Pakhet holte tief Luft. „Bitch“, hauchte sie dann.
Das Wort hatte die erhoffte Wirkung. Wut funkelte in den Augen der Frau aus. „Wie lange willst du dich noch wehren?“
Pakhet antwortete nicht, fixierte sie nur mit ihrem Blick.
„Du …“ Sie fluchte auf Chinesisch, ehe sie das Gerät in ihrer Hand wieder anschaltete. Nur kurz traf es auf Pakhets Haut, ehe sie es wegzog, nur um eine Sekunde später wieder zuzustoßen. Dann wieder. Erst beim vierten Kontakt ließ sie es länger liegen.
Das Zittern lief durch Pakhets Körper, ließ sie keuchen. Die Muskulatur in ihrem Körper verkrampfte sich, ließ sie unkontrolliert zittern. Es gab nichts was sie dagegen tun konnte, doch spielte sie dieses Mal mit. Mit all ihrer Macht brachte sie sich dazu einen übertrieben langezogenes Keuchen hören zu lassen. Mit all ihrer Macht klammerte sie sich an ihr Bewusstsein. Sie musste genug behalten, als dass sie überzeugend spielen konnte.
Trotz der Schmerzen, trotz des Zitterns versuchte sie irgendwie bei sich zu bleiben, bis die Frau endlich den Taser sinken ließ.
Ruhe. Pakhet brauchte Ruhe. Sie ließ die Augen geschlossen, versuchte sich zu kontrollieren. Es war schwer. Der Schmerz bohrte sich von zu vielen Stellen wie ein glühender Nagel in ihren Geist. Aber es war die einzige Chance. Die einzige Chance. Denn wenn sie starb, würden sie irgendetwas machen, oder?
Also atmete sie hörbar ein. Krächzend. Keuchend. Röchelnd. Sie bemühte sich so viel Sauerstoff wie möglich zu speichern, ehe sie ebenso übertrieben ausatmete. Sie hatte diesen Atemzug oft genug gehört. Den letzten Atemzug, den ein Mensch nahm. Das seltsame letzte Entweichen der Luft.
Sie sammelte ihre Energie, konzentrierte sie nur auf zwei Dinge: Darauf irgendwie ohne die Luft bei Bewusstsein zu bleiben. Darauf ihren Herzschlag so weit möglich langsamer werden zu lassen. Das hatte sie nie versucht, doch es musste irgendwie funktionieren. Ihre Energie war ein warmes Kribbeln in ihrem Körper, dass sie mit ausreichend Konzentration bewegen konnte. Und jetzt bewegte sie es zu ihrem Herzen, in ihre Brust, nutzte sie, um dort zuzudrücken.
„Na, was sagst du jetzt?“, zischte die Frau.
Natürlich sagte Pakhet nichts.
„Hey“, rief die Frau.
Es war nicht überraschend, dass der Taser erneut die Haut traf. Es brauchte so viel Konzentration, so viel Willen – mehr als sie eigentlich haben sollte – nicht die Luft einzuziehen, als ihre Muskeln erneut zu zittern begannen.
Dieses Mal war der Kontakt nicht lange. Die Frau wirkte verwirrt. Pakhet konnte ihre Schritte hören. Sie stolperte zurück.
„Hey“, rief die Frau noch einmal aus. Mit der freien Hand versetzte sie ihr eine Ohrfeige.
Ein Rascheln. Der Mann stand auf. Er kam zu ihr hinüber, sagte etwas auf Mandarin. Sorge klang aus seiner Stimme heraus.
Die Frau protestierte. Ihre Schritte waren weiter unsicher, als sie rückwärts stolperte.
Jetzt war der Mann bei ihnen. Er hielt eine Hand vor Pakhets Mund, wollte ihren Atem spüren. Nach einigen Sekunden tastete er nach ihrem Hals, ihren Puls. Er wartete – wartete so endlos lange. Dann wandte er sich wieder der Frau an.
Pakhet erlaubte sich einen knappen, flachen Atemzug, der hoffentlich unbemerkt blieb.
Der Mann klang ängstlich, beinahe panisch, als er mit der Frau sprach.
Sie wiederum fluchte.
Pakhet hörte das Wort Gweimui erneut heraus.
Wenn sie richtig lag, hatte Li angeordnet, dass sie am Leben bleiben musste. Er hatte sie wahrscheinlich selbst töten wollen.
Die beiden diskutierten.
Dann wandte sich die Frau ihr zu, tastete selbst nach Pakhets Puls. Ihre Hand war angespannt. Ja, sie war wirklich panisch. Panisch und wütend.
Eine weitere kurze Diskussion, dann wurde etwas von dem Tisch genommen.
Innerlich flehte Pakhet, dass sie das taten, was sie hoffte. Mit der Panik hatte sie nicht gerechnet, doch es gab ihr vielleicht einen Vorteil. Wer panisch war, machte eher Fehler.
Tatsächlich. Jetzt lief die Frau zur Wand, machte das andere Ende des Seils los, das Pakhet aufrecht hielt. Sie würden sie losmachen, wahrscheinlich in einem Versuch sie wiederzubeleben. Gut. Ausgezeichnet.
Ein kurzer, weiterer Atemzug, gerade genug, um etwas Sauerstoff aufzufüllen. Tatsächlich war der Mann recht vorsichtig, als er sie zu Boden ließ. Wahrscheinlich wollte er verhindern, dass sie ihr das Genick brachen und damit Wiederbelebung ziemlich unmöglich machten.
Die Frau war auch da, befreite die Beine von den Fesseln am Boden. Gut. Das lief besser, als gedacht.
Ha. Offenbar hatte einer von beiden zumindest formale erste Hilfe gelernt. Es war nahezu lächerlich, dass sie es offenbar wirklich versuchten. Jedenfalls zog die Frau einen Stuhl hinüber, versuchte Pakhets Beine draufzulegen.
Jetzt war der Mann da. Es folgte wieder eine Diskussion. Offenbar waren sie einander nicht einig. Lis Titel fiel. Ob die beiden wohl Angst hatten in derselben Situation zu enden? Von der Decke baumelnd?
Letzten Endes gab der Mann trotzig klingende Worte von sich, schnitt das Seil an Pakhets Hals, dann die an ihrer Brust durch. Es lockerte ihren Arm ein wenig. Genug?
Noch einmal fühlte er ihren Puls, fluchte wieder.
Pakhet bewegte vorsichtig ihre Hand. Ja, etwas Bewegung war da. Ihre Hand fühlte sich so taub an. Aber zumindest hatte er sie nicht gebrochen. Offenbar hatten sie sie nicht wieder bekämpfen wollen, hatten die Fesseln daher die ganze Zeit nicht gelöst.
Jetzt legte der Mann die Hände über ihre Brust, drückte zu. Großartig. Dabei waren ihre Rippen mindestens angebrochen. Doch zumindest gab es damit einen Grund für ihn sie weiter loszumachen. Denn der Arm hinter ihrem Rücken reichte, als dass ihr Körper sich mit seinen Bewegungen bewegte.
Er hielt inne. Wahrscheinlich griff er nach dem Messer.
Die Frau sagte etwas. Ihre Stimme war warnend. Gut. Ja. Er würde sie losmachen. Er würde ihre Fesseln lösen. Worauf wartete er noch?
Den Geräuschen nach rangelten die Beiden ein wenig, doch letzten Endes wurde die Stimme des Mannes lauter und er riss sich los. Er durchschnitt das Seil an Pakhets Oberarm. Alle drei Schichten, um ihren Arm neben den Körper zu ziehen.
Gut.
Sie lenkte die Energie um, leitete sie in den Arm. Nach der Zeit so gefesselt war es schwer, die Muskeln zu kontrollieren, doch jetzt mussten sie ihr gehorchen. Nur kurz, doch sie brauchte volle Kontrolle. Und so leitete sie die Energie in ihre Muskeln, in ihre Sehnen, in ihre Nerven, hatte so etwas wie Gefühl in dem Arm. Schmerzen, ja, aber sie konnte sich beherrschen.
Tief zog sie die Luft ein, ehe sie die Augen öffnete. Da. Er hatte das Messer in seiner Hand. Gut. Ausgezeichnet. Bevor sie bemerkt hatten, dass die vermeintliche Leiche weniger tot war, zog sie die Beine an, griff nach seinem Handgelenk und trat gegen seinen Unterarm.
Ein unschönes Knacken erklang, dann hielt sie das Messer in der Hand.