren. Die Augen waren gelblich und selbst dann noch auf sie gerichtet, als die Katze anfing ihre Pfoten zu lecken.
„Mei“, meinte Weiwen vorwurfsvoll, als sie mit dem Schiebekoffer den Gang hinaufkam. Sie stellte sich hinter Pakhet in die Tür und schaute die Katze strafend an.
Die Katze störte sich daran jedoch nicht.
Dann drückte Weiwen Pakhet den Koffer in die Hand. „Hier. Da sollten die meisten Dinge drin sein. Die Waffen und dergleichen haben wir in eine Tüte gepackt. Auch die unter dem Bett.“ Sie strahlte Pakhet an.
Ein wenig gruselig kam die Frau Pakhet vor. In den weiten, gemütlichen Dingen sah sie nicht wie jemand aus, der in magischen oder illegalen Dingen involviert war. Doch wahrscheinlich war es nur ein Vorurteil. Dennoch ließ die weite Strickjacke, die die Frau trug, sie ein wenig wirken, als sei sie auf halben Weg zur seltsamen Katzendame.
Natürlich behielt sie diese Gedanken für sich. „Danke“, sagte Pakhet daher nur. „Ich werde mich dann anziehen.“
„Machen Sie das“, erwiderte Weiwen. „Soll ich Ihnen noch etwas zu essen bringen?“
Pakhet nickte. „Das wäre sehr nett. Danke.“
Die Frau lächelte breit. „Kein Ding.“ Dann wandte sie sich wieder der Katze zu. „Kommst du, Mei?“
Als wüsste sie ganz genau, was ihr Frauchen wollte, wandte die Katze ihr den Rücken zu und begann sich ausgiebig zwischen den Hinterbeinen zu lecken.
„Also mich stört die Katze nicht, solange es eine normale Katze ist“, meinte Pakhet.
„Ist eine sehr normale Katze“, bestätigte Weiwen.
Pakhet nickte. „Dann ist es alles okay.“ Sie wollte sich einfach nur anziehen.
„Sehr gut. Ich schaue mal, dass ich Essen besorgen kann“, meinte Weiwen und wandte sich ab.
Pakhet atmete auf und schloss die Tür, ehe sie sich dem Koffer zuwandte. Ihr war nicht ganz wohl dabei, dass die Frau und wer auch immer sie vorher begleitet hatte, die Sachen durchschaut hatten. Aber es war wohl das geringste ihrer Probleme der letzten Tage.
Sie öffnete das Schloss des Koffers, dann den Reißverschluss. Vorsichtig klappte sie den Koffer auf und zögerte. Sie atmete durch. Es war alles so surreal. Sie hatte das überlebt. Aber es fühlte sich nicht richtig an. Nein, das war es nicht. Es fühlte sich gut an, zu leben, keine Schmerzen mehr zu haben. Nur schien ihr Gehirn Probleme damit zu haben, die magische Heilung zu verarbeiten. Nicht, während es noch versuchte das Trauma der vergangenen Tage zu überwinden.
Langsam ließ sie sich auf den Boden sinken, lehnte den Rücken vorsichtig an das Bücherregal.
Das Atmen fiel ihr seltsam schwer, als ihre Gedanken zu den Ereignissen in diesem Zimmer wanderten. Verflucht. Sie hatten sie gefoltert. Sie hatten sie vergewaltigt. Sie hatte immer gewusst, dass so etwas passieren konnte, dass es zum Job dazu gehören konnte. Vor allem als Frau.
Aber sie hatte es nicht gewollt. Sie hatte Angst gehabt. Solche Angst. So viel Angst, die sie nicht hatte zeigen dürfen.
So viel Angst.
Nein. Sie durfte ihre Gedanken nicht dieses Loch hinablaufen lassen. Sie musste sich anziehen. Und dann … ja, dann was?