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Kapitel 6
Das erste Abenteuer
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Killian geht mit einem klimpernden Gefäß durch das Wohnzimmer. Das Geräusch erinnert mich ein wenig an kleine Steine, die gegen eine Rüstung prallen. Der Mensch wirkt nicht besonders zufrieden, als er den Inhalt betrachtet. Er schüttelt das Gefäß ein wenig, das Klimpern wird etwas lauter. Killians Gesichtsausdruck wird düster, er verengt seine Brauen und legt seine Stirn in Falten. Irgendetwas scheint nicht in Ordnung zu sein.
„Verdammte Pennys.“
Killian lässt sich recht schwerfällig zu Boden sinken und verteilt den Inhalt des Gefäßes auf dem Couchtisch. Ich erkenne schnell, dass Killian darin viele kleine Münzen aufbewahrt. Mit seiner kräftigen Hand wischt er über den Tisch um die Münzen weiter zu verteilen. Als sich eine davon selbstständig macht und von dem Tisch rollen möchte, fange ich sie auf.
„Kann ich dir irgendwie behilflich sein, Killian?“, frage ich neugierig und beobachte, wie er die kleinsten Münzen wieder zurück in die Dose schiebt.
„Eher nicht.“
Für einige Sekunden beobachte ich Killian noch, doch dann sehe ich mir die Münze, die ich aufgefangen habe, genauer an. Die Münze ist Silber, auf der einen Seite ist das Abbild eines Mannes, auf der anderen Seite befindet sich eine Art Vogel. Beide Seiten haben außerdem Schriftzeichen, die ich, genau wie die Schriftzeichen in den Büchern, nicht lesen kann. Ich betrachte die Münze und streiche über die glatte Oberfläche. Die Münzen, die ich kenne, sind nicht so ebenmäßig wie diese hier. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Menschen hierfür auch spezielle Maschinen und Technik einsetzen.
„Killian?“
„Hm?“
„Kommt diese Münze auch zurück in das klimpernde Gefäß?“
Er streckt seine Hand aus. Auf seine Handfläche lege ich die Münze. „Nein, die ist perfekt“, antwortet er mir recht neutral. Killian nimmt die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger. „Das ist ein Vierteldollar, wird aber Quarter genannt. Und genau nach so einer Münze suche ich. Wir brauchen noch sechs Quarter für den Waschsalon.“
Ich überblicke die Münzen auf dem Tisch. Die meisten davon sind viel kleiner und kupferfarben. „Ich verstehe. Wir brauchen mehr Quarter.“ Ich sehe mir nicht nur die Münzen, sondern auch Killian an. Sein unglücklicher Gesichtsausdruck entgeht mir nicht, während er die kleinen kupferfarbenen Münzen zurück in die Dose schiebt. „Ist irgendetwas nicht in Ordnung, Killian?“
„Alles gut. Es ärgert mich nur, dass ich keine Quarter habe“, antwortet er mir fast schon murmelnd.
„Verstehe.“
Auf dem Tisch findet Killian leider nur einen weiteren dieser Quarter, wir brauchen also noch weitere fünf Stück.
„Was machen wir denn jetzt?“
„Wir werden kreativ“, meint Killian weniger begeistert. Die Sache mit den Quartern beschäftigt ihn wohl sehr. „Du, meine Liebe, wirst in der Couch nachsehen und ich nehme mir meine Jacken und Taschen vor.“
Irritiert sehe ich links und rechts neben mich. Wie soll ich denn in der Couch nachsehen?
„Entschuldige, ich verstehe nicht.“
„Du nutzt deine hübschen Hände und suchst zwischen den Kissen nach Münzen“, erklärt Killian und wischt die letzten Kupfermünzen in das klimpernde Gefäß.
„Wieso bewahrst du Münzen zwischen den Kissen auf?“
Killians Blick ist ausdruckslos, als er zu mir aufsieht. Er gibt mir das Gefühl, gerade eine sehr dumme Frage gestellt zu haben. Mit Daumen und Zeigefinger reibt er sich die Nasenwurzel, ehe er mich aufklärt: „Es passiert manchmal, dass eine Münze aus einer Hosentasche fällt und zwischen den Kissen landet. Bitte sieh nach, ob du eine findest.“
„Ach, so ist das. Gut, dann mach ich das“, antworte ich nun auf Killians Bitte.
„Danke“, spricht Killian in einem seltsamen Ton. Der Mensch steht auf und verlässt zusammen mit dem klimpernden Gefäß das Wohnzimmer.
Auch wenn Killian mich so merkwürdig angesehen und diesen fast schon verwirrenden Tonfall hatte, will ich mich nützlich machen. Ich lege die Decken zur Seite und fasse mit einer Hand zwischen die Kissen. Es vergeht keine Minute schon ertaste ich einiges, jedoch keine Münzen. Zwischen Krümeln und Staub finde ich Nüsse und Nussschalen, auch ein paar Chips entdecke ich. Ich finde sogar etwas, das wie ein Maiskorn aussieht. Angeekelt suche ich weiter. Irgendwo in der Mitte finde ich tatsächlich eine Münze, sie ist jedoch klein und kupferfarben, also kein gesuchter Quarter.
Killian scheint auch fleißig zu suchen. Ich höre, dass er brummend Selbstgespräche führt. Besonders erfreut klingt er jedoch nicht. Ich lege die kleine Kupfermünze auf den Tisch und fasse ein weiteres Mal zwischen die Kissen. Kaum habe ich alle Ritzen durchsucht, fange ich von vorne an. Ich will sichergehen, dass ich nichts übersehen habe.
„Hattest du Glück?“, spricht Killian mich an. Er bleibt nur ein paar Schritte von mir entfernt stehen.
„Nein, einen Quarter habe ich nicht gefunden, aber dafür eine dieser kleinen Kupfermünzen“, antworte ich ihm. Mit einer Hand gestikuliere ich zu dem Couchtisch hinter mir, denn da habe ich die Münze hingelegt.
„Schade.“
„Und Nussschalen, Chips, Staub…“, erzähle ich von den weiteren Funden und begebe mich dabei in die Küche, um mir die Hände zu waschen.
„Oh.“ Killian redet etwas lauter, sodass ich ihn hören kann: „Ich sollte morgen vielleicht den Staubsauger anwerfen.“
Nachdem ich mir die Hände gewaschen habe, betätige ich den Wasserhahn, um den Wasserfluss wieder zu stoppen, und trockne mich an dem kleinen Tuch ab. Das benutzte Tuch lege ich zurück neben das Waschbecken.
Den Staubsauger anwerfen. Diese Floskel ist mir noch unbekannt. Was ein Staubsauger genau ist, ist mir noch nicht ganz klar, aber ich habe bereits eine Vermutung. Da die Menschen einige Gegenstände und technische Geräte haben, deren Namen schon deutlich sagen, was sie können, tippe ich darauf, dass es sich um ein technisches Gerät handelt, das den Staub irgendwie einsaugen kann. Ich schätze, dass es sich um eine Maschine zum Putzen handelt.
„Bist du denn fündig geworden?“, erkundige ich mich, als ich wieder zurück ins Wohnzimmer komme. Zur Antwort nickt Killian.
„Entschuldige, dass ich vorhin so schroff war.“
„Man kann nicht immer gut gelaunt sein“, antworte ich Killian lächelnd und setze mich wieder auf die Couch. „Eigentlich habe ich es kaum bemerkt.“
Auch Killian lässt sich neben mich sinken. Er lehnt sich allerdings so weit zurück, dass er liegt und an die Decke über uns sieht. „Es war trotzdem nicht nötig. Ich bin einfach nur genervt, dass ich wegen solchen Kleinigkeiten wie Wäschewaschen einen Suchmarathon starten muss. Um mir die Sachen leisten zu können, die ich dir bestellt habe, muss ich wieder einen Nebenjob annehmen.“ Er legt seine Hände in sein Gesicht und reibt sich über die Augen. „Ich muss dich in den nächsten Tagen also wieder ein paar Stunden alleine lassen.“
Ich sehe in Killians Gesicht, der Mensch verdeckt es immer noch mit seinen Handflächen. „Ich verspreche, dass ich besser Acht geben werde. Ich beschäftige mich, ohne etwas nass zu machen.“
„Ein schwacher Trost“, nuschelt er zwischen seinen Händen hervor
„Kann ich irgendetwas tun? Ich könnte doch selbst einen Job annehmen. Welche Aufgaben gibt es denn in der Menschenwelt?“
Killian lässt seine Hände sinken. Er lächelt mich gequält an. „Das ist in meiner Welt leider nicht so einfach, Ilaria. Bei uns Menschen gibt es Bürokratie. Das ist…“ Killian seufzt. „…schwer zu erklären. Im Prinzip braucht jeder Mensch einen Ausweis, in dem einige Daten über diese Person aufgelistet sind. Diesen Ausweis braucht man auch, um einen Job oder eine Wohnung zu bekommen.“
„Hm… Das ist ungeschickt, so etwas besitze ich nämlich nicht“, stelle ich nüchtern fest.
„Und genau das ist das Problem“, erklärt Killian. „Im Prinzip bist du illegal in unserem Land. Der Welt generell, wenn man es genau nimmt.“
„Illegal?“
Killian nickt. „Jeder Mensch wird auf diesem Planeten irgendwo registriert“, erklärt er weiter. „Jeder gehört einem Staat an und untersteht dessen Regierung. Zu genau musst du das nicht wissen.“
Nachdenklich sehe ich durch den Raum. „So verschafft ihr Menschen euch einen Überblick über euer Volk, verstehe ich das richtig?“
„Kann man so sagen, ja.“
Bevor ich weiterspreche, nehme ich mir einen Moment Zeit, um über die neuen Informationen nachzudenken. „Ist es denn ein Problem, dass ich nicht registriert bin? Bringt uns das in Schwierigkeiten?“
Killian schnaubt. „Eventuell. Die Alternative dazu ist allerdings nicht berauschend. Wenn die Regierung herausfindet, dass du hier bist…“ Der Mensch führt den Satz nicht fort. „Lassen wir das. Hast du Hunger?“
Der Themenwechsel kommt mir zwar etwas abrupt vor, doch als Killian mich anlächelt, nicke ich. Der Mensch wird seine Gründe haben. Manchmal ist es das Beste, wenn man gewisse Dinge nicht weiß.
༄ ♫ ༄
In wenigen Minuten ist es so weit. Killian und ich verlassen heute Nacht zusammen sein Zuhause, um unser erstes Abenteuer in der Menschenwelt zu bestreiten. Es klingt vermutlich spannender, als es sein wird, denn Killian sagte, dass ich nicht zu viel erwarten soll. Ein Mensch würde den Streifzug zu einem Waschsalon bestimmt als etwas Alltägliches und Unspektakuläres bezeichnen, doch für mich ist das eine ganz neue Situation. Die technischen Geräte, auf die ich treffen werde, hat Killian mir bereits mit seinem Tablet gezeigt. Sie nun im richtigen Leben zu sehen, ist aufregend.
Im Moment legt Killian den letzten Feinschliff an mir an. Wieder trage ich Kleidung, die ich mir von ihm geborgt habe. Eine lange Hose, die mit Hilfe eines Gürtels an meiner Hüfte hält, außerdem noch einen seiner großen Hoodies. An meinen Füßen befinden sich schwarze Socken, nun fehlen nur noch meine eigenen Schuhe.
„Es ist wichtig, dass du die Kapuze aufgesetzt lässt, okay?“, erklärt Killian und zieht mir eben diese Kapuze über den Kopf.
„Das werde ich. Dient die Kapuze dazu, meine Haare zu verstecken? Alle Menschen, die ich bis jetzt gesehen habe, haben braune oder schwarze Haare.“
„Deine Haare sind weniger das Problem“, erklärt Killian mir. „Es gibt viele Menschen, die sich ihre Haare färben. Es kommt also durchaus vor, dass da draußen Menschen mit bunten Haaren herumlaufen. Und deine geflochtenen Zöpfe und Dreadlocks gibt es bei uns auch.“
Ich nicke. „Dann verstecke ich also mein Gesicht, ja?“
„Genau. Und kühl ist es auch. Ich werde auch eine Kapuze tragen.“ Killian zwinkert mir zu und zieht sich ebenfalls eine Kapuze über den Kopf. „Noch einmal von vorne: Du behältst die Kapuze auf und verhältst dich ruhig. Deine Fragen kannst du mir stellen, wenn wir alleine sind. So erregen wir keine unnötige Aufmerksamkeit. Wenn du Fragen über ganz banale und alltägliche Dinge stellst, halten dich Fremde automatisch für seltsam und beäugen dich.“ Ich nicke. „Weiter im Text: Egal wie interessant dir die Menschen vorkommen, die dir begegnen, du siehst sie nicht so intensiv an, wie du es bei mir beispielsweise machst. Das könnten einige Menschen in den falschen Hals bekommen. Verstehst du das?“
„Ja, Killian. Ich verstehe“, antworte ich mittlerweile eher unkonzentriert, da ich mich schon viel zu sehr freue, nach draußen zu gehen. Immer wieder blicke ich zur Tür, außerdem spiele ich mit einem meiner Zöpfe.
„Ilaria, das ist wichtig. Bitte hör mir zu.“
Mein Blick schwingt von der Tür wieder zu Killians Augen. Schon wieder dieser ernste Gesichtsausdruck. Er hat seine Stirn erneut in Falten gelegt, seine Mundwinkel sind leicht nach unten gezogen. Wenn er lächelt gefällt er mir viel besser. Ich lasse meine Haarsträhne von meinem Finger gleiten und strecke meine Hand nach Killian aus. Eigentlich möchte ich gegen seine Wange stupsen, um ihn etwas aufzulockern, doch er fängt meine Finger ab.
„Du erinnerst dich an die beiden Männer, die draußen gestritten haben?“
Nun werde ich doch etwas hellhörig. „Ja, ihr Verhalten hat mir Angst gemacht.“
„Gut.“ Ich sehe Killian skeptisch an. „Nicht gut im Sinne von: Gut, dass du Angst hast. Es ist eher ein Gut im Sinne von: Gut, dass du den Ernst der Situation begriffen hast. Einige Menschen, besonders Menschen, die um diese Uhrzeit draußen herumlungern, mögen es nicht besonders, angesehen zu werden. Und sie mögen es erst recht nicht, so intensiv angesehen zu werden, wie du es für gewöhnlich tust.“ Ich will gerade antworten, doch Killian spricht gleich weiter: „Es liegt nicht an dir, Ilaria. Manche Menschen sind sehr mies gelaunt und sie suchen nur jemanden, an dem sie ihre schlechte Laune auslassen können. Andere wirken vielleicht ein bisschen verrückt. Die ignoriert man am besten und geht weiter als wäre nichts. Wenn du an meiner Seite bleibst, dich eher unauffällig umsiehst und niemanden anstarrst, wird dir nichts passieren. Ich passe auf dich auf.“
„Vielleicht ist es doch keine so gute Idee, dass ich hinausgehe. Das alles hört sich doch schon sehr gefährlich an.“
Killians ernster Blick wirkt nun traurig. „Ich bin so dumm.“ Er greift nach meiner Hand und drückt sie leicht. „Es lag nicht in meiner Absicht, dir Angst zu machen, Ilaria. Dir wird nichts passieren, versprochen.“ Ich nicke, eingeschüchtert bin ich allerdings dennoch. Killian lässt meine Hand los.
„Wie sehr werde ich draußen auffallen?“, frage ich leise nach. Etwas nervös schlinge ich wieder einen meiner Zöpfe um meinen Zeigefinger.
„Nachts und in dem Outfit? Kaum, wahrscheinlich gar nicht.“ Um mich etwas aufzumuntern, lächelt Killian mich an.
„Und du bleibst die ganze Zeit an meiner Seite, ja?“, frage ich nach, obwohl ich mir die Antwort bereits denken kann. Killian würde mich da draußen nicht alleine lassen. Es war schon schwer genug für ihn, zur Arbeit zu gehen, während ich auf der Couch auf ihn gewartet habe.
„Selbstverständlich.“
Wir ziehen unsere Schuhe an, außerdem nimmt Killian einen Rucksack mit. Zusammen mit dem Mensch begebe ich mich nach draußen. Nicht nur er trägt einen Wäschekorb, ich muss meine Wäsche selbst tragen. Das ist jedoch nicht weiter schlimm, immerhin ist der Korb nicht besonders schwer. Ich bleibe dicht neben Killian, als er losgeht.
„Wir müssen nur die Straße runter. Es ist nicht so weit. Fünf Minuten Fußweg.“ Wir bleiben stehen. Killian deutet mit dem Kopf nach vorne. „Da lang.“ Wir gehen einige Schritte. „Stopp.“
Ich schmunzle. „Wieso? Wir sind doch erst ein paar Schritte gegangen.“
„Siehst du da vorne das rote Licht? Das ist eine Ampel. Wenn dort eine rote Hand aufleuchtet, sollte man stehen bleiben. Wenn die Hand nicht mehr rot leuchtet, startet ein Countdown und wir können losgehen.“
„Hm. Das ist wieder eure Technik, nicht wahr?“, frage ich nach, dabei behalte ich die Ampel genau im Blick. Die Farbe der Hand ändert sich tatsächlich, sie beginnt zu blinken. Gleich daneben leuchtet ein Symbol auf, das recht schnell von einem weiteren Symbol abgelöst wird.
„Genau. Komm, weiter geht’s.“
Die Autos, die ich nicht nur aus dem Fenster von Killians Zuhause sehen konnte, sondern auch schon in der ersten Nacht meiner Ankunft bestaunt habe, bleiben stehen. Ich folge Killian über die Straße. Zusammen gehen wir neben den großen, beeindruckenden Häusern entlang. Es fällt mir schwer, mich an dieser großen Stadt sattzusehen, sie scheint gar kein Ende zu nehmen. Auch die Gebäude sind ganz anders, als die, die ich aus meiner Welt kenne. Wir kommen auch an Bäumen vorbei, die zwischen uns und einigen stillstehenden Autos gepflanzt wurden. In den Städten meiner Welt gibt es viel mehr Bäume, Büsche und Pflanzen, als hier in dieser Menschenstadt.
Hinter uns höre ich einen Menschen schreien. Ich zucke kurz zusammen und möchte mich gerade zu dem Geräusch umdrehen, doch Killian spricht mich neutral an: „Einfach ignorieren, nicht umdrehen. Geh ganz normal weiter, als hättest du nichts gehört.“
„Verstanden“, antworte ich ihm leise. „Sind alle Menschen gefährlich, die sich nachts hinauswagen? Also… bist auch du gefährlich?“
„Gefährlich?“, wiederholt Killian amüsiert. „Nicht per se. Aber wenn uns jemand anpöbeln sollte, hätte ich kein Problem damit, uns zu verteidigen. Die Gegend ist aber ungefährlich. Vielleicht habe ich ein kleines bisschen übertrieben, weil ich mir Sorgen um dich mache. Es wird alles gut gehen, versprochen. Wir gehen nur in einen Waschsalon, da passiert nichts.“
„Ich fühle mich sicher, wenn du da bist, Killian“, antworte ich lächelnd.
„Schön, das zu hören. Dann erfülle ich meine Aufgabe als Held zumindest ein bisschen.“
Killian bringt mich zum Schmunzeln. „Nicht nur ein bisschen.“
Wir überqueren die Straße ein weiteres Mal. „Hier geh ich übrigens ab und zu einkaufen, auch wenn mir der Laden zwei Ecken weiter lieber ist.“ Mit seinem Kopf deutet er auf ein Gebäude zu unserer Linken.
„Was ist denn der Unterschied?“
„Der Preis. Der Laden hier ist größer, aber auch teurer. Der Laden zu dem ich immer gehe ist kleiner und in Familienbesitz.“ Killian räuspert sich. „Man kennt sich, die Preise sind okay und ein großer Umweg ist es auch nicht.“
„Ich verstehe.“
Wir kommen an einigen weiteren Bäumen und auch vielen Gebäuden vorbei und obwohl es recht dunkel ist, kann ich erkennen, dass eines davon blau ist. Die Farbe gefällt mir ausgesprochen gut. Die gesamte Umgebung und der Lärm der vorbeifahrenden Autos lenken mich ein wenig ab, doch trotzdem fühlt sich mein Wäschekorb immer schwerer an. Mein Griff verfestigt sich, da ich Angst habe, den Wäschekorb vielleicht fallen zu lassen.
„Es ist nicht mehr weit“, verspricht Killian mir. „Siehst du da vorne das rote Gebäude an der Ecke?“
„Mhm. Ist es das?“
„Nein, das Gebäude direkt gegenüber ist es. Direkt an der Ecke. Ziemlich unscheinbar“, erklärt der Mensch weiter.
Es dauert tatsächlich nicht mehr lange, bis wir bei dem Waschsalon ankommen. Killian drückt die Tür auf und deutet mir mit dem Kopf, voranzugehen. Die Maschinen, mit denen die Menschen ihre Kleidung waschen und trocknen, sehen genauso aus, wie Killian es mir im Internet gezeigt hat. Ich sehe mich überrascht um. Der Geruch, der mir in der Nase liegt, ist schwer einzuordnen. Einerseits duftet es, anderseits fühlt sich die Luft beim Atmen etwas stickig an.
Killian stellt seinen Wäschekorb auf einen der Tische. Ich tue es dem Menschen gleich. Diese Last loszuwerden, fühlt sich gut an. Wir sind vollkommen alleine in dem Waschsalon, das heißt also, dass ich all meine Fragen stellen darf, sollten mir welche in den Sinn kommen. Ich bin erleichtert.
„Ich hab mir das ganz anders vorgestellt. Hier ist es ziemlich trist, findest du nicht?“
„Es ist eben ein Waschsalon“, antwortet Killian hörbar belustigt. „Ich hab dir doch gesagt, dass du von unserem ersten Abenteuer nicht zu viel erwarten solltest.“ Er öffnet eine der Waschmaschinen an der Wand, räuspert sich, schließt sie wieder und öffnet die nächste. „Die hier ist gut. Komm gleich her mit deinen Sachen.“ Ich greife wieder nach dem Wäschekorb und hebe ihn an, nur um ihn dann auf den nächsten Tisch, gleich neben Killian, zu stellen. Viel mehr als zwei Schritte muss ich nicht machen, der Waschsalon ist sehr klein. „Willst du deine Wäsche selbst hineingeben oder soll ich das machen?“
„Einfach von dem Korb in die Waschmaschine?“, frage ich nach, worauf Killian nickt.
Aufgeregt lege ich meine Sachen in die Waschmaschine. Kleidungsstück für Kleidungsstück findet darin Platz. Gespannt darauf, was jetzt wohl passieren wird, sehe ich Killian an. Er bedient die Maschine und schließt die kleine, runde Tür. Ein letztes Mal berührt Killian die Maschine, dann scheint sich schon etwas zu rühren. Durch das Glas an der Tür kann ich beobachten, wie sich meine Menschenkleidung in Bewegung setzt. Meine Kleidung wird nass und sie wird gedreht. Erwartungsvoll sehe ich die Kleidung an, doch mehr als das passiert nicht.
„Das… war alles?“, frage ich und werfe einen Blick zu meinem Begleiter.
Killian zieht eine Braue hoch. „Was hast du erwartet?“
Ahnungslos zucke ich mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich bin es wohl aus meiner Welt gewohnt, dass etwas Magisches passiert. Wahrscheinlich erwarte ich das…“
Die Mimik des Menschen wird wieder weicher. Meine Aufmerksamkeit wird allerdings wieder von der Waschmaschine in Anspruch genommen. Diese Menschentechnik ist bemerkenswert. Meine Wäsche wird ganz ohne Magie bewegt. Wie das alles funktioniert, ist mir vollkommen schleierhaft. Diese erzeugten Blitze, diese Elektrizität macht das alles möglich. Auch wenn das alles hier neu und faszinierend ist, vermisse ich meine Heimat sehr. Vielleicht vermisse ich sie gerade deswegen. Das alles hier ist ganz anders als in meiner Welt. Es wirkt so surreal. Schon die riesigen, eindrucksvollen Gebäude sind überwältigend, doch für die Menschen ist das alles vollkommen normal. Im Moment wird mir mehr als klar, dass ich nicht hierher gehöre.
Killian streichelt über meinen Oberarm. Die Berührung fühlt sich fast so an, als würde er mich in die Realität zurückholen. „Wir finden einen Weg, dich nach Hause zu bringen, Ilaria.“ Ich sehe von der beinahe schon hypnotisch wirkenden Waschmaschine in Killians blaue Augen. Sobald ich sein Lächeln bemerke, lächle auch ich. Ich glaube ihm. „Setz dich in der Zwischenzeit hin, wir werden ungefähr eine Stunde herumsitzen und warten.“
Killian deutet zu den Stühlen an dem großen Fenster. Im Vergleich zu Killians Möbeln sieht hier nichts besonders einladend aus. Ich setze mich dennoch, da er mich darum gebeten hat. Obwohl die Wand mit den Waschmaschinen links von mir rot ist und die Wand vor mir einen warmen Orangeton trägt, wirkt der gesamte Raum eher kühl und ungemütlich. Es könnte an dem kalten, fast schon unangenehmen Licht liegen. Bis auf ein paar Schilder mit Schriftzeichen, die ich nicht lesen kann, gibt es keine Bilder. Es gibt auch keine Pflanzen oder Fenster, abgesehen von den Fenstern, denen ich im Moment den Rücken zudrehe.
Während Killian mit den Waschmaschinen beschäftigt ist, betritt ein weiterer Mensch den Waschsalon. Ich beobachte ihn so unauffällig wie möglich und senke meinen Blick schnell wieder. Ach wenn ich ihn nicht lange ansehe, bemerke ich, dass auch dieser Mensch einen Hoodie trägt. Scheint wohl ein beliebtes Kleidungsstück in der Welt der Menschen zu sein. Auch die locker sitzende Hose ähnelt den Kleidungsstücken, die Killian und ich in seinem Zuhause getragen haben. Einen Wäschekorb hat der Fremde im Gegensatz zu uns nicht dabei. Da ich keinen Menschen zu genau ansehen soll, sehe ich weiterhin zu Boden. Mir sticht sofort ins Auge wie rein und strahlend meine neuen Schuhe im Vergleich zu dem schmutzigen Boden sind.
Erst als sich jemand neben mich setzt, wende ich meinen Blick wieder von meinen Schuhen. Anstatt den Menschen neben mir direkt anzusehen, werfe ich nur einen flüchtigen Blick auf seine Hose. Das ist nicht Killian. Auch der Geruch bestätigt das mehr als deutlich. Der Mensch neben mir dünstet einen beißenden, unangenehmen Geruch aus.
Ich zucke zusammen, als ich an der Schulter berührt werde. Nun sehe ich den Menschen neben mir doch an. Dass ein fremder Mensch Körperkontakt zu mir sucht, irritiert mich. Seine Hand streicht von einer Schulter bis zur anderen, dann lässt er seine Hand ruhen. Die Berührung ist mir unangenehm, doch ich traue mich nicht, etwas zu sagen, als wir uns ansehen.
„Hey, Baby, hast du Lust auf eine Party?“, fragt er mich mit kratziger, leiser Stimme. Die Augen des Menschen bereiten mir Unbehagen. Sie sind blutunterlaufen, sein Blick wirkt stechend, fast als würde er durch mich hindurchsehen können.
„Ich…“, antworte ich zaghaft. Auch wenn es dem Menschen scheinbar schwer fällt, sich auf mich zu fokussieren, sehen wir uns weiterhin an. Es ist mir kaum möglich, etwas in seinem Blick zu erkennen. Seine Augen zeigen mir, dass er wirr und aufgekratzt ist. Er ist nicht ganz klar im Kopf, so viel steht fest.
„Ich hab dich etwas gefragt, Puppe“, spricht der Mensch nun lauter. Als er seine freie Hand nun auf meinen Oberschenkel legt und mich mit der anderen Hand in seine Richtung zieht, wird mir das alles zu viel. Ich drücke den übelriechenden Menschen von mir.
„Killian“, erklinge ich fast schon flehend, wobei ich eilig aufstehe. Die Hand des Fremden gleitet dabei über meinen Rücken. Ich flüchte regelrecht in Killians Richtung. Er erkennt sofort, was mein Problem ist und stellt sich schützend vor mich.
„Quatschst du Wichser mein Mädchen an?“, fragt Killian laut. Sein Tonfall schüchtert sogar mich ein. Seine sonst freundliche Stimme klingt hart und bedrohlich. Mein Herzschlag beschleunigt sich vor Aufregung.
„Bro, chill, ich wusste nicht, dass sie zu dir gehört, alles cool.“ Der fremde Mensch hebt seine Arme in einer abwehrenden Geste, verschränkt sie dann jedoch vor seiner Brust und sieht zu Boden.
„Will ich auch meinen. Behalt deine Finger bei dir, sonst hack ich sie dir ab.“
Killian dreht sich zu mir um und mustert mich besorgt. Obwohl mir der fremde Mensch nichts getan hat, sitzt der Schock tief. Auf der Suche nach etwas Schutz lege ich meine Arme um Killian. Er drückt mich an sich und streichelt meinen Rücken. Ich spüre das hektische Klopfen meines Herzens, doch ich weiß, dass sich das gleich wieder legen wird. Ich bin in Sicherheit.
„Hat er dich angefasst?“, fragt Killian mich leise, worauf ich zu ihm nach oben sehe.
„Er hat meine Schulter berührt. Es ist nichts passiert, ich hab mich hauptsächlich erschreckt.“
Killian wirft einen Blick über seine Schulter. Der Fremde verhält sich ruhig. Killians Worte reichen wohl aus, um ihn dazu zu bringen, uns nicht weiter zu belästigen. „Entschuldige, dass ich dich aus den Augen gelassen habe. Das kommt nicht mehr vor.“ Killian drückt mich noch einmal an sich und streichelt über meinen Rücken. Der Körperkontakt mit Killian ist mir um einiges lieber, als von einem fremden, aufdringlichen Menschen angefasst zu werden. Nun verstehe ich auch deutlich, was Killian mir erklären wollte. Ich gelange zu der Erkenntnis, dass Körperkontakt tatsächlich nicht immer angebracht ist und durchaus auch unangenehm sein kann. Diese Lektion werde ich mir merken.
Bis die Waschmaschinen ihre Arbeit erledigt haben, dauert es eine Weile. Killian erzählt mir, dass wir nach dem Waschgang mindestens noch einmal so lange warten müssen, da wir unsere Kleidung dann in einen Trockner geben. Wie der Name schon sagt, trocknet dieses technische Gerät unsere nasse und gewaschene Kleidung. Obwohl es dauert, bis die Menschentechnik ihren Zweck erfüllt, bin ich dennoch schwer beeindruckt. Die Kleidung per Hand zu waschen und sie dann auf einer Leine zum Trocknen aufzuhängen würde viel mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Der Fremde verschwindet so leise, wie er aufgetaucht ist und ganz ohne etwas zu waschen. Killian meint, dass er sich wahrscheinlich nur aufwärmen wollte und nach ein paar Münzen gesucht hat.
Killian nimmt unsere Kleidung und auch einige Tücher aus dem Trockner. Er zeigt mir, wie man sie faltet. Ich bin fasziniert von der Wärme, die von den Stoffen ausgeht. Aufmerksam beobachte ich Killians Handbewegungen und ahme sie schnell nach, um ihm dabei zu helfen, die Kleidung zu falten. Nach und nach legen wir die gewaschen, getrockneten und gefalteten Kleidungsstücke in Killians Wäschekörbe.
Wir verrichten unsere Arbeit stumm und konzentriert. Ich werde erst etwas abgelenkt, als ich das Lachen einer Frau höre. Da ich wissen möchte, woher die helle, freudige Stimme kommt, blicke ich zum Fenster. Eine junge Menschenfrau mit pinkem Haar und ein ausgesprochen großer Mann gehen gerade an dem Waschsalon vorbei. Die Frau hat wohl sehr gute Laune, denn sie lacht ein weiteres Mal.
„Oh, du hattest Recht, Killian“, bemerke ich lächelnd. „Es gibt tatsächlich Menschen mit bunt gefärbten Haaren.“ Das Pink gefällt mir ausgesprochen gut.
„Dachtest du, dass ich dich auf den Arm nehme?“, fragt er hörbar belustigt nach.
„Natürlich nicht“, antworte ich ihm und sehe gleich wieder zu Killian. Er faltet gerade einen Hoodie. „Diese Erkenntnis beruhigt mich allerdings ein wenig. Als du meintest, dass man mir meine Andersartigkeit stark ansieht, war ich doch etwas besorgt.“
„Entschuldige. Dein Auftauchen hat mich ziemlich…“ Killian überlegt einen Moment, ehe er fortfährt: „…verunsichert. Ich schätze, dass das Wort am besten passt. Ich will um jeden Preis verhindern, dass dir etwas passiert, Ilaria. Vielleicht mache ich mir auch zu viele Gedanken, aber deine naive Art weckt meinen Beschützerinstinkt. Du hast sonst niemanden, der auf dich aufpassen kann.“ Killian zuckt mit den Schultern. „Wenn ich nicht auf dich aufpasse, wer macht es sonst?“
Ich lege eine Hand an seinen Oberarm, was Killian dazu veranlasst, zu mir zu sehen. „Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, Killian. Ich kann mich gar nicht oft genug bei dir bedanken.“
„Du könntest mir zum Dank mehr aus deiner Welt erzählen.“ Ich nicke und widme mich wieder der Arbeit. Meine Kleidung hätte ich beinahe vergessen. „Ach, jetzt schweigst du“, bemerkt Killian nach einigen Sekunden Stille. Er lacht, schüttelt den Kopf und legt die zusammengefaltete Kleidung in den Wäschekorb. Wir sind beinahe fertig. Killian zögert für einen Moment, doch dann greift er nach einem meiner Kleidungsstücke, um mir zu helfen.
„Soll ich dir jetzt etwas erzählen?“, frage ich nach.
„Nein, schon in Ordnung“, winkt Killian ab. „Du musst mir gar nichts erzählen, wenn du es nicht möchtest. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass es nicht so angenehm ist, darüber zu sprechen. Immerhin bist du hier…“
Wieder nicke ich. „Ich schätze, dass es mich mehr wurmt, nicht zu wissen, wieso ich hier gelandet bin. Die Tatsache, dass ich keine Ausbildung in den arkanen Künsten genossen habe, erschwert es mir, zu verstehen, was es mit den Blitzen auf sich hat.“ Das letzte Kleidungsstück findet seinen Platz in dem Wäschekorb. Nachdenklich erzähle ich weiter: „Die Magier meines Volkes bleiben gerne unter sich. Sie teilen Geheimnisse nicht gerne mit Außenstehenden. Vielleicht sind die grünen Blitze ihre Schuld. Vielleicht wurde deswegen unser Ausflug an Land verzögert…“ Ich lasse einen tiefen Seufzer los. „Wenn ich mich an die Vorschriften gehalten hätte, wäre ich vielleicht gar nicht hier.“
„Hm.“ Killian legt sich seinen Rucksack um eine Schulter und greift nach dem Wäschekorb, der vor ihm steht. „Du beherrschst also gar keine Magie?“
Ich schüttle den Kopf, ehe ich antworte: „Nein. Die Magie meines Volkes ist mächtig und lässt sich nur schwer erlernen. Nicht jeder ist dafür geeignet, diese Kräfte zu lenken. Wer sich zum Magier ausbilden lassen möchte, muss einige Grundvoraussetzungen erfüllen. Außerdem wird ein jahrelanges, theoretisches Studium verlangt. Es erfordert große Hingabe, um die Magie meines Volkes verstehen und anwenden zu können. Die Anwärter brauchen einen scharfen Verstand, Disziplin, Geduld. Die meisten von ihnen sind emotional distanziert, was für mein Volk eigentlich eher unüblich ist.“ Ich verziehe etwas die Lippen. „Jemand wie ich ist nicht dafür geschaffen, Magier zu werden. Ich bin zu ungeduldig, zu emotional, zu neugierig… Wenn etwas nicht auf Anhieb funktioniert, ärgere ich mich darüber zu sehr.“ Ich erkläre weiter: „Wenn man bei der Kanalisierung von Magie unkonzentriert und abgelenkt ist, könnte das verheerende Konsequenzen mit sich ziehen. Genau das ist der Grund, wieso meistens nur die kühleren, emotional distanzierten Mitglieder meines Volkes die Ausbildung der magischen Künste beginnen dürfen.“
„Unfassbar, dass das keine Geschichte aus einem Buch oder einem Game ist“, meint Killian überrascht. „Wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde ich immer noch denken, dass du eine verdammt gute Schauspielerin bist.“ Der Mensch grinst mich an. „Aber wenn du keine Magierin bist, hast du bestimmt andere Talente, also lass dich davon nicht unterkriegen, Ilaria.“
Ich lächle, als Killian mir zuzwinkert. „Du hast Recht. Ich bin vielleicht nicht so kühl wie die Magier meines Volkes, aber dafür widme ich mich einer neuen Leidenschaft mit vollster Begeisterung. Wenn ich etwas wirklich will, dann schaffe ich es auch.“
Killian mustert mich, dabei grinst er weiterhin. „Solange du hier bist, können wir ja versuchen, eine Leidenschaft für dich zu finden. Du brauchst eine Beschäftigung, während ich mich im Schlaf von deinen Fragen und Geschichten erhole.“ Seine Worte und sein frecher Gesichtsausdruck bringen mich zum Lachen.
„Du weißt aber schon, dass du mir auch sagen kannst, dass ich still sein soll? Ich muss nicht ständig reden und du musst nicht alle Fragen beantworten.“
„Ach was“, winkt er ab. „So war das nicht gemeint.“ Killian schmunzelt. „Deine Fragen zu beantworten macht mir nichts aus und ich höre dir auch gerne zu. Ich bitte dich ja nicht umsonst, mir etwas zu erzählen. Die Geschichten aus deiner Welt sind etwas ganz Besonderes für mich. Es ist so, als würden meine Lieblingsbücher wahr werden. Das ist ziemlich cool.“
„Dann muss ich dir bei Gelegenheit mehr erzählen.“
„Ich bitte ausdrücklich darum.“ Der Mensch deutet auf den Wäschekorb. „Aber jetzt nimm erstmal deine Sachen, wir sind hier fertig.“
༄ ♫ ༄
Ich sitze auf dem Bett in Killians Schlafzimmer und beobachte den Menschen dabei, wie er eine Schublade einer Kommode ausräumt.
„Hier sollten deine Sachen reinpassen. Dein Kleid kannst du in den Wandschrank hängen.“ Er deutet zu einer Tür neben dem Fenster. „Wenn du mehr Platz brauchst, mach ich dir noch eine Lade frei.“
„Und wann darf ich meine Kleidung anziehen?“
„Im Prinzip sofort“, antwortet Killian mir. Er nimmt einige der Sachen, die er ausgeräumt hat und verstaut sie in dem Wandschrank.
Während der Mensch beschäftigt ist, schlüpfe ich aus der von ihm geborgten Kleidung und suche gleich nach der bequemen Shorts, die ich gerne anziehen würde.
„Oh, du bist nackt“, bemerkt Killian fast schon erschrocken und dreht mir gleich wieder den Rücken zu. „Du musst wirklich damit aufhören, dich einfach so auszuziehen.“
„Wieso? Erschreckt dich mein Aussehen?“
„Ganz im Gegenteil“, antwortet Killian so leise, dass ich ihn fast nicht verstehe, ehe er seine Stimme wieder hebt: „Wir Menschen zeigen uns einander eher selten nackt und wenn, dann hauptsächlich, weil wir miteinander intim werden.“
„Aber wir haben doch schon besprochen, dass wir uns nicht auf diese Weise näher kommen wollen“, stelle ich nüchtern fest.
Ich finde endlich, was ich suche. Erst schlüpfe ich in die Unterwäsche und dann in die Shorts. Um auch meinen Oberkörper zu bedecken, ziehe ich ein Shirt über. Als ich damit fertig bin, sehe ich zu Killian. Er hat beide seiner Hände in sein Gesicht gelegt und steht immer noch mit dem Rücken zu mir einen Schritt vom Wandschrank entfernt. Ich gehe auf den Mensch zu und lege meine Hand an seinen Oberarm. Als ich das tue, lässt er seine Hände sinken.
„Du kannst mich wieder ansehen. Ich bin angezogen.“
Killians Blick wandert meinen Körper entlang. Meine Beine gefallen ihm wohl am besten, denn sein Blick ruht erneut für einige Sekunden auf meiner nackten Haut. Der Mensch räuspert sich und sieht mir dann wieder in die Augen. „Können wir uns darauf einigen, dass du ins Badezimmer gehst, um dich umzuziehen?“
„Wenn du mir das Problem erklären kannst, ja.“
Killian lacht offensichtlich nervös. Er kann mich nicht mehr ablenken, ich habe schon einige Eigenheiten von ihm durchschaut. „Du würdest es nicht verstehen. Die meisten Menschen haben ein Schamgefühl, aber das fehlt dir offensichtlich. Könntest du dich trotzdem an meine Bitte halten?“
„Wenn du mich so ansiehst, kann ich dir gar nichts abschlagen, Killian“, antworte ich ihm lächelnd.
Er zieht einen Mundwinkel hoch. „Vielen Dank.“ Killian deutet mit dem Kopf zu meiner Kleidung, die noch auf dem Bett liegt. „Räum deine Sachen in Ruhe ein. Ich springe eben unter die Dusche und dann leg ich mich auf die Couch. Ich bin ziemlich erledigt.“
Killian will gerade das Schlafzimmer verlassen, doch ich halte seinen Arm fest. „Nein. Schlaf bitte in deinem Bett, das ist viel bequemer. Ich nutze es ohnehin nicht richtig aus.“
„Du willst nicht alleine sein, richtig?“
Nun hat Killian mich durchschaut. Sein freches Grinsen bringt mich wieder zum Lachen. „Ja, es stimmt. Ich will nicht alleine sein“, gebe ich zu. Ich deute mit einer Hand Richtung Bett, halte dabei weiterhin Augenkontakt mit dem Menschen. „Aber es ist wirklich bequemer. Das ist keine Ausrede.“
„Schon verstanden“, antwortet Killian amüsiert. „Ich bin in ein paar Minuten bei dir.“
Killian begibt sich ins Badezimmer und ich tue das, worum er mich gebeten hat. Ich räume meine Menschenkleidung von dem weichen Bett in die breite, aber nicht besonders tiefe Schublade. Für meinen Hoodie ist nicht genug Platz, also lasse ich ihn auf dem Bett liegen. Mein Kleid bringe ich zu dem Wandschrank, auf den Killian mich aufmerksam gemacht hat. Ich bleibe vor dem geöffneten Schrank stehen und sehe hinein. Hinter der Tür versteckt sich ein kleiner Raum, in dem einige Kleidungsstücke an einem Stock aus Metall hängen. Der Befestigungsmechanismus sieht einfach aus. An den Haken ist eine Art Dreieck befestigt, auf dem man seine Kleidung spannt. Ich greife nach einem dieser Haken und hänge mein Kleid problemlos daran auf. Mit einem weiteren Handgriff verstaue ich das Kleid nun bei Killians Kleidung.
Meine letzten Schritte führen mich wieder zum Bett zurück. Ich lege mich auf die Seite, auf der ich bereits die letzte Nacht verbracht habe, und warte auf Killian. Die weiche Decke ziehe ich bis zu meinem Brustkorb hoch. Gedanklich gehe ich den heutigen Tag und die damit verbundenen Erlebnisse durch. Der fremde Mensch in dem Waschsalon hat mir deutlich gezeigt, was für ein Glück ich habe, dass Killian mich gefunden hat. Noch kann ich zwar nicht zurück in meine Welt, aber wenn ich es irgendwie schaffen sollte, dann mit Killians Hilfe.
Hoffentlich finden wir eine Lösung, auch wenn weder er noch ich eine Begabung für Magie besitzen…