„Darf ich Ihnen einen Drink anbieten?“, meinte eine der knapp bekleideten Frauen in sehr brüchigem Englisch.
Pakhet nickte abwesend. „Ja, sicher.“
Ihre größte Sorge war, dass jemand den Arm bemerkte. Ihre Prothese war ein unbewegliches Ding mit nur einer Beuge am Arm. Zwar hatte Michael ihr einen teuren Glamour-Zauber bezahlt, doch war sie nicht sicher, dass es reichte. Sie hätte ihre normale Prothese bevorzugt, doch sah die nun einmal aus wie eine Prothese und erweckte nicht einmal den Eindruck, eines normalen Arms. Dagegen sah dieser Arm zumindest auf den ersten Blick echt aus – wenngleich er mehr an den Arm einer Schaufensterpuppe erinnerte. Er war eine bessere Grundlage für einen Zauber, als die Alternative. Für den Kampf war letzten Endes beides kaum zu gebrauchen.
Ihr wurde ein Glas in die Hand gedrückt. Sie dankte. Dann ließ sie sich von Tenzien zu einem der Tische ziehen.
Unauffällig bleiben, das war die oberste Priorität. Einer der seltsamsten Nebeneffekte ihres Jobs war, dass sie praktisch jedes weit verbreitete Glücksspiel auf dieser Welt gelernt hatte. Zu viele Jobs der letzten zweieinhalb Jahre hatten sie in Casinos gebracht. Es war eine gute Methode, Informationen zu bekommen.
Also ein Spiel Mahjongg. Einsätze wurden bar auf den Tisch gelegt. Sie verlor. Doch das war egal. Es war letzten Endes nicht ihr Geld.
Ein zweites Spiel Mahjongg, während sie ihre Umgebung aufmerksam musterte. Da kam eine junge Frau aus einem der benachbarten Zimmer. Sie war klein, zierlich, trug ein schönes Abendkleid. Auch Sicherheit?
Jemand bot Pakhet eine gerollte Zigarette an, die wahrscheinlich mehr als Tabak beinhaltete. Sie lehnte freundlich ab.
Wo war Huang Li? Wenn er nicht kam, tat sie sich die ganze Sache umsonst an! Vielleicht hätte sie ihn doch auf seinem Weg vom Haus abpassen sollen. Vor allem war der Raum hier klein. Es würde schwerer sein, ihren Plan unauffällig auszuführen. Selbst wenn es einige Minuten brauchen würde, ehe das Gift wirkte.
Nur nicht nervös werden. Sie musste ruhig bleiben. Selbst wenn es alles nicht so lief, wie sie eigentlich geplant hatte.
Dennoch schnitt sie bei diesem Spiel nicht so schlecht ab. Wenigstens etwas.
Selbst wenn es egal war.
Nette Worte wurden ausgetauscht. Jedenfalls ging sie davon aus. Die Hälfte verstand sie nicht. Egal. Es war alles egal.
Sollten die meisten Menschen hier nicht Englisch können? Nun, auch das war egal. Wahrscheinlich war es wie in Japan. Da sprach man auch kein Englisch, wenn es nicht unbedingt sein musste.
Ein drittes Spiel wurde gespielt, während nun doch einiger Rauch das Zimmer füllte. Zumindest Cannabis war deutlich zu riechen – wenngleich es harmloser war, als was sie vermutet hatte.
Bald war sie schon eine Stunde hier. Was sollte sie tun?
Nach dem dritten Spiel stand sie auf und entschuldigte sich mit der Frage nach der Toilette. Sie musste nicht wirklich, wollte sich jedoch einen Moment der Ruhe gönnen. Deshalb blieb sie für einige Minuten auf der Schüssel sitzen, atmete einige Male tief durch. Gerne hätte sie sich das Gesicht gewaschen, hatte jedoch wenig Lust, das Make-Up nachzuziehen. Nur weil „wasserfest“ draufstand, war es lange noch nicht wahr.
Als sie zurückkam zuckte sie beinahe zusammen, als ein chinesischer Mann um die fünfzig an dem Tisch saß, den sie eben noch verlassen hatte. Neben ihm eine deutlich jüngere Frau, die sich an seinen Arm klammerte. Er trug einen Anzug, auch wenn sein Jackett offen und seine Krawatte lose war. Jemand hatte sich vorher offenbar amüsiert. Die zurückgestriegelten Haare waren noch größtenteils schwarz. Eine dünne, kaum sichtbare Narbe zeigte sich unter seinem linken Auge. Das war fraglos Huang Li.
Na also. Dann würde ihr Job heute doch noch gelingen. Jetzt musste sie nur noch eine passende Situation schaffen.
Wieder stolzierte sie zum Tisch hinüber, setzte sich neben Tenzien, der ihr zunickte.
Huang schenkte ihr einen langen Blick.
Kein Wunder. Er kannte sie nicht. Wenn er eine hohe Position bei einer Triade hatte, würde er gelernt haben, misstrauisch zu sein.
Tenzien jedoch lächelte weiter, sagte einige Worte auf Mandarin. Offenbar stellte er sie vor.
Pakhet beließ ihre Beteiligung bei einem zurückhaltenden Lächeln, senkte den Blick und musterte die Steine auf dem Brett. Gut, er war hier. Wie ging sie nun vor?
Zu ihrer Überraschung erhob Li die Stimme: „Sie sind aus Amerika?“, fragte er in gebrochenem Englisch.
Pakhet hob den Blick, wieder um ihr Lächeln bemüht. „Ja.“
„Woher?“
„Tampa, Florida“, erwiderte sie. Es war eine Lüge, doch zu viele Spuren auf ihre alte Existenz würde man ohnehin nicht mehr finden. Sie fühlte sich sicher.
„Ist das in der Nähe der Disney Parks?“
„Tatsächlich, ja.“
„Ah. Verstehe. Meine Tochter wollte früher immer dahin.“ Er schenkte ihr ein gewinnendes, aber doch berechnendes Lächeln.
Er hatte eine Tochter? Sie dachte besser nicht darüber nach. „Und Sie waren nie?“
„Nein. Zu viele Verpflichtungen hier“, erwiderte er und hob ein Glas, das offenbar mit Schnaps irgendeiner Art gefüllt war.
„Zu schade“, erwiderte Pakhet.
Das Spiel ging weiter. Sie erlaubte sich noch ein wenig weiter nachzuhaken, wohl wissend, dass sie es nicht sollte. „Wie alt ist ihre Tochter jetzt?“
„27.“ Li legte einen Stein.
Gut. Das war beruhigend. Auch wenn sie es sich nicht anmerken lassen durfte. „Verstehe. Vielleicht schafft sie es ja einmal so dahin.“
Er lächelte. „Ja, vielleicht.“
Das Spiel ging weiter. Irgendwie musste sie es schaffen näher an ihn heran zu kommen. Doch für den Moment wäre ein Versuch zu auffällig. Dabei hatte sie noch Zeit. Die Nacht war noch relativ jung. Es war nur eine Frage der Zeit. Genau. Sie durfte nicht nervös werden. Denn wenn sie einmal nervös war, machte sie Fehler. Fehler, die sie sich nicht erlauben konnte.
Die Männer fingen wieder an in ihrer Muttersprache miteinander zu sprechen, zu scherzen. Li war dabei das Spiel zu gewinnen.
Pakhet seufzte leise, streckte sich. Konnte sie es sich erlauben noch einmal aufzustehen? Es war nicht ungewöhnlich, da sie gerade nicht spielte, oder?
Also erlaubte sie es sich. Sie wandte sich Tenzien zu. „Kann man den Balkon betreten?“
Sein Blick war fragend, doch er nickte. „Ja, sicher.“
„Ich gehe etwas frische Luft schnappen“, meinte sie.
Tenzien deutete ein Schulterzucken an und wandte sich wieder dem Spiel zu.