- Start: 15.11.2021 - 22:22 Uhr
- Ende: 15.11.2021 - 22:41 Uhr
Altersfreigabe: P16 (Gewalt)
Mit geweiteten Augen starrte Jared auf die Uhr. Schweiß stand auf seiner Stirn und sein Atem ging flach.
Selbst mich überlief ein Schauer, während ich den Zeiger beobachtete, der unweigerlich auf Mitternacht vorrückte.
Dabei hatte ich immer geglaubt, vernünftig zu sein. Martin Coalman war niemand, der an Geistergeschichten glaubte, an das Übernatürliche, an Dämonen und Pakte.
Doch das war gewesen, bevor ich Jared getroffen hatte.
Er war ein richtiges Stereotyp. Ein erfolgreicher Anwalt. Jung - noch keine vierzig - gutaussehend, adrett, immer höflich, charismatisch. Ein wenig zurückgezogen, doch unglaublich erfolgreich, mit der Betonung auf 'reich'. Trotz allem bescheiden. Er hatte keine Interviews gegeben, bis ich mich als sein Gärtner ausgegeben ins Haus geschlichen hatte. Erst nach und nach hatte er sich mir geöffnet, und wie er befürchtet hatte, hatte ich anfangs kein Wort seiner Geschichte geglaubt.
Der Teufel oder ein hoher Dämon hätte ihm einen Pakt angeboten, der mit Blut unterzeichnet wurde? Dem verdankte er seinen Erfolg? Das war lächerlich! Fantasyquatsch, aber nicht das echte Leben.
Nun ja, und dann hatte er sich vom Dach seiner Villa gestürzt, um mit zu demonstrieren, dass er unsterblich war. Er hatte ohne einen Kratzer überlebt. Dann gestand er mir, dass er überhaupt keinen Fall verlieren konnte, selbst wenn er es wollte. Und natürlich bekam er die Schuldigen, die Mörder, und musste ihren Freispruch erzwingen. Es war keine zweifelhafte Moral, wie die Öffentlichkeit glaubte.
Es war ein Fluch.
Ich hatte begonnen, mit ihm die alten Überlieferungen zu studieren. Wir haben den Dämon beschworen, mehr als einmal, und versucht, Jared freizukaufen. Doch sein erkauftes Talent wirkte nicht gegen jenen, der es ihm verliehen hatte.
Und heute war der Tag gekommen. Um Mitternacht würde der Dämon erscheinen und Jareds Seele fordern.
Wir hatten die Villa verriegelt. Bannkreise und heilige Symbole zeichneten die Wände. Möbel waren vor die Türen geschoben. Wir hatten Kreuze und Weihwasser besorgt, und sogar Waffen. Jared wollte nicht kampflos aufgeben, und ich als einziger Eingeweihter musste natürlich an seiner Seite bleiben.
Wir würden den Dämon töten und Jared befreien.
Die Flinte zitterte in meinem Griff, während ich ebenso atemlos wie Jared auf die Uhr starrte. Außer ihr gab es nichts in diesem Raum, der einem Bunker glich. Keine Lampen und Möbel, denn er fürchtete, dass sonst ein Balken auf seinen Kopf fallen könnte. Es gab nur uns beide, die flackernden Neonröhren und die mehrfach verriegelte Tür.
Und die Kuckucksuhr.
Der Ruf des hölzernen Vogels hallte durch das leere Zimmer, als die Stunde schlug. Jedes 'Kuckuck' zerrte an meinen Nerven. Die Lampen über uns flackerten.
Ich behielt die Tür im Auge. Wo der Dämon wohl gerade war? Sicherlich würden ihn Möbel nicht lange aufhalten. Ich lauschte, ob ich das Knallen aufschlagender Türen hörte, und machte einen Schritt auf die Tür zu.
"Was machst du da?", zischte Jared. "Bleib verdammt noch mal zurück!"
"Ich will doch nur ..."
"Erschossen werden? Geh mir aus der Schussbahn, Arschloch."
"Arschloch?!" Ich wirbelte herum. "Spinnst du? Ich bin extra bei dir geblieben und warte auf einen Dämon, und du undankbares Arsch beschimpfst mich? Soll ich vielleicht lieber gehen?"
"Geh doch!", rief Jared mit höhnischer Stimme. "Verpiss dich! Lass mich im Stich, so, wie du deine Tochter im Stich gelassen hast."
Verdammt noch eins! Das hatte ich ihm gestanden, als Entschädigung für Jareds Offenheit, und nichts bereue ich mehr. Ein Fehler, den ich nie wieder ungeschehen machen könnte.
"Du hast sie doch nicht mehr alle! Vielleicht sollte ich wirklich gehen. Immerhin ist es deine Schuld. Niemand hat dich gezwungen, deine Seele zu verkaufen."
Jared lachte. "Du hattest bloß nicht den Mumm dazu! Du bist nur ein Feigling, der für Gossenblätter schreibt. Du wirst niemals etwas aus deinem Leben machen. Außer andere zu enttäuschen."
Ein Schuss krachte.
Als das Klingeln in meinen Ohren nachließ und der rote Schleier sich von meinen Augen verzog, sah ich entsetzt auf Jared, der ausgestreckt auf dem Boden lag.
Tot.
Er konnte doch gar nicht sterben, solange der Dämon seine Seele nicht eingefordert hatte!
Wie betäubt taumelte ich vorwärts und ließ den Blick auf die Flinte in meiner Hand sinken, dann auf das Loch in seiner Stirn.
Die Flinte bebte noch stärker. Ich sah zur Uhr.
Mitternacht.
Und da begriff ich. Wir hatten uns verschanzt, mit Möbeln und heiligen Zeichen, doch der Teufel findet seinen Weg hinein.
Und ein einmal geschlossener Pakt wird sich immer erfüllen.
Weinend kniete ich an Jareds Seite, bis die Nacht verging. So fand mich seine Haushälterin vor und wenig später die Polizei.
Dafür, dass ich ihm hatte helfen wollen, wurde auch ich bestraft. Im Gerichtssaal sah ich einen jungen Anwalt vor mir. Charismatisch und gutaussehend, aalglatt, mit funkelnden Augen.
Er vertrat die Gegenseite.
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Inspiriert von "Inside No. 9", Staffel 6, Folge 5: "Wofür plädieren Sie?"
(vermutlich in der ARTE-Mediathek auffindbar, sehr zu empfehlende Anthologieserie)