»Und was soll ich machen?« Ich war frustriert über diese lapidare Aussage, ließ mich aber von Gio weiterziehen.
Es war ja nicht meine Idee, hier unter Savantoj aufzuwachsen. Hatten sie sich darüber gar keine Gedanken gemacht?
Am liebsten wäre ich weggelaufen.
»Nein, Angelina, weglaufen löst keine Probleme«, erkannte er meinen Wunsch und nahm mir den Wind aus den Segeln. Ich ließ den Kopf hängen, wieder kullerten Tränen an meinen Wangen herunter, ich schniefte.
»Komm mal her, Angelina. Vergiss nicht, dass wir dich alle liebhaben, schon so lange du bei Sandro oder jetzt bei uns bist. Wir lassen dich natürlich nicht im Stich. Savantoj kümmern sich immer umeinander und auch um ihre Schutzbefohlenen.«
»Aber Sandro interessiert es nicht mehr. ER lässt mich im Stich!« Jetzt lehnte ich mich verzweifelt an Gio, weil ich es nicht mehr aushielt.
»Wenn du wüsstest, wie falsch du damit liegst, meine Kleine. Ich darf dich leider nicht überzeugen, du sollst alleine dahin kommen, was du mit deiner Zukunft machen willst. Konzentriere dich jetzt aber mal auf dich. Wie würde dir denn Francesco gefallen als Helfer bei deiner Entsdeckungsreise, als dein Studpartnero auf Zeit? Er wäre natürlich nur geliehen und am Ende könntest du ihn dir auch nicht aussuchen, denn er gehört zu Maria. Aber bis dahin - könntet ihr drei vielleicht noch eine Menge schöne Dinge tun?«
Während ich noch schluchzend an Gios Brust lehnte und überlegte, erzählte er noch mehr, was mich aufhorchen ließ, obwohl ich eigentlich gerade gar nichts hören wollte, weil ich wegen Sandro und dieser ganzen Situation hier so traurig und wütend gleichzeitig war. Aber es drang dann doch zu mir vor und ich löste mich aus der Umarmung und hörte zu.
»Wie gesagt, die Studpartnero sind nur für die Altersfestsetzung nötig mit dem ersten Beischlaf. Die Zeit davor, ist eine Vorbereitung für den vorbestimmten oder frei gefundenen Lebenspartner oder den Auraeho, für den noch besondere Regeln gelten. Maria und Francesco haben ihr Herz schon vergeben und sie sind sich sicher, dass sie irgendwann mit diesem den Rest ihres Lebens verbringen wollen, wenn es ihnen denn vergönnt ist. Diese Liebe ist es, die sie motiviert, dieses Entdeckungsspiel miteinander zu spielen, es auszukosten, viel zu lernen, weil sie ihren Partner damit später einfach glücklich machen wollen. Maria liebt ein anderes Mädchen, sie kennen sich schon sehr lange und sie werden hoffentlich irgendwann sehr glücklich werden. Trotzdem gibt es für Maria noch Aufgaben, die durchaus mit sexuellen Kontakten auch mit Männern sein werden, die sie für die Savantoj erledigen wird. Deswegen ist es wichtig, dass sie damit auch Erfahrungen sammelt. Auch für die Altersfestsetzung, die wird sie mit Francesco erleben. Trotzdem gehört ihr Herz doch ihrer Freundin, die sie sich vermutlich immer vorstellt, wenn sie mit Francesco zusammen ist. Der hat seine Frau fürs Leben auch gefunden. Giulia ist allerdings krank geworden vor einem Jahr. Leider waren die Ärzte bisher nicht in der Lage zu erreichen, ihr zu helfen. Es ist eine Muskelerkrankung, die sie an den Rollstuhl fesselt. Wir alle hoffen, dass sie sie wieder heilen können, aber es ist ungewiss. Nur dadurch ist Francesco besonders daran interessiert, seiner großen Liebe ihr Schicksal zu versüßen und wenigstens so viel körperliches Wohlbefinden zu verschaffen, wie es nur geht. Er ist so vernarrt in sie - mir geht das Herz auf, wenn er mit glänzenden Augen von ihr spricht und es ihm einerlei ist, dass sie noch und vielleicht für immer nicht mit ihm tanzen kann, oder was auch immer. Er liebt sie so sehr, dass er sich heute Morgen kurz vergessen hat in dem Bestreben, noch etwas herauszufinden, was IHR Freude bereiten könnte. Vielleicht kannst du es jetzt besser verstehen? Ich mag ihn ansonsten nämlich wirklich sehr und ich weiß, dass Maria trotz ihrer Vorliebe für Mädchen, bei Francesco manchmal vergessen kann, dass er der männlichen Gruppe unserer Spezies angehört.«
Gio schmunzelte bei den letzten Worten und mir ging es ähnlich, als ich von diesen Neuigkeiten erfuhr.
Ich überlegte, ich dachte an heute morgen und wie er erst Maria geküsst hatte und wie er dann auf mich zugekommen war. Diese Anspannung in mir, seine Augen, die mich so faszinierten - es gab da schon eine Anziehungskraft und Angst hatte ich nicht verspürt. Nur eine unerklärliche Unruhe.
Zögernd nickte ich zustimmend.
Den nächsten Satz hätte ich dann lieber nicht gehört.
»Selbst wenn wir alle einverstanden sind, muss ich erst noch Sandro fragen und seine Zustimmung einholen. Das verstehst du doch?«
Unwillig drehte ich mich um, von ihm weg.
»Der wird froh sein, wenn sich endlich ein anderer um mich kümmert. Er selbst hat ja keine Lust dazu. Da wirst du offene Türen einrennen, Gio.«
Diesmal gelang es mir, meine Stimme gleichgültig klingen zu lassen, weil ich Gio dabei nicht ansah. Verbissen starrte ich in den Wald vor uns. Siedendheiß fiel mir ein, dass ich bei Sandro etwas vergessen hatte - mein Tagebuch lag noch in meiner Hütte im Wald! Wer hätte denn auch ahnen können, dass er mich von heute auf morgen aus dem Haus jagte? Mir wurde abwechselnd heiß und kalt, aber ich wollte mir nichts anmerken lassen. Mir würde hoffentlich etwas einfallen, wie ich es zurückholen konnte. Das Buch durfte ihm nicht in die Hände fallen! Auf keinen Fall sollte er darin lesen und sehen, wie sehr ich ihn verehrte und liebte. Niemals. Das war jetzt Vergangenheit. Die Fragen darin waren ja nun alle beantwortet.
Ich sah Gio an.
»Sind wir jetzt durch? Ich - oder wir müssen nun auf Sandros Urteil warten. Ich habe es verstanden. Können wir dann jetzt bitte wieder zurück?«
Er setzte an, um etwas zu sagen, schloss den Mund aber wieder und schaute mich nur prüfend an. Mein Stimmungswechsel war ihm nicht entgangen, aber er schob es garantiert nur auf Sandro. Nachdenklich nickte er mir zu und wir drehten um.
Alle waren in der Schule, mir hatte Gio ganze zwei Wochen "Ferien" versprochen. Eingewöhnungszeit, wie er meinte. Ich sollte bald erfahren, warum er diese Zeit einplante, jedenfalls auch, denn er hatte noch einen Plan, der aber auch irgendwie mit Sandro und seiner Entscheidung über mich zu tun hatte. Es hatte mit Maria und Francesco zu tun, die noch nicht durch waren mit ihrer Verfehlung mir gegenüber.
Wenn ich Gio auch immer als freundlich und gutmütig in Erinnerung hatte, jetzt lernte ich ihn von einer ganz anderen Seite kennen. Er konnte sehr direkt und streng sein. Und er zog es durch, keiner wagte zu widersprechen.
Die erste Strafe, und er betonte das erste besonders laut, war, dass die Beiden sich, bis er weitere Maßnahmen beschließen würde, nicht selbst einen Höhepunkt verschaffen durften, genausowenig dem jeweils anderen. Sie hatten das sofort hingenommen, zerknischt und reumütig. Sie hielten sich daran - soweit ich es mitbekam. Gio hatte sie garantiert im Blick, daran hatten wir alle keine Zweifel.
Schon am nächsten Morgen kam er ohne Umschweife auf das Thema am Frühstückstisch zu sprechen. Ich war ziemlich baff, wie er sich die endgültige Bestrafung vorstellte und es war mir sehr unangenehm, wie sehr sie zerknirscht am Tisch saßen. Aber es sollte für mich noch schlimemr kommen. Die Strafe entpuppte sich für mich als eine Art Belohnung.
»Eine Woche lang, werdet ihr euch beide ausschließlich um Angelina kümmern. Ihre Bedürfnisse sind ausschließlich zu erfüllen - ihr geht dabei leer aus. Habt ihr das verstanden?«
Maria und Francesco nickten ergeben. Ich machte große Augen und blieb stumm, bis Gio fragte: »Angelina? Alles verstanden?«
Ich schluckte und nickte ebenfalls.
Schmunzelnd lehnte sich Gio zurück und begann, gut gelaunt zu frühstücken.