Samstag, der 23. August. Ich ging mit Pop, zum ersten Mal mit zu seinem Stammtisch. Ich wurde einfach dazu gedrängt. Es war verwirrend. So richtig konnte ich damals das Ganze einfach nicht begreifen. Pop nahm mich unter seine Fittiche. Die Stammtischbrüder sprachen mir Mut zu. Ich fragte mich, Mut zu was Pop sagte mir, ich sei halt auch nur ein werdender Vater. Ist das ein Trost?
Lis hat keine Zeit für mich. Gut, das kann ich verstehen. Kim hat keine Zeit. Zu was ist sie meine Nebenfrau? Sara ging mir aus dem Weg, dabei stand sie auf keinen Fall auf meiner Liste. Selbst Mom, Stütze in vielen Fällen, sie war so nervös wie Lis und Kim. Was blieb übrig? Pop und seine Stammtischbrüder. Ich bekam das Beste an schwäbischen Weinen. Pop schleifte mich spät nach Hause. Lis lächelte nur, als ich im Schlafzimmer abgestellt wurde. Samstag, der 23. August.
Ich schreckte hoch. Jemand rüttelte mich wach. Lis. Sie stand, im Nachthemd (!) und im Morgenmantel an meiner Seite des Bettes. Blitzartig war ich völlig nüchtern.
„Paul? Ich glaube du solltest mich in die Klinik fahren, ich habe heftige Wehen. Ich denke es ist soweit mit unserem Nachwuchs.“
Es war Sonntag, der 24. August, zwei Uhr morgens. Ich gab ihr einen Kuss, fuhr in meine Kleidung und sauste hoch zu Kim, um sie zu wecken. Sie schlief schon ein paar Tage oben, Lis, mit ihrem doch sehr dicken Bauch brauchte enorm viel Platz. Dann ging ich runter in die Garage, das Auto rauszuholen. Bei Mom und Pop gingen die Lichter an. Da kamen Lis und Kim auch schon. Ein Köfferchen mit dem Wichtigsten war schon seit Tagen im Kofferraum des Wagens. Es war unnötig viel zu sagen. Ich blieb bei Lis hinten.
Kim fuhr wie der Teufel. Notaufnahme. Kreißsaal. 3:32 Uhr, ein Junge, blond, blauäugig. 3:37 Uhr, ein Mädchen mit roten Haaren und grünen Augen. Natürlich waren Kim und ich dabei. Kim aktiv, ich auch, mit der Kamera. 4:03 Uhr: Lis lag erschöpft, doch sichtlich glücklich und sehr wohl versorgt in einem großen Einzelzimmer. Die zwei Babys hatte ihr Kim einfach nackt wie sie waren auf die Brust gelegt.
„Ist alles dran, alles gesund an den Kerlen, Kim?“ Lis blickte jetzt doch sehr ängstlich zu ihr hoch.
„Es sind der Weissagung gemäß, ein vor Gesundheit strotzender blonder Prinz mit blauen Augen und eine ebenso gesunde rothaarige Prinzessin mit sehr grünen Augen. Einmal ganz dein Papa und einmal hundert Prozent die Mom von Paul“, antworte Kim sehr ernst.
Über das Gesicht meiner tapferen Frau ging ein Strahlen. „Die Weissagung“, flüsterte sie, dann schlief sie erschöpft ein.
Kim blieb bei ihr, ich ging telefonieren, draußen, um Lis nicht aufzuwecken. Pop, Papa, Rama, Renate in dieser Reihenfolge. Alle, außer Pop, wurden aus dem Schlaf gerissen. Persien, Japan, Jamaika und Martinique wollte ich erst von zu Hause aus anrufen. Jemand vergessen? Ja, Mikel und Willi, Micki und ... Es fiel mir wieder einmal auf, wie viele sehr gute Freunde wir haben, die ganz sicher diese Information aus erster Hand haben wollen.
Um 5:05 Uhr waren Pop und Mom da.
Um 5:18 Uhr Papa und Mama. Sie wurden ja im Schlaf von der Nachricht überrascht.
Um 7:07 Uhr brachte ein Bote 101 rote Rosen. Er las einen ihm vorliegenden Text vor:
Das Ungemach des Hauses Radama ist in einem Oktoberwind verweht.
Es begrüßt einen Prinzen und eine Prinzessin von ganzem Herzen
und mit großem Stolz. Allah segne euer Haus. Prinzessin Leila Radama die Ältere,
Prinzessin Marni und Prinzgemahl Hosni.
Wie Marni dieses Wunder geschafft hat, denn sie war es unzweifelhaft die das veranlasste, war mir völlig unklar. Später kam mir die Idee, es war von langer Hand vorbereitet. Der Bote nahm unbewegt ein Trinkgeld von 50 Mark. Ich hatte es nicht kleiner.
***
Lis machte nicht nur mir, zuerst auch unseren Eltern mehr Sorgen, mit einem sehr ausgefallenen Wunsch:
„Paul, gib mir eine der Rosen. Bitte.“ Sie küsste die Rose, dann gab sie diese Kim. „Ich denke, diese Ehre gehört dir. Du hast geholfen sie auf die Welt zu bringen und du wirst sie, so wie du es versprochen hast, mit mir zusammen in eine gute Zukunft führen.“
Kim nahm die Rose sichtlich bewegt entgegen. Wir klatschten leisen Beifall, während Kim sich mit gefalteten Händen tief verbeugte. Dann kam es: „Paul, bitte, in meiner Handtasche ist ein Brief. Da sind ein kurzer Schrieb und ein Scheck drin. Schicke bitte per Kurier die Rosen mit dem Brief an die angegebene Adresse in Hawaii. Es ist alles geregelt, der Pilot von damals wird diese Rosen über dem Vulkan abwerfen. Ein Fotograf wird es dokumentieren. Es ist mein unbedingter Wille, dass dies geschieht. Pele soll wissen, dass sie erfolgreich war!“ danach lehnte sie sich zurück und - schlief selig lächelnd wieder ein.
Pop musste sich sehr zusammenreißen, um die Zwillinge nicht mit seinem Lachen aufzuwecken. Kim drohte ihm auf jeden Fall schon mal im Voraus mit ihrer kleinen Faust. Pop erkannte die Gefahr. Mom hatte ganz verklärte Augen - so kann eigentlich nur Beatrix Mai gucken. Wenn das kein Thema war, das sie vor ihrer Leserschaft ausbreiten kann, als Nachfolge des geliehenen Mannes, dann weiß ich auch nicht.
Mutter und Kinder blieben noch vier Tage in der Klinik. Ich hatte einige Gänge und viele Telefonate zu erledigen. Die Post, mittlerweile in einem Obstkorb neben dem Bett von Lis, quoll über. Lis hatte die Nase voll von dem Getue um ihre Person, sie wollte nach Hause.
Kim nervte die Ärzte, ich unterschrieb ein Revers, dann konnte Lis auf eigene Verantwortung gehen, mit den Zwillingen natürlich. Kim hatte alles für ihre Ankunft vorbereitet, sogar Dr. Korr stand zur Sicherheit da, als wir ankamen.
Ich war unerwünscht im Schlafzimmer. Das Bett von Kim war leer. Sie hatte eine Liege bei Lis im Zimmer. Der Hygiene wegen, sagte Dr. Korr, darf keiner bei ihr im Bett schlafen, obwohl er doch etwas stutzte, als er die Größe unseres Bettes sah. Die Zwillinge zeigten unverkennbar, mindestens 6-mal am Tag, ihre Präsenz an. Durch Geschrei wenn sie der Hunger plagte.
Endlich - Lis wurde von Dr. Korr der Öffentlichkeit übergeben, ich durfte wieder in meinem Bett, bei meiner Frau schlafen. Ich informierte sie, dass ein Empfang für sie und die Kinder stattfinden wird. Sie war einverstanden. Sie wusste, dass das nicht zu umgehen war.
***
Die Einladungen waren verschickt. Aus Teheran wurde Marni erwartet, sagte mir Papa. Er würde sich um alles kümmern. Suiten im Zeppelin hätte er bereits bestellt. Ich rief in Konstanz an, ja, Rama kommt auch. Ich bat Papa auch für sie ...
„Du sollst dich um nichts wegen dieser Einladung kümmern, mein Sohn. Ich habe genaue Anweisungen von Rama bekommen“, lachte er. Irgendwie ist er ja auch Angestellter des Hauses, fiel mir dann ein.
Renate kam mit reichlich Personal aus Rottweil. Sie und Klarissa organisierten alles, wir sollten oben in unserer Wohnung bleiben. Mom, am Arm von Pop und mir, kam erstmals auch in unsere Räume hoch. Sie bestaunte alles, dann blieb sie bei Lis und den Kindern. Ihr erklärter Liebling ist Paul. Pop ist dagegen völlig vernarrt in Pele, wie es nicht anders zu erwarten war.
Renate sagte, sie würde die Halle als Eingangspuffer nutzen. Es würden dort Getränke gereicht. Der eigentliche Empfang sei in der Beletage. Alle Tische kämen in Kims alten Laden; es sollte eine Stehparty werden, da wohl sehr viele Leute kommen würden. Die Stühle kämen an die Wand, für die Müden.
„Macht bloß nicht zu viel Getöse“, bat Lis. Ich nickte nur gottergeben, was blieb mir auch übrig.
„Es ist doch auch Pauls einundzwanzigster Geburtstag“, sagte dagegen Renate sehr verwundert. Lis und ich hatten das völlig vergessen, in der Aufregung um unseren Nachwuchs. Ich war mit der Party also auch gemeint. Nun ja - sicher nicht als Hauptperson. Das waren heute unbedingt unser Nachwuchs und die stolze Mutter.
***
Wen wundert es, dass alle kamen. Paul und Pele wurden auf einer weichen weißen Decke, in diesem Korbsessel untergebracht, den ich schon so oft für Aufnahmen nutzte. Lis saß auf einem Stuhl mit hoher Lehne neben ihnen. Kim und Sara, in schönster thailändischer Garderobe, standen bereit. Für besondere Gäste sollten die Kinder hochgehoben werden. Leicht versetzt, etwas im Hintergrund, saßen die vor Stolz fast platzenden Großeltern. Ich sollte, neben Lis stehend, die Gäste begrüßen.
Beide Babys sahen wachen Auges und höchst interessiert umher. Sie waren satt, Grund zum Schreien gab es eigentlich nicht. Sie verzichteten auch darauf. Und dann begann der Aufmarsch ...
Vorn dran aus Hamburg, Abdallah. In voller Kriegsausrüstung, mit dem gezogenen Schwert in der Hand. Er führte die Parade an, die über die große Treppe nach oben kam, gefolgt vom Haus Radama. Nicht nur Rama und Friedrich, Leila und Peter, sondern auch Marni mit Hosni und - Leila Radama, die Älteste, mit Mann. Baronin Renate und Edler Hans waren wie selbstverständlich dabei. Kikki, Geschäftsführerin Südostasien, ergänzte die Phalanx. Der Auftritt war pompös, ich fühlte mich nach Teheran versetzt. Bei Lis zuckte keine Wimper, als sie die Älteste sah. Wir hatten beide keine Ahnung, dass auch sie kam.
Die Älteste trat vor, kniete vor dem Sessel nieder, in dem die Zwillinge lagen und betete. Der Rest des Aufmarsches kniete ebenfalls; Abdallah, jetzt in beiden Fäusten das Schwert vor sich auf den Boden gestützt. Dann segnete die Älteste, Lis und die Kinder. Alle drei bekamen eine schlichte Goldkette um den Hals. Mit einem Halbmond aus Platin, dem Zeichen des Islam.
„Es wird euren Gott nicht stören, das Zeichen seines Propheten Mohammed an eurem Hals zu sehen. Du, Paul Albert Hosni Oktober Radama, Prinz und Graf von Karaj, mögest ein langes ehrenvolles Leben haben. Du, Beatrix Leila Pele Oktober Radama, Prinzessin von Karaj, mögest dem Willen der Weissagung gehorchen können und dein Leben friedvoll, lange und gesund leben. Du, Elisabeth Oktober Radama, Gräfin von Karaj, bist ab heute zur Stammmutter eines neuen Geschlechts ernannt. Allah und unser Haus will es so, von jetzt bis in alle Ewigkeit. Alhamdulillah (Gott ist groß).“
„Ich nehme die Ehre, im Namen des Prinzen und der Prinzessin an“, sagte meine Frau Lis mit fast unbewegter Miene. „Den Segen mögen meine Kinder in ihrem Leben tausendfach vergelten. Nicht nur gegenüber dem Haus Radama, sondern an all ihre zukünftigen Freunde. Sie sollen ehrenvolle Mitglieder des Hauses Radama werden.“
Stürmischer Applaus von den Gästen, die sich dicht drängten. Ich sah die Schläfen von Lis arbeiten, sie kämpfte um ihre Kontenance. Sie, die so nahe am Wasser gebaut hat, für ihre Kinder überwand sie Welten. Ich erhaschte allerdings auch einen kleinen blitzenden Blick der Genugtuung.
Es war ein langer Zug von Gratulanten, der da an uns und den Kindern, jetzt bewacht von Abdallah, vorbeizog. Die engen Freunde aufzuzählen wäre langweilig. Die weniger engen Freunde ebenso.
Dass Leute wie der Staatssekretär, der Dekan und Lothar, auch der Bürgermeister und noch viele andere Prominenz kamen, verblüffte uns dann doch. Wir schienen wirklich geachtete Bürger in Stuttgart zu sein. Das war vorher weder Lis noch mir klar.
Lis blieb beinahe unbewegt freundlich. Ich sah, welche Mühe das für sie bedeutete. Der Innungsmeister, den wir kaum kannten, durfte einen Handkuss abliefern, dann war die Parade vorbei. Kitty und ihre Mädchen, alles gewohnt elegante Damen, servierten die Getränke. Häppchen gab’s am Buffet zur Selbstbedienung.
***
Ich sah Papa, mit einer Hand hinter dem Rücken, zu Abdallah gehen. Er hatte ein Wasserglas voll Ouzo darin. Der Bart von Abdallah kräuselte sich, dann lachten die beiden. Die Säuglinge lachten mit, bildete ich mir wenigstens ein. Erschrecken taten sie jedenfalls nicht.
„Soll ich dir was sagen, Lis? Der Aufstand war nur wegen der Weissagung, dass unsere Kinder Pele und Paul den Kronprinzen des Hauses Radama dereinst retten würden. Was glaubst du?“, flüsterte ich der jungen Mutter zu.
Sie sah mich erst verblüfft an, dann lächelte sie zauberhaft und nickte. „Ja, das Haus war wohl schon immer dafür, ganz auf Nummer sicher zu gehen, wenn es um das Wohl der Familie geht. Da lassen sie nichts anbrennen“, gestand sie mir dann zu.
Die Party ging weiter, Smalltalk. Lis hielt sich heute, wie es ihrem Rang als Stammmutter zukam, hoheitsvoll und freundlich.
Bis auf die engsten Freunde leerte sich dann das Haus aber bald wieder. Als Letzte kamen noch Roland und Lisl, an der Hand Lisbeth, die kleine Tochter. Sie tat ihre ersten Schritte auf Lis zu, gehalten von den Eltern, krähend vor Vergnügen. Da war es vorbei, mein Schatz war fertig mit den Nerven. Lisl erkannte es sehr wohl und schirmte sie ab. Kim und Sara nahmen die Babys und brachten sie in ihr Zimmer.
Lis beruhigte sich schnell. Ihre Party mit der Familie ging weiter. Damit auch unser Leben in der Großfamilie. Lis, mein zäher kleiner Schatz, hatte alles erreicht, was sie je wollte. Dann fiel mir wieder ein, dass ja heute auch mein Geburtstag ist. Sara brachte mir eine Flasche Taitinger, meine Lieblingsmarke. Den konnte ich jetzt in aller Ruhe, zusammen mit meiner Familie trinken. Ein wenig Stolz kam nun auch in mir auf; es war heute doch ein bedeutender Tag für das Haus Oktober-Radama.
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Am Tag nach der Feier stand in der Zeitung, auf der Titelseite des Lokalen, ein großer Bericht: Eingesessene Stuttgarter Familie in persischen Hochadel erhoben. Wir hatten es bei der Menge der Besucher, überhaupt nicht mitbekommen, dass die Presse auch da war.
Pop meinte, wenn der Bürgermeister ein Privathaus besucht, dann bekommt die Presse davon immer Wind. Der Artikel berichtete detailgenau von der Segnung durch Regentin Leila und der Aufnahme unserer Kinder ins Stammbuch. Ich weiß nicht woher der Reporter es erfuhr, aber er berichtet, dass Lis und ich, bereits nach unserem 18. Geburtstag, in Teheran in das Stammbuch eingetragen wurden. Er wusste sogar, dass es wegen einer großen Dienstleistung war. Als Vermutung stellte er eine Verbindung zum Teppichgeschäft her. Er wusste, dass Papa in Hamburg ein sehr großes und sehr exquisites Lager mit persischen Teppichen verwaltet, konnte dort aber auch nichts erfahren, schon gar nicht von Abdallah. Er hatte auch im Gotha recherchiert, es gab dort aber keine verwertbaren Spuren nach Deutschland. Auf jeden Fall gelten die Titel aber. Uns war es nie so wichtig, wie die Freundschaft zum Hause Radama.