Sie atmete tief ein und aus. Wo war Weiwen? Sie konnte die Zeit genausogut nutzen, um sie zu fragen. Denn so wenig sie auch über die Frau wusste: Sie war Magierin und wusste damit wahrscheinlich, woher Pakhet bekommen konnte, was sie für ihren Plan brauchte.
Ein letztes Mal strich sie durch das Fell der schnurrenden Katze, ehe sie das Tier griff und vorsichtig aufstand. So sanft wie möglich setzte sie die Katze auf dem Boden ab und erntete dafür einen vorwurfsvollen Blick. „Es tut mir leid. Ich muss mit deinem Frauchen reden“, erklärte Pakhet, doch der Blick erweichte sich nicht.
Sie seufzte. Warum redete sie überhaupt mit einer Katze? Wahrscheinlich weil es gut war, wenigstens mit irgendjemanden zu reden.
Noch immer fühlte sich ihre Kehle kratzig an. Wahrscheinlich ein rein psychischer Effekt. Denn selbst wenn ihre Schreie ihre Kehle wund gemacht hatten, so sollte auch dieser Schaden mit der Heilung verschwunden sein.
„Weiwen?“, fragte sie vorsichtig in den Flur.
Sie war sich unsicher, was sie hier durfte. Doch letzten Endes würde die junge Frau ihr wahrscheinlich einfach Geld verlangen.
So seufzte Pakhet, trat in den Flur und räusperte sich noch einmal. „Weiwen?“
Keine Antwort. Wohin war die Frau verschwunden? Hätte sie ihr nicht sagen können, wenn sie ging?
Unschlüssig stand Pakhet im Flur, ging schließlich noch einmal in das kleine Bad. Wie für Magier typisch war der Spiegel hier klein ausgefallen, um nach Möglichkeit ungebetene Gäste fernzuhalten. Der große Spiegel, über den sie die Wohnung betreten hatte, war irgendwohin verschwunden.
Müde wusch Pakhet sich das Gesicht. Sie spürte durchaus die Müdigkeit, die trotz der Ohnmacht langsam wieder von ihrem Geist Besitz ergreifen wollte, kämpfte für den Moment jedoch dagegen an. Sie wollte noch andere Dinge tun. Wenigstens etwas.
Sie seufzte und schaute dennoch in den kleinen Spiegel, der nicht viel größer war, als ihre ausgestreckte Hand. Trotz der Heilung sah sie müde aus. Da waren Schatten unter ihren Augen, als hätte sie nicht genug geschlafen. Hatte sie nicht. Sie hatten sie nicht genug schlafen lassen.
Verflucht. Sie wollte nicht wieder in diese Gedanken fallen. Es war nichts, was sie im Kopf behalten sollte. Verdammt. Vielleicht sollte sie früher oder später einen Magier beauftragen ihre Erinnerungen zu löschen? Dann wiederum: Wollte sie echt einen Geistesmagier an ihre Erinnerungen lassen? Ja, wahrscheinlich eher nicht. Geistesmagier waren gruselig. Ihre Fähigkeiten nichts, womit man spielen sollte.
Sie würde die Erinnerungen einfach in ihrem Unterbewusstsein vergraben. Hatte im Irak auch wunderbar geklappt.
Dabei lag der Gedanke, wie ein bitterer Film in ihrem Mund.
Verdammt.
Sie lehnte sich auf den Rand des Waschbeckens, schloss die Augen und atmete tief ein und aus. Dankbarerweise blieb ihr zumindest das. Meditationstechniken. Die einzige Sache, die sie am Laufen hielt. Das einzige, was sie den Scheiß hatte überleben lassen.
Sie lebte. Das war das wichtigste.
Die Augen öffnete sie erst, als sie das Geräusch von Schlüsseln vernahm. Draußen im Flur.
Vorsichtig bewegte sie sich zur Tür. Wahrscheinlich nur ein anderer Bewohner des Apartmenthouses. Oder Weiwen.
Der Schlüssel wurde in die Tür gesteckt. Das Schluss drehte sich knackend.
Ihre verdammte Paranoia flammte in Pakhets Innern auf. Sie wollte ihre Waffe holen. Aber es war albern. Oder? Warum trug sie ihre Waffe nicht bei sich. Sie hasste es ihre Waffe nicht im Holster zu tragen. Warum musste es nur immer Aufmerksamkeit erregen?
Die Tür wurde geöffnet. Dann kam Weiwen mit einer Einkaufstasche herein.
„Ah, Miss Pakhet“, meinte sie, als sie Pakhet in der Tür stehen sah. „Entschuldigen Sie. Ich war kurz etwas einkaufen.“
Pakhet zwang sich zu einem Lächeln. „Alles in Ordnung.“ Von der Tür aus beobachtete sie, wie die Frau die Dinge zur Küche brachte und damit wohl auch die Aufmerksamkeit der Katze auf sich zog. Denn auf jeden Fall ließ auch diese sich in der Tür des Arbeitszimmers blicken.
Das Tier mauzte leise, ehe es in die Küche huschte.
Kurz hielt Pakhet inne, ging dann aber in den Flur und blieb vor der Küchentür stehen. „Sagen Sie, Weiwen, könnte ich Ihre Dienste noch weiter in Anspruch nehmen. Gegen Bezahlung natürlich.“
Die Frau pausierte kurz, die Hand auf halben Weg zum Kühlschrank. Schnell stellte sie den Joghurt in den Kühlschrank, schloss dann die Tür. „Ja, natürlich. Worum geht es denn?“ Ihr Lächeln war gewinnend, aber einstudiert. Natürlich. Pakhet kannte dieses Lächeln zu gut.
Dennoch erwiderte sie das Lächeln steif. „Vorerst zwei Dinge. Zum einen brauche ich eine Unterkunft für die nächsten Tage.“
„Fahren sie nicht in ihre Heimat zurück?“, fragte Weiwen.
„Nicht direkt. Nein.“ Pakhet bemühte sich um ein Lächeln. „Die Sache ist eben, ich muss irgendwo bleiben. Idealerweise an einem sicheren Ort.“
„Ich verstehe.“ Für einen Moment schwieg Weiwen. „Ich denke, Sie können hier bleiben. Ich bin sicher, dass man Ihnen nicht hierher gefolgt ist. Ich würde 1000 Yuan pro Tag berechnen. Zumindest sollten Sie hier vor Aufspürzaubern sicher sein.“
Pakhet nickte nur. „Die andere Sache ist … Ich brauche einige magische Ausrüstung.“
„Magische Ausrüstung?“
„Ja.“
Weiwen musterte sie misstrauisch für ein, zwei Sekunden. „Sie wollen zu der Person, die Sie so zugerichtet hatte, nicht wahr?“
Noch einmal holte Pakhet tief Luft. „Ja. Das ist mein Plan.“
„Wer war es?“
Pakhet sah sie an. Was sollte sie darauf antworten.
Nach kurzem Schweigen hakte Weiwen nach: „Triaden?“
Daraufhin nickte Pakhet. Zumindest so viel konnte sie sagen.
„Sie wissen, dass es hier gefährlich ist, sich mit diesen Leuten anzulegen?“
„Ja.“ Als ob sie nicht genug Erfahrungen mit Mafias hatte. Immerhin gehörte es zu ihrem Job mit diesen zu arbeiten. „Ich verlange nicht, dass Sie sich mir anschließen.“
„Was ich sage ist: Die Triaden hängen mit vielen Dingen zusammen. Wenn die falschen Leute uns sehen …“
„Dann ist das ein 'Nein'?“
„Es ist eine Aufforderung für eine zusätzliche Bezahlung.“
Pakhet nickte nur matt. Es war ihr alles egal, solange sie dieses Arsch töten konnte.