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Epilog:
Die letzten Schritte
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Der Sturm hatte San Francisco einige Tage in seinen grausamen Klauen. Ich hatte genug Zeit, mich zu erholen. Meine Schulter schmerzt zwar immer noch und auch das Laufen ist noch etwas anstrengend, doch es fällt mir Tag für Tag leichter, mich zu bewegen.
Die Sonne brennt schon fast ungewöhnlich heiß auf uns herab. Ich klettere auf einen Trümmerhaufen, um die Straße zu überqueren. Killian breitet seine Arme aus und fängt mich auf. Mit einem Arm zu klettern ist nicht so einfach. Vorsichtig stellt Killian mich auf dem Boden ab. Ich bekomme einen Kuss auf die Stirn. San Francisco ist nicht mehr das, was es einmal war. Viele der Gebäude sind eingestürzt. Ich halte mir die Hand vor die Nase. Der Geruch des Todes liegt in der Luft. Die Erdbeben und der Sturm haben unübersehbare Spuren hinterlassen. Viele Teile der Stadt sind unbewohnbar. Die Wohngegend, in der nicht nur Ian und Marc, sondern auch Jean und Luna ihre Wohnungen hatten, ist vollkommen zerstört worden. Ich kann nur hoffen, dass es ihnen gutgeht und sie irgendwo da draußen noch am Leben sind. Wir haben auch nach Angus, Lauren und ihrer Tochter gesucht, doch obwohl ihr Zuhause beinahe unversehrt ist, fehlt auch von ihnen jede Spur. Auch bei dem Gedanken an sie spüre ich Hoffnung, anstatt Verlust.
„Nicht hinsehen“, spricht Killian fast emotionslos, als er mich von einem Auto wegführt. Er ist bedacht darauf, dass ich keinen genauen Blick in das Innere des Wagens werfe. Der Gestank ist selbst für mich kaum auszuhalten. „Irgendwo da vorne ist unser Auto.“
Mein Liebster führt mich zu dem Mietwagen. Auf der Motorhaube liegt ein umgestürzter Baum. Die große Scheibe ist vollkommen ruiniert. Selbst wenn die Straßen befahrbar wären, könnten wir dieses Auto nicht mehr nutzen.
„War ja klar“, gibt Killian genervt von sich. „Verdammte Scheiße!“ Er drückt immer wieder auf den Schlüssel, gibt dann aber auf und wirft ihn wütend gegen eines der Gebäude. „Ich muss das scheiß Ding aufbrechen.“
„Aufbrechen? Tu dir bitte nicht weh.“
„Nein, das wird schon.“ Killian macht sich auf die Suche nach einem geeigneten Werkzeug. Ich sehe mich um, doch dann werde ich plötzlich ganz starr. Ich erblicke die Stelle, an der ich verletzt wurde. Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder auf, die ich in den letzten Tagen so verzweifelt verdrängt habe. Auch die Metallstange ist noch da. Es ist verrückt, doch ich kann spüren, wie sie mich festhält. Schnell schüttle ich den Kopf und eile zurück zum Auto. Meine Beine fühlen sich schwer an. Killian ist bereits mit einem Stück Eisen am Kofferraum unseres Mietwagens zu Gange. Ich halte genug Abstand zu ihm. Seine aggressive Energie bereitet mir Unbehagen.
„Fuck!“, schimpft Killian vor sich hin. „Verdammte Scheiße, geh auf, du Drecksding!“ Er setzt sein gesamtes Gewicht ein. Es ist nicht zu übersehen, wie wütend ihn die gesamte Situation macht. Um ihm nicht im Weg zu sein, nehme ich noch einige Schritte Abstand. Es knackt und knarrt, doch Killian schafft es, den Kofferraum aufzubrechen. „Oh, Gott sei Dank.“ Er sieht zu mir. „Kannst du deinen Rucksack mit deiner verletzten Schulter tragen?“
„Ja“, antworte ich ihm, ohne zu zögern. „Etwas Anderes bleibt mir nicht übrig.“
„Ja, ich fürchte auch, dass es darauf hinausläuft.“ Killian nimmt einen der Rucksäcke und auch seine Gitarre heraus. Er hält einen Moment Inne, als er die Gitarrentasche betrachtet. „Ich kann kaum glauben, dass das all meine Sachen sind. Alles ist weg.“ Auch Killians Wohnhaus wurde beinahe vollkommen zerstört. Es ist zu unsicher, in den Trümmern nach unseren Habseligkeiten zu suchen. Alles, was übriggeblieben ist, ist in den Rucksäcken und meiner Handtasche verstaut.
„Tut mir leid.“ Ich lege meine Hand an Killians Rücken und streichle ihn.
„Muss es nicht. Du hattest noch weniger, als du hier angekommen bist.“ Er sieht mich an. „Ich glaube, dass ich erst jetzt wirklich begreife, was du durchgemacht hast. Vorher hatte ich doch etwas mehr Distanz dazu, aber jetzt sickert das irgendwie in mein Gehirn durch.“ Killian öffnet seinen Rucksack. Er zieht eine Tube heraus und ich erkenne schnell, dass es sich um die Salbe für meinen Arm handelt. „Keine Ahnung, was ich aktuell denken soll.“ Er blickt auf die Salbe und dann auf mich. „Wir kümmern uns erst einmal um deinen Arm. Vielleicht sollten wir uns dann auf den Weg zum nächsten Krankenhaus machen. Scheint mir ein logisches, erstes Ziel zu sein. Wenn wir jemanden finden, dann wahrscheinlich dort, schätze ich.“ Killian steckt die Tube in seine Hoodietasche. Vorsichtig zieht er meinen Arm aus der Schlinge, die ihn stützt.
„Au“, gebe ich schmollend von mir.
„Sorry. Es wird bestimmt gleich besser“, verspricht er und begutachtet meine Haut. Die dunklen Flecken sind bereits heller geworden, richtig gesund sehe ich allerdings immer noch nicht aus. Mein Körper braucht deutlich länger, sich von den Verletzungen zu erholen, als ich gedacht habe. Killian verteilt die Salbe an meinem Ellbogen. Mit sanftem Druck verreibt er sie bis zu meiner Schulter hinauf und bis zu meiner Hand hinunter. Die massierenden Bewegungen lösen eine seltsame Mischung aus Schmerz und Erleichterung aus. „Alles gut?“
„Ja.“ Killian steckt die Tube in meine geöffnete Tasche. „Danke.“
„Nichts zu danken.“ Vorsichtig bettet Killian meinen Arm wieder in die Schlinge. „Okay, erst noch die Apotheke, dann das Krankenhaus. Ich muss noch meinen Verband wechseln. Eine Entzündung kann ich wirklich nicht gebrauchen.“
„Dann machen wir das.“
„Du nimmst meine Gitarre, die ist leichter, ich schnalle mir deinen Rucksack um den Bauch, das ist zwar etwas umständlich, aber das geht schon irgendwie.“
„Killian, hör auf damit. Es geht mir gut. Mein Rucksack ist viel leichter als deiner.“ Mit dem Kopf deute ich auf meinen Rucksack. „Du siehst doch gar nichts mehr, wenn du den auf dem Bauch trägst. Und du musst auch nicht die ganze Verantwortung alleine tragen. Wir stecken zusammen in diesem Chaos.“
„Ja, du hast Recht.“ Killian küsst meine Stirn. „Du musst aber unbedingt sagen, wenn es dir doch zu viel wird. Dann suchen wir uns Unterschlupf und machen eine Pause.“ Er runzelt die Stirn. „Es ist ohnehin verdammt heiß.“
Mein Liebster bindet seine Gitarre auf seinen Rucksack. Er trinkt einen Schluck Wasser und bietet auch mir etwas an. Nachdem auch ich getrunken habe, legt er mir meinen Rucksack an. Es ist nicht ganz schmerzlos, doch ich reiße mich zusammen. Wir haben keine andere Wahl. Schon wegen dem furchtbaren Gestank müssen wir weiterziehen.
Killian verstaut die Flasche in einem Seitenfach seines Rucksacks. Wir lassen die Straße hinter uns und machen uns auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel. Nicht nur die Stadt, auch der Himmel hat sich verändert. Von dem strahlenden Blau ist nicht mehr viel zu sehen. Das grüne Schimmern ist intensiver denn je. Die magische Energie scheint die gesamte Welt zu umschlingen. Ich fühle sie mit jedem Atemzug.
Wir steigen über Steine und Trümmer. Einige Straßen sind beinahe unbeschadet, während andere deutlich schlimmer aussehen. Aus den teilweise sehr tiefen Rissen dringt grüne Magie. An einigen Stellen strahlt sie so hell, dass sie sogar tagsüber deutlich sichtbar ist. Es schmerzt, an leblosen, von Fliegen befallenen Menschen vorbeizulaufen. Ich versuche, nicht zu genau hinzusehen. Der Gestank ist so abartig, dass ich mich am liebsten übergeben würde. Killian drückt sich ein Shirt an das Gesicht. Ihm geht es nicht anders. All die Zerstörung zu sehen, lässt das Gefühl aufkommen, in einer untergegangenen Welt unterwegs zu sein. Alles, was ich an der Welt der Menschen geliebt habe, scheint von dem Sturm ausgelöscht worden zu sein.
Während Killian die Apotheke durchstöbert, lehne ich mich gegen eine Theke, um eine Pause zu machen. Die Hoffnung, dass all das hier nur ein furchtbarer Albtraum ist, schwindet mit jedem neuen Augenblick. Ich sehe Killian dabei zu, wie er seinen Verband abwickelt, doch ein Rascheln hinter mir lenkt mich davon ab, ihn zu beobachten. Neugierig gehe ich der Sache auf den Grund. Ich verfolge das Geräusch bis zu einem Gang, in denen einige Lebensmittel in den Regalen stehen. Ich erkenne Müsliriegel und nehme eine Packung davon aus dem Regal. Getrocknete Erdbeeren und Schokolade klingen gut. Ich verstaue sie in meiner Tasche. Zu gerne würde ich mehr mitnehmen, doch ich soll nicht zu viel einpacken. Zu schweres Gepäck macht die Reise nur anstrengender. Ich komme dem Rascheln immer näher. Als plötzlich eine Packung Müsli vor mir zu Boden fällt, gebe ich ein erschrockenes Quietschen von mir. Schnell halte ich mir die Hand vor den Mund.
„Ist alles okay?“, fragt Killian und eilt in den Gang, in dem ich stehe. Ich sehe zu im und nicke.
„Ich habe mich nur erschreckt.“ Ich sehe auf die Stelle, aus der die Müslipackung gefallen ist und deute dann vorsichtig auf die hinterlassene Lücke. Das kleine Tier, dass sich an den Vorräten zu schaffen macht, erblickt mich. Das Schnelle verschwinden der Ratte erschreckt mich so sehr, wie mein Anblick wohl die Ratte erschreckt hat. Ich nehme eilig Abstand und lege meine Hand an meinen Brustkorb. Mein Herz klopft wie wild. „Nur eine Ratte.“
„Geh' lieber weg von dem Vieh. Die können Krankheiten übertragen.“
„Ja, das musst du mir nicht zweimal sagen.“ Ich schüttle mich vor Ekel und gehe dann auf Killian zu. „Hast du gefunden, was du gesucht hast?“
„Ja, habe ich. Lass mich das noch fertig machen, dann verschwinden wir von hier.“
Die Schnittverletzung an Killians Hand sieht schon ein wenig besser aus. Er desinfiziert seine Wunde, ehe er sie schon wieder verbindet. Ich möchte ihm helfen, doch er lehnt meine Hilfe ab. Wir packen noch einige Dinge in unsere Rucksäcke, schon steigen wir wieder durch das kaputte Fenster nach draußen. Mein Liebster reicht mir seine Hand, um mir zu helfen.
Das Chaos scheint kein Ende zu nehmen. Wir ziehen durch die zerstörte Stadt. Der Plan, im Krankenhaus auf andere Überlebende oder auf Hilfe zu warten, löst sich schnell in Luft auf. Auch hier ist der Gestank des Todes so unerträglich, dass wir uns schnell wieder auf den Weg machen. Killian sieht eine ganze Weile stur geradeaus, während wir eine Straße langlaufen. Ich bin nicht sicher, ob er überhaupt weiß, wohin wir gerade gehen.
„Woohoooo!“
Ich sehe mich verwirrt um, als ich einen Schrei höre. Auch Killian sieht sich um, dabei zieht er mich allerdings nah an sich heran. Ein lauter Knall zieht durch die Stadt. Erschrocken drücke ich meinen Kopf an Killians Schulter.
„Apokalypse, Baby!“
Nach einem erneuten Knall folgen noch zwei weitere.
„Gott verdammte Scheiße, Ryder, komm vom Rand weg!“, schreit nun eine Frau.
Ich sehe verwirrt auf und erblicke einen Mann mit langen Haaren. Er steht mit ausgebreiteten Armen auf dem Rand eines Daches.
„Scheiße, Leute, da sind noch mehr Menschen! Hey, ihr da unten!“ Aufgeregt winkt er uns mit beiden Armen zu. „Kommt rauf! Wir machen Party! Wir feiern das Ende der Welt!“
Als es einige weitere Male knallt, ziehe ich wieder den Kopf ein.
„Was ist das?“, frage ich verschreckt.
„Der Typ hat eine Waffe.“ Killian legt seine Hand schützend auf meinen Hinterkopf. „Lass uns abhauen. Die sind mir nicht geheuer.“
„Hey! Hey! Ihr! Kommt zurück! Versteht ihr mich? ¿Pablo español?”
„Das heißt ‚¿Hablas español?‘ du Vollidiot! Komm jetzt runter!“, erklingt nun eine männliche Stimme.
„Ihr gönnt einem aber auch gar nichts!“
„Wir sollten schleunigst von hier verschwinden“, meint Killian, als er mich weiterschiebt. Immer wieder versucht der Mensch auf dem Dach unserer Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch wir lassen uns nicht davon beirren und setzen unseren Weg fort. „Am besten, wir treiben eine Karte und eine Waffe auf. Dass ich Idiot noch nicht früher daran gedacht habe.“
Killian beschleunigt seine Schritte. Ich versuche, mit ihm mitzuhalten, was leider schwieriger ist, als ich es mir wünsche. Dieses Tempo zu halten, wird mein Bein nicht lange durchstehen. „Und wohin gehen wir?“
„Erst einmal raus aus diesem Trümmerhaufen. Vielleicht hat es nur San Francisco so schwer erwischt. Im Landesinneren sieht es bestimmt besser aus.“
„Meinst du?“, frage ich nach.
„Nun ja, ich hoffe es.“
Wir entfernen uns immer weiter von den lauten Menschen auf dem Dach. Das ungute Gefühl, was mit ihnen einhergeht, verringert sich, je größer der Abstand zu ihnen ist. Schweigend gehen wir nebeneinander her. Killians Schritte werden wieder langsamer, die Müdigkeit steigt jedoch bereits in meine Glieder hoch. Auch mein Arm braucht dringend Zeit, um sich von der schweren Last zu erholen.
Ich greife nach Killians Hand, was mir seine Aufmerksamkeit garantiert. „Können wir eine Pause einlegen?“
„Klar, lass uns in einem der Häuser absteigen und für heute Schluss machen. Morgen sehen wir dann, wie weit wir kommen.“
Killian sorgt dafür, dass wir in ein Haus gelangen. Wir durchsuchen die Wohnräume nach etwas Nützlichem, bedienen uns an eingelegtem Gemüse und schlagen unser Nachtlager auf der Couch im Wohnzimmer auf. Die Nächte in fremden Häusern zu verbringen, nach etwas Essbarem zu suchen und in ihren Kleidern und Schränken zu wühlen, wird erschreckend schnell zu unserem neuen Alltag.
Als es draußen immer dunkler wird, puste ich die Kerze auf dem Tisch aus und kuschle mich an meinen Liebsten. Killian atmet tief durch. Auch wenn alles um uns herum chaotisch ist, haben wir immer noch einander. Und wer weiß, was die Zukunft uns bringt, sobald wir San Francisco hinter uns gelassen haben. Killian küsst sanft meine Stirn. Sein Bart kitzelt mich ein wenig. Es bringt mich zum Lächeln, wie normal es sich anfühlt, vorsichtige Zärtlichkeiten auszutauschen.
„Ich liebe dich, Killian.“
„Ich dich auch, Prinzessin.“
Als ich seine Worte höre, breitet sich ein Gefühl von Wärme und Sicherheit in mir aus. Die Worte, die ich seit Tagen immer wieder wiederhole, zeigen immer öfter ihre Wirkung.
‚Alles wird gut.‘
Author's Note:
Vielen lieben Dank an alle, die meine Story mitverfolgt, gelesen und kommentiert haben. Vielen Dank auch für die Herzchen und die Daumen, die meine Geschichte bekommen hat!
Ich bin im Moment noch ziemlich gestresst, weil es verdammt aufwühlend ist, eine Geschichte, an der man 2 Jahre gearbeitet hat, dann doch endlich abzuschließen. Aber ich bin auch erleichtert, immerhin geht die Reise auch weiter. Die vielen neuen Ideen können es kaum erwarten, umgesetzt zu werden.
Wer es nicht erwarten kann, zu erfahren, wie es weitergeht, kann diesem Link hier folgen und den Prolog zur Fortsetzung ‚Das Klagen der Welten‘ folgen.
‚Das Klagen der Welten‘
https://belletristica.com/de/books/48313-das-klagen-der-welten