Letzten Endes bestand Dr. Heath doch darauf, dass sie erst einmal wartete, bis die Infusion durchgelaufen war. Pakhet wusste, dass sie recht hatte, aber dennoch hasste sie es zu warten. Die Frage hatte sie von allen Dingen am meisten beschäftigt, seit sie daraus war. Sie wusste, dass die Verletzungen, die Li und seine Leute ihr zugefügt hatten, wahrscheinlich zumindest ihren Uterus, wenn nicht auch die Eierstöcke verletzt hatten. Die Blutung war aus ihrer Scheide gekommen. Eigentlich redete sie über diese Dinge nicht, doch was sollte sie tun? Sie brauchte ärztliche Hilfe. Sie brauchte eine ärztliche Bestätigung, dass es wirklich alles geheilt war. Denn letzten Endes wollte sie irgendwann ein Kind. Sie wollte zumindest die Option behalten.
Dr. Heath holte schließlich das Ultraschallgerät. Sie seufzte dennoch. „Sie wissen, dass das nicht wirklich eine richtige gynakoligische Untersuchung ersetzt, ja?“
Pakhet nickte. „Natürlich.“ Letzten Endes war Dr. Heath … ja, was eigentlich? Chirurgin? Unfallärztin? Von allem was Pakhet wusste, war sie einmal Feldärztin irgendwo gewesen. Wo wusste Pakhet nicht.
„Haben sie einen Gynäkologen hier?“, fragte Dr. Heath, während sie das Gerät startete.
Pakhet presste die Lippen zusammen. Sie hatte vermieden Ärzte außerhalb der Firma zu besuchen. „Nein.“ Die Spirale hatte ihr auch hier jemand einsetzen können. Andere Ärzte führten nur zu mehr fragen. Es war unangenehm.
„Vielleicht sollten Sie darüber nachdenken“, meinte Dr. Heath und gab etwas von dem Gel. „Ich bin nicht besonders erfahren mit diesen Dingen. „Und es wird wahrscheinlich noch ein paar mehr Untersuchungen brauchen, um genaueres zu sagen.“
Darauf nickte Pakhet nur. Wahrscheinlich hatte die Ärztin recht.
Diese verteilte das Gel mit dem Ultraschallkopf, darauf bedacht, möglichst nichts auf das frische Pflaster zu bekommen. Für eine Weile war sie ruhig, während sie den Kopf bewegte. „Nun, ich sehe jedenfalls keine offenen Wunden hier“, meinte sie. „Keine aktiven Blutungen.“ Sie drückte mehrfach auf einen Knopf an dem Gerät. „Auch keine Narben.“ Dabei schüttelte sie den Kopf. Wahrscheinlich dachte sie dasselbe wie Pakhet: Magie war seltsam. „Kann es sein, dass da noch Blutreste sind?“
Pakhet nickte. „Ja. Wahrscheinlich.“
Auch die Ärztin nickte. „Aber ansonsten sehe ich nichts Ungewöhnliches.“ Sie schenkte ihr ein zurückhaltendes Lächeln. „Ich würde Ihnen dennoch wirklich nahelegen, einmal zu einem Spezialisten zu gehen.“
„Ja“, murmelte Pakhet und seufzte. „Kennen Sie jemanden, der nicht zu viele Fragen stellt?“ Sie nickte zu ihrer fehlenden Gliedmaße und den Pflastern.
„Ja, da gibt es ein paar“, meinte Dr. Heath. „Ich kann mich mal rumhören.“
„Danke.“ Pakhet schloss wieder die Augen.
„Ich kann Ihnen nur raten, sich ein paar Tage Ruhe zu gönnen. Ich glaube, das brauchen Sie.“ Die Ärztin lächelte. „Und ich werde Ihnen ein Schlaf- und ein Beruhigungsmittel mitgeben. Und ein Antibiotikum. Ich würde Ihnen raten, alles für die nächsten Tage zu nehmen.“
„Werde ich, Frau Doktor.“ Pakhet schenkte ihr ein zurückhaltendes Lächeln.
„Gut.“ Die Ärztin schaltete das Gerät ab und machte erst den Ultraschallkopf sauber, ehe sie Pakhet einige Tücher reichte. „Soll ich Ihnen ein Taxi rufen?“
„Ich habe einen Freund, der mich abholt“, erwiderte Pakhet, während sie das Gel abwischte.
Mühsam richtete sie sich auf und schaute auf die mittlerweile leere Infusion. Sie war sich dessen bewusst, dass die Ärztin ihr zwischendurch ein anderes Mittel mit hineingegeben hatte. Sie war sich recht sicher, dass es etwas zur Beruhigung war, denn ihre Gedanken sprangen nicht mehr so viel, wie sie es vor einer halben Stunde noch getan hatten.
Dr. Heath schenkte ihr ein Lächeln und fuhr dann das Ultraschallgerät weg, während Pakhet sich aufrichtete. Sie war bis auf ihre Unterwäsche nackt. Nun griff sie nach ihrer Hose und schlüpfte hinein.
Als die Ärztin zurückkam löste sie den Tropf. Sie hatte ihr außerdem die versprochenen Medikamente mitgebracht.
„Danke“, flüsterte Pakhet und zog sich schließlich an. Die Wunde fühlte sich bereits jetzt ein wenig besser an – doch vielleicht hatte Dr. Heath ihr auch ein Schmerzmittel gegeben, während sie es nicht bemerkt hatte.
Sie seufzte und steckte die Medikamente in die Tasche ihrer Lederjacke. Robert anrufen. Zu ihm fahren. Irgendetwas schauen, um sich abzulenken. Das klang sehr gut.
Doch so leicht sollte es ihr nicht vergönnt sein. Als sie den Behandlungsraum verließ, hörte sie die Stimme, sie sie nicht hatte hören wollen. „Du bist ja wieder im Lande, Jo.“
Sie holte tief Luft. Also war der kleine König von seinem Thron herabgestiegen. „Du hast den Flug selbst gebucht. Eigentlich solltest du wissen, dass ich heute ankomme, Michael“, erwiderte sie. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals. Da war diese Wut, die in ihr brodelte. Es war seine Schuld gewesen.
Ein Grinsen umspielte seine Lippen. Es war schwer zu sagen, wie alt Michael eigentlich war. Pakhet schätzte ihn um die vierzig. Da waren einige Falten in seinem Gesicht und seine Haut wirkte gegerbt. Er war Europäer, was man sowohl seinem Dialekt anhörte, als auch seiner blassen Haut und dem lichten hellen Haar ansah. Wie so oft trug er ein einfaches Hemd. Obwohl er der vermeintliche Geschäftsführer der „Firma“ war, bemühte er sich selten um einen richtigen Anzug.
„Ich habe gehört, dass du den Job am Ende nicht einmal richtig zu Ende gebracht hast“, meinte er. Ein Grinsen umspielte seine Lippen.
„Ich hatte keine andere Wahl, als Li zu erschießen“, erwiderte Pakeht. „Insofern. Nein. Nicht ganz. Aber er ist tot.“
„Und etwas sagt mir, dass es am Ende nur Rache war.“ Michael schüttelte den Kopf. „Wie unprofessionell.“
Was hätte sie dafür getan, ihn zu schlagen? Doch es brachte sie nicht weiter. Es würde sie nur wieder in so eine Situation bringen. „Du hast mir die Informationen absichtlich unterschlagen“, erwiderte sie. „Dass er ein Magier ist.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, was du meinst.“
„Natürlich nicht.“ Sie wandte sich ab und marschierte zur Tür, sich dessen nur zu sehr bewusst, dass er ihr folgte.
„Sieh es so, Joanne. Du hast überlebt. Gratulation. Hast du deine Lektion gelernt?“
Ihre Hand zitterte. Es wäre leicht ihn umzubringen. Anders als Li hatte Michael wenig Training. Er war praktisch hilflos. Doch da war auch sein Totmannschalter, den er fraglos hatte. Nicht nur, dass so die Army erfahren würde, dass sie noch lebte – es würde ihr auch noch ganz andere Feinde machen. „Ich dachte, wir hatten eine Abmachung. Keine Aufträge mit Kindern“, erwiderte sie leise, bemüht ihre Stimme unter Kontrolle zu halten.
„Manche Dinge lassen sich nicht verhindern“, erwiderte er und zuckte mit den Schultern. „Ist ein wenig Professionalität zu viel verlangt?“
„Ich töte keine Kinder. Es ist die eine Sache, die ich nicht bereit bin zu tun.“ Nun auf dem Flur drehte sie sich zu ihm um und sah ihn an. „Du hast es versprochen, Michael.“
Er musterte sie. Noch immer umspielte die Spur eines Grinsens seine Lippen. Dann aber seufzte er auf übertrieben dramatische Art. „Schau, Pakhet, der Auftrag war wichtig. Und du bist eine meiner besten Kämpferinnen. Du bist effektiv.“
Jetzt versuchte er sich einzuschleimen. Selbst wenn er Recht hatte. Immerhin hatte sie weit mehr Training als so viele andere, die hier arbeiteten. „Ich weiß“, erwiderte sie daher. „Aber ich habe von Anfang an gesagt, dass ich es nicht mache. Wenn du das nicht respektierst …“
„Dann was?“ Er lächelte. „Du kannst nirgendwo anders hin.“
Sie atmete tief durch. „Wenn ich so effektiv bin, ist es dir das wirklich wert?“ Das Spiel konnten auch zwei spielen. „Hätte Li mich getötet, dann hättest du mich verloren. Und dann? So leicht bin ich nicht zu ersetzen, oder?“
Sein Lächeln wurde wieder breiter. Es war offensichtlich, dass er sich bemühte nicht zu lachen. Dennoch schenkte er ihr ein anerkennendes Lächeln. „Nun, du hast überlebt. Ich gratuliere. Und ich hoffe, dass wir es nicht wiederholen müssen.“
Er war so ein Arschloch …
„Ich auch“, erwiderte sie durch zusammengepresste Zähne.
„Dann sind wir uns ja einig.“
„Offenbar.“ Er hatte verdammt noch mal versucht, sie umzubringen. Er hatte gewollt, dass sie stirbt. Und sie konnte nicht von hier weg.
Sie wandte sich ab und eilte den Flur hinab. Sie wollte einfach nur hier weg. Weg von ihm.
„Joanne?“, rief er ihr hinterher, folgte ihr aber nicht.
Dennoch hielt sie inne.
„Ich hätte ja nicht gedacht, dich einmal Weinen zu sehen.“
Ihr Magen zog sich krampfhaft zusammen. Beinahe hätte sie sich übergeben. Sie kämpfte dagegen an, schluckte. Sie erwiderte nichts, sondern ging weiter. Sie verstand nur zu gut, was er sagen wollte. Er hatte das Video gesehen. Woher er es auch immer hatte. Wahrscheinlich hatte er es noch immer. Noch mehr, um sie unter Druck zu setzen.
Arschloch.
Und sie konnte nichts tun. Er hatte die Kontrolle über sie.