Irgendwie schaffte sie es.
Als das Flugzeug in Kapstadt auf der Landebahn aufsetzte, war ihr übel. Sie war sich recht sicher, dass sie Fieber hatte. Aber sie konnte noch aufstehen. Sie konnte noch laufen. Und sie war endlos froh, von Amsterdam aus Robert erreicht zu haben.
Eigentlich hatte sie vorgehabt, erst einmal nach Hause zu fahren und sich in ihrem eigenen Bett auszuruhen. Doch allem Anschein nach würde sie doch heute noch zur Zentrale müssen. Sie brauchte einen Arzt. Sie brauchte besser noch einen Heiler. Sie hasste es. Sie wusste, dass Michael dort auf sie warten würde.
Dennoch stand sie zusammen mit den anderen Passagieren auf, nahm ihre einfache Handtasche von unter dem Sitz und bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Ihr Instinkt war, leicht gebeugt zu gehen, doch es würde die Wunde an ihrer Taillie nicht entlasten. Also bemühte sie sich gerade zu gehen.
Irgendwie schleppte sie sich durch den Zoll und die Sicherheit. Sie war nur froh, dass mit dem Koffer alles geklappt hatte. Zwar waren ihre Waffen auseinandergebaut und gut versteckt, doch war zumindest Munition das ein oder andere Mal aufgefallen.
Aber sie hatte Glück gehabt.
So holte sie den kleinen Koffer vom Gepäckband ab und schleppte sich so endlich in die Haupthalle des Flughafens.
Sie sah sich um. Ihr war so unwohl …
„J … Pakhet!“ Das war Robert. Er wartete an einer der Säulen auf sie, winkte nun und kam ihr entgegen. Sein rotes Haar leuchtete aus der Menge hervor. Als er näher kam, wurde sein Gesichtsausdruck besorgt. „Joanne?“, fragte er verhalten und kam näher.
Sie hasste es, dass er sie auch noch nach zwei Jahren bei diesem Namen nannte. Doch sie sagte nichts, fiel ihm stattdessen in die Arme. Für einen Moment brauchte sie es.
Überrascht erwiderte Robert die Umarmung, tätschelte vorsichtig ihre Schulter und schien halb erleichtert, als sie sich von ihm löste. „Was ist los?“ Er musterte sie. „Du siehst nicht gut aus.“
„Verletzt“, murmelte sie. „Kannst du mich zur Zentrale bringen?“
„Du meinst …“ Er zögerte für einen Moment. „Deine Firma?“ Er sprach das letzte mit Abscheu aus. Sie wusste warum, nickte aber.
„Ja. Ich brauche einen Arzt.“
„Was ist denn los?“
„Wie gesagt“, erwiderte sie. „Verletzt. Ich glaube, es hat sich entzündet.“
Noch immer zögerte er, dann aber nickte er. „Natürlich. Gib mir den Koffer.“ Bevor sie etwas erwidern konnte, nahm er ihr das Gepäck ab. Er warf ihr einen besorgten Seitenblick zu, ging dann aber voraus.
Sein Wagen stand auf der Großen Parkfläche etwas weiter vom Flughafen fort. Es machte aber auch keinen Unterschied mehr. Irgendwie funktionierte sie ja noch. Zur Hölle, vor ein paar Tagen hatte sie trotz der Blutverluste noch funktioniert. Das hier war eine einfache Entzündung. Sie fühlte sich vielleicht elend, aber es würde sich wieder unter Kontrolle bringen lassen. Ein Heilzauber, ein wenig Antibiotikum und es wäre in ein paar Tagen ausgestanden. Im Vergleich zu dem, was sie dort überlebt hatte …
„Du siehst elend aus, Jo“, meinte Robert vorsichtig, als sie endlich in seinem roten Wagen saßen.
„Was du nicht sagst“, murmelte sie.
„Nein … Ich meine …“ Er hielt inne, startete den Wagen und schien nach Worten zu überlegen. „Irgendetwas ist passiert, oder? Etwas schlimmes?“
Pakhet sah aus dem Beifahrerfenster zu ihrer Linken. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. „Mein Auftrag ist nicht gelaufen, wie gehofft“, murmelte sie. „Es war … nicht gut.“ Sie schürzte die Lippen. „Kann ich heute Abend bei dir schlafen?“
„Sicher.“ Robert warf ihr einen besorgten Seitenblick zu, während er den Wagen vom Parkplatz herunterlenkte. Es war deutlich, dass er abwägte, ob er mehr erfragen wollte oder nicht. Am Ende entschied er sich dagegen. Er schwieg, steuerte den Wagen in Richtung des Hafens.
Auch Pakhet schwieg. Ihr war zu elend, um zu sprechen. Und sie war müde. So müde. Doch sie wagte es nicht die Augen zu schließen. Die letzten Stunden hatten ihr gezeigt, dass Schlaf keine gute Idee war. Hoffentlich konnte ihr jemand Schlafmittel geben. Und sei es nur für ein paar Tage.
Zwanzig MInuten später fuhr Robert endlich auf den Parkplatz vor der vermeintlichen Sicherheitsfirma. Er war angespannt. Er hasste es hier zu sein, wusste er doch, was es mit der Firma eigentlich auf sich hatte. Dennoch sagte er nichts. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, wie sie beide wussten. „Ich werde dir was zu Essen holen, während du drin bist, ja?“, meinte er stattdessen, als sie sich abschnallte. „Ruf mich einfach an, wenn ich dich abholen soll.“
„Danke“, antwortete sie und meinte es. Sie tauschte einen kurzen Blick mit ihrem besten und einzigem Freund, ehe sie ausstieg.
Bemüht um eine gerade Haltung, ging sie zum Gebäude hinüber. Sie wollte nicht schwach wirken. Nicht solange sie Gefahr lief, auf Michael zu treffen. Der Gedanke allein ließ ihren Magen sich zusammenziehen. Michael. Hatte er das wirklich geplant gehabt? Hatte er sie loswerden wollen?
Doch er wartete nicht am Eingang auf sie und sie würde einen Teufen tun, ihn in seinem Büro aufzusuchen. Sie hatte gut Lust ihn anzuschreien, ihn zu schlagen, irgendetwas zu tun, doch heute wäre nicht der Tag dafür. Wenn es ihr besser ging. Wenn sie wieder klar denken konnte …
Stattdessen schleppte sie sich in den nördlichen Flügel des Gebäudes, in dem sich die Krankenstation befand. Ihre Karte öffnete die notwendigen Türen und sie fand zwei Ärzte im erste Hilfe Zimmer vor. Dr. Heath und Dr. Dube. Beide saßen an ihren jeweiligen Schreibtischen, arbeiten offenbar Aktenkram auf, sahen jedoch zu ihr, als sie die Tür öffnete.
Dr. Heath hatte Pakhet bereits einige Male behandelt. Sie war eine üppigere schwarze Frau mit geflochtenem Haar. „Pakhet“, meinte sie. „Was ist passiert?“ Offenbar erkannte auch sie, dass sie verletzt war.
„Schusswunde“, murmelte Pakhet. „Hat sich entzündet, glaube ich.“
Dr. Heath nickte und kam ihr entgegen. Sie stützte sie nicht, da sie genau wusste, dass es Pakhet widerstrebte, geleitete sie stattdessen in einen anliegenden Behandlungsraum. „Wo?“, fragte sie.
„Linke Schulter. Linke Seite. Außerdem eine Platzwunde am Hinterkopf und …“ Pakhet gestikulierte zu ihrem Hals, wo sie ebenfalls die Kratzwunden von dieser seltsamen und sicher nicht menschlichen Frau mit Pflastern überklebt hatte.
Wieder nickte Dr. Heath. „Ziehen Sie bitte das Oberteil aus und legen Sie sich hin.“
Pakhet tat, wie ihr geheißen. Sie hatte aufgrund der Schulterwunde ihre Prothese nicht für den Rückflug getragen, was es schwerer machte, sich zu entkleiden. Sie war es gewohnt, hatte Übung, aber ob aufgrund des Fiebers oder der Müdigkeit waren ihre Bewegungen fahrig und unkoordiniert. Schließlich aber lag sie auf der Liege, bis auf ihren BH mit freiem Oberkörper.
Dr. Heath sammelte, was sie brauchte, aus den Schränken. Verbandszeug. Desinfektionsmittel. Eine Einmal-Pinzette. Salbe.
Pakhet erlaubte sich die Augen zu schließen. Sie war so endlos müde und fürchtete sich dennoch vor dem Schlaf. Alles schien sich zu drehen.
Die Ärztin zog die Pflaster, die die meisten der Wunden bedeckten, ab, schob dabei auch den Träger des BHs von Pakhets linker Schulter. Ihre Finger waren etwas kühl. Ihre Bewegungen routiniert. Es war beruhigend und jagte Pakhet dennoch einen Schauer über den Rücken.
Vorsichtig betastete Dr. Heath nun die Wunde an Pakhets Seite, ehe sie noch einmal aufstand und zum Schrank ging. „Ich werde die Wunde spühlen, ja? Die scheint sich wirklich entzündet zu haben. Kein Wunder. Sie werden nicht die richtigen Immunkräfte haben.“
Pakhet deutete nur ein Nicken an. Erinnerungen an die Entzündung, die ihr den linken Arm gekostet hatten, kamen aus dem Nichts in ihr hoch. Dabei war es albern. Das hier war nicht vergleichbar.
Dr. Heath arbeitete in Ruhe. Sie hatte ein Tuch unter Pakhets Seite ausgebreitet, so dass die Flüssigkeit, die sie zum Spülen verwendete, sich nicht auf dem Boden verteilte. Ihre Bewegungen waren routiniert, selbst wenn auch die Übung nicht verhindern konnte, dass es schmerzte. Die Wunde hatte sich echt entzündet. Trotzdem war Pakhet ruhig. Sie ließ sich nichts anmerken. Was ärztliche Behandlungen anging, hatte sie auch schlimmere Erfahrungen gemacht als das hier.
Nachdem sie offenbar halbwegs zufrieden war, wandte sie sich der Schulterwunde zu. Auch diese spühlte sie aus. Eigentlich war es ironisch, das sich die Wunde an der Seite entzündet hatte, statt dieser. Immerhin war die Kugel an der Schulter steckengeblieben. Eher ein Kandidat für Entzündungen.
In dieser Wunde puhlte Dr. Heath mit der Pinzette rum – wohl um sicher zu gehen, dass keine Splitter steckengeblieben waren.
Zeit verging. Pakhet war schwindelig. Sie hatte wirklich zu wenig geschlafen. Obwohl sie die Augen geschlossen hatte, blendete das OP-Licht, das die Ärztin angeschaltet hatte, sie. Schlaff legte sie den Arm über ihre Augen.
„Ist Ihnen nicht gut?“, fragte Dr. Heath.
„Nicht wirklich“, erwiderte Pakhet matt.
Die Ärztin griff nach ihrer Hand, spürte ihren Puls für einige Sekunden, wandte sich dann ab, um nach dem Blutdruckgerät zu schauen und mit diesem kurz darauf zurückzukehren. Sie schnallte es an Pakhets Arm, wartete, dass sich die Manschette aufpumpte. Als das Gerät fertig war, schaute sie Pakhet an. „Haben Sie viel Blut verloren?“
Pakhet zögerte. Ihr Blutverlust in den vergangenen zwei Tagen hatte sich im Rahmen gehalten, da sie relativ schnell Druck auf der Seitenwunde hatte. „Es geht“, erwiderte sie matt. „Es ist kompliziert. Ich bin glaube ich vornehmlich müde.“
Dr. Heath schnalzte abschätzig mit der Zunge und schüttelte den Kopf. „Ich lege Ihnen eine Infusion. Ein wenig Flüssigkeit wird Ihnen gut tun.“
Dagegen sagte Pakhet nichts. Meistens half es tatsächlich etwas. Selbst wenn es nicht gegen den eisernen Druck auf ihrer Brust würde tun können.
„Was haben Sie nur gemacht?“, fragte Dr. Heath, während sie die Infusion vorbereitete.
„Wie gesagt. Mein Auftrag ist nicht ganz so gelaufen, wie geplant. Ich …“ Sie hielt inne und seufzte. „Könnten Sie mir einen Gefallen tun?“
„Vielleicht“, erwiderte die Ärztin. Sie holte eine Kanüle aus einem der an der Wand hängenden Schränke.
„Könnten Sie nachher einen Ultraschall machen? Ich …“ Der Mund war ihr trocken, als Pakhet versuchte darüber zu sprechen. „Während ich auf meinem Auftrag war, bin ich in Gefangenschaft geraten und …“ Sie hielt inne. „Ich habe eine magische Heilung gehabt, aber ich will … Ich muss einfach wissen, ob wirklich alles in Ordnung ist. Speziell …“ Sie hasste es, es auszusprechen. „Ich hatte eine innere Blutung und ich muss einfach wissen, ob alles noch richtig ist. Dass es keinen bleibenden Schaden gibt und ich nicht …“ Wieder hielt sie inne. „Dass ich nicht unfruchtbar bin“, endete sie schließlich leise.
Dr. Heath betrachtete sie für zwei, drei Sekunden, während sie noch immer die Nadel in der Hand hatte. Es war ihr anzusehen, dass sie sich zusammenreimte, was passiert war. Doch sie fragte nicht weiter. „Natürlich kann ich das. Aber lassen Sie mich erst die offenen Wunden versorgen, ja?“
Pakhet nickte. Sie machte ihren Arm locker, damit die Ärztin die Kanüle legen konnte. Was blieb ihr auch für eine Wahl?