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Kapitel 48
Die Melodie des Meeres
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Das Wetter enttäuscht mich. Ich ziehe den Zippverschluss meiner Jacke zu und verschränke die Arme vor meiner Brust. Mein Spaziergang findet ein viel zu frühes Ende. Die Morgensonne ist hinter einem dunklen Wolkenschleier verschwunden. Die Wolken sind so dicht, dass das grüne Schimmern nicht mehr am Himmel zu sehen ist. Unangenehmer Wind weht mir entgegen. Der Wetterbericht hat Sonnenschein versprochen, sein Versprechen aber nicht lange eingehalten. Heute wollten wir campen gehen. Killian ist bereits unterwegs, um uns ein Auto zu holen. Mit ein wenig Kraftaufwand öffne ich die Tür zu unserem Wohnhaus. Ich kann es kaum erwarten, wieder in die warme Wohnung zu kommen.
Während ich an einer Frau vorbei gehe, kuschle ich mich in meine Jacke. Im Augenwinkel sehe ich, dass sie sich in meine Richtung dreht. „Hey, du bist doch Killians Freundin, nicht?“, spricht sie mich mit recht lauter Stimme an. Glücklicherweise bin ich das bereits von Killian gewohnt.
Ich bleibe stehen und sehe sie nun direkt an. „Ja, das bin ich.“
„Hi, ich bin Juliet. Wir wurden uns noch nicht offiziell vorgestellt.“ Sie hält mir ihre Hand hin. Mit einem Lächeln strecke ich ihr meine Hand entgegen und erwidere ihren Händedruck. „Puh, ziemlich kalte Finger.“
„Es ist kalt draußen“, antworte ich ihr.
„Ja, der schöne Sonnenschein ist verschwunden. Wie war dein Name?“
„Ich bin Ilaria.“ Es dauert einen Moment, doch dann erinnere ich mich an sie. „Oh, du bist die Frau aus dem Fenster, nicht wahr?“ Ich deute nach oben. „Du wohnst über Killian.“
„Genau, die bin ich. Entschuldige, dass Troy so ein Idiot ist. Ich glaube, dass er bei der Geburt nicht genug Sauerstoff bekommen hat.“ Da Juliet lacht, gehe ich davon aus, dass es sich um einen Witz handelt, also lächle ich ein wenig breiter. „Ich hab' dich schon öfter auf der Straße gesehen. Du siehst immer so hübsch aus in deinen Kleidern.“
„Oh, vielen Dank.“
Juliet mustert mich von oben bis unten, dann liegt ihr Blick wieder auf meinem Gesicht. Ihre blauen Augen gefallen mir. „Vielleicht kannst du mir ja mal ein paar Stylingtipps geben.“
Ich kichere. „Meinst du? Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich da tue. Killian sagt, dass schwarz zu allem passt und die meisten Kleidungsstücke waren Geschenke von einem Freund.“
„Hm.“ Sie streicht sich die dunklen Haare hinter ihr Ohr. „Wie kommt’s?“, fragt sie nach. „Bist du ein Sozialfall oder eine Schnorrerin? Nichts für Ungut, bin nur total neugierig, wer du so bist. Du gefällst mir.“
Ich erinnere mich an die Geschichte mit dem verlorenen Gepäck und beschließe, sie zu wiederholen. Eine bessere und glaubwürdigere Erklärung habe ich nicht. „Meine Sachen sind auf der Reise verloren gegangen“, erkläre ich ihr. „Ich hatte gar nichts, als ich hier angekommen bin, aber meine neuen Freunde haben mir geholfen, wieder auf die Beine zu kommen.“
„Hm“, gibt Juliet überlegend von sich. „Und woher kommst du?“
„Aus Europa“, antworte ich ihr. „Die Reise war ziemlich lang.“
„Ja, da fliegt man schon einige Stunden“, stimmt sie mir zu. „Übrigens. Der hier ist bei mir im Postfach gelandet.“ Sie reicht mir einen kleinen, weißen Umschlag. „Ich wollte ihn eigentlich zur Seite legen, aber wenn du schon hier bist, gebe ich ihn dir gleich mit.“
Dankend nehme ich den Umschlag an. Killians Name steht darauf geschrieben. „Ich werde ihn Killian geben, wenn er wieder zurück ist.“
„Mach das.“ Juliet lächelt mich an. „Hey, ich muss jetzt leider los, aber wir sehen uns bestimmt bald wieder. Hab' einen schönen Tag.“
„Vielen Dank, du auch.“
Juliet zwinkert mir zu, dann drückt sie die Tür nach draußen auf. Die kühle Luft zieht in das Haus. Ich wende mich sofort von der Kälte ab und setze meinen Weg nach oben fort. Meine liebste Kuscheldecke ruft schon nach mir. Ich muss mich dringend wieder aufwärmen.
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Vom Fenster aus beobachte ich den Regen. Die Straßen sind nass und die Scheinwerfer der Autos spiegeln sich in den Pfützen, die sich auf dem Boden gebildet haben. Killian ist noch nicht wieder zurück, doch er wird es bald sein. Mein Herz sagt mir, dass er immer näherkommt. Ich nehme einen Schluck meines Tees. Es tut gut, meine Finger an einer warmen Tasse aufzutauen.
Ich muss erst ein zweites Mal hinsehen, da erkenne ich, dass Killian aus einem Auto steigt. Die Kapuze ist so tief in sein Gesicht gezogen, dass ich ihn gar nicht erkannt habe. Er scheint zu frieren, denn er verschränkt seine Arme, als er auf das Gebäude zuläuft. Er ist wohl nicht besonders begeistert von dem Wetter.
Geduldig warte ich darauf, dass mein Liebster die Treppen hochsteigt. Ich beschließe, mich auf der Couch einzukuscheln. Meine Tasse stelle ich auf den Couchtisch. Der weiße Umschlag liegt schon für Killian bereit. Ich höre erst den Schlüssel im Gang klimpern, dann die Umdrehungen des Schlosses und schließlich, dass Killian die Tür öffnet. Er zieht seine Nase hoch.
„Prinzessin, ich bin wieder da!“
„Deine Nachbarin hat mir einen Brief für dich gegeben.“
„Hast du ihn geöffnet?“
„Nein, natürlich nicht. Da steht doch Killian Smith drauf und ich bin nicht Killian Smith.“
„Freu dich darüber, der Typ bekommt selten gute Nachrichten per Post.“ Mein Liebster schlurft ins Wohnzimmer, dabei zieht er die Kapuze von seinem Kopf. Seine Schritte sind schwer. Er beugt sich sofort über die Couch und begrüßt mich mit einem Kuss. „Das beschissene Wetter macht mir einen Strich durch meine Rechnung.“ Ich deute auf den Brief, den Killian gleich an sich nimmt. „Danke.“ Er rümpft die Nase, als er sich den Umschlag ansieht und geht damit in die Küche. „Ilaria, wir müssen den Campingausflug verschieben. Wenn du kleiner Gremlin nass wirst, haben wir ein Problem.“
„Wie hast du mich gerade genannt?“
Killian lacht. „Gremlin. Das sind kleine Kobolde, die nicht nass werden dürfen. Sonst verwandeln sie sich in Monster.“
„Ich tue dir einen Gefallen und nehme das jetzt nicht persönlich“, scherze ich. Da ich neugierig bin, folge ich Killian in die Küche. „Könnten wir nicht trotzdem fahren?“
„Können schon, aber ich halte das für eine schlechte Idee.“ Er sieht von seinem Brief auf, knüllt ihn zusammen und wirft ihn weg.
„Wieso ist das eine schlechte Idee?“
„Weil es dreckig und matschig ist.“
„Wenn es regnen würde, wenn wir schon draußen sind, dann ist es auch dreckig und matschig“, antworte ich ihm, worauf Killian seufzt.
„Ja, das stimmt, damit hast du vollkommen Recht, aber wenn wir das Zelt schon aufgebaut haben und es fängt an zu regnen, können wir uns in das Zelt zurückziehen. Wenn wir jetzt losfahren, dann muss ich im strömenden Regen ein Zelt im Matsch aufbauen. Dann ist alles nass und dreckig und der Ausflug beginnt schon mit einer negativen Note. Es wäre eine Katastrophe, das Zelt im Regen aufzubauen.“
„Aber ich wäre so gerne heute losgefahren.“ Ich verschränke meine Arme und verziehe meine Lippen. „Können wir nicht irgendwo hinfahren, wo es nicht regnet?“
Killian tritt auf mich zu. Er küsst meine Stirn und widmet sich dann gleich seinem Rucksack. „Wir könnten tatsächlich woanders hinfahren. Was hältst du davon, wenn wir den heutigen Tag abwarten, morgen als Entschädigung für den verlorenen Tag in einem Diner frühstücken und uns dann einen Campingplatz suchen, der trocken geblieben ist.“
„Und wenn es noch schlimmer regnet?“, frage ich nach.
„Dann fahren wir so lange, bis wir irgendwo ankommen, wo es trocken ist.“
Killians Vorschlag bringt mich zum Lächeln. „Vielen Dank, mein Liebster.“ Ich umarme ihn von der Seite und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Einen neugierigen Blick in seinen Rucksack lasse ich mir nicht entgehen. „Was ist das denn?“
Aus dem Rucksack zieht er eine weiße Tüte. „Ach, ich habe uns etwas vom Asiaten geholt. Ich hatte das Gefühl, dass du wegen dem Wetter miese Laune hast. Ich wollte dich mit Sushi und Maki aufheitern.“
Mit einem Lächeln sehe ich zu ihm auf. „Das ist lieb von dir.“
Auch Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Hab' ich gern' gemacht, Prinzessin.“ Unsere Lippen berühren sich. Er ist immer noch sehr kalt.
Wir finden uns zusammen auf der Couch ein. Mein Liebster reicht mir zwei kleine Päckchen mit Sojasauce, die ich großzügig auf meinem Essen verteile. „Wenn du mehr brauchst, kann ich noch was aus der Küche holen.“
„Nein, ich denke, dass ich genug habe.“
Killian reicht mir noch zwei Holzstäbchen. „Oder willst du lieber eine Gabel?“
„Ich versuche es mit den Stäbchen.“ Ich breche die Stäbchen auseinander, dann lege ich sie zwischen meine Finger. Es erfordert ein wenig Übung, doch ich erinnere mich vage an die Lektion, die Killian mir in dem Restaurant gegeben hat. Als ich das erste Maki in meinem Mund habe, bin ich zufrieden.
„Schmeckt es dir?“, fragt Killian mich. Er widmet sich seiner Box mit Reis. Ich kann riechen, dass er sich Fleisch ausgesucht hat.
„Mhm“, antworte ich kauend.
„Freut mich.“
Da der Fernseher nicht läuft, kann ich deutlich den Regen hören. Eigentlich ist es eine ganz nette Atmosphäre, wäre da nicht die kleine, nörgelnde Stimme im Hinterkopf, die lieber campen gehen würde. Ich sehe Killian beim Essen zu. Er bemerkt meinen Blick und sieht mich fragend an.
„Du hast vorhin gesagt, dass du das Gefühl hattest, dass ich miese Laune habe. War das nur so dahingesagt oder hast du es wirklich gespürt?“
Killian wirkt überrascht. Er widmet sich gleich wieder seinem Essen, ohne mir eine Antwort zu geben. Ich warte einen Moment ab.
„Ich schätze, dass ich es tatsächlich gefühlt habe.“ Er wiegt den Kopf hin und her. „Keine Ahnung, irgendwie hat sich das alles verändert seit du hier bist.“
„Ist das etwas Schlechtes?“
„Nein, ganz und gar nicht. Du weißt ja, dass ich nicht besonders gut darin bin, meine Gefühle auszusprechen. Mit Musik ist es einfacher, aber ich bevorzuge es trotzdem, die Worte lieber bei mir zu behalten. So wird man nicht so oft verletzt.“ Killian sieht mich an. Er lässt seine Stäbchen in dem Reis stecken und streicht durch mein Haar. „Zu wissen, dass du fühlst, was in mir vorgeht, ist einerseits immer noch ziemlich unheimlich. Manchmal werde ich das Gefühl nicht los, als hätte ich in meinem eigenen Kopf keine Privatsphäre mehr, aber anderseits finde ich es gut.“
„Wie fühlt es sich für dich an? Ist es anstrengend oder verwirrend? Macht es einen großen Unterschied zu deinen Empfindungen von früher? Du hast nie etwas gesagt, also habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht. Und ich selbst kenne es ja nicht anders.“ Ich sehe auf mein Essen, dann auf Killian. „Es war ziemlich egoistisch von mir, dich nicht danach zu fragen, wie es dir geht. Ich bin immer mit mir selbst beschäftigt, weil sich in meinem Leben so vieles verändert hat.“
Killian schüttelt den Kopf. „Nein, es ist nicht egoistisch von dir. Du hast viel in deinem Kopf und außerdem hast du mich vor unserem ersten Kuss vorgewarnt. Ich bin selbst schuld, wenn ich es nicht anspreche. Es ist nur so, dass ich Gefühle lieber mit mir selbst ausmache. Außerdem musste ich ja erst selbst verstehen, was passiert und die Veränderung überhaupt richtig wahrnehmen.“ Killian streicht durch sein Haar. „Früher habe ich mit einem Therapeuten über meine Gedanken und Gefühle geredet. Das war damals bei meinem ersten Entzug. Es ist also schon eine Weile her und es war nicht immer angenehm, meine Gefühle offen zu zeigen und mich verletzlich zu machen.“ Killian zuckt mit den Schultern. „Irgendwie tut es gut, jemanden zu haben, der versteht, ohne zu fragen.“ Er schmunzelt über seine eigenen Worte. „Gut, du stellst trotzdem sehr viele Fragen, aber ich denke, dass es für einen doch eher verschlossenen Idioten wie mich eine gute Sache ist, dass du mich verstehst. Es fühlt sich gut an, dich an meiner Seite zu haben.“
Ich lächle Killian an, dann küsse ich seine Wange. „Wie lange fühlst du unsere Verbindung schon?“
„Keine Ahnung, das ging schleichend. In den letzten Tagen war es ziemlich intensiv. Es war ganz gut, dass wir ein wenig körperlichen Abstand hatten, das hat das Gefühl ein wenig abgeschwächt. Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass ich in meinem Kopf nicht mehr alleine bin.“
Killian bringt mich zum Kichern. Diese Formulierung amüsiert mich. „Du weißt aber schon, dass ich nicht deine Gedanken lesen kann, oder?“
„Ja, ich weiß. Aber die persönlichen Gefühle sind etwas sehr Privates. Wenn man sie mit jemandem teilt, dann zeigt man sich von einer Seite, die man nicht jedem zeigt.“ Killian räuspert sich. „Keine Ahnung, was ich eigentlich sagen möchte.“
„Fühlt es sich anders an als normal?“
„Nun, es ist ein interessantes Gefühl, auch deine Empfindungen wahrzunehmen. Im Alltag ist es wie eine Art Vorahnung. Ein Gefühl, dass alles gut ist oder dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, je nachdem, wie es dir geht. Ich merke, dass irgendetwas ist, kann aber nicht genau sagen, was mit dir los ist.“ Mein Liebster streicht über meinen Schenkel. „Gut, dass du viel mitteilsamer bist als ich. Bei dir muss man nicht lange warten, schon sagst du, was du denkst.“
„Ja, das kann wahrscheinlich ganz schön nerven“, gebe ich ein wenig beschämt von mir.
Killian schnaubt. „Oh nein, das ist sehr hilfreich. Wenn man eine Frau fragt, was los ist und sie gibt einem keine normale Antwort und erwartet dann, dass man auf magische Weise ihre Gedanken liest, ist viel anstrengender und nerviger.“ Killian küsst meine Stirn. „Da ist es mir lieber, wenn du mir sagst, was los ist. Ratespielchen machen eine Beziehung nur unnötig kompliziert.“ Ich führe ein Sushi zu meinem Mund und beiße davon ab. „Und ich habe komplizierte Beziehungen schon so satt.“ Interessiert lausche ich meinem Liebsten, während ich ein wenig mit der zweiten Hälfte des Sushis kämpfe. „Ich würde sagen, dass ich unsere Verbindung am stärksten wahrnehme, wenn wir Sex haben. Das ist fast schon bewusstseinsverändernd.“ Killian grinst. „Dein Körper fühlt sich ein wenig anders an, weil du nicht so warm bist wie ein Mensch, aber die Intensität der Empfindungen ist unglaublich.“
„Dann haben wir also sehr guten Sex?“, frage ich interessiert nach. Einen Vergleich kann ich unmöglich ziehen, immerhin ist mir bis jetzt nur Killian auf diese Weise nähergekommen.
„Ja, ich kann mich nicht beklagen.“ Killian widmet sich ebenfalls wieder seinem Essen. „Das Gute an Sex ist, dass es so abwechslungsreich ist. Man kann da sehr gut experimentieren. Es gibt verschiedene Stellungen, Spielzeug und je nachdem wo man Sex hat, kann man zusätzlich kreativ werden.“
„Ich mag das Bett und die Couch gerne“, antworte ich. „Da ist es bequem und weich.“ Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Denkst du, dass es im Zelt auch bequem ist?“
Überrascht sieht Killian mich an. „Ja, klar. Nicht so bequem wie im Bett, aber mit einer Iso-Matte und dem Schlafsack ist es doch ganz angenehm.“
„Dann freue ich mich schon auf Sex im Zelt.“
Killian schüttelt amüsiert den Kopf. „Da ist aber jemand sehr experimentierfreudig.“
„Wieso?“, frage ich nach.
„Eigentlich ist es nicht erlaubt, Sex in der Öffentlichkeit zu haben.“
„Das ist ja eine dumme Regel. Im Wald in einem Zelt sieht uns niemand, da machen wir, was wir wollen“, antworte ich bestimmt.
„Du ahnst gar nicht, wie sexy das gerade ist.“
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„Also, ich will das hier und das hier und das.“ Ich tippe mit meinem Finger auf die Fotos auf dem Bildschirm. „Eigentlich will ich alle, die ich hochgeladen habe. Und ich will ein paar Fotos von dir und mir.“
„Mhm“, gibt Killian von sich. Eine seiner Hände streicht über meinen Bauch. Seine andere Hand liegt auf der Maus, mit der er seinen Computer bedient.
„Kann ich auch das Bild von dir und deiner Mutter haben?“, frage ich nach. „Das Foto aus dem Rahmen meine ich.“
„Du willst ein Foto von mir und meiner Mum?“
„Ja, sie sieht so nett aus und das Foto gefällt mir. Sie ist zwar nicht mehr hier und ich hatte nie die Chance, sie kennenzulernen, aber sie ist ein wichtiger Teil deines Lebens und daran möchte ich festhalten.“
„Gut, meinetwegen.“ Killian schmiegt seinen Kopf gegen meinen. Auf seinem Schoß zu sitzen, gefällt mir. „Was willst du denn mit den Fotos?“
„Ich möchte sie mir ansehen, ohne ständig einen Bildschirm vor mir zu haben.“
„Ja, das klingt nach dir. Fotoalben habe ich zwar keine, aber irgendwo hätte ich bestimmt noch Notizbücher oder Skizzenbücher. Da könntest du sie einkleben, wenn du möchtest. Was hältst du davon?“
„Oh, das halte ich für eine sehr gute Idee.“ Ich drücke Killian einen Kuss auf die Wange. „Danke, dass du das für mich machst.“
„Ach, wenn ein Drucker beschließt, ausnahmsweise kein Arschloch zu sein, dann ist das nicht weiter umständlich.“ Ich möchte erst nachfragen, was er damit meint, doch dann entschließe ich mich, es doch nicht zu tun. Ich gebe mich damit zufrieden, dass er mir meine Fotos ausdruckt. „Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich genug Fotopapier habe. Den Rest könnte ich dir aber auch auf normalem Papier ausdrucken und es nochmal machen, wenn wir wieder Fotopapier haben, das wäre kein Problem“, erklärt er. Killian hält mich fest, als er sich nach vorne beugt, um eine Schere zur Hand zu nehmen. „Du wirst sie ausschneiden müssen.“
Ich nehme ihm die Schere ab und nicke. „Dann bin ich ja beschäftigt.“
Killian greift unter den Tisch und reicht mir das erste Papier. Ich nehme es an mich und gehe zu dem Couchtisch, da ich dort doch ein wenig mehr Freiraum und Platz zum Basteln habe.
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, ein Tagebuch zu führen? Viele Menschen, meistens eher Frauen, schreiben gerne auf, was sie an dem Tag gedacht, gemacht oder gefühlt haben. Ich denke, dass das etwas für dich wäre.“
„Ja, das könnte mir durchaus gefallen“, antworte ich ihm. „Mein Volk macht das auch. Viele, die an den Expeditionen teilnehmen, schreiben Tagebücher und Reiseberichte.“ Ich beginne damit, die ersten Fotos auszuschneiden. Killian hat dafür gesorgt, dass immer vier Fotos auf ein Blatt Fotopapier gedruckt sind.
„Passt doch gut. Dann kannst du heute mit einem ersten einführenden Eintrag anfangen und morgen schreibst du über deinen ersten Tag beim Campen. Fast wie in deiner Welt.“
„Ja, das gefällt mir“, antworte ich mit einem Lächeln. Trotz Musik ist das mechanische Geräusch das Druckers kaum zu überhören. „Jetzt brauche ich nur noch ein Notizbuch.“
„Ich bin schon auf der Suche.“ Ich blicke zu Killian hinüber. Er sitzt auf dem Boden und durchsucht seine Schreibtischschubladen. „Vom Design her kann ich dir leider nur langweilige Farben bieten. Hier ist ein Schwarzes. Das Dunkelblaue hier ist auch leer.“ Er blättert durch eines der Notizbücher. „Ah, das Schwarze hat ganz hinten ein Fach, in das du die Fotos stecken kannst. Du könntest sie dort aufbewahren, bis wir ein Fotoalbum kaufen. Oder du klebst sie ein, ganz wie du willst.“
„Gib mir das schwarze Notizbuch. Ich warte auf das Fotoalbum, dann kann ich mein Tagebuch und die Fotos trennen.“
„Alles klar.“ Killian gibt ein leidendes Geräusch von sich, als er sich wieder vom Boden aufrafft. Er bringt mir weitere Fotos zum Ausschneiden und reicht mir besagtes Notizbuch. Der schwarze Einband ist schlicht und schmucklos.
„Wieso hast du überhaupt leere Notizbücher?“
„Gekauft, ohne weiter darüber nachzudenken, ob und wie viele noch zu Hause ungenutzt herumliegen. Die gibt es oft für einen oder zwei Dollar im Ausverkauf. Ich schreibe meine Texte gerne auf Papier, wenn ich einen Song schreibe. Ich habe auch etliche Skizzenbücher, die ich immer benutzen will, es aber nie tue. Wenn ich mal Zeit zum Zeichnen finde, dann doch eher digital.“
„Du solltest eines deiner Skizzenbücher mitnehmen. Vielleicht findest du etwas Schönes, das du zeichnen möchtest.“
Killian sieht mich an, dann zieht er einen Mundwinkel hoch. „Das habe ich jetzt schon gefunden.“
„Du bist ein Schmeichler.“ Für seine süßen Worte bekommt er einen Kuss auf die Wange, dann widme ich mich wieder meinem Projekt.
„Soll ich dir dabei helfen oder willst du das lieber alleine machen?“
„Gegen etwas Hilfe habe ich nichts einzuwenden. Je schneller ich fertig bin, desto schneller können wir wieder kuscheln.“
„Na dann gib mal her.“
Mein Liebster nimmt einen Bogen des Fotopapiers zur Hand und geht damit zu seinem unordentlichen Tisch, um nach einer weiteren Schere zu suchen. Er hilft mir dabei, die Fotos auszuschneiden.
Gedanklich mache ich eine Reise in die Vergangenheit. Ich erinnere mich an den künstlichen Wasserfall und den See im Golden Gate Park, an unsere Ausflüge zu den verschiedenen Stränden, an den vierten Juli, an die Zeit, die ich mit Ian und Lauren verbracht habe und auch an den Tag, an dem Killian mir die Wave Organ gezeigt hat. Das Selfie mit den ahnungslosen Jungs im Hintergrund, das ich auf dem Dach des Hotels gemacht habe, bringt mich zum Lächeln. Dieser Tag wird mir wahrscheinlich für immer in Erinnerung bleiben. Nachdem ich mir jedes einzelne Foto noch einmal angesehen habe, verstaue ich sie dann in meinem neuen Notizbuch. In die kleine, schwarze Lasche an der Seite stecke ich noch einen Bleistift, mit dem ich meine Tagebucheinträge schreiben werde. Mein neues Notizbuch landet in meiner Tasche, dann kuschle ich mich mit Killian auf die Couch. Der Regen ist bereits etwas weniger geworden, trocken ist es jedoch noch lange nicht.
„Kann ich die Kuscheldecke eigentlich auch mitnehmen?“, frage ich nach.
„Ich dachte du hast schon eine eingepackt.“
„Nein. Ich wollte vorher fragen, ob ich sie mitnehmen darf.“
„Natürlich darfst du sie mitnehmen. Wir werden schon noch Platz dafür finden. Nachts kann es doch recht frisch werden. Wenn man sich dann zusammen am Feuer einkuschelt, ist das immer schön.“
Ich schmiege mich an Killians Brust und lausche seinem Herzschlag. „Ein Glück, dass man immer und überall kuscheln kann.“ Killians Finger streichen über meinen Rücken. Ich fühle mich wohl und geborgen, mir wird ganz warm ums Herz.
„Da ist es wieder.“
„Hm?“
„Dieses Gefühl, dass alles gut ist. Du fühlst dich wohl.“
„Ja, das tue ich“, stimme ich ihm zu. Mit einem Lächeln auf den Lippen nehme ich ein wenig Abstand, um Killian ansehen zu können. „Habe ich dir eigentlich jemals erzählt, wie wir dieses Gefühl nennen?“
„Nein, bis jetzt hast du immer Verbindung dazu gesagt.“
„Das wird dir gefallen. Wortwörtlich übersetzt heißt es die Melodie des Meeres.“
Killian schweigt einen Moment, dann nickt er langsam. „Das gefällt mir tatsächlich sehr gut. Ein interessanter Zufall, dass es etwas mit Musik zu tun hat und mir Musik so viel bedeutet.“ Mein Liebster drückt mich wieder sanft an sich. „Dein Volk macht einen sehr romantischen Eindruck. Euer Leben dreht sich um Liebe, Verbundenheit und Zusammenhalt.“ Er schnaubt. „Eigentlich ein schöner Gedanke, dass man so stark zusammenhält. Wenn man dieses Konzept in meiner Welt verbreiten möchte, würde man sofort als Hippie oder noch schlimmer als Guru einer Sekte bezeichnet werden.“ Killian versenkt seine Hand in meinem Haar. Ich seufze wohlig, als er mich krault.
„Das fühlt sich gut an“, gebe ich seufzend von mir und schließe meine Augen.
„Du musst mich später an etwas erinnern. Ich sollte nochmal nachsehen, ob mir der Mexikaner zurückgeschrieben hat. Die Rune macht mich immer noch neugierig.“
„Denkst du, dass er auch jemanden aus meiner Welt bei sich hat?“
„Ich bin ziemlich sicher. Von alleine hat die Rune in der Gasse nicht geleuchtet. Dazu brauchte sie deine Nähe und wenn er dasselbe erlebt hat wie wir, dann muss jemand bei ihm gewesen sein.“
Nachdenklich streiche ich über Killians Brust. „Denkst du, dass er uns verraten wird, wer bei ihm ist? Vielleicht ist es ja jemand, den ich kenne.“
„Ich weiß nicht, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass es jemand aus der Flüsternden Stadt ist. Wir wissen ja auch immer noch nicht, wieso du hier bist und wie das genau passieren konnte. Vielleicht sind viele von euch in unserer Welt gelandet, vielleicht waren die Bedingungen aber auch sehr speziell und es mussten ganz bestimmte Faktoren erfüllt werden, um jemanden durch ein Portal zu schicken.“
Ich fasse an die Kette an meinem Hals. Der Siegelring des Zwerges ist daran befestigt. Ich erinnere mich an das Portal im Badezimmer. Wenn der Zwerg sich im Norden befunden hat, dann wurden die Portale wohl über meine gesamte Welt verstreut. Wahrscheinlich kann man gar nicht bestimmen, wohin sie überhaupt führen, wenn sie zufällig entstehen und nicht bewusst von einem Magier erschaffen werden.
„Du hast Recht“, antworte ich ihm leise. „Der Gedanke, dass es sich um jemanden meines Volkes handelt, würde mir allerdings gefallen. Dann wäre ich nicht mehr so alleine.“
„Würdest du es denn spüren, wenn es jemand aus der Flüsternden Stadt wäre?“, erkundigt Killian sich. „Du müsstest es doch merken, oder? Die Melodie des Meeres verbindet ja euer gesamtes Volk miteinander, wenn ich das richtig verstanden habe.“
„Ja, das stimmt schon, aber wir sind nicht alle direkt miteinander verbunden, die meisten Verbindungen sind indirekt. Ich kenne zum Beispiel dich und du kennst wieder andere Menschen, die mir nicht bekannt sind. Diese Menschen kennen wieder andere Menschen und sie alle haben unterschiedlich starke Bindungen zu einander.“
„Ah, ich verstehe schon, worauf du hinauswillst. Es ist wie ein Freundes- und Bekanntenkreis, nur mental?“
Ich wiege den Kopf hin und her. „Ja, genau. Wenn einem von uns etwas Gutes oder etwas Schlechtes passiert, dann wird dieses Gefühl unterschiedlich stark weiterverbreitet.“
„Wie ein Virus“, meint Killian, worauf er schnaubt. „Macht Sinn, dass sich dann jeder um sich, aber auch um seine Freunde kümmert. Wenn es den einzelnen Meermenschen gut geht, dann geht es allen gut.“
„Wir sind keine Meermenschen“, korrigiere ich meinen Liebsten.
„Oh, wie nennt man euch denn dann?“
„Wir sind das Volk des Meeres“, antworte ich ihm.
„Und wie wird ein einzelner von euch genannt? Bewohner des Meeres?“
„Die Frauen sind Meerjungfrauen, die Männer sind Meermänner und die Kinder sind kleine Fischlein.“
„Schon klar, aber habt ihr auch ein anderes Wort für eure Rasse?“
Ich sehe zu Killian auf. Unsere Blicke treffen sich. „Oh, das meinst du. Manchmal nennt man uns Maera. Das machen aber eigentlich eher andere Völker. Wir selbst nennen uns immer das Volk des Meeres.“
„Wäre Maera denn falsch oder diskriminierend?“, erkundigt Killian sich interessiert. „Ich will dich nicht beleidigen.“
„Nein, es ist nicht falsch, nur ungewohnt. Fischmensch wäre aber diskriminierend. Das empfinden die meisten von uns als sehr beleidigend. Wir sind weder Fische, noch Menschen.“
„Und trotzdem nennt ihr eure Kinder Fischlein? Kommt mir unlogisch vor.“
Ich kichere. „In dieser Sprache gibt es keine bessere Übersetzung. Ich kann nichts dafür.“
„Ah, ich verstehe. Dann seid ihr sozusagen in eurer Ausdrucksweise limitiert.“
„Ja, kann man so sagen.“
Killian ist für einen Moment still, dann spricht er wieder: „Kannst du mal in deiner Sprache sprechen? Das würde mich interessieren. Ist das eher Gesang oder vielleicht ein Blubbern?“
„Außerhalb von Wasser klingt es für Außenstehende wie ohrenbetäubendes Geschrei. Man könnte sogar Glas zerspringen lassen und ich möchte das lieber nicht.“
Überrascht zieht Killian seine Brauen hoch. „Okay, dass deine Stimme so stark ist, hätte ich nicht gedacht.“
Ich zucke mit den Schultern. „Man gewöhnt sich daran.“
„Dann sprecht ihr über Wasser auch so wie wir jetzt miteinander reden?“
„Ja, es ist einfacher. Wir lernen beide Sprachen. Fast jeder in meiner Welt spricht Altmagisch“, erkläre ich. „So können wir uns alle untereinander verständigen.“
„Und wie habt ihr euch auf diese Sprache geeinigt? Wir Menschen haben schon öfter versucht, neue Sprachen zu kreieren, die dann auf der ganzen Welt gesprochen werden sollten. Die bekannteste Plansprache müsste Esperanto sein. Ich kenne aber niemanden, der das spricht.“ Killian schnaubt. „Englisch wäre unsere Weltsprache, die versteht man fast überall.“
Ich überlege einen Moment. „Altmagisch kommt von den Magi. Ich bin mir jetzt nicht mehr ganz sicher. Sie waren wohl Gelehrte, die durch die Welt gezogen sind. Vielleicht waren sie auch Mystiker oder Magier? Oder waren es Heiler?“ Meine Augen verengen sich, während ich nachdenke, doch dann entspannt sich mein Gesicht wieder. Ich fahre fort: „Sie waren jedenfalls eine begabte Gruppe von Menschen, die die Welt bereist haben und ihr Wissen verbreitet haben. Sie haben ihr Wissen mit allen geteilt, unter der Voraussetzung, dass sie sich die Mühe gemacht haben, zu verstehen. Die Sprache hatte ursprünglich glaube ich einen ganz anderen Namen, aber man hat sie im Nachhinein Altmagisch nach den Magi benannt.“ Nachdenklich tippe ich mit dem Zeigefinger auf meine Nase. „Ich bin mir nicht mehr sicher, wie diese Geschichte genau ging. Es ist ewig her, dass ich darüber gelesen habe. Entschuldige.“
„Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Ganz im Gegenteil, das ist wahnsinnig interessant.“
„Wenn mein Gedächtnis besser wäre, dann wäre es wahrscheinlich noch interessanter.“
Mein Liebster winkt ab. „Ach, man kann nicht alles wissen. Wenn du mich was aus dem Geschichtsunterricht aus der Highschool fragen würdest, wüsste ich das meiste wohl auch nicht mehr“, antwortet Killian mir. „Dafür habe ich unnützes Wissen in meinem Kopf abgespeichert.“
„Zum Beispiel?“
„Frauen blinzeln fast doppelt so oft wie Männer.“
Da ich mit dieser Aussage nicht gerechnet habe, lache ich. „Das liegt bestimmt daran, dass wir durch unsere Augenaufschläge süß und unschuldig aussehen und ihr Männer uns öfter einen Gefallen tut, wenn wir euch anblinzeln.“
Ich blinzle Killian an, worauf auch er anfängt zu lachen. Er drückt mich fest an sich und küsst meine Stirn. „Ja, ich weiß ganz genau, dass du das gerne als Waffe einsetzt, um mich zu manipulieren.“
„Manipulieren klingt so hinterhältig.“
Killian winkt ab. „Ich weiß ja, wieso du es machst. Du bist süß und weißt, dass ich dir nichts abschlagen kann, wenn du mich darum bittest.“ Ich werde liebevoll gedrückt. „Das will ich aber auch gar nicht. Wenn es ein endgültiges Nein ist, lasse ich mich ohnehin nicht darauf ein. Irgendwie macht das ja auch deinen Charme aus.“
„Das man das als manipulieren betrachten könnte, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Das will ich gar nicht.“
„Mach dir keinen Kopf, ich weiß schon, wie es gemeint ist. Das sind eben die Waffen einer Frau. Und wie gesagt, es ist nicht schlimm. Du bist nicht hinterhältig, das wäre mir längst aufgefallen.“
„Heißt das, dass du mir die Sache mit Austin verziehen hast?“
„Schätze schon. Immerhin ist es nochmal gut ausgegangen, aber ich will nicht, dass du dir noch einmal mein Smartphone krallst, ohne mich zu fragen.“ Ich nicke. „Die Sache mit dem Geld ist allerdings weiterhin ziemlich eng. Für den Mietwagen musste ich mir etwas ausleihen. Wenn wir wieder zurück sind, suche ich mir einen richtigen Job. Von der Musik alleine funktioniert es schon viel zu lange nicht mehr.“
„Dann lass mich dir endlich helfen.“ Ich sehe Killian eindringlich an. „Lauren hat mir ein paar Tipps gegeben. Sie hat gesagt, dass man als Frau einige ungewöhnliche Möglichkeiten hat, Geld zu verdienen. Und dafür bräuchte ich gar keine gefälschte Identität.“
„Oh Gott, was hat sie dir für Flausen in den Kopf gesetzt?“, fragt Killian nach. Dass ihm die Ideen jetzt schon nicht gefallen, ist deutlich zu hören.
„Sie hat gesagt, dass ich mit Bildern von meinen Füßen Geld verdienen könnte. Es gibt wohl Männer, die so etwas schön und interessant finden. Ich könnte auch meine getragene Unterwäsche verkaufen, aber das kommt mir doch schon sehr seltsam vor. Sind 50 Dollar denn viel Geld?“
Killian legt seine Hand an seine Stirn. „Oh Gott. Lass mich raten, du hast viele Fragen?“
„Lauren hat gesagt, ich soll sie dir stellen, weil du bestimmt große Freude daran hast, sie zu beantworten.“ Ich mustere Killian genau, dann schmunzle ich. „Es könnte sein, dass sie dabei nicht die Wahrheit gesagt hat.“
„Ja, das könnte tatsächlich sein“, meint Killian brummig. „Menschen sind seltsam. Viele mögen Füße auf sexuelle Weise, deswegen kann man Fotos und Videos von Füßen verkaufen. Und die Sache mit der Unterwäsche ist so ähnlich. Mein Ding ist es nicht, aber es gibt Männer die gerne an benutzter Unterwäsche schnuppern. Das erregt sie sexuell. In Japan ist das besonders beliebt. Dort kann man sich solche Höschen sogar aus Automaten ziehen.“ Killian schüttelt den Kopf.
„Oh. Dann sollte ich das wohl eher nicht machen?“
Killian zuckt mit den Schultern. „Wenn man so ein Höschen tatsächlich für 50 Mäuse verkaufen kann und es dir nicht unangenehm ist, das zu tun, dann könntest du es versuchen. Das ist nicht wenig Geld.“
„Hättest du etwas dagegen?“, erkundige ich mich.
Killian schnaubt. „Keine Ahnung, das ist gerade total seltsam für mich. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals mit meiner Freundin darüber spreche, ihre getragene Unterwäsche an Perverse im Internet zu verkaufen.“ Er schüttelt ein weiteres Mal den Kopf. „Es gibt für alles ein erstes Mal.“
„Würde es denn helfen?“
„Naja, wir könnten damit etwas zu essen kaufen. 50 Mäuse pro Tag sind 350 Mäuse in der Woche. Es wäre schon eine Hilfe, aber ich weiß nicht, ob du dich dafür so erniedrigen solltest. Ich hätte dabei kein gutes Gefühl, meine Unterwäsche zu verkaufen.“
Ich zucke mit den Schultern. „Wenn ich sie verkaufen würde, müsste ich sie nicht mehr waschen.“
Ungläubig sieht Killian mich an, dann lacht er los. „Das ist so herrlich pragmatisch.“
„Ich würde dir wirklich gerne aushelfen, mein Liebster und das erscheint mir ein einfacher Weg zu sein.“
Killian ist immer noch sichtlich amüsiert, als er mir wieder antwortet: „Lass uns darüber noch ein paar Mal schlafen, aber so als Plan X könnte man das in Betracht ziehen.“
Ich ziehe die Decke wieder hoch. Sie ist weggerutscht, weil ich mich ständig bewege, anstatt wie Killian ruhig liegen zu bleiben. Mein Liebster bekommt einen Kuss auf die Wange. „Manchmal verlaufen unsere Gespräche schon in seltsame Richtungen.“
„Das ist wahr“, stimmt Killian mir zu.
„Haben wir denn wirklich so große Probleme? Wegen dem Geld meine ich.“
„Sie werden kleiner, wenn ich mir einen Job suche. Das hätte ich längst machen sollen, aber ich konnte mich immer wieder irgendwie durchwinden. Jetzt ist es allerhöchste Zeit, mein Leben zu ändern. Jetzt geht es schon lange nicht mehr um mich, sondern um uns.“
„Würdest du noch eine meiner Perlen annehmen?“
Killian atmet tief durch. „Ich will nicht, aber ich fürchte, dass mir nichts Anderes übrigbleibt. Schenkst du mir noch eine?“
„Ja“, entgegne ich ihm. „Ich will dir helfen.“
„Wir könnten das Geld für unsere kleine Reise gut gebrauchen.“
„Dann musst du sie unbedingt annehmen.“
„Danke, Ilaria. Ich fühle mich mies, weil ich das von dir verlange.“
„Das musst du nicht. Ich habe sie dir angeboten.“
Ich versiegle mein Versprechen mit einem sanften Kuss auf Killians Lippen. Die Dankbarkeit in seinen blauen Augen ist nicht zu übersehen. Wahrscheinlich kann ich immer noch nicht einschätzen, wie wichtig diese Dollar in Killians Welt sind.