Nachdem wir wieder zu Hause waren, musste ich mit Angelina den versäumten Stoff nachholen, denn ein paar Tage war einiges nicht behandelt worden, was uns jetzt in unserer oder besser meiner Planung fehlte. Das war nicht weiter wild, sollte aber nicht einreißen, darum versuchte ich mit ihr einiges zusammenzufassen und besonders anschaulich weiterzugeben und es klappte ganz gut. Sie holte alles schnell auf.
Regelmäßig überprüfte ich, wie sicher Angelina ihren Schulstoff beherrschte und sorgte dafür, dass nichts wieder in Vergessenheit geriet. Dabei brauchte ich mir überhaupt keine Sorgen zu machen, weil sie Vieles einfach nebenher lernte, oder anderes wie ein Schwamm in sich aufsog und zu verstehen versuchte. Es war eine Freude, sie zu beobachten, wenn sie sich mit einem neuen Thema beschäftigte. Je älter sie wurde, desto kniffliger wurden ihre Fragen und ich kam so manches Mal ins Schwitzen, wenn ich nach Antworten suchte, die ich so schnell nicht fand. Da ich aber selbst ausgezeichnet ausgebildet worden war wie alle Savantoj, wusste ich meistens, wo ich suchen musste und konnte ihre Fragen oft spätestens am nächsten Tag beantworten. Manchmal fand sie die Antwort bis zum nächsten Tag jedoch schon von allein.
Gios Andeutung lag mir noch im Magen, aber als er dann zu uns kam, natürlich mit Marcella im Schlepptau, war das Gespräch nicht so arg, wie ich befürchtet hatte.
Es stellte sich heraus, dass es im Grunde auch gute Nachrichten waren. Die sektionalen Treffpunkte sollten anders organisiert werden. Es wurden neue eingerichtet, da sich die Savantoj mehr und mehr eingegliedert hatten und mehr Ansprechpartner brauchten, wenn neue Ziele anvisiert oder Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt wurden. Es wurde ein besseres System benötigt, in dem sich auch Fremde zurecht finden könnten. Gio hatte bei dieser Mission einen größeren Auftrag erhalten, diese neuen Sachen zu planen und ich sollte ihm dabei helfen. Normalerweise erhielten die Savantoj, die Erstgeborenen sozusagen, keinerlei weitere Aufgaben als Kinder in die Welt zu setzen und sich in wichtige Bereiche der Wirtschaft, Forschung und auch dem Militär des jeweiligen Landes einzuschleusen und an Informationen zu gelangen. Es war das Ziel, in Positionen zu gelangen, von dem aus man potentiell gefährliche Kriegsgeräte unauffällig unbrauchbar machen konnte. Natürlich ohne in Verdacht zu geraten. Die schwache Stelle der Menschen, Liebschaften in allen erdenklichen Formen, waren darin eingeschlossen, die das vereinfachen sollten. Trotzdem war es gefährlich, wobei es nur auffallen würde im Falle eines Kriegseinsatzes, was die Aufdeckung des Saboteuers erschweren würde, weil der oft schon längst wieder weg war. Wäre es nicht beruhigend, wenn der rote Knopf, der einen Atomangriff auslösen konnte, einfach nichts bewirkte, wenn es so weit war?
Es gab so viele Brennpunkte auf der Welt und dieser rote Knopf war noch in weiter Ferne, denn da gab es sehr viele Sicherheitsvorkehrungen seitens der Regierungen. Wenigstens etwas. Trotzdem konnte es irgendwann doch passieren und die Savantoj wollten das auf jeden Fall verhindern.
So weit waren wir noch lange nicht, aber wir arbeiteten an einem immer besseren Netzwerk.
Da Gio Sophia nicht beunruhigen wollte, hatte er vor, die Unterlagen alle außerhalb zu lagern und zu bearbeiten. Sie würde sich sonst Gedanken machen, dass er noch andere - gefährlichere - Aufgaben zusätzlich erhalten würde. Ich versprach ihm, dass er dafür unser Versteck, einen gut getarnten Bunker im Wald nutzen konnte. Ein optimal eingerichtetes unterirdisches Domizil, mit allem Nötigsten, was man zum Überleben, aber auch zum Arbeiten an solchen Aufträgen nutzen konnte. Dazu mussten wir die Kinder beschäftigen, damit die uns nicht dazwischenfunken konnten, das planten wir als erstes.
Nach ein paar Wochen konnten wir das Projekt erfolgreich abschließen und Gios Aufgabe war erledigt.
Es kam in den nächsten Jahren immer mal wieder solch eine Aufgabe, aber ansonsten lebten wir relativ friedlich hier.
Die Savantoj hatten ein Kommunikationssystem, welches sie vor aller Augen, aber unerkannt verwenden konnten. Die Wolken am Himmel, die sich schicken ließen und überall dieselbe Bedeutung hatten. Savantoj lernten, sie bei Bedarf zu formen und in die Gegend des Adressaten schicken. Die Menschen hatten keine Chance, dies zu erkennen oder zu entschlüsseln, es war ihnen nicht einmal bewusst, dass das wie eine Art Telefon funktionierte. Abhörsicher.
Davon hatte Angelina natürlich auch keinen Schimmer. Sie wunderte sich nur, wenn ich die Ankunft unseres Besuches so gut vorhersah. Dieses kleine Geheimnis war vorläufig noch eines unserer harmlosesten und ob sie mit den Eröffnungen so weit käme, müsste sich erst herausstellen, denn andere Überraschungen musste sie zunächst erstmal verdauen.
Die Jahre vergingen, die Kinder wuchsen heran, als wenn es das Chaos auf der Welt nicht gäbe. Wir lebten in unserer Blase und wachten über unsere Kinder, doch die Welt stand nicht still, nur besser wurde sie nicht.
Angelina verstand sich immer noch mit Marcella sehr gut, aber sie fand heraus, dass sie anders aufwuchs, als sie. Es ließ sich nicht vermeiden, dass sie über Schule sprachen, oder auch über Studpartnero, was ihr kein Begriff war. Wenn sie nachfragte, bekam sie stets die Antwort, dass ich ihr das irgendwann alles erklären würde, aber das stellte sie natürlich auf Dauer nicht zufrieden, weil sie neugierig war und nicht auf die rote Schleife warten wollte. Noch konnte ich sie einigermaßen vertrösten, aber mir wurde bewusst, dass sich das gefürchtete Gespräch mit ihr bald nicht mehr vermeidan lassen würde.
Nicht nur, dass ich große Angst vor ihrer Reaktion hatte, ich fürchtete mich auch davor, wie ich damit klar käme. Es würden große Veränderungen in unser beider Leben eintreten, ich verspürte Unsicherheit und hatte plötzlich Bedenken, dass ich nicht genug getan hätte, aber ich konnte jetzt nicht mehr viel ausrichten. Entweder würde es reichen, oder ich hatte verloren.
Dann vielleicht auch sie.
Am meisten machte ich mir Gedanken, in welcher Reihenfolge ich ihr was erzählen sollte. Ich hatte mich mit Gio beraten und er versprach mir, mich dabei zu unterstützen. Nicht bei dem Gespräch, aber sonst.
Ich war froh, dass ich das nicht ganz allein durchstehen musste, aber irgendwie blieb ich doch mit ihr allein, wenn es um die Fragen ging.
Ein paar Tage gab ich mir noch. Eigentlich hatte ich ja genügend Zeit gehabt, aber unangenehme Dinge schob man ja gern vor sich her.
Aus den Tagen wurden Wochen, aber eines Tages, ließ es sich nicht mehr verschieben. Ich konnte es förmlich sehen.