„Was machen wir nun?“, fragte Michael. Eine gewisse Aggression lag in seiner Stimme. Eine Herausforderung.
Pakhet biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte ihn verfluchen. Wollte ihn anschreien. Im Moment brachte es sie aber nicht weiter. „Ich …“
Als hätte er drauf gewartet, dass sie sprach, unterbrach Michael sie: „Du kommst besser zurück.“
„Nein. Ich werde nicht zurückkommen.“ Die Wut brannte in ihrem Magen. Die Wut auf Michael, auf Li, auf die gesamte verfickte Situation.
„Was willst du denn machen, Mädchen?“, fragte Michael mit Spott in der Stimme.
„Ich werde Li töten“, erwiderte sie.
„Und wie hast du das vor? Du bist ihm entkommen. Er wird mit einem Angriff rechnen.“
„Na und? Ich bin ihm entkommen. Dann kann ich ihn auch töten.“ Sie würde nicht von hier gehen, bevor sie dieses Arschloch getötet hatte. Das war sie ihm verdammt noch einmal schuldig.
„Meine Liebe“, meinte Michael, „du willst Rache.“
„Und was ist das für ein Problem? Meine Rache kommt wunderbar mit meinem Auftrag überein.“
„Dann hast du vor, dich noch einmal von ihm überwältigen zu lassen? Immerhin ist er dir ja eindeutig im Nahkampf überlegen.“
Pakhet atmete gleich zwei Mal tief ein und aus, um ihre Wut herunterzuschlucken. Sie würde Michael nicht anschreien. Sie würde ihm diese Genugtuung nicht geben. Er kontrollierte sie nicht. „Ich habe einen Plan.“ Nur eine halbe Lüge. Sie hatte den Anfang eines Plans.
„Was für einen Plan denn?“
„Einen Plan, der es erfordert, dass ich neues Gift bekomme“, erwiderte sie nüchtern. „Also brauche ich einen Zulieferer. Jemanden, dem ich vertrauen kann.“ Sie war sich beinahe sicher, dass Tenzien es war, der sie verraten hatte.
„Und dann, was?“
Sie schnaubte. „Willst du dir das wirklich so genau anhören? Ich habe nicht wirklich Lust, es ausführlich niederzulegen, nur um am Ende in eine Falle zu laufen.“
„Traust du mir etwa nicht?“
„Ich traue niemanden. Wie es in diesem Job notwendig ist, oder?“
„Wohl wahr.“ Ein Schmunzeln klang aus seiner Stimme. „Nun gut, Jo. Ich werde sehen, ob ich etwas erreichen kann. Weil du es bist.“
Sie erwiderte nicht sofort etwas, starrte stattdessen aus dem Fenster. „Wann glaubst du, dass du etwas weißt?“
„Gib mir zwei Stunden“, antwortete Michael.
„Okay.“ Leise atmete sie aus. „Zwei Stunden.“ Damit legte sie auf. Mit Abschiedsworten rechnete auch Michael nicht.
So saß sie da, das Handy in ihrer einen Hand. Noch immer war sie in dem kleinen Zimmer, saß auf dem Bürostuhl mit einer Katze auf dem Schoß, die von all ihren Problemen nichts wusste, sich jedoch gemütlich zusammengerollt hatte. Ein seltsam beruhigendes Gefühl.
Matt legte sie das Handy auf dem Schreibtisch ab und fuhr mit der Hand langsam durch das Fell der Katze. Draußen dämmerte es. Es war schwer zu glauben, dass sie mitten in Shanghai war, sah sie doch auf ein ruhiges Tempelgelände und Bäume hinaus.
Sie wusste nicht, was sie jetzt tun sollte. Sie wusste nicht, ob sie hier übernachten konnte. Alles was sie wusste war, dass sie Li umbringen würde. Sie würde ihn töten, würde sich dieses Mal auch nicht von seiner Magie überraschen lassen.
Was sie plante, brauchte Vorbereitung. Es würde sie am Ende mehr kosten, als sie durch den Auftrag verdiente. Aber das war es ihr wert. Jetzt war es persönlich. Sie wollte ihm ins Gesicht sehen, wenn das Leben langsam seinem Körper entwich. Sie würde es genießen. Dabei tötete sie normalerweise nicht gern. Er jedoch hatte es verdient.
Ein Zittern lief durch ihren Körper, als die Erinnerung an die Schmerzen, seine Hände, seine Berührungen, die der anderen Männer in ihr hochkam. Sie hatten es genossen, sie langsam zu töten. Sie hatten es genossen, sie dabei zu vergewaltigen. Es hatte ihnen einen besonderen Kick gegeben. Sie hatten gewollt, dass sie weinte, dass sie wimmerte, dass sie um ihr Leben flehte, hatten ihr deswegen die Drogen gegeben. Das schlimmste war, dass sie es damit geschafft hatten.
Selbst jetzt war sie sich nicht sicher, ob der Drache alles geheilt hatte.
Weiwen hatte ihr zu Essen gebracht. Zu Essen. Trinken. Sie hatte ihr auch erlaubt, zu duschen. Offenbar hatte sie verstanden, dass Pakhet es für ihren Seelenfrieden brauchte.
Die junge Frau schien nett zu sein, selbst wenn es für sie wahrscheinlich nur eine gute Geschäftstaktik war. Am Ende würde Pakhet wahrscheinlich auch für diese Dienste noch zahlen dürfen.
Es war egal. Sie hatte genug auf der hohen Kante. Selbst mit dem verbockten letzten Job.
Verbockt. Ja. Jedenfalls wenn es nach Michael und dem Auftraggeber ging. Dabei hatte sie Michael von Anfang an gesagt, dass sie so etwas nie tun würde.
Ihren ersten Schock hier hatte sie nun gehabt, als sie auf der Toilette gewesen war. Ihr Urin hatte kleine Blutklümpchen beeinhaltet. Nicht untypisch, ließ eine magische Heilung doch getrocknetes Blut nicht einfach verschwinden. Doch war der Anblick im ersten Moment nicht weniger erschreckend gewesen.
Wieder zitterte sie. Das waren alles keine guten Gedanken.
Verdammt. Warum hatte sie auch alleine hierher gehen müssen?
Weil Michael es so gesagt hatte …
Wie viel davon hatte er geplant? Hatte er sie loswerden wollen? Sie war sich nicht sicher. Doch der Gedanke war mehr als nur ein wenig beunruhigend. Was, wenn er sie wirklich tot sehen wollte. Warum? Weil sie ihn hintergangen hatte – zumindest in seiner Weltsicht? Weil sie den letzten Auftrag verweigert hatte?