- Start: 11.06.2020 - 21:42 Uhr
- Ende: 11.06.2020 - 22:01 Uhr
Der Regen hämmerte gegen die Scheibe, ein zorniger Gott, der Einlass verlangte. Heulend fuhr der Wind um die Hütte, Zweige kratzten über das Dach direkt über Fenias Bett, das unter der Schrägen stand. Sie sah zuckende Schatten vor dem Fenster und hörte krachen und bersten, wenn Blitze einschlugen oder der Wind etwas mit sich riss.
Es war ein Sturm, der die Straßen flutete, Dächer mit sich riss, Menschenleben forderte. Obwohl sie erwachsen war und die Zeit, in der sie sich vor Gewittern gefürchtet hatte, längst vorbei, hämmerte Fenias Herz bis zum Hals. Es schnürte ihr den Atem ab.
Ein weiterer Blitz durchschnitt die Nacht, gefolgt von lautem Donner direkt über ihrem Kopf. Sie zog die Decke bis zum Kinn. Trotz des warmen Pullovers zitterte sie - das hatte nichts mit Kälte zu tun. Sie starrte auf die Schrägen und betete leise murmelnd. Sie betete zu keinem Gott, flüsterte nur immer wieder Bitte.
Bitte, bitte, bitte halte stand. Bitte, bitte, bitte weh nicht fort.
Als könnten ihre Worte das Haus zusammenhalten.
Plötzlich erklang ein vollkommen unerwartetes Geräusch. Fenia erschrak so sehr, dass sie sich kerzengerade aufsetzte.
Es hatte geklingelt.
Wer um alles in der Welt sollte jetzt bei ihr Klingeln?
Sie sprang unter der Decke hervor und lief zur Tür. In Gedanken sah sie bereits einen schwer Verwundeten vor sich stehen. Oder einen Mann, dessen Frau oder Kind unter einem Baum eingeklemmt war, der sie um Hilfe anflehte.
Sie eilte die Treppe hinunter und streckte die Hand nach der Tür aus, doch dann wagte sie es nicht. Was, wenn es ein schrecklicher Anblick sein würde? Was, wenn ...
"Fenia? Fenia, mach auf."
Sie zuckte zusammen. "Arved?" Ganz ohne ihr Zutun riss ihr Körper die Tür auf.
Dahinter stand Arved, komplett durchnässt. Sein langer Mantel tropfte und er hatte den Kopf tief zwischen die Schultern gezogen. Eilig drängte er sich an ihr vorbei ins Warme, während Fenia ihn nur anstarrte. Mechanisch schloss sie die Tür.
Schließlich fand sie ihre Worte wieder: "Was machst du hier?!"
Arved hing den Mantel an den Haken und schüttelte das nasse, dunkle Haar, ehe er sie angrinste. "Na, was wohl - ich komme dich besuchen."
"Bist du vollkommen verrückt?"
"Hey, immer mit der Ruhe. Ich war vorsichtig." Arved trat zu ihr und umfasste ihre Handgelenke sanft. Erst jetzt mehre sie, dass die Hände vor ihrer Brust zitterten. "Ich weiß doch, dass du Stürme nicht magst. Ich wollte dich anrufen, aber die Leitungen sind tot. Und allein lassen konnte ich dich nicht."
Statt einer Antwort konnte sie nur schluchzen. Kraftlos sank sie gegen Arved. Sie würde ihm gerne sagen, wie sehr sie ihn dafür liebte ... wie dumm er war ... dass sie es sich niemals verziehen hätte, wenn ihm etwas zugestoßen war ...
Doch keines dieser Worte kam aus ihr heraus. Arved hielt sie in seinen Armen und legte den Kopf auf ihren. Er wusste es, da war sie sich sicher.
Langsam zog er sie ins Wohnzimmer und setzte sie auf das Sofa. Der Raum war dunkel und kalt. Durch die Fenster konnte sie die sintflutartigen Regengüsse sehen. Die Wolkendecke war so finster, als würde die Welt untergehen.
Dann zog Arved die Rollläden herunter. Er kniete sich vor den Kamin und entfachte ein kleines Feuer, dessen Flackern den Raum erhellte. Fenia saß in eine Decke gewickelt, die Beine angezogen auf der Couch und starrte in die Flämmchen, deren Tanz sie hypnotisierte.
Arved kehrte mit zwei Tassen dampfenden Tees zurück. "Wollen wir einen Film sehen?"
"Nein. Nichts elektronisches." Fenia schüttelte den Kopf. Wenn da ein Blitz einschlug ...
Arved setzte sich neben sie und zog sie in seine Arme. Fenia lehnte den Kopf an seine Brust und schloss die Augen.
Nach einer Weile hörte sie ihn singen:
"Little child, be not afraid ... the rain puns harshly against the glass ..."
Seine ruhige, volle Stimme übertönte den Lärm draußen und hielt Fenia wärmer umfangen als seine Arme oder die Decke es je könnten.
"Like an unwanted stranger ... there is no danger ... I am here tonight ..."
Lied: "Lullaby for a stormy night", Vienna Teng
Die Charaktere habe ich aus "The Uncovering" entführt. Sozusagen eine AU-Fanfiktion zu meinem eigenen Werk, ganz genau. Nein, man muss das Original nicht kennen. (Es hilft vermutlich sogar, es nicht zu kennen.)