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Kapitel 11
Unbekannte Schriftzeichen
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Killian und ich verbrachten die Nacht auf der Couch. Der Fernseher wurde irgendwann von mir ausgeschaltet. Die permanente Beschallung war mir auf Dauer doch etwas unangenehm. Glück für mich, dass ich mich kaum bewegen musste, die Fernbedienung machte es möglich.
Es ist still, nun so still wie es eben in der Welt der Menschen sein kann. Draußen fahren Autos die Straße entlang. Ich kann außerdem deutlich hören, dass es wieder regnet. Der Wind weht vergleichsweise stark um die Häuser. Auch Killians ruhige und rhythmische Atmung und sein immer wieder auftauchendes, leises Schnarchen sind zu hören.
Ich denke schon seit Stunden darüber nach, was gestern passiert ist. Die gesamte Nacht, um genau zu sein. Der Spaziergang, die Gasse, die Rune, die Eiscreme und die Annäherungen, die zwischen Killian und mir stattgefunden haben. Ich muss meine Gedanken mehrmals zurück auf die Rune lenken, denn immer wieder taucht Killians Gesicht in meinen Gedanken auf. Seine eisblauen Augen aus meinem Kopf zu bekommen, erscheint mir unmöglich. Sie haben mich in ihren Bann gezogen.
Ich atme tief durch und öffne die Augen. Auch jetzt sind wir uns noch sehr nahe. Killians Hand liegt an meiner Taille. Wir beide sind noch zugedeckt. Seine Körperwärme sorgt dafür, dass mein sonst so kühler Körper sich ebenfalls warm anfühlt. Beinahe, als hätte ich stundenlang die wohltuenden Strahlen der Sonne genossen, wenn ich es beschreiben müsste. Ebenso wie sanfte Sonnenstrahlen fühlt sich auch Killians Nähe sehr angenehm an.
Dann passiert es endlich. Auf gewisse Weise habe ich seit Stunden auf diesen Moment gewartet. Killian regt sich ein wenig. Interessiert mustere ich sein Gesicht. Kaum merkbar öffnet er seine Lippen, um durch den Mund auszuatmen, danach schließt er sie wieder. Sein mir allzu bekanntes Brummen bringt mich zum Lächeln. Seine Körpersprache verrät, dass er bald wieder aufwachen wird.
Und tatsächlich: Wenige Minuten später blinzelt Killian mich müde an, ehe er seine Hand von mir nimmt und sich über das Gesicht reibt. Er dreht sich auf den Rücken und atmet tief durch.
„Guten Morgen, Killian“, begrüße ich ihn leise, aber mit einem Lächeln.
„Morgen“, gibt er brummig zur Antwort.
„Willst du einen Kaffee?“, frage ich, wobei ich mich schon aufsetze. Ich schiebe die Decke von mir und bin bereits dabei, die Couch zu verlassen, doch dann hält Killian mich am Unterarm fest. Der Griff seiner großen Hand ist locker, dennoch reicht es aus, um mich davon abzuhalten, aufzustehen und in die Küche zu gehen.
„Nicht weglaufen“, bittet er mich müde. „…es sei denn, du hast deine Meinung geändert.“
„Meine Meinung geändert?“, frage ich etwas irritiert nach. „Entschuldige, ich verstehe nicht, was du meinst.“ Ich sehe Killian an, der meinen Arm wieder los lässt und sich nun mit beiden Händen über das Gesicht reibt. Während ich auf eine Antwort oder besser gesagt auf eine Erklärung warte, ziehe ich die Decke wieder bis zu meiner Hüfte hoch. Dadurch lege ich Killians Füße frei.
Killian legt seine Hand auf meinen Oberschenkel. „Ich dachte, dass wir gestern einen… Moment hatten.“
Ich sehe Killian skeptisch an. „Einen Moment?“
Er lässt einen tiefen Seufzer los und legt seinen anderen Arm über seine Augen. „Ich muss das falsch verstanden haben.“
Killians Worte wecken mehr Fragen, als sie Antworten liefern. Da ich die wohlige Wärme vermisse, lege ich mich wieder hin. Als ich das tue, nimmt er seine Hand von meinem Oberschenkel, was mir die Möglichkeit gibt, die Decke wieder hochzuziehen. Ein wenig ratlos mustere ich Killians halb bedecktes Gesicht. „Kannst du mir erklären, was gerade los ist? Ich fürchte, dass wir aneinander vorbei reden. Das macht mich etwas nervös.“
Der Mensch atmet tief durch, ehe er seinen Arm wieder von seinen Augen nimmt. Ich sehe von Killians Lippen zu seinen Augen, sobald er sie öffnet. „Du hast gestern gesagt, dass du nicht willst, dass ich Abstand zu dir halte.“
„Ja, das habe ich gesagt“, stimme ich ihm zu. „Und ich habe es auch so gemeint.“
Müde Augen blicken in meine. Anstatt noch etwas zu sagen, legt Killian seine Hand wieder an meine Taille. Zu gerne würde ich ihn um eine weitere, eine genauere Erklärung bitten, doch ich weiß genau, dass er noch nicht wach genug ist, um seine Gedanken zu ordnen. Mit einem Ruck zieht Killian mich an seine Brust, sein Griff wird allerdings gleich wieder lockerer. Er streichelt meinen Kopf und atmet tief durch. Ich kann nicht anders, als zu lächeln. Ich muss zugeben, dass ich mich an seiner Seite ausgesprochen wohl fühle.
Es ist mir unmöglich, meine Gefühle für mich zu behalten, also fasse ich sie in Worte: „Ich bin froh, dass du nicht wolltest, dass ich aufstehe. Hier bei dir liegen zu bleiben ist sehr angenehm.“ Killian streicht durch meine Haare. Da er mir nicht mehr antwortet, sehe ich zu ihm auf. In seinem Gesicht erkenne ich abgesehen von Müdigkeit ein Lächeln, das auch mich zum Lächeln bringt.
„Ja“, antwortet er nun doch. „Dafür kann mein Kaffee gerne warten.“
Für einen Moment sehen wir uns in die Augen, doch dann zieht die Wunde an Killians Stirn meine Aufmerksamkeit auf sich. „Deine Wunde sieht immer noch nicht besser aus.“
Killian zieht seine Brauen hoch. Sein anschließender, gequälter Gesichtsausdruck zeigt, dass er es sofort bereut. „Das wird noch eine Weile dauern“, antwortet er mir. „Sieht so aus, als würde dich das überraschen.“
„Weniger überraschen. Ich bedauere, dass es so lange dauert“, antworte ich Killian nun. Vorsichtig lege ich meine Hand an seine Wange und streiche über seine Haut, dabei sehe ich weiterhin auf die versorgte Wunde an seiner Stirn. „Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sich anfühlt, so lange verletzt zu sein. Meine Wunden heilen viel schneller als deine.“
„Ach, ist das so?“, fragt Killian interessiert nach. „Wie lange würde es dauern, bis diese Wunde verheilt wäre?“ Bei seiner zweiten Frage nimmt Killian seine Hand von mir und deutet an seine Schläfe.
„Da sie nicht besonders tief ist, wäre sie längst vollkommen verschwunden.“
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Bemerkenswert. Hast du noch mehr Kräfte? Bis jetzt hast du mir noch nicht besonders viel verraten.“ Der Mensch platziert seine Hand wieder an meiner Taille.
„Du hast mir noch viel weniger verraten“, entgegne ich ihm. „Du bist mir ein Rätsel, Killian.“
„Ach, tatsächlich?“, fragt er grinsend.
„Ja“, antworte ich amüsiert und stupse mit meinem Zeigefinger gegen seinen Brustkorb. „Du beantwortest mir zwar Fragen über deine Welt, aber über dich weiß ich kaum etwas.“
„Was möchtest du denn über mich wissen?“ Ich öffne meine Lippen, schließe sie jedoch gleich wieder. So spontan fällt mir eigentlich keine Frage ein, die ich ihm stellen könnte. Als ich ihn rätselnd ansehe, anstatt ihm Fragen zu stellen, fängt Killian an zu lachen. „Du weißt nicht, was du mich fragen sollst, richtig?“
„Ja“, stimme ich ihm etwas verlegen zu.
„Gut, wo fange ich an? Du weißt, dass ich als Musiker meine Brötchen verdiene. Du weißt, dass ich ein ziemlicher Nerd bin und du weißt, dass ich hier alleine lebe. Das…“ Killian räuspert sich. „…ist alles in allem mein Leben.“
„Das ist alles?“, frage ich irritiert nach. „Wie kann das alles sein?“
„Ich bin nicht verheiratet, habe keine Freundin, keine Geschwister und die Jungs meiner Band sind meine einzigen richtigen sozialen Kontakte.“ Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Dass eine Meerjungfrau in mein Leben gespült wurde, ist das spannendste, das mir seit Monaten passiert ist.“
„Und das obwohl du in so einer interessanten Stadt lebst?“, hake ich weiterhin nach. „San Francisco hat laut der Dokumentation unheimlich viel zu bieten. Ihr habt viele, verrückte Menschen, schöne Orte und alle haben so glücklich ausgesehen.“
Killian legt seine Stirn in Falten, verzieht dann aber gleich sein Gesicht. Diese Mimik scheint ihm immer noch wehzutun. Die Wunde an seinem Kopf beeinträchtigt ihn mehr, als er zugeben will. Vielleicht will er vor mir auch den Helden spielen, ich weiß es noch nicht so genau. Ihn einzuschätzen fällt mir nicht so leicht, wie ich es gerne hätte.
„In einer Dokumentation werden meistens nur die positiven Aspekte gezeigt. Selbst die Obdachlosigkeit wurde positiv dargestellt. Dass wir viele Menschen haben, die in ihren Zelten auf den Gehwegen schlafen, weil die Wohnungen zu teuer geworden sind, wurde perfekt ausgeblendet. Nicht alles ist Gold, das glänzt.“
Ich seufze und sehe Killian mitleidig an. „Ich habe doch eine Frage.“
„Stell sie mir“, bittet Killian mich.
„Was ist mit dir passiert, dass du alles so negativ betrachtest?“
Killian sieht mich überrascht an. Er nimmt ein wenig Abstand, indem er seinen Oberkörper nach hinten lehnt. „Das ist eine sehr persönliche Frage.“
„Ist sie zu persönlich?“
„Nein“, antwortet er und schüttelt den Kopf. „Ich sehe das Leben nicht negativ, sondern realistisch. Es passieren nun mal viele negative Dinge, die man nicht verdrängen und ausblenden kann. Du bist neu in meiner Welt. Du kennst das alles noch nicht. Ich möchte dich vor den negativen Begebenheiten in dieser Welt beschützen.“
„Aber du siehst doch trotzdem auch das positive in deiner Welt, oder nicht?“, frage ich besorgt nach. Wenn er sich immer nur auf das negative in seinem Leben konzentriert, dann kann er die schönen Dinge um sich herum kaum wahrnehmen. Das würde mir sehr leidtun.
Killian nickt. „Natürlich und du hast auch Recht. San Francisco hat seine guten Seiten. Wenn man sich einen Namen gemacht hat und weiß, wo man hingehört, dann führt man ein angenehmes Leben. Vorausgesetzt man kann mit seiner Vision auch noch das nötige Kleingeld verdienen.“ Der Mensch seufzt. „Ich bin so gesehen selbst noch auf der Suche. Manchmal findet man auf dieser Suche etwas, das einem lieber erspart geblieben wäre. Ich war oft zu nett oder zu gutgläubig und diese Eigenschaften wurden oft ausgenutzt. Das soll dir nicht passieren, deswegen passe ich so gut auf dich auf.“
„Das tut mir leid, Killian.“ Ich lege meine Hand an seinen Brustkorb und lächle Killian an. „Ich nutze dich nicht aus, versprochen. Und ich weiß dich und deine fürsorgliche Art sehr zu schätzen. Es bedeutet mir sehr viel, dass ich bei dir bleiben darf.“
„Ich weiß, das hast du schon das eine oder andere Mal erwähnt“, entgegnet Killian amüsiert. „Das ist einer der Gründe, wieso ich dich so gerne bei mir habe. Ich habe nicht das Gefühl, dass du irgendetwas verlangst. Du bist für all die Kleinigkeiten des Alltags dankbar und erfreust dich an Sachen, für die andere Frauen maximal ein müdes Lächeln erübrigen können. Das ist sehr charmant.“
„Danke, Killian.“ Mein Lächeln wird etwas breiter. „Weißt du was? Lass uns die trüben Gedanken vergessen. Das Wetter ist schon trüb genug.“ Ich nehme etwas Abstand von Killian. „Ich mache dir einen Kaffee und dann überlegen wir uns, welchen Ort du mir als nächstes zeigst.“
„Können wir machen, ja.“ Killian setzt sich brummend auf und kratzt sich am Hinterkopf. Ich beobachte seine Bewegungen sehr genau. Trotz unserer Unterhaltung ist er noch nicht ganz wach, das ist offensichtlich. Seinen Blick richtet er zu einem der Fenster. „Solange es regnet, sollten wir aber besser hierbleiben.“ Er dreht sich wieder in meine Richtung. „Wenn du möchtest, kannst du auch ein Bad nehmen. In der Zwischenzeit kann ich ein bisschen recherchieren. Vielleicht finde ich doch noch etwas über die Rune. Wie gesagt, das Internet ist sehr groß.“
Ich nicke. „Das klingt nach einer guten Idee.“
„Wenn du willst, können wir uns auch später eine Pizza bestellen und einen Film ansehen.“ Er deutet mit dem Kopf Richtung Fernseher. Dass er meiner Meinung nach viel zu viel Zeit vor irgendwelchen Bildschirmen verbringt, behalte ich für mich.
Unser Gespräch wird erst einmal unterbrochen, denn hinter mir auf dem Couchtisch erklingt ein Geräusch. Ich erschrecke mich und zucke zusammen, obwohl ich genau weiß, dass ich keine Angst haben müsste. Diese Melodie erklingt, wenn Killian eine Nachricht bekommt. Ich drehe mich auf den Rücken, um Killian nicht im Weg zu sein. Er beugt sich über mich, um zu seinem Smartphone zu gelangen. Sofort nehme ich wieder seinen angenehmen Duft war, als Killian sich so nah bei mir befindet.
Er setzt sich wieder hin und lässt sich gleich gegen die Rückenlehne sinken, dabei sieht er auf einen weiteren Bildschirm, den Bildschirm seines Smartphones. „Bitte lass mich nicht meine Pläne killen…“
„Hm?“
„Einer meiner Bandkollegen“, antwortet Killian knapp.
Ich überlege, ob ich liegen bleiben und warten sollte, bis er mir erklärt, was los ist, doch ich rechne schon damit, dass er heute wieder arbeiten muss. Da Killian allerdings nur abends arbeitet, wenn es um seine Band geht, weiß ich, dass wir noch ein paar Stunden zusammen verbringen können. Heute ist er sogar vergleichsweise früh aufgewacht.
Ich klettere von der Couch und streiche den Pullover, den ich trage, glatt. Im Augenwinkel sehe ich, dass Killian mich ansieht, als ich mich auf den Weg in die Küche mache. Mein morgendliches Ritual, die Kaffeemaschine einzuschalten, den Wassertank zu befüllen und Killian seinen Kaffee per Knopfdruck zu machen, geht mir auch heute wieder leicht von der Hand. Während die schwarze Flüssigkeit in die Tasse läuft und ich versuche, das laute Geräusch zu verdrängen, öffne ich den Schrank und hole eine Dose mit Zucker heraus.
Wenige Handgriffe später stelle ich den Kaffee auf einen der Untersetzer auf dem Couchtisch. Ich eile noch einmal in die Küche zurück, hole noch zwei mit Wasser gefüllte Gläser und stelle sie ebenfalls dazu. Lächelnd setze ich mich zu Killian, der von seinem Smartphone aufsieht. Als ich seine schlechte Laune bemerke, vergeht mir mein Lächeln jedoch.
„Ist alles in Ordnung, Killian?“, erkundige ich mich nach seinem Wohlbefinden.
„Mein Bandkollege hat doch mehr oder weniger mitbekommen, dass du hier bist, erinnerst du dich?“
Ich nicke. „Das war dein Freund, der dich zu dem Heiler gebracht hat, richtig?“
„Genau der“, stimmt Killian mir zu. „Er hat natürlich gleich weitererzählt, dass ich eine Freundin habe.“ Killian rollt mit den Augen. „Und jetzt wollen sie dich kennenlernen.“
„Oh, ist das ein Problem?“
„Da bin ich mir noch nicht ganz sicher…“
༄ ♫ ༄
Die Zeit in der Badewanne hat mir ausgesprochen gut getan. In bequemer Kleidung und mit einem Handtuch auf dem Kopf trete ich zu Killian ins Wohnzimmer. Pfeifend geht er mit seiner Tasse in der Hand in die Küche. Das Geräusch, welches kurz darauf erfolgt, verrät mir, dass er sich eine weitere Tasse Kaffee macht. Kaum ist er wieder zurück im Wohnzimmer, stellt er die Tasse an den unordentlichen Tisch, direkt neben seinen leuchtenden Bildschirm. Von dem Tisch nimmt er die Tube mit dem durchsichtigen Inhalt, die ich vor einigen Tagen in einer seiner Schubladen gefunden habe und lässt sie eben in dieser Schublade verschwinden.
Ich beobachte Killians Bewegungen während ich mit Hilfe des Handtuchs das Wasser aus meinen Haaren presse.
„Wie war dein Bad?“, fragt Killian nach. „Konntest du dich entspannen?“
„Ja, es war angenehm. Ich fühle mich sehr wohl. Das Schaumbad duftet wunderbar. Sich in dem warmen Wasser nicht zu entspannen, ist unmöglich.“
Ich lege das Handtuch auf dem Couchtisch ab und trete zu Killian heran, der sich gerade auf den Sessel des unordentlichen Tisches setzt. „Hast du schon etwas gefunden?“
„Nein, noch nicht.“ Er rutscht mit seinem Sessel nach hinten und klopft auf seinen Oberschenkel. „Setz dich. Ich zeige dir, wie das funktioniert.“
Lächelnd komme ich seiner Bitte nach und setze ich mich auf Killians Schenkel. Er legt einen Arm um mich. Mit seiner freien Hand bedient er ein kleines Gerät, das Killian mir bereits als Computermaus vorgestellt hat. Mit dieser Computermaus steuert er einen kleinen Pfeil auf dem Bildschirm.
„Hier haben wir die Suchmaschine. Auf der Tastatur siehst du die Buchstaben, die auch auf den Bildschirmen meines Tablets oder meines Smartphones auftauchen, wenn man etwas schreiben möchte.“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Natürlich tust du das. Du schlaues Mädchen.“ Als ich mich zu Killians Gesicht drehe, sieht er mich an und zieht einen Mundwinkel hoch. „Du lernst so schnell, dass du mich bald gar nicht mehr brauchen wirst.“
„Unsinn“, entgegne ich amüsiert. „Selbst wenn ich nicht mehr deine Hilfe brauchen sollte, brauche ich immer noch deine Gesellschaft.“
„Das hört man gerne“, antwortet Killian, dabei zieht er mich etwas näher an sich. „Sitzt du halbwegs bequem?“ Sein Arm bleibt um meinen Körper geschlungen, wahrscheinlich, damit ich nicht von seinem Bein rutsche.
„Ja, vielen Dank.“
„Du erinnerst dich auch bestimmt noch an das Suchfeld. Wie der Name schon sagt, gibt man hier ein, was man gerne suchen möchte.“
„Oh, das haben wir gemacht, als wir uns die Videoaufnahmen der Katzen angesehen haben“, erinnere ich mich.
„Ganz genau“, stimmt Killian mir zu. „Jetzt suchen wir allerdings keine Videos, sondern Internetseiten mit Informationen zu Runen. Du kannst dir das mit den Internetseiten ungefähr so vorstellen, als hättest du ein sehr großes Buch, in dem du alles nachlesen kannst, was du dir vorstellen kannst.“
Ich nicke zur Antwort. Killian tippt mit seiner freien Hand einige Schriftzeichen ein. Ich weiß nicht, ob er es mit Absicht oder unbewusst macht, doch Killian streicht über meinen Bauch. Seine Berührungen sind äußerst angenehm, die Wärme seiner Finger dringt durch den Stoff meiner Kleidung. Ich lege meine Hand an seine und verhake unsere Finger miteinander, was Killian dazu bringt, mich anzusehen und zu lächeln. Ohne etwas zu mir zu sagen, wendet er sich wieder dem Bildschirm zu.
„Siehst du? Das ist das, was ich gestern gemeint habe. Die meisten Runen sind einfach gehalten. Sie sind eckig und haben gerade Linien.“ Er deutet mit dem Kopf auf die Zeichnung, die er von der Rune aus der Gasse angefertigt hat. Sie liegt zwischen Kaffeetasse und Computermaus. „Also so ziemlich das Gegenteil von dem, was wir in der Gasse gefunden haben.“
„Bitte sag mir, dass das nicht alles ist.“
Killian lässt einen Seufzer los. „Bis jetzt ist das leider alles. Ich habe es schon mit einigen Begriffen versucht. Es gibt auch noch die Möglichkeit, ein Bild in die Suchmaschine zu werfen und im Normalfall spuckt sie dann Bilder aus, die genau dasselbe zeigen oder zumindest Bilder zeigen, die so ähnlich sind.“
„Und?“, frage ich nach, doch Killian schüttelt den Kopf.
„Nichts Brauchbares, tut mir leid.“
Geschlagen lasse ich mich gegen Killian sinken. „Ich werde meine Heimat nie wiedersehen…“
„Entschuldige, dass ich schon wieder keine guten Nachrichten für dich habe.“
„Du kannst nichts dafür.“
Um mich zu trösten zieht Killian mich noch etwas näher zu sich. Ich lehne meinen Kopf gegen seinen. Er nimmt einen tiefen Atemzug und atmet laut aus.
„Ich habe so viel Hoffnung in diese Rune gelegt“, beschwere ich mich schmollend.
„Ich weiß, Ilaria.“
„Im Moment weiß ich gar nicht, ob ich enttäuscht oder wütend bin. Andererseits habe ich auch genau dieses Ergebnis erwartet. Das alles wirkt so ausweglos.“
„Wie kann ich dich wieder aufheitern?“, fragt Killian mich.
„Ich glaube nicht, dass es genug Eiscreme gibt, um mich wieder in bessere Laune zu versetzen.“
„Vielleicht kann ich dich mit etwas anderem ablenken, hm?“ Killian klingt zuversichtlich. „Du wolltest doch, dass ich dir beim Lesen helfe, oder?“
Überrascht sehe ich Killian an. Sein Lächeln steckt mich ein weiteres Mal an. „Ja, das stimmt, du wolltest mir heute eure Schriftzeichen erklären.“
„Ganz genau“, antwortet Killian mir. „Wenn du fleißig übst, kannst du bald dein erstes Buch lesen. Ich helfe dir dabei, eines zu finden, das dir gefällt.“ Mit einem schmalen Grinsen zwinkert er mir zu, wie er es so oft macht.
„Vielen Dank, Killian. Das ist unheimlich nett von dir.“
„Noch habe ich nichts getan“, antwortet er mir mit einem breiter werdenden Grinsen. „Lass uns auf die Couch gehen, da ist es bequemer.“
༄ ♫ ༄
So schlicht, wie die Schriftzeichen, das lateinische Alphabet, wie Killian es nennt, auch aussehen, so verwirrend ist es auch auf den ersten Blick. Dieselbe Sprache zu sprechen, allerdings unterschiedliche Schriftzeichen zu haben, ist eine neue Erfahrung für mich. In meiner Heimat ist es üblich, zwei Sprachen zu sprechen, beinahe jedes Volk hat seine eigene Sprache, doch dann gibt es noch eine, in der wir uns völkerübergreifend verständigen können. Eben diese Sprache deckt sich zu meinem Glück auch mit der Sprache der Menschen.
Killian und ich vergleichen die Schriftzeichen unserer Welten. Mit geschwungenen Linien zeichne ich das letzte Schriftzeichen der Sprache des Meeres auf.
„Ich muss dir gestehen, dass das für mich mindestens so interessant ist, wie für dich, Ilaria“, erklärt Killian fasziniert, als er das Papier vor uns ansieht. „Unfassbar, dass das wirklich passiert.“ Lächelnd sehe ich in Killians Gesicht. Seine Augen sind weiterhin auf die Symbole gerichtet. „Um das alles noch einmal zusammen zu fassen: Die eher eckigen Symbole gehören also zu der Sprache, die allgemein verständlich ist, richtig?“
„Ja, das ist Altmagisch. Vor einigen Jahren habe ich die Sprache der Zwerge gelernt. Sie bedient sich an einigen der Symbolen und war deswegen vergleichsweise einfach zu lernen.“
Killian wirkt überrascht. „Wie viele Sprachen sprichst du denn?“
„Drei“, antworte ich knapp, füge dann jedoch noch eine Erklärung hinzu: „Altmagisch, die Sprache des Meeres, das ist die Sprache meines Volkes und Zwergisch.“
Killian grinst, als ich meine Aufzählung beendet habe. „Du machst mich neugierig. Warum hast du Zwergisch gelernt? Ich kann mir schwer vorstellen, dass dir in deiner Heimat besonders viele Zwerge unterkommen. Wenn die richtigen Zwerge aus deiner Welt viel mit den Zwergen, wie wir sie uns vorstellen, gemeinsam haben, dann leben sie doch eher in den Bergen oder wortwörtlich in einem Berg.“
Schmunzelnd greife ich nach meinem Glas Wasser, führe es zu meinen Lippen und trinke einen Schluck. Als ich es wieder abstelle, antworte ich: „Das tun sie tatsächlich. Um ehrlich zu sein gab es viele Gründe, die Sprache der Zwerge zu erlernen. Einerseits interessiere ich mich sehr für Schmiedekunst und das Volk der Zwerge ist sehr bekannt dafür, nicht nur die eindrucksvollsten Waffen, sondern auch schöne Schmuckstücke zu fertigen.“ In Killians Augen kann ich deutlich große Faszination wahrnehmen. „Ich habe dir doch von den Expeditionen erzählt, richtig?“
Killian nickt. „Ja, da haben wir über die Bücher und eure Bibliotheken geredet, richtig?“
Nun bin ich diejenige, die nickt. „Die Expeditionen sammeln Wissen über die verschiedenen Völker meiner Welt. Das Wissen wird in den Bibliotheken zusammengetragen und es gibt auch ein Abteil, in denen verschiedene Schriften und Geschichten zu den Zwergen gesammelt werden. Ich bin auf der Suche nach Inspiration für einen meiner Dolche bei den Schriften der Zwerge gelandet.“
„Moment. Dolche? Du hast doch gesagt, dass du Schmuck hergestellt hast.“
„Ich habe gesagt, dass das in meiner Welt meine liebste Beschäftigung ist“, antworte ich und grinse Killian dann an. „Ich habe auch Dolche gefertigt.“
Killian nickt anerkennend. „Eine zarte Meerjungfrau, die nicht nur Perlenschmuck, sondern auch Dolche fertigt.“ Der Mensch schnaubt. „Du steckst voller Überraschungen.“
Killians Worte bringen mich zum Schmunzeln. „Einige der Aufzeichnungen waren ausschließlich in Zwergisch verfasst, also musste ich die Sprache lernen, um sie zu verstehen.“
„Und wie hast du das gemacht? Bist du… zu den Zwergen gereist und hast darum gebeten, unterrichtet zu werden?“, fragt Killian nach.
Auf seine Frage hin schüttle ich den Kopf. „Ein Mitglied der Expeditionen hat mich unterrichtet. Er hat sich sehr gefreut, dass jemand sein Interesse für die Kultur der Zwerge teilt. Aufgrund der Gegensätze in unseren Kulturen haben die Wenigsten Interesse daran, sich genauer mit den Zwergen auseinanderzusetzen. Mein Volk ist eher leise, ruhig, jedoch trotzdem sehr wissbegierig und gesprächig, freundlich und zuvorkommend. Zwerge hingegen sind plumpe, grobe, schlagfertige und oft laute Zeitgenossen. Sie trinken sehr viel, sie lieben es, große Feste zu feiern. Während mein Volk sich eher mit Büchern und Aufzeichnungen beschäftigt, ist es für Zwerge nicht unüblich, körperlich hart zu arbeiten. Die meisten von ihnen arbeiten in Minen oder beschäftigen sich mit der Schmiedekunst.“
Nickend sieht Killian mich an. Er wirkt sehr aufmerksam. „Dann fasziniert dich also diese Andersartigkeit, verstehe ich das richtig?“
„Ja, genau das ist es. Ich wollte aber nicht nur wegen der Aufzeichnungen ihre Sprache lernen. Ich würde gerne eine ihrer Städte besuchen, um etwas über das Schmiedehandwerk zu lernen.“ Killian zieht eine Braue hoch. Er mustert mich. Sein Blick sagt genau das aus, was wohl auch Zwerge von mir denken würden, wenn ich vor ihnen stehe. „Und genau mit diesem Blick würden wohl auch die Zwerge über mich urteilen.“
„Entschuldige, es ist nur so, dass …“
Ich hebe eine Hand und unterbreche Killian mit dieser simplen Geste. „Ich bin nicht beleidigt, mach dir keine Sorgen. Ich weiß, wie wichtig den Zwergen ihre Sprache ist und ich weiß, dass ich Respekt ernte, wenn ich mich mit ihnen in ihrer Sprache unterhalten kann. Mir ist allerdings auch bewusst, dass ich körperlich nicht die Kraft habe, eine Axt für den Kampf zu fertigen. Selbst ihr Werkzeug wäre mir zu schwer. Ich möchte mir aber trotzdem gerne die Schmieden ansehen und etwas lernen. Selbst wenn ich mir nur neue Graviertechniken für meine Schmuckstücke abschauen kann, habe ich schon gewonnen.“
Killian lässt sich gegen die Rückenlehne sinken, er nickt ein weiteres Mal, wendet seinen Blick aber von mir. „Du bist wirklich sehr ehrgeizig. Das erklärt auch, wieso du alles so genau beobachtest.“ Der Mensch sieht mich wieder an und lächelt. „Ich muss das alles mal ein bisschen sacken lassen. All deine Erzählungen sind wie Geschichten aus unseren Büchern und Filmen. Dass das alles real ist, will noch nicht ganz in meinen Kopf gehen und das obwohl du direkt vor mir sitzt.“
„Ich bin sogar sehr real“, antworte ich und lege meine Hand an seine, um ihm zu zeigen, dass ich nicht nur eine Illusion bin. „Möchtest du eine Pause machen oder gehen wir zurück zu den Schriftzeichen?“
„Oh, natürlich.“ Er hebt seine Hand, was mich dazu bringt meine wegzunehmen, doch Killian greift sofort wieder danach und streicht mit seinem Daumen über meinen Handrücken. „Und mit diesen zarten Händen fertigst du nicht nur Schmuck, sondern auch noch Dolche.“ Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Ich sollte dir viel mehr zutrauen. Bis jetzt war ich wegen deinem Aussehen vielleicht doch ein bisschen übervorsichtig.“
„Wegen meinem Aussehen?“
„Du siehst sehr hilfsbedürftig aus. Schlanke Statur, große, unschuldige Rehaugen, dann spielt natürlich noch mit, dass dir meine Welt vollkommen fremd ist.“
„Rehaugen?“
„Das sagt man so, wenn jemand große, dunkle Augen hat“, erklärt Killian mir. Ich muss ihn wohl so fragend ansehen, dass er seiner Erklärung noch etwas hinzufügt: „Es ist ein Kompliment.“
„Oh, vielen Dank.“
Killian streicht noch einmal mit dem Daumen über meinen Handrücken, dann lässt er mich wieder los. Er rutscht zurück an die Kante der Couch und richtet seinen Blick auf die Schriftzeichen.
„Mir gefallen die Schriftzeichen“, spricht Killian mit einem Lächeln und deutet auf die Sprache der Meere. „Mir gefällt, dass es so verschnörkelt ist, das hat etwas Künstlerisches.“
Ich schlage ein Bein über das andere und sehe ebenfalls auf das Papier auf dem Couchtisch. „Meinst du?“
„Ja“, bestätigt er sich und wendet seinen Blick nun auf mich. „Weißt du, woran mich die Zeichen erinnern?“
„Woran denn?“
Killian steht auf und geht die wenigen Schritte hinüber zu dem unordentlichen Tisch. Meine Augen verfolgen seine Bewegungen. Anstatt mir zu antworten, holt er etwas. Als er sich wieder hinsetzt, legt er die Zeichnung der Rune neben das Blatt Papier. Ich sehe mir die Rune genau an.
„Gut, es ist vielleicht nicht direkt eines eurer Schriftzeichen, aber die Rune sieht ihnen trotzdem ähnlich“, erklärt Killian seine Beobachtung.
„Das kann ich nicht bestreiten.“
„Denk mal nach, Ilaria. Hast du dieses Zeichen vielleicht schon einmal in einem eurer Bücher gesehen? Du hast doch viel Zeit in der Bibliothek verbracht. Vielleicht ist es dir untergekommen, aber du weißt es nicht mehr.“ Killians Vorschlag bringt mich tatsächlich dazu, über die Bibliotheken nachzudenken.
Runen. In unseren Büchern gibt es keine Runen.
Wenn es Bücher über Runen gibt, dann sind sie in den Bibliotheken der Magier untergebracht. Als Nachschlagewerke für Magier, ausschließlich für Magier.
Ich seufze und lasse mich auf den Rücken sinken. Unter meinen Armen spüre ich die weiche Decke, mit der wir heute Nacht zugedeckt waren. Mein Blick ist an die Decke gerichtet.
„Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals Runen in Büchern gesehen zu haben. Es ist, wie ich es dir bereits erklärt habe. Für uns Nicht-Magier waren diese Informationen nicht zugänglich.“
Killian nimmt meine Hand, worauf ich ihn ansehe. „Es war nur eine Überlegung.“
„Leider bringt sie uns nicht weiter.“
„Wir könnten zumindest die Vermutung anstellen, dass einer eurer Magier eine Art Portal geöffnet hat. Vielleicht ist dabei etwas schief gelaufen. Vielleicht war der Sturm mit den grünen Blitzen auch gar kein Sturm, sondern ein Portal, das in sich zusammengebrochen ist.“ Ich sehe Killian skeptisch an. „Und der Rückstoß der Magie hat dich in unsere Welt befördert.“
„Wenn das stimmt, dann hast du deutlich mehr Ahnung von Magie als ich.“
Killian schnaubt. „Ich habe viele Fantasyromane gelesen. Vielleicht ist das alles ja auch kompletter Unsinn und es funktioniert in deiner Welt ganz anders.“ Der Mensch reicht mir das Papier mit den Schriftzeichen. „Beschäftige dich doch hiermit, während ich mich auf die Suche nach der Rune mache.“
Ich atme tief durch und nehme das Papier an mich. „Du hast Recht. Mir bleibt ohnehin nichts anderes übrig, richtig?“
Killian tätschelt meinen Oberschenkel. „Wer von uns beiden sieht die Dinge jetzt negativ?“ Er grinst, als er meine eigenen Worte gegen mich richtet.
Ich greife nach einem der weichen Kissen und werfe es auf ihn, Killian fängt es, sodass ich nicht seinen Oberkörper treffe.
„Mach mich nicht wütend, du würdest das nicht mögen.“
Killian lacht. „Keine Sorge, ich bin schon wieder brav.“ Er steht auf und wirft das Kissen im Vorbeigehen auf die Couch zurück. Ich sehe Killian nach, doch er verschwindet schnell aus meinem Sichtfeld. „Wenn du irgendwelche Fragen hast, frag mich.“
„Das werde ich.“
So wie Killian es vorgeschlagen hat, beschäftige ich mich mit den Schriftzeichen seiner Welt. Mich an die Schriftzeichen zu gewöhnen wird wohlmöglich einige Zeit dauern, doch es ist nicht so, als müsste ich eine ganz neue Sprache lernen. Es ist eher so, als wären die Schriftzeichen eine geheime Schrift, die ich mit Hilfe dieses Papiers entschlüsseln kann. Alles, was ich tun muss, ist zu lernen, welches geheime Zeichen zu welchem Zeichen in meiner Sprache passt.
Mit einem zuversichtlichen Lächeln sehe ich das Blatt Papier an. Auch wenn es für den Moment kompliziert erscheinen mag, bin ich sicher, dass ich die Schrift der Menschen bald beherrschen werde. Mein Blick wandert zu den Büchern in Killians Regalen. Sobald ich das Lesen beherrsche, werde ich jedes einzelne dieser Bücher verschlingen.
༄ ♫ ༄
Als der Abend anbricht, verschwindet Killian für einige Minuten, um uns eine Pizza zu holen. Während er weg ist, schnappe ich etwas frische Luft. Da es zu meinem Bedauern aber immer noch regnet, sitze ich am geöffneten Fenster im Schlafzimmer. Eigentlich würde ich mich auf die Feuertreppe setzen und die wenige Natur genießen, die zwischen den großen Gebäuden ihren Platz hat, doch das muss ich wohl noch aufschieben. Der Regen würde mich zurückverwandeln, das kann ich nicht riskieren.
Mit geschlossenen Augen lausche ich dem fallenden Regen. Der Frieden wird früher als vermutet durch eine zufallende Tür gestört. Killian ist wieder da.
„Ging ziemlich schnell. Heute ist kaum was los, weil es so stark regnet“, erklärt er laut, als er durch die Wohnung geht.
Ich schmunzle, schüttle aber den Kopf. „Ich kann dich sehr gut hören, Killian. Du musst nicht so schreien.“
„Entschuldige“, antwortet er mir. Ich höre seine Schritte, er verlässt das Wohnzimmer wohl wieder.
Um Killian nicht so lange warten zu lassen, lasse ich mich gleich von der Fensterbank gleiten und schließe das Fenster. Ich komme zeitgleich mit Killian im Wohnzimmer an. Es wirkt etwas umständlich, wie er sich seine Socken im Stehen auszieht. Er wirft sie auf den Boden und geht in die Küche.
„Willst du etwas trinken?“
„Ja, gerne.“
„Willst du eine neue Limonade ausprobieren oder eher ein Glas Wasser?“, fragt er weiter.
„Ich wäre mit einem Glas Wasser mehr als zufrieden.“
„Du kannst ruhig schon anfangen.“
„Nein danke, ich warte lieber“, antworte ich ihm.
Aus der Küche höre ich das Rauschen des Wassers, kurz darauf kommt Killian wieder zu mir zurück. Er stellt zwei Gläser auf den Tisch, eines davon ist mit Wasser gefüllt. Für das zweite hat er eine Flasche mitgebracht. Das schwarze Getränk kenne ich bereits, es handelt sich um Coke. Aus der Tasche seines Hoodies zieht er noch ein kleines Fläschchen. Auch das erkenne ich wieder. Mit dem Inhalt dieses Fläschchens würzt er seine Pizza.
Seufzend lässt Killian sich neben mich sinken. Er öffnet den Pizzakarton und gibt somit unser Abendessen preis. Auf jeden der bereits am Couchtisch stehenden Teller legt er ein Stück Pizza. Kaum ist das erledigt, schaltet er den Fernseher ein.
„Wieso machst du das immer?“, frage ich ihn.
Killian wirkt überrascht. „Stört dich der Fernseher?“
„Nicht direkt, aber ich frage mich, warum du ständig von einem dieser Bildschirme beschallt werden willst.“ Ich greife nach meinem Teller, lege ihn auf meinem Schoß ab und koste die Pizza. Sie schmeckt genauso köstlich wie letztes Mal.
„Angewohnheit, schätze ich.“ Mit einem Knopfdruck wird der Bildschirm wieder schwarz. „Wir können uns auch unterhalten.“ Er träufelt einiges von der roten Flüssigkeit aus dem Fläschchen auf sein Pizzastück.
„Ich hätte eine kleine Bitte an dich. Könnten wir später ein Fenster aufmachen? Ich weiß, dir gefällt das nicht, aber ich würde gerne dem Regen lauschen, wenn wir zu Bett gehen.
Killian schmunzelt. „Natürlich, gar kein Problem, Ilaria.“
„Danke. Und wenn das Wetter wieder sonniger wird, würde ich gerne den Park besuchen. Du hast gesagt, dass er nicht weit weg ist, also will ich ihn als erstes sehen.“
Der Mensch möchte gerade in seine Pizza beißen, doch dann lacht er. „Du bist so herrlich genügsam. Ein offenes Fenster und ein Spaziergang im Park reichen aus, um dich glücklich zu machen.“ Killian lässt die Hand, in der er die Pizza hält, sinken. „Du hättest gerne früher in mein Leben treten dürfen.“
Schmunzelnd sehe ich Killian an. „Immer, wenn du solche Dinge sagst, weiß ich nicht, was ich darauf antworten soll.“
„Ist das schlecht?“, fragt er nach.
„Nein“, antworte ich. Ich muss zwangsläufig lächeln, als ich Killian ansehe. „Ganz und gar nicht.“
Killian antwortet bloß mit einem breiten Lächeln, das Grübchen auf seinen Wangen bildet. Auch wenn er keine Magie besitzt, hat er trotzdem etwas an sich, das mich beinahe verzaubert.
Ich nehme mir noch ein zweites Stück Pizza und als ich wieder zu Killian sehe, muss ich nicht nur lächeln, sondern auch leise lachen.
„Was?“, fragt er mich.
„Du hast Käse in deinem Bart“, antworte ich ihm und deute an mein eigenes Kinn.
„Hier?“, fragt er und wischt über seinen Bart, worauf ich wieder lachen muss.
„Nein, etwas weiter in der Mitte, aber keine Sorge, er steht dir ausgezeichnet.“
Nun lacht auch Killian. Er schüttelt belustigt den Kopf und wischt noch einmal über seinen Bart. „Danke“, antwortet er deutlich amüsiert.
Ich wusste, dass wir keinen Fernseher brauchen, um uns gut zu unterhalten. In Zukunft werde ich Killian öfter bitten, ihn auszuschalten.