TW - Fehlgeburt
Auch wenn Sandro nochmal nach Ungarn musste in zwei Monaten - bis dahin hatten wir nun endlich Zeit ohne Ängste, die wir mit Vergnügen miteinander verbrachten. Überglücklich und ausgelassen feierten wir die sorgenfreien Wochen, nichts trübte unser Glück.
Dass sich in unseren Augen ein rotes Licht zeigte, war nur für uns zu sehen. Wir würden schon irgendwann herausfinden, was es zu bedeuten hatte. Auch die Geschichte mit der Gedankensprache kannte Sandro nicht. Ich fand es irgendwie praktisch und auch witzig, aber wir hatten beschlossen, dass wir zunächst noch niemandem davon erzählen wollten. Jedenfalls bis wir mehr darüber herausgefunden hätten und das stand nicht auf unserer Prioritätenliste. Wir probierten sie immer bei passender Gelegenheit aus - nur beim Sex ließen wir das wohlweislich.
Ich fühlte mich mit meinem Schattenherz seltsam behütet, vielleicht weil es direkt mit Sandros verbunden war. Immer noch war ich fasziniert davon, wie eng wir miteinander verbunden waren - und auch wenn ich es früher nur erahnen konnte, diese Verbindung musste von Anfang an bestanden haben.
Alles sah nach einem Wunder aus, was mir widerfahren war und ich nahm es von ganzem Herzen an. Eigentlich mit beiden Herzen. Auch wenn der Weg bis hierher ab und zu sehr traurig und holperig war - jetzt war wirklich endlich alles gut und wir konnten unser gemeinsames Leben starten - für uns und die Savantoj, denen ich nun ebenfalls angehörte und immer unterstützen würde.
Ich war mir nach ein paar Wochen noch nicht ganz sicher, aber irgendwann war ich es doch. Als mir morgens regelmäßig übel wurde, mehrmals in der Woche, sprach ich Sophia an und sie bestätigte meinen Verdacht, indem sie mir einen Schwangerschaftstest mitbrachte und richtig - wir erwarteten ein Baby!
Ich wollte es Sandro unbedingt noch vor Ungarn sagen. Auf sein Gesicht war ich so gespannt und als ich den Zeitpunkt für passend erachtete, kochte ich uns etwas Schönes, stellte Kerzen auf den Tisch und bereitete alles für einen besonders romantischen Abend vor. Sandro hatte mit Gio wieder im Bunker gearbeitet und kam wenig später heim.
Überrascht blieb er in der Tür stehen.
»Ein Festessen? Ich freue mich natürlich, aber gibt es einen besonderen Grund dafür?« Er zog sich seine Jacke aus und hängte sie an den Garderobenhaken. Dann kam er zu mir an den Herd und umarmte mich von hinten, weil ich noch im Topf rührte.
»Außer dass ich pünktlich zum Abendessen da bin meine ich ...?«
Ich lachte und drehte mich zu ihm um.
Wenn ich jetzt seinem sanften aber fordernden Kuss nachgeben würde, wäre das Essen verdorben.
Ich schob ihn etwas weg und meinte lapidar: »Geh Dir die Hände waschen, ich trage das Essen auf und dann erfährst du, was ich dir sagen will.«
Er setzte einen gespielten Schmollmund auf, von dem ich schnell wegsah, weil ich ihn unwiderstehlich fand. Ich drehte mich schnell wieder um und er tat wie ihm geheißen, ich hörte ihn ins Bad gehen und lächelte glücklich vor mich hin. Es lief bisher alles nach Plan.
Schnell beeilte ich mich und stellte alles auf den Tisch, aber als er zurückkam, dachte er gar nicht daran, sich hinzusetzen, sondern erwischte mich, bevor ich mich setzen konnte.
Er hielt mich in seinen Armen fest, sah mir tief in die Augen und dann küsste er mich so, dass ich schwach wurde, als er mich fragte: »Ich warte ganz sicher nicht bis nach dem Essen. Soll ich vielleicht ersticken an meiner Neugier?«
Ich gab nach - ich konnte mich ihm nicht widersetzen, nicht wenn er mich so ansah.
»Also gut. Dann eben vor dem Essen. Du hast es so gewollt. Ich bin schwanger. Wir bekommen ein Baby.« Ich sah die Gefühle in seinem Gesicht, die ihn durchwühlten - es war so schön zu sehen, wie glücklich er war und er hob mich hoch und wirbelte mich herum, bis ich sagte, er soll ein wenig Rücksicht auf meinen Zustand nehmen, dass er mich sofort absetzte und fragte, ob alles in Ordnung sei.
Ich schmiegte mich selig an ihn, denn er hatte so reagiert, wie ich es mir von Herzen gewünscht hatte. Dass sich sein Blick umwölkte während unserer Umarmung konnte ich nicht sehen.
Das Essen war letztendlich doch kalt geworden, aber wir waren beide nicht traurig darüber - wir aßen es auch so noch, nachdem wir unseren erwarteten Nachwuchs gefeiert hatten - natürlich im Schlafzimmer.
Zwei Wochen später musste Sandro fort. Es sollte nicht länger als zwei Wochen dauern und ich hoffte sehr, dass es sich nicht länger hinziehen würde.
Ich zog in der Zeit zu Sophia und Gio - Sandro hatte darauf bestanden. Er wollte mich in meinem Zustand nicht allein im Haus wissen. Obwohl ich es für übertrieben hielt, gab ich nach, denn ich war sehr gern bei meinen Zieheltern und die Zeit der Trennung würde ich dort sicher besser überstehen, als allein in unserem Haus. Es waren doch nur ein paar Tage.
Nach einer Woche erreichte uns eine traurige Nachricht, die mir sehr leid tat. Marcellas Verbündeter, den ich ebenfalls sehr gut kennengelernt hatte, verlor seine große Liebe - sie hatte sich nicht erholt und würde bald sterben. Damit zerbrachen seine Lebensträume - ich weinte, als ich es erfuhr, denn ich mochte ihn sehr und war jedensmal gerührt gewesen, wie sehr er seine Lebenspartnerin liebte und von ihr schwärmte. Jeder von uns hatte ihm sein Glück gegönnt, gewünscht und gehofft, dass sich Giulia wieder erholen würde und nun schien eher das Gegenteil einzutreffen. Ich dachte mir, dass Sandro und ich die beiden unbedingt bald noch besuchen sollten. Es würde sehr schwer für Francesco werden, er tat mir von Herzen leid.
Nur dann überschlugen sich die Ereignisse und ich bekam meine eigenen Probleme.
Mitten in der Nacht ging es los.
Weil ich allein oben bei Sophia und Gio war, schrie ich nach Hilfe, weil ich wegen der schneidenden Schmerzen höllische Angst bekam.
Sie eilten sofort zu mir, aber ändern konnten sie an dem furchtbaren Ausgang des Geschehens nicht mehr.
Blut. Überall war Blut und mittendrin dieses kleine Wesen, was schon ein Teil von uns gewesen war.
Ich hatte unser Baby verloren!
Unser erstes Kind. Mein Wimmern hörte sich so fremd an, aber es gehörte zu mir. Nur das Kind nicht mehr. Es lag als winziger Fleischklumpen zwischen den Laken in einer Menge Blut und war nicht mehr am Leben. Das kleine Herz hatte aufgehört zu schlagen. Es zerriss mich so grausam, dass ich dachte, ich müsse sofort selbst sterben.
Wir hatten uns doch so sehr darauf gefreut - es sollte die Krönung meiner Wandlung und unserer Liebe werden und nun musste ich den Traum begraben, weil ich es verloren hatte. Was würde Sandro sagen?
Ich konnte ihm das jetzt unmöglich sagen, wer weiß, was ihm dann dort passieren würde. Aber ich brauchte ihn doch gerade jetzt!
Gio stand betroffen in der Tür und sah zu, wie Sophia in Windeseile versuchte, mich zu beruhigen und gleichzeitig alles wegzuschaffen, was mich an diese Katastrophe erinnerte.
»Bring sie ins Bad, lass sie duschen, aber pass auf sie auf, sie ist noch schwach.« Gio stützte mich, tränenblind klammerte ich mich an ihn und ließ mich hinausführen. Gio war froh, dass er etwas zu tun bekam und ich habe niemals davor oder danach gesehen, wie seine Hände zitterten, aber sie standen den meinen in nichts nach.
Unbeholfen redete er auf mich ein, wollte mich trösten und stammelte dabei so schrecklich, aber ich war sowieso nicht in der Lage, mich auf seine Worte zu konzentrieren. Ich war froh, als ich das warme Wasser spürte und ich hörte mich immer abwechselnd weinen, nach dem Baby und nach Sandro rufen.
Endlich vernahm ich sein Versprechen, dass er Sandro bitten würde, so schnell wie möglich zurück zu kehren. Da ich mir nicht zutraute, ihm das Richtige zu sagen, war ich froh, dass Gio mir das abnahm. Meine Gedankentür war fest verschlossen.
Als ich im Bad fertig war, brachte mich Gio vorsichtig zurück ins Bett. Sophia hatte sich um alles gekümmert, man konnte nichts mehr von der Fehlgeburt sehen. Das Bett war sauber und frisch.
Als wenn es dich nie gegeben hätte, dachte ich traurig und kaum dass ich wieder im Bett lag, weinte ich in die Kissen und wollte niemanden mehr sehen. Sophia verstand mich und als sie mich nochmal in den Arm nahm, flüsterte sie mir ins Ohr, dass sie das Kleine in einen Sarg legen würde, damit Sandro und ich uns noch verabschieden konnten und es anständig begraben. Ich drückte sie dankbar. Ich hatte gerade keine Kraft, mich selbst darum zu kümmern. Irgendwann schlief ich ein. Sie musste mir irgendwas gegeben haben mit dem Wasser, denn ich wachte erst viele Stunden später auf.
Tieftraurig, denn dieses Bild hatte ich immer noch vor Augen.
Die nächsten Tage verließ ich das Bett nicht, ich wollte nichts essen. Wasser nahm ich zu mir, aber ansonsten weigerte ich mich. Bis Sandro kam.
Er schloss mich in seine Arme und wir weinten beide um unser Baby.
Er tröstete mich so gut es ging und ich war froh, dass ich ihn wieder an meiner Seite hatte. Ich ließ mich überreden, mit ihm nach Hause zu gehen. Nicht sofort, aber bald, als ich mich ein wenig erholt hatte. Ich stimmte zu und stand am Ende auch endlich mal auf.
So furchtbar es war, das Leben ging weiter.
Wir beerdigten unser Baby an unserem See. Es war nach wie vor unser Ort der Besinnung und Stille, an der wir wunderbare Stunden verbracht hatten. Ich legte dem Kind das Herzchen aus Rosenquarz auf sein "Grab", das nichts offizielles war, denn in diesem Fall wäre es einfach entsorgt worden, was ich niemals zugelassen hätte.
So blieb es bei uns.
Sophia und Gio hatten uns begleitet, Sandro hatte das winzige Grab ausgehoben und den winzigen Sarg hineingetan. Anschließend pflanzten wir ein kleines Bäumchen daneben. Wir würden es nie vergessen.
Die Wochen danach verliefen ruhiger, doch irgendwann lachten wir zaghaft wieder gemeinsam, immer mit einer Spur schlechten Gewissens. Wir hatten immer noch uns und es gab so viele Verluste unter den Savantoj, wir hatten nun auch einen zu beklagen.
Wir schafften es, uns gegenseitig wieder aufzubauen. Unsere Liebe half uns dabei, doch es dauerte, bis wir uns dem normalen Alltag zuwenden konnten.
Das Baby blieb immer noch ein Thema zwischen uns, wir redeten ab und zu darüber, es ließ sich nicht vermeiden und das wollten wir auch nicht.
Nur dann ließ Sandro einmal einen Satz fallen, ganz nebenbei und ohne nachzudenken, der mich erschütterte, der mich direkt in die Hölle schickte.
»Es ist so tragisch. Das hätte nicht sein müssen, wenn wir ein wenig überlegt hätten vorher.«
Ich starrte ihn an, konnte es nicht glauben.
»Du hättest es verhindern können? Es hätte nicht sterben müssen? Es ist deine Schuld? Das ist nicht wahr, Sandro! Sag, dass das nicht wahr ist!« Ich schrie ihn an, weil ich den Ausmaß seiner Aussage in jeder Sekunde mehr begriff.
Er bemerkte seinen Fehler einen Moment zu spät, wollte auf mich zukommen, mich umarmen, mich festhalten, aber ich ließ es nicht zu. Ich wich entsetzt vor ihm zurück.
»Wage es nicht, mich anzufassen! Nie wieder! Ich bleibe keine Sekunde länger bei dir.«
Ich raste blindlings aus dem Haus, hinein in den Wald, die Tränen liefen aus meinen Augen, rannen an meinen Wangen herunter und ich rannte und rannte - nur weg von ihm!
Ich hörte ihn noch verzweifelt nach mir rufen, aber ich sah mich nicht um.
Ich wollte ihn nie wieder sehen. Nie!
Ich wollte gar nichts mehr sehen, nur noch sterben.