Es war zwei Wochen nach Pfingsten. Kurz nach Mitternacht. Das Telefon läutete wie verrückt. Verschlafen ging ich dran. Es war Renate. „Marni wurde vor einer Stunde von zwei Söhnen entbunden. Zwillinge. Es gab keine Probleme. Ich geb dir die Durchwahlnummer ...“, ich notierte. „Einer der Zwillinge, der Erstgeborene hat übrigens grasgrüne Augen und knallrote Haare. Hier ist das etwas sehr ungewöhnlich. Ich bin in einer Minute vor der Türe, du kannst gleich anrufen.“
Geschockt war ich nicht, jedoch sofort voll da. Ich bedankte mich bei Renate und wählte. Eine schwache Stimme sagte auf persisch „Hallo?“
„Lass mich unter den Ersten sein, die das Ereignis gebührend feiern. Der Champagner steht kalt. Zuerst will ich dir aber gratulieren. Liebe Prinzessin, liebe Tante, liebe Mutter von Zwillingen, liebe Marni, alles erdenklich Gute für dich und die Kinder. Auch im Namen von Lis natürlich. Mögen deine Prinzen die Männer werden, die das Haus Radama jetzt benötigt. Es ist noch nicht opportun, aber wenn die jungen Herren hier in Deutschland studieren wollen, sie können natürlich bei uns wohnen. Was bin ich denn für sie, Vat ... Vetter? Ja so was wohl. Du bist sicher glücklich, ist dein Mann bei dir? Auch ihm meinen Glückwunsch. Ach ja. Ich liebe meine Tante, wie sie es verdient.“
Im Telefon gluckste es. Als wäre ich Tränen nicht gewohnt sei. „Paul? Bist du das? Ja, Hosni ist bei mir. Er schwebt, wie ich, auf Wolken. Unser Erstgeborener heißt Paul Mohamed, der zweite Hosni Ismael. Mein Mann sagt, du als ein so guter Freund von uns, hättest diese Ehre wohl verdient.“
Im Hintergrund hörte ich ein fürchterliches Getöse. Ich erkannte die Stimme von Renate. Persisch. Ein tiefes, glückliches Schluchzen kam aus Marnis Kehle: „Paul, du Satan!“ Dann legte sie auf.
Ich rief mitten in der Nacht bei Lis an. Papa sagte, er war zuerst am Telefon, er würde umgehend eine Gärtnerei beauftragen das Wochenbett von Marni mit 100000 Orchideen zu schmücken. Wenn sie haben, auch eine Million. Er übertrieb natürlich. Er hatte keine Ahnung von wegen ... aber Marni kann er sehr gut leiden. Lis tauchte zehn Minuten später bei mir auf. Sie ahnte als Einzige, dass ich auch ein wenig Lob und Trost brauchte, es waren ja irgendwie auch meine Söhne.
***
Abitur. Wir waren nicht viel schlechter als bei der mittleren Reife. 1,2 für Lis und 1,1 für mich. Beides weit unter der selbst gesetzten Grenze. Unsere Eltern waren mehr als zufrieden damit. Das Abitur hatte für sie halt einen sehr hohen Stellenwert. Es gab natürlich eine bombastische Abschlussfeier.
Roland ist nun unser Lehrling. Vor drei Wochen hat er geheiratet. Seinen Job als Master of Prints macht er nebenbei. Nun ja, sicher auch mit vielen Überstunden. Das finden aber weder er noch seine Frau tragisch. Arbeiten ist bei uns keine Schande, Geld zu haben ist dafür ein Bedürfnis. Eine Wohnung organisierte der Vater von Roland durch Beziehungen.
Das Sonderheft mit den D-Girls wurde vorgezogen. Die deutsche Ausgabe war auch bereits im Handel. Das Extraheft mit dem Thema Toys for Adults (Spielzeug für Erwachsene) war ebenfalls fertig. Mom hat sich mit der Geschichte der D-Girls selbst übertroffen. Nachdem die jungen Frauen ihre Belegexemplare bekamen, trudelten sie der Reihe nach bei Mom und bei mir ein. Im Gegensatz zu den Mickimäusen hatten sie kein Problem mit der englischen Ausgabe, die ja wie üblich zuerst kam.
Vierzehn Tage später wurden wir zu einem Gartenfest in dem alten Gasthaus geladen. Die ganze ehemalige Mannschaft. Pop sollte auch mitkommen. Es sei als Dankeschön gedacht.
Ich erinnerte mich an Francine und unser Gespräch auf Mallorca. Dann sprach ich mit Axel, weil er älter ist als ich. Er trieb auch tatsächlich vier Jungs auf die ungebunden waren und Lust auf Abenteuer hatten. Ich musste mir arg das Lachen verkneifen, als Axel völlig ernsthaft den jungen Männern, fast wörtlich, die gleichen Anweisungen gab wie ich damals, als er seine Kristin kennenlernte. Sie hörten aufmerksam zu und nickten dann. Ich rief Bertha an und sagte ihr, es kämen vier Personen zusätzlich. Sie meinte, selbst ein Dutzend könnte sie noch leicht verköstigen, Hauptsache sei, sie seien nett und wüssten sich zu benehmen.
Wir wurden wie die Fürsten empfangen. Die Mädchen waren alle gut, wenn heute auch ein wenig keck gekleidet, und - sie sahen zum Anbeißen aus. Die jungen Männer wurden kurz begutachtet und dann völlig ungezwungen in den Kreis aufgenommen. Mom gab mir einen Knuff in die Rippen und meinte, wir könnten es wohl nie lassen.
Im Garten schmurgelten zwei Schweine am Spieß. Sie waren schon fast gar. Ein Tisch brach unter der Fülle von leckeren Salaten, feinem Gemüse und Bergen von Obst fast zusammen. Zwei enorme Sauerteigbrote warteten noch darauf angeschnitten zu werden. Es gab eine Zapfanlage für Bier, Krüge mit Most, mit feuchten Tüchern umhüllt um sie kühl zu halten. Wein, Saft und Wasser gab es in Flaschen. Ich ahnte, dass es wohl ein sehr langer Tag würde, wenn das alles verputzt werden sollte.
Wir verteilten uns in bunter Reihe an den Tischen. Pop saß bei Kim. Er ahnte wohl, dass bei Mom zu viel Betrieb sein würde. Kim war jedoch ebenfalls gefragt. Das Problem löste sich für Pop aber schnell, Francine setzte sich zu ihm, er hatte auf Mallorca schon ihr Vertrauen gewonnen. Die beiden unterhielten sich wohl prächtig, immer wieder schallte ein fröhliches Lachen zu mir rüber.
Ich saß zwischen Lene und Bertha. Lis uns gegenüber, neben Martha. Ein Metzger zerteilte gerade das erste Schwein und das Futtern ging los. Fast zehn Minuten herrschte erst mal gefräßige Stille, dann ging das Gerede wieder los.
„Wir haben 37 Heiratsanträge bekommen“, sagte Lene urplötzlich. „23 davon kann man vergessen, wir wollen ja keine Opas heiraten, aber was machen wir mit dem Rest?“
„Die könnt ihr leider auch nicht alle heiraten“, grinste ich. „In Deutschland ist nicht nur die Vielweiberei verboten, mehrere Männer pro Frau sind glaube ich auch untersagt.“
Wieder einmal bekam ich ein Arschloch ins Gesicht geschleudert. Die D-Girls hatten offenbar schon einiges an Selbstvertrauen zurück.
„Ist der Rest denn akzeptabel?“, fragte Lis lachend.
„Meine Güte, was heißt schon akzeptabel?“, lachte Lene. „Ein paar von uns haben allen Mut zusammengenommen und einen Briefverkehr begonnen. Auch mit ein paar Engländern. Die meisten sind aber Deutsche. Wir werden sehen, was dabei rauskommt. Strikt nach dem Rat deiner Mutter werden sie erst auf Herz und Nieren geprüft, ehe wir uns auf irgendein Abenteuer einlassen. Ich muss aber sagen, viele der Briefe machen einen guten Eindruck. Ich glaube deine Mutter hat schon ein paar davon gelesen, ich sehe wenigstens die entsprechenden Glücklichen bei ihr sitzen.“ Sie blickte lächelnd zu Mom hinüber, die reichlich gefragt war, wie Pop zu Recht befürchtete.
„Woher wisst ihr übrigens, dass Beatrix Mai meine Mutter ist? Wir hatten es bewusst nicht gesagt, um euch nicht zu verunsichern.“
„Na dann denk mal nach. Mallorca! Da war es doch unausbleiblich, dass zumindest eine der Vier es herausbekam. Du, Lis und Kim nannten sie Mom. Wir wissen jetzt sogar, dass Kim deine Adoptivschwester ist und über euer Verhältnis zum Hause Radama wissen wir auch Bescheid. Es wäre schlimm um uns bestellt, wenn wir zu doof wären, um unsere Neugierde nicht befriedigen zu können“, lachte Lene zurück. „Vor allem, da wir uns für euch interessieren. Am schlimmsten hat es allerdings Francine erwischt. Bei ihr hast du einen ganz gewaltigen Felsblock im Bett ... ahm Brett natürlich.“ Sie lachte recht laut und sehr frech über ihren Versprecher.
„Und wie komme ich zu dieser Ehre?“
„Sie fand dich schon auf Mallorca sympathisch und dann das Foto, das sie auf die Titelseite und in den Centerfold katapultierte. Ihr Chef hat ihr darauf sogar eine Gehaltserhöhung gegeben und sie zur Abteilungsleiterin befördert. Ganz ohne Nebenwirkungen, du verstehst schon, was ich meine. Sie arbeitet bei einer Versicherung, da ist jede gute Public Relation erwünscht. Sie macht nun die Pressearbeit, kommt rum, lernt Leute kennen, sie ist jemand und nicht zu vergessen, sie wird vor allem überall ge- und beachtet.“
„Das freut mich natürlich für sie. Ich hoffe nur, ihre Liebe bleibt platonisch, wie die zwischen uns beiden.“
„Ich habe dummerweise schon ein Dutzend Mal von dir geträumt und immer mit Erfolg“, grinste sie. „Du verstehst schon, aber platonisch? Ja, ich glaube das ist es schon. Lis war so nett zu mir, ich müsste schon ein echtes Schwein sein, da rum zu fuddeln.“
„Ich glaube Lis hätte nur wenig dagegen, wenn ich einmal mit dir schlafe. Betonung auf einmal. Damit ist dir aber auch nicht geholfen, weder dir noch einer der andern Frauen. Glaubst du nicht auch?“
„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es. Aber wenn du mich heute, irgendwo im Haus und vor allem im Verborgenen, richtig schön in den Arm nehmen könntest und ... und vielleicht küssen, dann wird der Tag rot im Kalender angestrichen.“ Lene wurde schon mal rot im Gesicht. „Im Verborgenen deshalb, weil es dann so schön konspirativ ist. Ich werde es ja sowieso kaum übers Herz bringen es den anderen nicht brühwarm zum Frühstück zu erzählen. Erzählen, wie gut unsere neue Therapie gewirkt hat. Von Männern ohne Angst in den Arm genommen zu werden - das ist doch schon mal was!“
„Ich habe im Moment leider gar nichts verstanden. Das Schwein pfeift so laut. Gab es was Wichtiges?“, lachte Lis.
„Ahm, eher nicht, ich habe mich nur zu einem Kuss verabredet“, antworte ich ihr ebenfalls lachend.
„Wenn’s sonst nichts ist, von mir aus kannst du alle küssen, das weißt du ja. Du solltest dir aber keine Kappe aufsetzen lassen“, lachte sie zurück. Sie dachte wohl an mein damaliges Abenteuer mit den Mickimäusen in Singen.
„Ich gehe offenen Auges ins Gefecht, unbewaffnet und voller Vorfreude. Wie kann ich den Dank abschlagen, wenn er von Herzen kommt und das, das tut er wohl.“
„Das glaube ich auch“, grinste Lis zurück.
Ich gab Lene vor versammelter Mannschaft schon mal einen Kuss. Sie genoss es, leider kümmerte sich keiner darum. Nur Bertha machte danach auch ein Kussmäulchen. Ich gab ihr ebenfalls einen Kuss drauf.
Wir wechselten immer wieder einmal die Plätze, ich saß mal hier und saß mal da. Pop hatte jetzt ebenfalls wechselnde Gesprächspartnerinnen. Ich sah, dass er plötzlich Rotwein hatte, Trollinger, die Mädchen hatten ihn besorgt. An seinem Platz stand auch eine Flasche spanischer Cognac. Genau die Sorte, die er auf Mallorca bevorzugte. Die hatten wohl unsere dortigen Gäste mitgebracht. Es war Francine, wie ich später erfuhr. Die Backen von Pop waren schon ganz schön rot, ich glaube nicht, dass das nur von der Sonne kam. Pop fühlte sich heute richtig wohl und Mom freute sich darüber. Ein Grund mehr, mich auch zu freuen.
Die vier Freunde von Axel schienen ebenfalls Anschluss gefunden zu haben. Ich will in diesem Falle keine Namen nennen, ich sah aber sehr wohl, dass am späten Abend auch mal ein Küsschen gewechselt wurde. Zwei der neuen Beziehungen wurden dauerhaft, wie ich vorwegnehmen möchte. Zwei gingen in Freundschaft und ohne Ärger auseinander. Wir Schwaben scheinen schon eine besondere Rasse zu sein. Die schlimmen Männer oder sogenannten Freunde der Mädchen, kamen alle aus anderen Bundesländern, wie Mom recherchiert hatte. Ich frage mich, wie sie nun schon wieder da drauf kam.
Mom. Es gelang mir doch einmal, bis zu ihr vorzudringen. Sie war voll in ihrem Element. Glücklich.
„Hallo Paul“, freute sie sich. „Ich bekam heute ein paar aufregende Liebeserklärungen zu lesen. Es scheint bei den Herren wieder Mode zu werden Briefe zu schreiben. Aus einem Liebesbriefsteller kommen die ganz bestimmt nicht. Da sind sie einfach nicht schwülstig genug dazu.
Nun ja, schreiben kann man viel. Ich habe den jungen Frauen geraten, den Briefverkehr noch ein Weilchen aufrecht zu erhalten. Ich vermute, irgendwann wird das Herz sprechen, dann ist es an der Zeit sich persönlich kennenzulernen. Ich habe den Mädchen angeboten, wenn es ihnen hilfreich sei, könne die erste Begegnung bei uns stattfinden. In unserer Bibliothek. Ich denke der Platz ist so vornehm, da kann und wird keiner ausrasten. Die Bewerber kennen ja nur eine postlagernde Adresse. Da waren die Girls clever genug.“
„Und warum bei uns?“
„Weil ich halt auch neugierig bin. Ich habe einen Berg Kohle an und mit den D-Girls verdient, ein paar Unkosten und ... weißt du was da für neue Geschichten rauskommen können? Ich bin wieder am Puls der Zeit, mein alter Verlag bietet jetzt schon fast das Doppelte für einen neuen Roman. Denk dir, meine letzten Romane haben alle eine weitere Auflage erreicht. Der Renner ist aber immer noch der Geliehene Mann, dicht gefolgt von den Zöglingen. Die beiden Prinzessinnen laufen auch nicht schlecht“, lachte Mom silberhell in den Abend.
Axel bekam im Laufe des Abends ebenfalls noch etwas von der Euphorie der D-Girls mit, er wurde ebenfalls abgeknutscht, jedoch immer im Beisein von Kristin. Mit Heimlichkeiten hatten es die Girls nicht so. Die Heimlichkeit von Lene war ja ebenfalls von ihr erwünscht und angekündigt. Sie sollte nur der zusätzliche Kick sein.
Es wurde übrigens eine überaus stürmische Affäre im Treppenhaus, bei dem mir sogar rein zufällig, ein netter blanker Busen in die Hand geriet. Sonst geschah selbstverständlich nichts, das war ja auch nicht Sinn der Sache. Die Schmuserei brachte der Dame allerdings, ohne mein weiteres Zutun, ein sehr feuchtes ... Lassen wir das. Der geneigte Leser kann es sich sicher selbst vorstellen, wie sich Lene fühlte.
***
Martha fuhr unser Auto, als es sehr spät nach Hause ging, Bertha das der vier Jungs; wir alle hatten ja schon ein paar Promille drauf und waren mit Sicherheit nicht mehr fahrtüchtig.
Axel und Kristin bezogen das dortige Gästezimmer, Bertha und Martha schliefen in unserem. Ich brachte sie am andern Tag, nach dem Frühstück, zurück in das Gasthaus.
Sonntag, alle D-Girls schliefen noch. Um zehn. Es war halt eine große, feuchtfröhliche Party. Da schäumt die Stimmung schon mal über.