- Start: 04.11.2021 - 14:41 Uhr
- Ende: 04.11.2021 - 15:02 Uhr
Viorel trat in das Wohnzimmer und stockte, als er die ernsten Mienen von Jakob und Martha sah. "Was ist denn los?" Er ging zum Sofa und quetschte sich zu Ciprian und Alexandru. Letzterer hatte Valea auf den Knien sitzen. Am Tisch saßen Marcel und Finnik.
Nun, da alle da waren, stieß Jakob sich vom Tisch ab. "Martha muss euch etwas sagen." Er trat mit verschränkten Armen in die Türöffnung.
Martha atmete tief durch. Sie ließ den Kopf hängen. "Es kommt ein Pestengel."
Marcel erbleichte. Doch die drei Männer auf dem Sofa tauschten irritierte Blicke.
"Was ist das?", fragte Viorel.
"Ein Monster", erklärte Marcel mit rauer Stimme. "Ein großes Alien. Es ist eine Art Königin für einen Schwarm Piranhas." Er zögerte. "Der Hirsch muss ihn angelockt haben."
"Der Geruch der Verwesung, ja." Martha nickte. "Ich kann den Pestengel riechen, und ihr könnt es auch, wenn ihr draußen steht."
Die Alexandru und seine Cousins tauschten Blicke. Der ernste Tonfall der anderen machte ihnen deutlich, wie gefährlich der Pestengel war.
"Er walzt alles in seinem Weg nieder. Allein sein Atem ist ein tödliches Gift", berichtete Martha dennoch. "Vermutlich sind wir tot, bevor wir ihn zu Gesicht bekommen."
"Dann ... ziehen wir weg?", fragte Alexandru.
Martha schüttelte den Kopf. "Keine Chance. Er wittert uns bereits. Er wird nicht aufhören, bis er Menschenfleisch gekostet hat." Sie atmete tief durch, dann sah sie Alexandru an. "Ein kleiner Teil von uns könnte fliehen. Wir sind acht, also dürfen es höchstens zwei Leute sein. Die wird der Pestengel vielleicht ignorieren."
Alexandru schluckte, als er begriff, und umklammerte Valea fester.
"Der Pestengel ist nicht besonders schnell, aber er wird niemals aufhören, uns zu jagen. Das einzige, was ihn eine Weile innehalten lässt, ist, wenn er ... jemanden frisst." Ihre Stimme zitterte. Ihr kleines Gefolge starrte sie erschrocken an. Die Hälfte von ihnen hatte Martha noch nie weinen gesehen, der Rest schon seit Jahren nicht mehr.
Valea sah fragend vom einen zum anderen.
"Alexandru", sagte Martha durchatmend. "Du solltest bald aufbrechen."
"Ich gehe nicht!"
"Denk an deine Tochter", beschwor Ciprian ihn. "Ihr beide könnt es schaffen!"
Alexandru schüttelte stumm den Kopf, doch er widersprach auch nicht.
"Können wir dieses Ding nicht töten?", fragte Viorel.
Martha lachte trocken auf. "Glaub mir, das habe ich versucht! Doch du kommst nicht nah genug dran. Kugeln frisst das Ding zum Mittag. Nein ... der Pestengel ist nicht zu besiegen."
"Wir könnten eine Falle bauen", beharrte Viorel. "Mit spitzen Pflöcken, wie die ersten Menschen auf der Mammutjagd."
"Es ist nicht nur der Pestengel", widersprach Martha ihm. "Er kommt mit einem Schwarm Piranhas. Das sind Mücken, so groß wie deine Faust, die sich auf dich stürmen. Innerhalb von Minuten ..."
"Was sollen wir sonst tun?", rief Viorel zornig. "Einfach aufgeben? Oh nein!"
"Wir können nichts tun. Uns bleibt vielleicht noch ein halber Tag!"
"Das heißt nicht, dass wir kampflos aufgeben sollten." Viorel sprang auf. "Alex, du nimmst deine Tochter und gehst."
"Nein." Alexandru drückte Valea an sich. "Ich lasse euch nicht im Stich. Habt ihr verstanden? Finnik - du nimmst meine Tochter."
Erschrocken riss der stumme Syrer die Augen auf. Er schüttelte heftig den Kopf, doch Alexandru drückte ihm Valea förmlich in die Arme. "Ihr beide bringt euch in Sicherheit."
"Papa!" Valea zappelte.
"Es ist nur für ein paar Tage. Dann könnt ihr zurückkehren." Mit einem traurigen Lächeln kniete Alexandru sich vor sie und legte die Hand an ihre Wange. "Versprochen." Als das Mädchen nickte und dabei den Blick senkte, schwand das Lächeln aus Alexandrus Gesicht und er sah Finnik streng an.
Dieser nickte, nahm die schniefende Valea auf den Arm und ging. Durch die Lücken zwischen den Brettern vor den Fenstern konnten sie sehen, wie er im Garten zu rennen begann.
"Und wir", sagte Viorel mit fester Stimme, "wir kämpfen!"
Martha sah unsicher zu Jakob. Der lächelte schwach. Vielleicht, sagte sein Blick, gäbe es ja doch etwas Hoffnung.
Stumm schüttelte Martha den Kopf, kaum merklich. Dunkle Trauer lag in ihrem Blick.
Wenn es eine Möglichkeit gegeben hätte, den Pestengel zu töten, hätte sie sie gefunden. Sie hätte ihn in Stücke gerissen.
Nein, es gab keine Chance.
Denn wenn es eine Möglichkeit gab, und sie sie damals nicht ergriffen hätte, dann wäre das schlimmer.