- Start: 13.10.2021 - 21:09 Uhr
- Ende: 13.10.2021 - 21:18 Uhr
Nach einer Nacht in diesem großen, alten Haus fühlte Martha sich dankbar, dass sie zurückgekehrt waren. Der alte Bauernhof bot ihr eine Gemütlichkeit, die sie lange vermisst hatte. Erst nach ihrer Rückkehr wurde ihr klar, wie sehr sie sich all die Zeit nach einem Zuhause verzehrt hatte, nach einem Zimmer, einem eigenen Bett, einem Ort, an den sie gehören konnte.
Allzu leichtfertig hatte sie das alles hinter sich gelassen, war in die Welt gezogen, um ihre Freunde zum Sterben zurückzulassen.
Und hätte beinahe dieses Haus verloren.
Es war das Knarzen der alten Dielen, nach einem Jahr nun vertraut. Es war das Licht, das durch die Ritzen der Bretter vor den Fenstern fiel. Es war dieser leicht muffige, warme Duft, der aus den alten Decken, aus den Wänden, aus den Böden stieg.
Ein Geruch, der sie an ihre Eltern erinnerte. An eine Kindheit vor der Invasion. An ein glückliches Leben.
Sie wanderte zum Sonnenaufgang durch die Gänge des Anwesens, allein in diesen Stunden, die sie mit den frühesten Strahlen teilte. Sie ging in den Garten und genoss das Gefühl, jede Pflanze zu kennen, Vertrautes zu erblicken, statt wie sonst hinter jeder Hecke eine neue Gefahr zu befürchten.
Ja, es mochte ein schlechtes Zuhause sein. Eines, das vom Hunger bedroht wurde, dass jederzeit fallen mochte. Doch es war so wertvoll. So unglaublich wertvoll.
Martha wanderte in die Lagerkammer und roch den Duft von Kirschen. Ein weiterer Geruch, der Erinnerungen zurückbrachte. Traurige Erinnerungen, von denen sich ihr Herz zusammenzog.
"Ach, Louise", hauchte sie leise. "Ich wünschte, du wärst hier. Mit dir wäre es ein richtiges Zuhause."
Nichts als die Stille antwortete ihr. Martha senkte den Kopf und spürte Tränen hinter ihren Lidern brennen. Tränen, die sie niemals zulassen konnte. Der Schmerz in ihrem Inneren nahm ihr für einen Moment den Atem, als sie all die Gesichter vor sich sah, die sie zurückgelassen hatte. So viele waren an ihrer Seite gestorben, und jeder Einzelne schien in diesem Moment ein Gewicht zu sein, das auf sie niederdrückte.
Eilig trat sie nach draußen und wollte die Felder zum Haus überqueren, als ihr ein neuer, süßlicher Geruch in die Nase stieg und sie wie angewurzelt stehen lassen ließ.
Dieser Geruch ... ein Hauch von Verwesung, ein beißender Unterton, ein übler Gestank, der wie eine Wolke hereinrollte ...
Sie kannte ihn.
Und in diesem Moment wusste sie, dass der Tod auf ihre kleine Hütte zuhielt. Er nahte, unaufhaltsam, und er würde alles in seiner Bahn vernichten.