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Kapitel 9
Eintönige Routine
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So gut mir unser Abenteuer am Strand getan hat, so sehr hat es Killian ausgelaugt. Anstatt mir eine weitere Nacht zu vertreiben, vertreibe ich mir heute zur Abwechslung den Tag, während der Mensch seinen wohlverdienten Schlaf nachholt. Obwohl sich die Tageszeit geändert hat, stehe ich vor derselben Herausforderung wie jeden Tag. Ich muss mir die Zeit vertreiben.
Ich habe es mir neben Killian im Bett bequem gemacht. Mich zu beschäftigen ist gar nicht so einfach. Der Mensch besitzt zwar viele Dinge, doch mit den wenigsten kann ich etwas anfangen. Es war nicht so einfach, etwas zu finden, an dem ich langfristiges Interesse habe, doch in einem von Killians Bücherregalen wurde ich fündig. In einigen von Killians eher dünneren Büchern sind fast ausschließlich Bilder und sehr wenig Text. Die Symbole, die die Menschen nutzen, um unsere Sprache darzustellen, kann ich zwar nicht lesen, doch aus den Bildern lassen sich Geschichten ableiten. Einige der gezeichneten Helden erkenne ich sogar wieder. Sie sind auf den Bildern an den Wohnzimmerwänden zu sehen. Auch einige der kleinen Statuen in Killians Bücherregal haben ihre Auftritte in den Büchern. Zugegeben, diese Geschichten sind nicht nach meinem Geschmack, da sie sehr viel Gewalt beinhalten, aber es ist interessant, zu sehen, womit Killian sich gerne seine Zeit vertreibt. So lerne ich noch etwas über meinen doch recht verschlossenen Retter.
Als Killian wieder anfängt zu schnarchen, sehe ich von dem Buch mit den Bildern auf. In den letzten Stunden habe ich eine Möglichkeit gefunden, dieses doch recht laute Schnarchen ohne großen Aufwand zu unterbinden. Ich lege das aufgeschlagene Buch zur Seite und drehe mich in Killians Richtung. Aufmerksam betrachte ich den schlafenden Menschen und setze dann mein neugewonnenes Wissen ein. Eine vorsichtige Berührung ist mehr als ausreichend, um seine Lautstärke zu ändern. Ich lege meine Hand an Killians Brustkorb und streichle ihn sanft. Erst schnarcht er ein wenig lauter, doch kurz darauf zeigen die Berührungen ihre Wirkung und atmet er tief durch. Das Schnarchen verstummt und Killian schläft leise weiter. Lächelnd lasse ich meine Hand an seinem warmen Brustkorb ruhen. Ich spüre Killians Herzschlag unter meinen Fingern. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen beobachte ich, wie sich sein Brustkorb sanft hebt und wieder senkt.
Je länger ich hier bin, desto mehr Gefallen finde ich an Killian…
༄ ♫ ༄
Es dauert lange, doch der Mensch rührt sich irgendwann wieder. Killian brummt unwillig, das sind jeden Tag seine ersten Lebenszeichen, wenn er gerade wach wird. Da ich ihn nun schon öfter beobachtet habe, weiß ich ganz genau, dass er noch einige Zeit braucht, um richtig ansprechbar zu sein. Um Killian den Einstieg in den lange abgebrochenen Tag zu erleichtern, gehe ich in die Küche und sorge dafür, dass er seinen Kaffee bekommt. Sobald die erste Tasse leer ist, darf ich damit beginnen, ihm Fragen zu stellen. Diese kleine Bedingung ist mir im Kopf geblieben und daran möchte ich mich auch halten.
Durch ständiges Beobachten und meinen eigenen Versuchen, ist mir die Handhabung der Kaffeemaschine schon seit Tagen nicht mehr fremd. Der Ablauf geht mir mittlerweile fast schon so natürlich von der Hand, als hätte ich schon immer in der Welt der Menschen gelebt.
Mit der schwarzen Tasse in der Hand gehe ich zurück ins Schlafzimmer. „Hast du gut geschlafen, Killian?“, frage ich ihn, als ich eintrete. Zur Antwort bekomme ich bloß ein verschlafenes, tiefes Brummen. Mit so einer Reaktion habe ich allerdings schon gerechnet. Ich stelle den Kaffee an Killians Nachttisch ab. Das Geräusch, das die Tasse beim Aufkommen auf das Holz macht, bringt den müden Menschen dazu, sich zu mir umzudrehen. Er sieht erst überrascht auf die Tasse und dann zu mir nach oben.
„Du hast mir Kaffee gemacht?“, fragt er verblüfft, dabei blinzelt er mich zweimal an.
„Mhm“, antworte ich mit einem Lächeln. „So wie du ihn magst. Mit Zucker.“
„Das… das ist wirklich nett von dir, aber das musst du nicht tun, Ilaria.“
„Ich mache es aber gerne“, antworte ich dem Menschen und klettere dann über ihn ins Bett. Direkt neben ihm bleibe ich sitzen und sehe in sein schlaftrunkenes Gesicht. „Du tust so viel für mich, Killian. Ich fühle mich, als würde ich dich ausnutzen, wenn ich mich nicht zumindest ein bisschen nützlich mache. Ich will mich erkenntlich zeigen, selbst wenn es nur durch diese kleine Geste ist.“
Killian reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht, dabei brummt er ein weiteres Mal. Als er seine Hände wieder runternimmt, lächelt er mich an. „Danke.“
„Ich mache das wirklich gerne.“ Zufrieden erwidere ich Killians Lächeln und lasse mich wieder richtig auf die Matratze sinken. „Außerdem ist es nicht ganz uneigennützig. Je schneller du deinen Kaffee bekommst, desto eher kann ich dir Fragen stellen.“
Der Mensch schnaubt belustigt. „Danke, dass du darauf Rücksicht nimmst. Hast du eine schöne Beschäftigung gefunden, während ich den Tag verpennt hab?“ Killian sieht aus dem Fenster, richtet seinen Blick aber gleich wieder in meine Richtung. Draußen gibt es nicht viel zu sehen, es wird schon wieder dunkel.
„Ja.“ Ich zeige auf die Bücher mit den Bildern. „Die Geschichten sind mir zwar zu brutal, aber es sind die einzigen, die ich verstehe, weil sie Bilder haben.“
„Tatsächlich?“, fragt Killian nach. „Wir sprechen dieselbe Sprache und ich bin davon ausgegangen, dass du lesen kannst…“
Ich sehe von den Büchern zu Killian. Er sieht sehr überrascht aus. Ein wenig beleidigt mich seine Aussage schon. „Natürlich kann ich lesen, eure Schriftzeichen sehen nur ganz anders aus als unsere.“
„Ist das so?“, fragt Killian nach, er blinzelt mich an. „Das kommt unerwartet.“ Er wendet sich von mir zu seiner Kaffeetasse und nimmt sie an sich. Ich beobachte den Menschen, wie er sanft in die Tasse pustet und einen winzigen Schluck macht. „Der ist perfekt. Unglaublich, wie schnell du dir solche Dinge einprägst.“
Killians nette Worte bringen mich dazu, stolz zu lächeln. Er stellt die Tasse wieder auf seinen Nachttisch und sieht mich an. „Ich bin immer sehr aufmerksam, wenn etwas mein Interesse geweckt hat“, erkläre ich.
Ich mustere Killians Körperhaltung, er wirkt nach wie vor ziemlich verschlafen. In seinem müden Gesicht erkenne ich, dass das Kissen, auf dem er geschlafen hat, Falten hinterlassen hat. Seine braunen Haare stehen etwas wirr ab. Alles in allem sieht er sehr drollig aus. Mit Fragen sollte ich mich auf jeden Fall noch zurückhalten, dafür ist er noch nicht wach genug.
„Ja, das ist mir durchaus aufgefallen“, antwortet Killian mir. Er zieht einen Mundwinkel hoch und räuspert sich kurz darauf, was sein Gesicht wieder neutraler wirken lässt. „Du hast nicht auch zufällig darauf geachtet, wohin ich mein Smartphone gelegt habe, oder?“
Ich setze mich auf. „Doch, ich weiß ganz genau, wo es liegt. Ich hole es!“, erkläre ich freudig und eile gleich aus dem Schlafzimmer. Um das Smartphone nicht vor Aufregung fallen zu lassen, halte ich kurz Inne, bevor ich danach greife. Ich nehme es von dem Couchtisch und trage es ruhig zu Killian zurück.
„Du hast es auf den Couchtisch gelegt“, erzähle ich und beuge mich in Killians Richtung, um es ihm zu überreichen. Der Mensch sieht mich an, greift dann nach dem Smartphone und richtet seinen Blick in mein Gesicht.
Mit seiner freien Hand reibt er sich über die Augen, außerdem atmet er tief durch. „Danke, Ilaria.“ Während Killian sich über das Gesicht reibt, klettere ich zu ihm ins Bett und bleibe gegenüber von ihm sitzen.
„Du bist immer noch müde, richtig?“
„Ja, sehr sogar, aber ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Du wirkst entspannter, seit du im Wasser warst.“ Unsere Blicke treffen sich. In seinen Augen kann ich deutlich die Müdigkeit erkennen, mit der er nach wie vor kämpft.
„Das bin ich auch“, antworte ich Killian lächelnd. „Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich ans Meer gebracht hast. Ich kann dir dafür gar nicht genug danken. Du warst den gesamten Abend über sehr freundlich, aufmerksam und zuvorkommend und auch heute Morgen hast du mir das Gefühl gegeben, als würde es nur um mich gehen. Vielen Dank, Killian.“
„Nun, also …“ Noch bevor Killian seinem eben begonnenen Satz einen Sinn verleihen kann, schließt er seine Lippen wieder. Er blickt auf sein aufleuchtendes Display und kratzt sich am Hinterkopf. „Entschuldige, das ist wichtig.“
Ich nicke. Killian lächelt mich an und legt seine Hand auf meine, die andere führt er samt Smartphone an sein Ohr.
„Hey, was gibt’s?“ Geduldig warte ich, bis Killian seinen Anruf beendet. „Nein, du hast mich nicht geweckt. Bin grade aufgestanden.“ Killian nickt. „Mhm. Acht. Okay. Ja, sicher, selbstredend. Ja, bis dann.“ Nach einem letzten Nicken nimmt er das Smartphone wieder runter.
„Du musst arbeiten“, stelle ich ernüchtert fest.
„Ja“, stimmt er mir zu. „Ich muss dich wieder alleine lassen.“
„Dann hast du also wieder einen Gig?“, hake ich nach.
„Mhm“, antwortet er mit einem weiteren Nicken.
„Du siehst nicht aus, als wärst du besonders glücklich darüber, Killian.“
Er zuckt mit den Schultern. „Der Gig ist großartig, es ist wegen dir. Ich hab ein ziemlich schlechtes Gewissen, weil ich dich schon wieder alleine lasse.“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, du musst kein schlechtes Gewissen haben“, antworte ich überzeugt. „Ich kann mir deine Bücher ansehen oder fernsehen. Ich weiß noch ganz genau, wie der Fernseher funktioniert. Soll ich es dir zeigen?“
Killian lacht auf. „Nein, nicht nötig, ich glaube dir.“
„Gut.“
Lächelnd sehe ich Killian an. Er greift wieder nach seiner Tasse, um daraus zu trinken. Als er sie nach einem Schluck wegstellt, richtet er seinen Blick erneut auf mich. Er zieht seine Brauen zusammen, wodurch er etwas grimmig aussieht. „Bleibst du da jetzt einfach sitzen und siehst mich an?“
„Mhm“, antworte ich ihm knapp.
Killian schüttelt den Kopf. „An diese intensive Aufmerksamkeit muss ich mich wirklich noch gewöhnen.“
„Entschuldige, falls ich dich überfordere.“
„Ach was“, antwortet Killian, wobei er abwinkt. Er nimmt wieder seine Tasse zur Hand. „Es hat ja auch etwas Positives. Man bekommt nicht alle Tage Kaffee ans Bett. Ich kann mich nicht beschweren.“ Nach seinen letzten Worten zwinkert er mir zu.
Diese simple Geste macht mich verlegen. Auch, dass Killian mittlerweile starken Augenkontakt mit mir hält, gefällt mir. Ich fühle mich ihm dadurch schon sehr verbunden. „Wenn du möchtest, kann ich dir, solange ich hier bin, jedes Mal Kaffee machen, wenn du aufwachst“, antworte ich ihm.
„Das wäre wirklich lieb von dir, aber du musst nicht, wenn du das nicht möchtest. Du bist ja nicht hier, um mich zu bedienen.“
„So mache ich wenigstens etwas Sinnvolles mit meiner Zeit“, entgegne ich ihm und zucke im Anschluss mit den Schultern. „Du kümmerst dich die ganze Zeit sehr aufmerksam um mich.“
Killian räuspert sich. „Du bist mein Gast, Ilaria. Es ist selbstverständlich, dass ich mich um dich kümmere. Wo solltest du auch hin? Zurück auf die Straße? Wenn dir etwas passieren würde, könnte ich mir das niemals verzeihen.“
„Ich fühle mich trotzdem so, als würde ich dich belasten.“
Killian seufzt. „Hör zu. Du belastest mich nicht. Es ist schön, Gesellschaft zu haben. Ich hab dich gerne hier, okay? Außerdem habe ich dir versprochen, dass wir dich wieder nach Hause bringen.“ Killian hält für einen Moment inne. „…auch wenn es mir deutlich lieber wäre, aktiv an einer Lösung zu arbeiten, anstatt hier im Bett zu sitzen und auf grüne Blitze warten.“
Killians deprimierende Worte erinnern mich wieder daran, was ich hier eigentlich mache. Ich bin in dieser Welt gefangen und im Moment gibt es keine Möglichkeit für mich, wieder nach Hause zu gelangen. Ich senke meinen Blick und presse meine Lippen zusammen. So interessant die Welt der Menschen auch sein mag, sie ist nicht meine Heimat. Ich gehöre hier nicht hin.
Ich sehe auf, direkt in Killians Augen, als er eine Hand an mein Knie legt und mich leicht drückt. „Wir finden einen Weg, auch wenn es das letzte ist, was ich tue.“
Nach einigen Sekunden nicke ich. Killians Blick strahlt Selbstsicherheit aus. Ihm ist es mit seinem Versprechen ernst, auch wenn wir immer noch nicht wissen, wo wir anfangen können, uns aktiv in die Richtung meiner Heimat zu bewegen. „Danke, Killian.“
༄ ♫ ༄
Stunden später mache ich mir um etwas anderes Sorgen. Mir diese besorgniserregend lange Nacht ohne Killian zu vertreiben endet damit, dass ich mit geschlossenen Augen auf der Couch liege und dem Fernseher lausche. Die Stimme erzählt von verschiedenen Meerestieren, im Hintergrund kann ich den Gesang der Wale unter Wasser hören. Mit ein wenig Vorstellungskraft schickt mich diese Kulisse zurück in meine Heimat. Dass ich nicht mehr da bin, ist bestimmt längst aufgefallen. Ich werde bestimmt bereits vermisst und wer weiß, was der Sturm sonst noch in meiner Welt angerichtet hat.
Als ich Stimmen wahrnehme, die nicht zu dem Fernseher gehören, hebe ich den Kopf. Durch meine Neugierde getrieben steige ich von der Couch und begebe mich in den langen Gang, der mich zur Tür führt. Vor besagter Tür höre ich eine tiefe Stimme, die mich sofort zum Lächeln bringt. Es ist Killian. Er kommt endlich nach Hause. Es war heute viel länger weg, als bei seinem letzten Gig. Unruhig und aufgeregt warte ich darauf, dass sich die Tür öffnet, doch als ich Killian sprechen höre, stehe ich plötzlich ganz still.
„Du kannst jetzt wirklich verschwinden. Ich muss nur noch aufschließen, das schaffe ich alleine“, erklärt Killian.
Ein Unbekannter antwortet: „Mir ist es lieber, wenn ich weiß, dass du in deinem Bett ankommst.“
Ich kann mich nicht erinnern, diese Stimme jemals gehört zu haben. Vielleicht gehört sie zu einem von Killians Freunden? Vielleicht ist das der Mann, mit dem Killian über das Smartphone kommuniziert?
„Ich werde dich wohl wirklich nicht los“, erklingt Killian ein weiteres Mal hinter verschlossener Tür. Nun höre ich auch noch Killians Schlüssel klimpern.
Moment. Er nimmt seinen Freund mit?
Eilig entferne ich mich von der Tür und laufe zurück ins Wohnzimmer. Ich schalte mit der Fernbedienung den Fernseher und somit die einzige Lichtquelle aus und verstecke mich in Killians Schlafzimmer. Die Tür lasse ich einen Spalt geöffnet, um besser lauschen zu können. Ich höre schwere Schritte und dass Killian die Tür abschließt.
„Ahhh, deswegen zierst du dich so. Entweder du hast eine Vorliebe für kleine Frauenschuhe entwickelt oder du hast eine Freundin.“
„Und genau diese Psychoanalyse wollte ich mir ersparen, danke“, antwortet Killian hörbar genervt.
Das Licht im Wohnzimmer geht an, der Lichtstrahl fällt durch den Spalt und direkt auf mich, also nehme ich ein wenig Abstand von der Tür und lehne mich an die Wand daneben.
„Dass überhaupt ein Mädchen in deiner Bude übernachten will… Mach mal ein Fenster auf, dein Kopf braucht sowieso Luft.“
„Du hast mich begleitet und du weißt, dass ich zu Hause bin. Du kannst also mit gutem Gewissen verschwinden.“
„Willst du sie mir nicht noch vorstellen?“
„Sicher. Ich geh eben ins Schlafzimmer, wecke sie auf und zerre sie hier raus, damit du einen Blick auf sie werfen kannst.“ Killian lässt einen tiefen Seufzer los, zumindest glaube ich, dass er von ihm kommt. Es würde zu seiner Stimmung passen.
„Hast Recht, aber wieso versteckst du sie vor uns? Ist sie hässlich?“
„Haha, wie witzig. Wenn du mir so kommst, schmeiß ich dich gleich raus.“
„Sorry. Also? Wie sieht sie aus?“
Ich nehme ein Klatschen wahr, das ich nicht ganz zuordnen kann. „Sie ist wunderschön, okay? Man könnte fast sagen… nicht von dieser Welt“, erklärt Killian nach einigen Sekunden Bedenkzeit.
„Nicht von dieser Welt also…“
Killians Antwort bringt mich dazu, leicht zu grinsen. In seinen Worten steckt mehr Wahrheit als der andere Mensch wohl vermuten mag.
„Hast du ein Foto?“
„Nein“, antwortet Killian nun noch genervter.
„Warum nicht?“, hakt der Fremde nach.
„Weil ich keines brauche. Ich weiß, wie sie aussieht.“
„Wow, geh ich dir echt so auf den Sack? Ich wollte doch nur wissen, welches Mädchen du so gern hast, dass sie schon Schuhe und Klamotten bei dir hat.“
„Ihr Name ist Ilaria. Wir kennen uns noch nicht so lange, aber wir verstehen uns sehr gut. Im Moment liegt sie krank im Bett, also wäre es mir mehr als Recht, wenn du verschwindest, damit ich mich zu ihr legen kann.“
„Alles klar, ich hau schon ab. Pass auf deinen Kopf auf und denk daran, was der Arzt gesagt hat. Bei Beschwerden zurück ins Krankenhaus.“
Meine Augen weiten sich. Arzt? Das ist doch der Heiler der Menschenwelt. Geht es Killian nicht gut? Eigentlich möchte ich aus dem Zimmer eilen, um zu sehen, was passiert ist, doch ich darf mich dem anderen Menschen nicht zeigen. Nervös bleibe ich auf der Stelle stehen und tippe mit meinen Fingern gegen die Wand hinter mir. Jede Sekunde, die ich warte, macht mich noch nervöser.
Die beiden Menschen wechseln noch einige Worte miteinander, doch dann höre ich endlich das Geräusch, das mich aus meiner Ungewissheit erlöst. Die Tür fällt ins Schloss. Ich verlasse das Schlafzimmer und bleibe im Wohnzimmer stehen. Killian tritt gerade zurück ins Zimmer. Mir fällt sofort seine versorgte Kopfwunde auf.
Besorgt gehe ich auf den Menschen zu. Vor Schreck lege ich eine Hand an meinen Brustkorb, als ich die letzten Schritte auf ihn zumache. Ich hebe sie dann jedoch, um Killians Haare von seiner Stirn zu streichen. An seiner rechten Stirn befindet sich eine geschwollene Wunde, die von einem der menschlichen Heiler zusammengeflickt wurde. Obwohl die Wunde nicht besonders groß ist, bin ich vollkommen schockiert. Killian ist verletzt.
„Es sieht viel schlimmer aus, als es ist, Ilaria.“
„Was ist passiert?“, frage ich, obwohl ich es eigentlich fast nicht wissen möchte. Meine Augen ruhen auf der Wunde. Meine Hand gleitet von seinen Haaren zu seiner Wange. Mit dem Daumen streiche ich über seine Haut. Dass ich große Angst um Killian habe, kann ich vermutlich nur sehr schwer verstecken. Ihm ist tatsächlich etwas passiert und das obwohl er groß und kräftig ist.
Killian legt seine Hand auf meine. „Es ist wirklich nicht weiter schlimm. Ich hab eine Flasche an den Kopf bekommen. Du musst dir keine Sorgen machen.“ Der Mensch nimmt meine Hand von seiner Wange und drückt sie leicht. „Wie gesagt: Es sieht schlimmer aus, als es ist. Das ist nicht meine erste Verletzung.“
Auch wenn seine Worte ruhig sind und seine Augen mir zeigen, dass er nichts zu verbergen hat, mache ich mir trotzdem Sorgen. Ich löse meine Hand aus seinem Griff und umarme Killian fest. Der Mensch seufzt. Er legt eine Hand an meinen Hinterkopf, die andere an meinen Rücken.
„Es geht mir gut, du musst keine Angst haben, Ilaria.“
„Hab ich aber trotzdem. Was ist, wenn du nicht zurückgekommen wärst?“, frage ich, wobei gegen Ende meine Stimme etwas brüchiger wird, als ich es gedacht hätte.
„Weinst du?“
„Nein“, schluchze ich, wobei ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge verstecke. Killian streicht erst zögerlich, aber dann spürbar selbstsicher durch mein Haar.
„Ich erzähle dir, was passiert ist, okay? Es gab eine kleine Schlägerei, aus der ich mich natürlich rausgehalten habe. Dann hat jemand mit einer Flasche ausgeholt und unabsichtlich mich getroffen. Es war also mehr oder weniger ein kleiner Unfall. Mach dir keine Sorgen. Ich war selbstverständlich auch beim Arzt und er hat sich die Wunde angesehen.“ Der Mensch atmet tief durch und drückt mich an sich. „Bitte hör auf zu weinen.“
Ich nicke, doch die Tränen fließen trotzdem. „Ich bin froh, dass es dir gut geht, Killian.“
Der Mensch löst mich von sich und sieht mich an. „Dann hör auch auf zu weinen, damit ich das sehen kann.“ Killian hebt seine Hand und streicht mir die Tränen von den Wangen. „Schon viel besser.“ Ich sehe Killian in die Augen, er schenkt mir ein sanftes Lächeln. Es ist wohl tatsächlich nicht so schlimm, wie es aussieht, auch wenn die Wunde wirklich hässlich ist. „Ich spring eben unter die Dusche. Willst du noch irgendwas essen?“
„Nein, eigentlich nicht. Danke, dass du fragst.“
„Okay, dann sehen wir uns im Schlafzimmer?“ Ich nicke, worauf Killian noch ein bisschen breiter lächelt.
Der Mensch entfernt sich von mir und begibt sich ins Badezimmer. Als er hinter der Tür verschwindet, sehe ich noch einige Sekunden traurig in den Gang. Auch wenn diese Wunde ein Unfall war, ist mir dennoch flau im Magen. Wie sicher ist die Welt der Menschen, wenn man als Unbeteiligter verletzt wird? Der Gedanke, dass so etwas nicht das erste Mal passiert ist und dass es vielleicht nicht das letzte Mal sein wird, stimmt mich traurig. Killian ist so ein netter Mensch. Dass ihm so etwas passieren musste, schmerzt in meiner Seele.
Aus der Küche hole ich mir noch ein Glas Wasser und gehe dann wie abgemacht ins Schlafzimmer. Das Glas stelle ich auf dem Nachttisch ab, außerdem lege ich mich gleich in das Bett. Mit der Fernbedienung schalte ich den Fernseher ein und suche ein angenehmes Programm, von dem ich das Zimmer beschallen lasse, während ich auf Killian warte.
Abends ist er immer recht schnell, auch heute ist keine Ausnahme. Killian lässt sich schwerfällig neben mich sinken und richtet das Kissen, um sich dann daran anzulehnen. Er streckt zwar seine Beine aus, bleibt jedoch in einer Position, die sich irgendwo zwischen Sitzen und Liegen befindet. Killian brummt wohlig, als er sich zugedeckt hat. Mein Blick liegt von der ersten Sekunde, in der er das Zimmer betritt, nur auf ihm. Wie immer beobachte ich seine Bewegungen sehr aufmerksam.
„Wer war der andere Mann, der hier war?“, erkundige ich mich neugierig. Killian hat selten Besuch. Bis jetzt waren nur seine Schüler hier.
„Ein Bandkollege. Wir machen zusammen Musik. Er hat mich ins Krankenhaus begleitet und mich dann hier abgesetzt.“
„Darf ich dir noch eine Frage stellen?“
„Du darfst mir immer Fragen stellen“, antwortet Killian mir. Er sieht vom Fernseher zu mir und in meine Augen.
„Wieso sind alle so neugierig, was mich betrifft? Dein Schüler hat auch nach mir gefragt.“
Killian schnaubt, dann grinst er. „Weil es niemand gewohnt ist, dass eine Frau bei mir wohnt. Männer sind da ein bisschen wie Geier. Sie wollen wissen, wie du aussiehst, um zu sehen, wie attraktiv du bist.“
„Mhm. Dann ist das Aussehen eurer Frauen also wichtig, ja?“, frage ich mit gerunzelter Stirn.
Killians Grinsen verschwindet. „Das Aussehen ist den meisten Menschen sehr wichtig, das Geschlecht spielt dabei keine Rolle. Beispielsweise würden die meisten Frauen einen großen, schlanken, muskulösen Mann bevorzugen. Männer mit meiner Statur sind eher weniger gefragt. Du hingegen hast alles, was du brauchst, um in unserer Welt als attraktiv zu gelten. Abgesehen von deinen nicht-menschlichen Features.“
Irritiert ziehe ich meine Brauen zusammen, dabei mustere ich Killian argwöhnisch. „Entschuldige, aber ich kann nicht erkennen, was das Problem an dir sein soll. Du bist doch groß und du hast sehr schöne Augen.“
Killian wirkt von meiner Aussage überrascht. „Danke?“ Er räuspert sich. „Wie ist das bei deinem Volk? Habt ihr auch solche ‚Standards‘ wie wir?“
Ich stütze meinen Kopf an meinem Arm ab und sehe Killian weiterhin an. „Geht es bei diesen Standards um die Wahl des Gefährten? Verstehe ich das richtig?“
Killian wirkt, als würde er nachdenken. „Eher um das, was allgemein als schön oder attraktiv gilt.“
„Oh, ich verstehe. Nun, für mein Volk sind körperliche Attribute eher irrelevant. Die Augen sind für uns das wichtigste. Sie sind ein großer Bestandteil unserer Kommunikation, sie spiegeln Gefühle wieder und zeigen uns, was unser Gesprächspartner übermitteln möchte. Augenkontakt ist sehr wichtig, um einander verstehen zu können.“
„Hm“, gibt Killian nachdenklich von sich. „Ach, deswegen siehst du mich immer so genau an. Daran muss ich mich ehrlich gesagt noch gewöhnen. Wir Menschen halten zwar auch Augenkontakt, jedoch nicht so intensiv, wie du ihn pflegst. Intensiver Augenkontakt gilt vor allem bei Fremden als unhöflich, den meisten Menschen ist das sehr unangenehm.“ Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Keine Sorge. Mir macht es nichts aus, wenn du mich ansiehst, aber allgemein gesehen gilt es eher als unangenehm, wenn man so genau betrachtet wird. Verstehst du?“
Ich nicke. „Entschuldige. Ich kann versuchen, es einzudämmen, wenn dir das lieber ist.“
Killian schüttelt leicht den Kopf, für einen Moment ziehen sich seine Brauen zusammen. Er wirkt, als hätte er Schmerzen. „Nein, schon in Ordnung.“ Nach seinen Worten presst er merkbar seine Lippen zusammen, außerdem atmet er tief ein.
„Deine Wunde schmerzt…“, stelle ich besorgt fest.
„Es spannt ein wenig, wenn ich mein Gesicht bewege.“
„Dann sollten wir besser aufhören, uns zu unterhalten. Du hast dich am Kopf verletzt, du solltest dich ohnehin ausruhen.“ Ich nehme die Fernbedienung zur Hand und möchte gerade den Fernseher ausschalten, da nimmt Killian sie mir weg.
„Ich will noch nicht schlafen.“ Als ich ihn fragend ansehe, ernte ich ein freches Grinsen.
„Ich aber“, antworte ich überzeugt, was Killian zum Lachen bringt. Die Freude hält nur kurz, schon verzieht er wieder sein Gesicht.
„Du schläfst doch gar nicht.“
„Ich mache eine Ausnahme“, antworte ich schmunzelnd. „Du brauchst Ruhe.“
Grinsend macht Killian es sich etwas bequemer. Er richtet seinen Blick wieder auf den Bildschirm. Ich tue es ihm gleich, rutsche dabei sogar noch ein wenig in seine Nähe. Meinen Kopf bette ich auf einem Kissen, ich schiebe meinen Arm darunter, um die perfekte Liegeposition zu finden.
„Ich hab über etwas nachgedacht, Ilaria.“
„Über was denn?“, frage ich nach.
„Ich hab mich gefragt, womit du deine Zeit verschwendest, wenn ich nicht da bin.“
„Fernsehen, essen und auf der Couch liegen“, antworte ich ihm knapp.
Ich sehe auf, als ich Killians Hand an meinem Hinterkopf spüre. Er streicht durch meine Haare, nimmt seine Hand allerdings weg, als er meinen Blick bemerkt.
Killian räuspert sich, ehe er spricht: „Ich dachte mir, dass es klug wäre, wenn du ein Hobby hättest. Du kannst nicht ständig untätig herumsitzen, das ist doch langweilig. Was hast du denn in deiner Heimat gerne gemacht?“
„Ich habe viel Zeit damit verbracht, Schmuck herzustellen“, erzähle ich, wobei ich an meine Kette fasse, die unter dem dünnen Stoff meiner Kleidung versteckt ist. „Ich habe viel gelesen, das würde ich hier auch gerne tun, aber eure Schriftzeichen sind mir leider nicht bekannt.“
„Ja, das hattest du bereits erwähnt.“ Killian streicht über seinen Kinnbart, während er überlegt. „Willst du es vielleicht lernen?“
„Würdest du es mir beibringen?“, frage ich aufgeregt und setze mich gleich auf. „Du würdest mir damit einen riesengroßen Gefallen tun, Killian.“
Killian hebt beschwichtigend seine Arme. „Ganz ruhig, Ilaria, es ist mitten in der Nacht und ich bin ziemlich erledigt. In den nächsten Stunden würde ich lieber schlafen, anstatt mit dir das Alphabet durchzugehen.“
Ich lasse meine Schultern sinken. „Oh, ja, entschuldige.“ Ein verlegenes Lachen verlässt meine Lippen. „Ich bin zu leicht zu begeistern und steigere mich manchmal zu schnell zu sehr in etwas hinein.“
Der Mensch zieht einen Mundwinkel hoch und klopft mit der flachen Hand auf die Stelle, an der eben noch mein Kopf geruht hat. „Leg dich wieder hin. Wir beide ruhen uns aus und morgen sehen wir uns an, wo wir einen gemeinsamen Nenner finden und anfangen könnten.“
„Das ist eine hervorragende Idee, Killian.“ Ich nicke enthusiastisch und mache es mir wieder neben dem Menschen bequem. Killian zieht die Decke über meine Schulter. Diese kleine, aber durchaus fürsorgliche Geste weiß ich sehr zu schätzen. „Danke.“
„Nicht dafür.“
Ich richte meinen Blick wieder auf den Fernseher. Auf dem hellen Bildschirm sind gerade Wälder zu sehen. Außerhalb der Menschenstädte scheint es doch beinahe so wie in unserer Welt zu sein, aber eben nur beinahe.
„Ich hab mir noch etwas überlegt.“
„Was denn?“
„Vielleicht wäre es eine gute Idee, wenn ich dir mein altes Smartphone gebe“, erklärt Killian. „Ich besorge dir eine Karte und dann kann ich dich erreichen. Im Krankenhaus habe ich die ganze Zeit nur daran gedacht, dass ich dir Bescheid sagen müsste, dass ich länger weg bin.“
„Eine Karte?“, frage ich irritiert. „Was hat denn eine Karte mit dem Smartphone zu tun? Heißt Karte in eurer Welt etwas anderes als in unserer?“
„Oh“, antwortet Killian überrascht. Er schnaubt, bevor er weiterspricht. „Nun, man sagt Karte dazu, mittlerweile ist es eigentlich nur noch ein kleiner Microchip. Darauf sind Daten gespeichert und… Die Details sind ja auch nicht so wichtig. Wichtig ist, dass du mich erreichen kannst und ich dich erreichen kann, wenn es länger dauert.“
Ich drehe mich auf den Rücken und sehe zu Killian, der mich wohl schon eine Weile ansieht. Zumindest hat er sich nicht in meine Richtung gedreht. „Aber das kostet doch wieder Geld, richtig? Du hast schon so viel für mich gearbeitet, Killian. Ich fühle mich nicht wohl dabei, dir so viele Umstände zu bereiten.“
Killian zuckt mit den Schultern. „Unsinn. Du machst mir keine Umstände und wenn ich dich erreichen kann, falls irgendetwas Unvorhergesehenes passiert, hat das für uns beide Vorteile. Kostspielig ist das alles auch nicht. Ich hab noch mein altes Smartphone, das kann ich dir geben. Die Karte ist nicht weiter das Problem, das regle ich ohne großen Aufwand.“
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. Ich erwidere sein Lächeln und ziehe die Decke wieder höher. „Wenn das so ist, dann kann ich gar nicht nein sagen, richtig?“
„Nein, kannst du nicht“, antwortet Killian nun grinsend. „Dann kannst du sogar gleich etwas Neues lernen, das machst du doch so gerne.“
„Erwischt“, antworte ich schmunzelnd. „Auf die Schriftzeichen der Menschen freue ich mich schon besonders, wenn ich ehrlich sein soll. Das gibt mir die Möglichkeit, alles zu lesen, was sich in deiner Wohnung befindet. Damit dürfte ich dann eine Weile beschäftigt sein.“
Killian blickt für einige Sekunden zum Fernseher, dann allerdings wieder zu mir. „Ich könnte auch nachsehen, was für Werkzeug ich habe, vielleicht kannst du ja etwas davon zur Herstellung für deinen Schmuck brauchen. Wir könnten auch am Strand Muscheln sammeln, damit kannst du bestimmt etwas anfangen.“
Killians Idee gefällt mir. Etwas zu machen, das mich meiner Heimat zumindest ein wenig näher bringt, wäre wundervoll. „Das klingt nach einem tollen Einfall, vielen Dank, Killian.“
„Ach, nicht dafür“, winkt er ab. „Ich will nur, dass es dir gut geht, wenn ich dich schon ständig alleine lasse. Es ist schon schlimm genug, dass ich bis jetzt nicht viel getan habe, um dir zu helfen.“
„Was meinst du?“
Er seufzt. „Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich noch keine Anhaltspunkte gefunden habe. Auf einen Wetterumschwung zu warten, wirkt aussichtslos. Ich bräuchte jemanden, an den ich mich wenden kann, aber in unserer Welt gibt es keine Magier. Maximal irgendwelche Scharlatane, die so tun, als hätten sie magische Kräfte. Die wollen damit nur Geld verdienen, eine echte Hilfe wäre wohl keiner von ihnen.“
Ich sehe die Enttäuschung in Killians Gesicht, auch wenn er mittlerweile wieder zum Fernseher sieht. „Es ist nicht deine Schuld, Killian. Wie kann ich verlangen, dass du eine Möglichkeit findest, mich nach Hause zu schicken? Woher solltest du die nehmen? Weder du, noch ich können Magie wirken. Wir sind wohl beide nicht gerade sehr nützlich, was die Lösung meines Problems betrifft.“
Der Mensch schnaubt. „Es tut mir trotzdem leid. Diese Grünen Blitze und das Gewitter sind alle Anhaltspunkte, die wir haben, das Internet spuckt dazu nur leider nichts Sinnvolles aus und das Wetter ist auch nicht gerade hilfreich. Nebel und Sonne, typisches Wetter in San Francisco. Und auf den Rest der Welt ist auch kein Verlass. Nirgends Stürme oder Unwetter mit grünen Blitzen.“
„Vielleicht… gibt es so etwas in eurer Welt ja gar nicht. Als ich hier angekommen bin, war das Wetter auch ruhig…“
Killian seufzt ein weiteres Mal. „Was ist das erste, woran du dich in der Menschenwelt erinnern kannst?“
„Der kalte Boden, eure Straßen sozusagen. Im einen Moment war ich noch unter Wasser, als mich eine Welle in die Tiefen gezogen hat und schon konnte ich den Stein unter meinem Körper spüren. So als hätte diese Welle mich in diese Welt gespült.“
„Hm.“ Nachdenklich streicht Killian über sein Kinn, seine Finger gleiten durch seinen Bart. „Und eigentlich war die Gasse ziemlich normal… Du warst das einzige, das irgendwie seltsam war. Aber so genau hab ich mich eigentlich gar nicht umgesehen.“ Er räuspert sich. „Irgendetwas Magisches wäre mir aber wahrscheinlich ins Auge gesprungen.“
„Mhm.“
„Was hältst du davon, wenn wir uns morgen die Gasse genauer ansehen?“, fragt Killian nach. „Vielleicht wurde etwas mit dir angespült. Gut, jetzt nach einer Woche kann das natürlich weg sein, aber ich bin leider nicht früher auf die Idee gekommen, die Gasse zu durchsuchen.“
„Und wenn wir nichts finden?“, frage ich nach, worauf Killian mit den Schultern zuckt.
„Probieren geht über Studieren?“, antwortet er mit einer seltsamen Phrase. „Wenn wir etwas finden, das uns helfen kann, ist es gut. Wenn wir nichts finden, machen wir wenigstens einen kleinen Spaziergang und du kommst wieder ein wenig aus dem Haus. Dich hier ständig in der Wohnung sitzen zu lassen und nur zum Waschen mitzunehmen, ist ohnehin nicht das Wahre. Bei der Gelegenheit könnte ich dir auch den Park zeigen. Du wolltest ja etwas mehr von der Natur sehen und das ist das nächste Stück Natur, das ich dir anbieten kann.“ Er gestikuliert zum Fernseher. „Das soll nicht alles sein, was du von unserer Welt siehst.“ Unsere Blicke treffen sich wieder. „Und noch dazu ist ein Spaziergang im Park vollkommen kostenlos, du musst also kein schlechtes Gewissen haben“, antwortet er mit einem Zwinkern.
Killians Zwinkern bringt mich zum Schmunzeln. Ob ihm eigentlich bewusst ist, wie oft er mir zuzwinkert? „Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, meine Dankbarkeit gebührend auszudrücken.“
Er schüttelt den Kopf. „Wie oft muss ich dir noch erklären, dass das nicht nötig ist?“ Grinsend tippt er an meine Stirn. „Du bist mir nichts schuldig. Bekomm das endlich in deinen Kopf, Ilaria.“
Schmunzelnd greife ich nach seiner Hand, als er sie wieder wegnehmen möchte. „Ich bin dir dennoch sehr dankbar.“
„Ich weiß. Vergiss es einfach. Solange du meine Wohnung nicht unter Wasser setzt, kann ich mich nicht beschweren.“
Anstatt wütend zu klingen, grinst Killian ein wenig. Es ist offensichtlich nur ein kleiner Seitenhieb in meine Richtung. Die Wanne noch einmal überlaufen zu lassen, liegt nicht in meiner Absicht. Schon die erste kleine Überschwemmung war alles andere als geplant. Außerdem tut es mir immer noch sehr leid.
„Das war keine Absicht. Ich war unter Wasser und hab den …“ Ich stoppe für einige Sekunden, bevor ich meinen Satz mit dem passenden Wort auf den Lippen weiterführe: „…Wasserhahn vergessen.“
„Ich weiß. Ich bin dir deswegen auch nicht mehr böse. Für den Moment war das ziemlich viel und sehr nervenaufreibend, weil ich müde war, aber ich hab mich schnell wieder beruhigt. Du weißt das alles ja auch nicht besser. Dir irgendetwas vorzuhalten wäre nicht in Ordnung.“ Der Mensch löst seine Hand aus meinem lockeren Griff und zieht seine Decke etwas höher.
„Und es kommt nicht wieder vor“, verspreche ich eilig. „Nun weiß ich ja, wie man das Wasser aus der Wanne lässt.“
„Falls du möchtest, kannst du morgen gerne wieder ein Bad nehmen. Ich will nicht, dass du wegen dem Vorfall Angst hast und deswegen mit Absicht auf dem Trockenen sitzt.“
Ich nicke. „Nett von dir. Dann kann ich auch wieder dieses Schaumbad verwenden.“ Das Wort betone ich mit Absicht etwas fragend, da ich mir nicht mehr sicher bin, ob ich es richtig in Erinnerung habe.
„Ja, es heißt Schaumbad“, bestätigt Killian mich mit einem Nicken.
„Dann kann ich wieder dieses Schaumbad verwenden. Der Duft gefällt mir. Ihr Menschen habt generell sehr interessante Düfte zu bieten.“
Killian hebt seinen Kopf. „Oh, dabei fällt mir etwas ein. Wenn ich das nächste Mal einkaufen gehe, könntest du mitkommen, wenn du willst. Dann kannst du dir ein eigenes Schaumbad aussuchen. Ähnlich wie bei den Getränken gibt es auch unendlich viele verschiedene Duftkreationen. Du findest bestimmt etwas, das dir zusagt.“
Mit überraschten Augen sehe ich Killian an. „Ach, ist das so? Das klingt unheimlich spannend. Ich kann es kaum erwarten, herauszufinden, was mich erwartet.“
Killian lacht leise, gleich danach reibt er sich mit der Hand über das Gesicht. „Du kannst dich wohl für ausnahmslos alles begeistern.“
„Ist das ein Problem?“, frage ich etwas unsicher nach.
Der Mensch lässt seine Hand sinken. „Nein, ganz und gar nicht. Das ist ein sehr charmanter Charakterzug.“
„Meinst du?“, frage ich etwas verlegen nach. Um meine Verlegenheit zu verstecken, sehe ich wieder zum Fernseher.
„Mhm, das meine ich…“
„Danke.“
Nach einigen Minuten bin ich mir ziemlich sicher, dass unser Gespräch nicht fortgeführt wird. Killians Schnarchen übertönt den Fernseher, sein Schnarchen wird jedoch von meinem Kichern übertönt. Menschen sind sonderbar. Erst redet man noch miteinander und schon schlafen sie ein.
Ich nehme die Fernbedienung an mich, die Killian neben sich im Bett abgelegt hat und schalte den Fernseher aus. Anstatt mich auf das nächste Buch mit Bildern zu stürzen, nutze ich die Dunkelheit, um mich selbst ein bisschen auszuruhen.
Morgen werden wir an den Ort zurückkehren, an dem ich in diese Welt gespült wurde. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät und wir finden tatsächlich Hinweise auf meine Heimat…