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Kapitel 16
Killians neue Freundin
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Geduldig warte ich ab, bis Killian seinen ersten Kaffee getrunken hat und aufnahmefähig ist. Ich habe die ganze Nacht überlegt, was es mit der Eule auf sich haben könnte und wie ich Killian von dieser Begegnung erzählen werde. Müde sitzt der Mensch auf der Couch. Er starrt stumm vor sich hin. Sein verschlafener Blick ist auf die Kaffeetasse gerichtet, die sich vor ihm auf dem Tisch befindet. Wenn ich nicht wüsste, dass Killian jeden Morgen Zeit braucht, um wach zu werden, hätte ich das Gefühl, dass mit ihm etwas nicht stimmt.
Ich hebe meine Hand und lege sie an Killians Rücken. Er brummt, als ich ihn kraule. Ich nehme an, dass er mit diesem Brummen ausdrücken möchte, dass er von meinen Berührungen angetan ist. Killian nimmt einen Schluck von seinem Kaffee und dreht sich dann zu mir. Instinktiv suche ich seinen Blick. Seine Augen sind leicht gerötet, wodurch das kühle Blau noch intensiver wirkt. Killian kann sie kaum geöffnet halten. Nun bekomme ich doch das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt.
„Ist alles in Ordnung?“, frage ich, wobei ich meine Hand sinken lasse.
„Müde“, gibt er brummig zur Antwort und atmet im Anschluss tief durch.
Langsam stellt er seine Tasse zurück auf den Tisch. Mit schwerfälligen Bewegungen kommt er näher, um sich zu mir zu legen. Er zieht mich sofort in seine Arme. Ich bekomme einen sanften Kuss auf die Schläfe. Seine feste, aber dennoch liebevolle Umarmung bringt mich zum Lächeln.
„Sobald du wach genug bist, muss ich dir etwas erzählen“, erkläre ich ruhig.
„Okay. Gib mir noch ein paar Minuten, dann bin ich geistig anwesend.“
Ein Blick in sein Gesicht bringt mich zum Kichern. „Ich denke, dass du mehr als ein paar Minuten brauchen wirst.“
„Mhm“, antwortet er brummend. Killian schiebt seine Finger und dann seine Hand unter mein Shirt. Wie immer, wenn er mich anfasst, spüre ich, wie warm sich seine Haut im Gegensatz zu meiner anfühlt.
Ich gebe dem Menschen seine Zeit. Mit rhythmischen Bewegungen streichelt er meinen bloßen Bauch. Jedes Mal wenn er ausatmet, kitzelt sein Atem ein wenig an meinem Hals. Obwohl es sehr angenehm ist, in Killians Armen zu liegen, möchte ich lieber, dass er seinen Kaffee trinkt und schneller aufnahmefähig wird. Ich habe so viel zu erzählen!
Arm in Arm liegen wir auf der Couch, während ich darauf warte, dass Killian sich wieder rührt. Dann passiert endlich das, wonach ich mich sehne, seit er sich ins Bett gelegt hat. Killian setzt sich auf und greift wieder zu seinem Kaffee. Er nimmt einige Schlucke und sieht mir im Anschluss in die Augen.
„Ich bin wach genug.“
„Erinnerst du dich noch an gestern Nacht, als du aus dem Wohnzimmer ins Schlafzimmer gekommen bist?“
Killian überlegt, dabei legt er seine Stirn in Falten. „Nicht wirklich. Habe ich etwas Dummes gesagt? Falls es so ist, tut es mir leid.“
„Nein, ganz und gar nicht. Es ist etwas passiert. Letzte Nacht war ich draußen auf der Feuertreppe. Ich habe kleine grüne Blitze gesehen. Ein Portal hat sich geöffnet und eine Mondschatteneule ist aus dem Portal geflattert.“
Seine Augen sind mit einem Mal richtig geöffnet. Ich habe seine Neugierde geweckt. „Eine Mondschatteneule?“, wiederholt er fragend. Der Mensch blinzelt mich an. „Aus einem Portal, ja? Hat sie etwas gesagt?“
Seine Frage bringt mich dazu, breit zu grinsen. „Nein, Mondschatteneulen können nicht sprechen. Sie hat mich allerdings sehr lange und sehr genau angesehen.“
„Und was ist dann passiert?“, fragt er sichtlich interessiert nach. Er nimmt einen Schluck seines Kaffees und sieht mich über den Rand seiner Tasse an.
„Ich habe sie gefragt, ob sie ihren Herren sucht. Sie hat sich nur aufgerichtet und ist dann weggeflogen.“
Killian nickt. „Und was kann das bedeuten?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ich weiß es nicht, Killian.“ Überlegend wende ich meinen Blick an die Decke über mich. „Mondschatteneulen sind zwar intelligente Begleiter, dennoch ist es ihnen nicht möglich, die nötige Magie zu kanalisieren, um ein Portal zu öffnen.“
„Dann denkst du, dass sie von jemandem geschickt wurde?“
„Vielleicht.“ Ich sehe Killian wieder in die Augen. „Ich habe letzte Nacht lange darüber nachgedacht. Es könnte doch sein, dass jemand versucht hat, ein Portal in die Menschenwelt zu öffnen und die Eule geschickt hat, um zu testen, ob es funktioniert. Dass sie in meiner Nähe aufgetaucht ist, könnte purer Zufall sein. Es könnte allerdings auch etwas bedeuten. Vielleicht weiß jemand, dass ich hier bin.“ Killian legt seine Stirn in Falten. Ich lasse mich von seiner Miene nicht ablenken und erkläre weiter: „Wenn die Eule aus meiner Welt kommt - und davon gehe ich aus - könnte sie geschickt worden sein, um ihrem Herren einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Wenn wir wissen, dass die Magie in Ungleichgewicht geraten ist, weiß es bestimmt noch jemand.“
Killian nickt. In seinen Augen sehe ich jedoch, dass er nicht ganz verstanden hat. Er hat bestimmt viele Fragen, die ersten beiden stellt er mir sofort: „Was für ein Herr könne das denn sein? Oder kann man das nicht sagen?“
„Vermutlich eine Waldelbe. Sie züchten seit Jahrhunderten Mondschatteneulen und bilden sie zu ihren Begleittieren aus. Wenn das Portal nicht durch Zufall entstanden ist, dann stecken Magier dahinter.“
„Sind Waldelben gefährlich?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, das sind sie nicht. Das ist der friedlichste Stamm der Elben.“
Killian atmet erleichtert durch. „Hast du eine Verbindung zu ihnen? Hast du schon einmal eine Waldelbe getroffen?“
„Nein, ich selbst habe noch keine Waldelben getroffen, aber mein Volk handelt mit ihnen“, antworte ich ihm.
Killian nickt. „Und diese Magier der Waldelben wären mächtig genug, um so ein Portal zu öffnen, verstehe ich das richtig?“
„Ja. Einer alleine würde es nicht schaffen, genug Magie zu kanalisieren, aber wenn die Magier sich zusammenschließen, ist das durchaus möglich.“
„Dann war das wahrscheinlich weniger ein Zufall“, meint Killian nachdenklich. „Denkst du, dass …“ Killian stockt, ehe er weiterspricht: „Könnten diese Magier Interesse daran haben, dich wieder in eure Welt mitzunehmen?“
Killian wirkt etwas unsicher, als er mir diese Frage stellt. Natürlich ist er beunruhigt. Ich habe ihm erst vor kurzem erklärt, dass ich bleiben will und schon schleicht sich ein weiteres Mal der Gedanke ein, dass er mich wieder verlieren könnte.
„Ich weiß es nicht“, antworte ich ehrlich und greife nach seiner freien Hand. In der anderen hält er weiterhin seine Tasse. „Aber ich lasse nicht zu, dass uns jemand trennt. Das verspreche ich dir.“
Killian nimmt meine Hand in seine, mit seinem Daumen streicht er über meine Finger. Er wirkt noch nicht überzeugt. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis er dieses Gespräch verarbeitet hat. Es waren viele Informationen und das schon so früh am Morgen. Im Prinzip bin ich doch genauso ratlos wie er. Zu dieser nie dagewesenen Situation kann ich selbst nur Mutmaßungen anstellen.
In einem bin ich mir jedoch sicher: Ich werde mein Versprechen nicht brechen. Killian und ich werden uns nicht trennen, was auch geschehen mag. Ich habe ihn zu lieb gewonnen, um ihn mit gutem Gewissen verlassen zu können.
༄ ♫ ༄
Die Tage vergehen. Es gibt keine weiteren Spuren von Unwettern, grünen Blitzen, Portalen, Feen, Elben, kichernden Kaninchen oder Mondschatteneulen. Auch die Suche nach der Rune bringt keine neuen Erkenntnisse.
Der Alltag der Menschenwelt gewinnt ein weiteres Mal die Oberhand, doch wie immer kommt keine Langeweile auf. Das nächste große Ereignis wird in wenigen Minuten stattfinden. Heute treffe ich endlich Killians Freunde. Ich muss zugeben, dass ich deswegen schon sehr aufgeregt bin. Ich weiß nur nicht, ob Vorfreude oder Nervosität überwiegt. Killian dagegen ist deutlich anzusehen, dass er sehr nervös ist.
„Ich weiß, dass wir das schon mehr als gründlich durchgekaut haben, aber wenn du dich unwohl fühlst, musst du es mir unbedingt mitteilen, Ilaria“, erklärt mir Killian eindringlich.
Seine große Fürsorge bringt mich zum Schmunzeln. Er ist wie immer viel zu besorgt und viel zu steif. „Ach, Killian. Hörst du jemals auf, dir Sorgen um mich zu machen?“, frage ich ihn, anstatt auf seine Aussage einzugehen. Vorsichtig lege ich meine Hand an seine frisch rasierte Wange und streiche über die weiche Haut.
Der Mensch zieht eine Braue hoch. „Nein“, antwortet er bestimmt, fast schon streng. Er greift nach meiner Hand und küsst meine Finger. „Ich übernehme, falls meine Freunde dir unpassende und unangenehme Fragen stellen, okay?“
Mit einem Lächeln strecke ich mich zu Killians Lippen und gebe ihm einen sanften Kuss, den er für eine Sekunde erwidert. Mein Lächeln ist sogar noch etwas breiter, als ich mich von ihm löse und ihn ansehe. Er sieht lustig aus. Der blaue Lippenstift steht mir eindeutig besser als ihm. Killian verzieht das Gesicht und wischt sich mit dem Ärmel über seinen Mund.
„Wenn ich deine Hilfe brauche, werde ich nach deiner Hand greifen und sie sanft drücken.“ Schon während ich spreche, demonstriere ich die Geste. „Hab keine Angst, Killian. Heute Nachmittag wendet sich alles zum Guten.“
„Das sagst du nur, weil du meine Bandkollegen nicht kennst“, antwortet Killian mir schlecht gelaunt. Um seiner miesen Laune noch mehr Ausdruck zu verleihen, legt er seine Stirn in Falten.
Ich schüttle den Kopf. „Das ist doch der Sinn des heutigen Treffens. Ich lerne deine Freunde kennen.“ Mit eindeutig besserer Laune als mein menschlicher Begleiter nehme meine Tasche an mich und hänge sie um meine Schulter. „Wir können los.“
Grummelnd greift Killian nach seinem Schlüsselbund und öffnet uns die Tür. Nachdem er einmal tief durchgeatmet hat, macht er eine freundliche Handbewegung nach draußen. „Ladys first.“
„Vielen Dank.“
Da ich heute das erste Mal meine schönen Schuhe trage und Killian nicht möchte, dass wir zu lange zu Fuß unterwegs sind, nehmen wir den Bus. Die Haltestelle befindet sich glücklicherweise direkt an der Ecke des Wohnhauses. Die Fahrt selbst dauert laut Killian ebenfalls nicht besonders lange. Durch die leicht verschmutzten Fenster des Busses erkenne ich den Park, in dem wir die Fee getroffen haben, wohin wir allerdings genau fahren, weiß ich nicht.
Als wir den Bus verlassen, sind wir noch einige Minuten zu Fuß unterwegs. Die Gebäude, an denen wir vorbei spazieren sind abwechslungsreich. Es scheint fast so, als würde sich der Baustil von Gebäude zu Gebäude ändern. Einige der Menschenhäuser haben glatte, fast schon langweilige Fassaden im Vergleich zu den verzierten Häusern direkt nebenan.
„Na? Verlierst du schon die Liebe für deine neuen Schuhe?“, fragt Killian mich, als ich immer langsamer werde und schließlich stehen bleibe. Er grinst ein wenig, fast schon als wäre er schadenfroh.
„Nein, wieso?“, antworte ich mit einer Gegenfrage, als ich mich interessiert umsehe.
„Weil du immer langsamer wirst.“ Killian streckt mir seine Hand entgegen. „Komm, meine Freunde warten schon auf uns.“
„Wir waren hier noch nie, richtig?“ Ich greife nach Killians Hand und wir beide gehen weiter.
„Gut erkannt. Wir sind gleich da. Dort vorne ist es schon.“
Wir überqueren ein letztes Mal die Straße. Schritt für Schritt nähern wir uns einer kleinen Gruppe Menschen. Ich drücke Killians Hand. Gut, vielleicht bin ich nun doch ein klein wenig nervöser, als ich es vermutet hätte. Drei Männer und eine Frau sitzen zusammen an drei aneinandergestellten kleinen Tischen. Mir entgeht nicht, dass sich zwei leere Stühle an einem der Tische befinden. Wahrscheinlich sind die Plätze für Killian und mich. Die vier Menschen unterhalten sich angeregt. Je näher wir kommen, desto deutlicher kann ich Killians Freunde verstehen.
Ein schlanker Mann mit knallroten Haaren erzählt enthusiastisch: „Die Serie hat ja auch ein ziemlich dickes Budget bekommen. Das coolste sind aber sowieso die verschiedenen Drehorte. Es wird nicht alles mit Greenscreen gedreht und das liebe ich sehr. In der ersten Folge waren sie ja in Spanien, das war richtig cool. Die Europäer haben mehr drauf, als man ihnen zutraut.“
„Die geben sich bei der Serie verdammt viel Mühe. Die Schauspieler sind der Hammer“, antwortet eine mir bekannte Stimme. Das muss der Mann sein, der Killian bereits besucht hat. „Und der Schauspieler, der Jarik spielt, hat sich extra noch richtig aufgepumpt, bevor die Serie losgegangen ist. Er ist jetzt so ein richtiges Tier. Wie er dem Wächter das Genick gebrochen hat, war richtig nice.“
„Der Hund, der in der ersten Folge den Sprengstoff erschnüffelt hat, war so süß“, wirft die Frau am Tisch ein. „Was war das nochmal für eine Rasse? Deutscher Schäferhund?“ Sie dreht sich fragend zu dem Mann neben sich und legt ihre Hand an seinen Oberarm.
Noch ehe der Mann neben ihr sprechen kann, antwortet Killians Freund ihr: „Nein, Merita ist ein Malinois, ein belgischer Schäferhund.“
„Du bist so ein Nerd!“, meint die Frau belustigt.
„Was denn? Fakten sind wichtig!“, entgegnet er mit einem Grinsen.
Der Mann, den sie eigentlich angesprochen hat, räuspert sich, ehe er spricht: „Aber über den fiesen Cliffhanger sind wir uns schon einig, oder?“
„Jo, das war richtig fies“, stimmt der Mann mit den knallroten Haaren ihm schnell zu. Er stellt seine Tasse auf den Tisch. „Erst ist Jarik noch so badass, dann geht 'ne Bombe hoch und schon ist er bewusstlos und … Killian!“ Der Mann hebt freudig die Arme. „Wir dachten schon, du kneifst!“
„Hey“, begrüßt Killian seine Freunde und hebt dabei seine Hand. „Ich wollte euch nicht unterbrechen. Klingt spannend.“
„Hallo“, begrüße ich die vier Menschen nun doch etwas nervös. Ich hebe meine Hand und winke in die Runde. Killian rückt mir einen der freien Stühle zurecht, sodass ich mich setzen kann. Ich bedanke mich natürlich bei ihm. Er selbst nimmt direkt neben mir Platz. Aufgeregt blicke ich in die Runde. Alle Augen liegen auf uns.
„Leute, das ist Ilaria“, stellt Killian mich vor. „Neben dir sitzen Angus und seine Freundin Lauren.“
Ich sehe mir die beiden Menschen interessiert an. Dabei achte jedoch darauf, nicht zu sehr zu starren, so wie Killian es mir geraten hat. An Angus fällt mir sofort die Narbe an seiner Nase auf. Er hat Dreadlocks, wie die Menschen die verfilzten Zöpfe nennen. Im Gegensatz zu mir trägt sie allerdings auf dem gesamten Kopf. Seine Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden. Ähnlich wie Killian trägt auch er einen Bart, seiner ist jedoch deutlich länger als Killians. Lauren sieht aus wie die Frauen im Internet. Sie hat rote Lippen und dunkel angemalte Augenlider, außerdem langes, glattes schwarzes Haar. Ihr Lächeln wirkt ausgesprochen freundlich auf mich.
Killian deutet mit dem Kopf zu dem Mann mit den knallroten, etwas zerzausten Haaren. „Das ist Ian und Marc hat dich letztens aufgeweckt, als er mich nach dem Krankenhaus nach Hause gebracht hat.“
„Ich erinnere mich“, antworte ich Killian. „Schön, ein Gesicht zu der Stimme zu haben.“
Der schlanke Mann mit den zerzausten roten Haaren trägt im Vergleich zu den anderen Männern sehr viel Schmuck an seinen Ohren. Auch sein Lächeln wirkt freundlich. Marc trägt eine schwarze Mütze, seine Unterarme sind mit bunten Bändern geschmückt. Er scheint ganz besonderes Interesse an mir zu haben, denn er kann gar nicht mehr aufhören, mich anzusehen.
Marc nickt leicht, ehe er spricht: „Du bist also die Cinderella zu den kleinen Schuhen in Killians Vorzimmer. Endlich ist das Mysterium gelöst.“ Er wendet sich an Killian. „Ey, kein Wunder, dass du sie so lange vor uns versteckt gehalten hast. Sie ist viel zu hübsch für dich.“
Killian schnaubt. „Ein Glück, dass ich für so einen Fall noch eine Persönlichkeit habe.“
Ian fängt an zu lachen, ehe auch er Killian anspricht: „Was sollte eigentlich dieses Versteckspiel?“
„Ja, wir dachten schon, dass sie hässlich ist und du dich deswegen schämst“, wirft der dritte Mann im Bunde ein. Sein Grinsen vergeht ihm recht schnell, als seine Freundin ihm einen bösen Blick zuwirft.
„Hör auf damit. Genau wegen solchen dämlichen Sprüchen hat er sie so lange geheim gehalten.“
Killian seufzt. Er reibt sich mit der Hand über sein Gesicht. Als er sich erhebt, sehe ich zu ihm auf. „Komm, wir holen uns was zu trinken.“
Ich begleite ihn nach drinnen.
Schon auf den ersten Blick wirkt das Café freundlich und einladend. Die Wände sind in einem hellen, warmen Orangeton gehalten. Es duftet nach frisch gebrühtem Kaffee. An den Wänden befinden sich einige gerahmte Bilder und bunte Tücher. Ich bin sofort fasziniert von der angenehmen Atmosphäre. Die Menschen, die sich in dem Café befinden, sind beschäftigt. Entweder sie lesen in einem Buch oder sie sitzen vor einem leuchtenden Bildschirm, so wie Killian es oft tut. Es ist wohl sehr menschlich, das zu tun. Killian hilft mir dabei, mich für ein Getränk zu entscheiden. Es ist nicht so einfach, mir alleine etwas auszusuchen, da ich noch nicht besonders gut lesen kann. Außerdem kenne ich die meisten Getränke gar nicht. Trotz Bedenkzeit finde ich doch recht schnell etwas, das mir vielleicht zusagen könnte.
Als wir wieder bei Killians Freunden sitzen, komme ich in den Genuss meiner ersten heißen Schokolade. Ich bin sehr zufrieden mit meiner Wahl. Killian hat sich natürlich für einen Kaffee entschieden. Daran habe ich keine Sekunde gezweifelt. Kaum setze ich meine Tasse ab, bemerke ich etwas, das mich für eine Sekunde erschreckt. Meine Lippen haben einen blauen Abdruck hinterlassen. Es dauert den Bruchteil einer Sekunde, doch dann erinnere ich mich wieder daran, dass ich meine Lippen geschminkt habe. Daran werde ich mich wohl nicht so schnell gewöhnen.
Mit einem freundlichen Lächeln wendet Lauren sich an uns. „Los, erzählt. Wie habt ihr euch kennengelernt?“ Bei ihrer Frage sieht sie mich direkt an. Ich erwidere das Lächeln und lehne mich etwas nach vorne. Killian möchte gerade antworten, doch ich lege eine Hand auf seine, um ihm zu zeigen, dass ich die Antwort übernehmen möchte.
„Killian hat mir sozusagen das Leben gerettet“, beginne ich selbstbewusst mit unserer mehr oder weniger erfundenen Geschichte.
„Sieht ihm ähnlich. Killian, der selbstlose Samariter“, unterbricht Ian mich schon nach dem ersten Satz mit einem Zwischenruf.
„Lass die Kleine doch ausreden“, kommt es genervt von Marc. „Ich bin neugierig, Mann.“
Ich schmunzle, ehe ich weitererzähle: „Meine Reise in die USA stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Erst verschwindet mein Gepäck, dann behauptet das Hotel, dass ich gar kein Zimmer gebucht habe und schon stehe ich mitten in der Nacht mit nichts anderem als meiner Handtasche in einem fremden Land und weiß nicht, wohin.“ Ich sehe für eine Sekunde zu Killian, der mir zulächelt. „Und dann kam Killian wie aus dem Nichts mit seiner Gitarre auf mich zu. Ich habe ihn angesprochen und gefragt, ob er mir helfen kann, ein Hotel zu finden.“ Killian schnaubt.
„Tenderloin ist nur zwei Straßen weiter. Ein hübsches Mädchen in einem kurzen Kleidchen, ganz alleine und das mitten in der Nacht. Ihr könnt euch also vorstellen, was mir da alles durch den Kopf gegangen ist.“
Marc nickt. „Hätte einiges schiefgehen können.“ Er grinst mich an. „Hast du aber auch ein Glück, dass Killian sich zu so einem guten Kerl entwickelt hat.“
„Erzähl weiter“, bittet Lauren mich interessiert. „Du bist dann einfach so mit ihm mitgegangen? Hattest du gar keine Bedenken“
„Nein, ich habe ihm vertraut“, antworte ich. „Er war sehr freundlich und zuvorkommend. Er hat mir angeboten, bei ihm zu übernachten und mir versprochen, dass wir am nächsten Tag ein Hotel für mich suchen.“
Killian tätschelt meine Hand. „Ich schwöre dir, dass ich wirklich nicht vorhatte, dich zu behalten.“
„Das klingt ja wie ein richtig nettes Kompliment“, gibt Ian, der Mann mit den knallroten Haaren, von sich. „Also keine Liebe auf den ersten Blick, hm?“
„Selbstverständlich hat mir Ilaria von Anfang an gefallen. Aber solche Geschichten funktionieren nur in Filmen“, meint Killian fast schon defensiv. „Und diese Filme würde ich mir nicht ansehen.“
Seine Freunde lachen, doch dann ergreift Lauren wieder das Wort. „Erzähl weiter, Ilaria.“
„Nun, wo war ich?“ Ich überlege eine Sekunde, ehe ich weiterspreche. „Ich habe Killian nach einem Hotel gefragt und er hat mir angeboten, mit ihm mitzukommen. Er hat mir erlaubt, bei ihm zu duschen und er hat mir bequeme Kleidung geliehen. Ich hatte ja leider nur noch die Kleidung an meinem Körper und die Dinge, die ich in meiner Handtasche verstaut hatte.“
„Scheiß Fluggesellschaften“, wirft Angus ein. Er schnaubt abschätzig. „Ist mir auch schon passiert. Ich hab meinen Koffer nie zurückbekommen. Ist nicht so cool, im Urlaub seine Kohle für Dinge rauszuwerfen, die man eigentlich dabei haben sollte, anstatt sie in Essen und Kultur zu investieren.“
„Mhm, Kultur, alles klar“, zieht Marc ihn auf. „Das Wort, das du suchst, ist Alkohol.“
Killian lacht. „Ich fürchte, du kommst nicht mehr dazu, deine Geschichte zu erzählen.“ Locker legt er einen Arm um meine Schultern und streichelt meinen Oberarm.
„Ja, Ruhe auf den billigen Plätzen“, bittet Lauren etwas strenger. „Lasst das arme Mädchen doch endlich ausreden.“
„Schon in Ordnung. Ich störe mich nicht daran“, beschwichtige ich sie lächelnd. Mit Killians Freunden zu kommunizieren ist viel einfacher, als ich es mir vorgestellt habe. Ich warte einige Sekunden, als es still bleibt, spreche ich weiter: „Nachdem auch er geduscht hat, haben wir uns ein wenig unterhalten. Er war aber schon ziemlich geschafft. Er hat mir sein Bett angeboten und Killian hat auf der Couch geschlafen.“
„Mhm“, stimmt Killian zu. „Am nächsten Tag haben wir dann wieder gequatscht. Wir waren spazieren und haben uns kennengelernt. Irgendwie hat es gefunkt und Ilaria ist geblieben. Wäre ja auch unnötig, Geld aus dem Fenster zu werfen und in einem Hotel zu wohnen, wenn sie bei mir bleiben kann.“
„Und wann fliegst du wieder nach Hause?“, fragt Angus mich nach einem Schluck aus seinem Glas.
„Oh, ich bleibe“, antworte ich. „Eigentlich bin ich hier hergekommen, um zu arbeiten. Doch wie gesagt: Meine Reise stand unter einem schlechten Stern. Mit meinem Gepäck ist nicht nur meine Kleidung verschwunden, sondern auch mein Werkzeug und mein Schmuck. Die Kunst hat mich nach San Francisco geführt. Ich fertige Schmuckstücke aus natürlichen Materialien an. Muscheln, Holz, Steine, eben alles, was sich in der Natur finden lässt.“ Ich seufze. „Ich hatte schon jemanden, der mir helfen sollte, meine Schmuckstücke zu verkaufen, doch nun, da alles verschwunden ist, ist auch unsere geschäftliche Vereinbarung dahin.“
Ian setzt sich etwas bequemer hin. Er streicht sich die Haare aus dem Gesicht, ehe er spricht: „Ach fuck, so ein Pech aber auch. Und wenn du neue Schmuckstücke machst, kann man den Typen nicht doch noch dazu überreden, in dich zu investieren?“
„Leider nicht, nein“, entgegne ich ihm.
„Der hat sich jetzt einen neuen Partner gesucht“, erklärt Killian und zuckt mit den Schultern. „Wäre ja auch zu viel verlangt, einer jungen Künstlerin eine zweite Chance zu geben.“
„Du sagst es, Bro“, stimmt Marc ihm zu. „Ist ja nicht so, als hätten wir Künstler es nicht so schon schwer genug. Aber hey. Props to you, Ilaria. Von Europa nach Amerika zu kommen, um den American Dream zu leben ist ziemlich mutig. Und dann noch ganz alleine. Coole Sache.“
Ich lächle breit. „Nun bin ich ja nicht mehr alleine.“ Grinsend tätschle ich Killians Brustkorb. „Auch wenn ich in den ersten Stunden in San Francisco kein großes Glück hatte, habe ich wenigstens Killian kennengelernt. Vielleicht musste es ja so kommen.“
„Ja, ich bin der Trostpreis“, stimmt Killian mir amüsiert zu.
„Im Nachhinein betrachtet bin ich sehr froh, dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist.“ Killian bekommt einen vorsichtigen Kuss auf die Wange. Ich hinterlasse einen Lippenstiftabdruck auf seiner Haut, den er gleich wegzuwischen versucht. Ich nehme seine Hand weg und helfe nach.
„Awww“, gibt Ian gerührt von sich. „Fuck, Killian, behalt' das Mädchen. Endlich mal keine Verrückte.“
„Das weißt du doch noch gar nicht“, wirft Marc ein.
Auch Angus stimmt zu: „Mhm. Sein Frauengeschmack war schon oft sehr fragwürdig.“
Killian schnaubt. „Ich kann nichts dafür, dass die Weiber verrückt sind. Außerdem bin ich nicht derjenige mit der verrücktesten Ex.“ Er sieht vielsagend zu Marc, der anfängt zu lachen.
Ich weiß zwar nicht genau, worüber die beiden sprechen, aber da ich für diesen Moment nicht im Mittelpunkt stehe, nutze ich die Zeit, um aus meiner Tasse zu trinken. Ich setze meine Lippen auf den bereits hinterlassenen blauen Lippenabdruck und nehme einen Schluck. Heiße Schokolade kommt auf die Liste der Dinge, die mir schmecken. Das können wir in Killians Zuhause bestimmt auch machen.
„Gott, war die Alte irre. Fuck, Mann!“ Marc schüttelt amüsiert den Kopf. „Zur Erklärung für dich, Ilaria.“ Ich sehe auf, als ich angesprochen werde. „Meine Ex hat meinen Wagen mit einem Baseballschläger demoliert.“ Er deutet an, eine Keule oder ähnliches zu schwingen. Ich lehne mich zurück und blinzle zweimal.
„Nein, das ist nicht wahr. Wer macht denn sowas?“, frage ich fassungslos. Ich erinnere mich sofort an die zwei lauten Menschen, die sich vor Killians Wohnhaus gestritten haben. Der Mann mit dem Stock hat dieselbe Bewegung gemacht.
„Leuten mit einer durchgeknallten Sicherung“, antwortet Marc amüsiert. „Sie war ja so schon temperamentvoll, aber irgendwo gibt’s doch eine Grenze.“
„Temperamentvoll. Milde ausgedrückt“, meint Killian, worauf er schnaubt. „Sie war vollkommen neben der Spur.“
„Ich war verknallt, was soll man machen?“ Marc zuckt mit den Schultern.
„Kann eben nicht jeder so viel Glück haben wie ich“, gibt Angus beinahe stolz von sich und legt seinen Arm um seine Freundin.
Lauren bedankt sich bei ihm, indem sie ihm einen Kuss auf die Wange drückt. „Das kann ich nur zurückgeben.“
„Tja, bleiben wohl nur noch wir beide übrig, hm?“, meint Marc grinsend und wendet sich zu Ian, der gerade mit seinem Smartphone beschäftigt ist.
Angus räuspert sich auffällig laut und zieht somit meine volle Aufmerksamkeit auf sich. „Ey, keine Smartphones am Tisch. Sonst müssen wir wieder den Korb aufstellen“, erinnert er seinen Freund an eine Regel, die in der Gruppe wohl bekannt ist. Ich lege meinen Kopf schief, er erkennt meinen fragenden Blick wohl sofort und erklärt: „Wir alle hängen viel zu oft und viel zu lange vor irgendwelchen Bildschirmen. Deswegen haben wir eingeführt, dass es üblich ist, dass wir unsere Smartphones nicht ansehen, während wir zusammensitzen.“
„Notfälle sind natürlich die Ausnahme“, meint Lauren. „Wenn die Babysitterin anruft, würde ich selbstverständlich sofort rangehen.“
„Babysitterin?“, frage ich, da ich das Wort, wie viele andere bereits gefallene Worte und Floskeln, nicht kenne.
Killian räuspert sich, ehe er die Frage für mich beantwortet: „Angus und Lauren haben eine kleine Tochter. Die Babysitterin passt auf sie auf.“
„Oh“, antworte ich überrascht.
Da ich nicht weiß, was ich sonst noch dazu sagen soll, sehe ich in die Runde. Ian will gerade wieder nach seinem Smartphone greife, da wirft Angus ihm einen neutralen Blick zu. Schnell legt Ian das Smartphone weg und hebt unschuldig seine Hände.
„Sag mal, Ilaria. Wie machst du das jetzt eigentlich mit deinem Visum? Wenn du jetzt doch nicht arbeitest, kannst du doch Probleme mit der Einwanderungsbehörde bekommen, nicht?“ Die Frage überfordert mich, da ich keine Ahnung habe, wovon Marc spricht. Er sieht mich an, wackelt mit seinen Augenbrauen und spricht dann weiter: „Im Notfall lässt du dir von Killian ein Kind machen und ihr heiratet.“
Killian gibt ein gequältes Geräusch von sich. Er stellt die Tasse, aus der er eigentlich gerade trinken wollte, wieder ab.
„Das würde nicht funktionieren. Ich kann keine Kinder bekommen“, antworte ich ruhig auf diesen Vorschlag.
Am Tisch wird es augenblicklich totenstill. Angus sieht weg, Ian kratzt sich sichtlich unbehaglich am Kopf und Marc sieht mich verdutzt an, er presst die Lippen aufeinander. Lauren legt eine Hand an ihre Stirn. Hilfesuchend sehe ich zu Killian, der mich etwas an sich drückt. Mich überkommt das Gefühl, dass ich gerade etwas ganz Furchtbares gesagt habe. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, meinen Mund zu halten.
Es dauert einen Moment, doch dann erhebt Lauren ihre Stimme: „Siehst du, du Idiot? Und genau aus diesem Grund macht man über so einen Bullshit keine Witze. Was denkst du, wie Ilaria sich jetzt fühlt, hm? Das ist kein Thema, dass man freiwillig und gerne vor irgendwelchen Fremden auf den Tisch legt.“
„Lauren…“
„Nein, es ärgert mich einfach“, entgegnet sie ihrem Freund und verschränkt die Arme vor der Brust. „Beim nächsten Mal wenn du dich wie ein Idiot verhalten willst, solltest du an diese Situation zurückdenken und dich daran erinnern, dass man manchmal besser die Schnauze hält.“
Marc lässt einen tiefen Seufzer los. „Sorry, Lauren. Auch an dich ein großes Sorry, Ilaria. Ich wusste das nicht. Entschuldige.“
Ich schüttle den Kopf. „Es ist in Ordnung.“ Für eine Sekunde sehe ich zu Killian, dem das gesamte Gespräch offensichtlich nicht behagt. „Für mich ist das kein Problem“, erkläre ich. „Früher hätte ich gerne Kinder gehabt, aber die Umstände ändern sich. Ich bin zufrieden mit dem, was ich habe.“
„Ihr könnt ja immer noch adoptieren“, meint Ian nun wieder lockerer. Kaum hat er ausgesprochen, lacht er. „Ich seh' schon die pure Begeisterung in Killians Gesicht.“
Killian seufzt. „Ich will keine Kinder.“
„Und wenn sie es sich überlegt und doch Kinder will?“
Killian stöhnt genervt. „Leute, bitte.“ Er gibt ein unzufriedenes Brummen von sich. „Ilaria und ich lernen uns doch erst richtig kennen. Das Thema Kinder ist zum Glück noch so weit weg, dass ich es weder sehen kann, noch daran denken will.“
Für einen Moment kehrt wieder Stille ein, die wird jedoch schnell wieder unterbrochen, als Marc sich an mich wendet und mich erneut anspricht. „Hey, da du uns jetzt schon seit zehn Minuten erträgst, ohne verschwinden zu wollen: Willst du mal zur Bandprobe vorbeikommen?“
„Oh, dürfte ich das?“, frage ich überrascht. „Ihr würdet mich einladen?“
„Aber selbstverständlich. Hübsche Mädchen werten den Proberaum immer auf“, antwortet er grinsend. „Nicht wahr, Killian?“ Killian räuspert sich und reibt sich den Nacken. Irgendetwas an dieser Aussage ist ihm unangenehm.
Noch bevor ich zustimmen oder ablehnen kann, zieht Lauren ein weiteres Mal meine Aufmerksamkeit auf sich. „Ilaria. Ich müsste eben auf die Toilette, kommst du mit mir?“, unterbricht sie mit ihrer Frage unser Gespräch. Durch den Fernseher habe ich gelernt, was das bedeutet. Frauen sprechen unter sich, wenn sie zusammen auf die Toilette gehen.
„Oh, natürlich“, antworte ich ihr. Ich stehe auf, beuge mich dann jedoch noch einmal zu Killian und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. Mein blauer Lippenstift hinterlässt einen weiteren Abdruck, dieses Mal ist er allerdings schon viel blasser. Ich greife nach meiner Tasche, während Killian sich über die Wange wischt.
„Verlauft euch nicht.“ Ich weite meine Augen. „Das war ein Witz, Ilaria. Ihr werdet euch nicht verlaufen“, beschwichtigt Killian mich schnell.
„Oh, ja. Redewendung, richtig?“
Killian grinst. „Mhm. Geh ruhig mit ihr.“
Lauren und ich begeben uns nach drinnen. Der Duft nach Kaffee erfüllt den Raum. Obwohl er mir nicht besonders schmeckt, liebe ich den Duft umso mehr. Ich folge der Menschenfrau durch eine Tür. Wir bleiben in einem Raum mit mehreren Toilettenkabinen und einem großen Spiegel stehen. Im Fernsehen hat es genauso ausgesehen, ich bin also nicht überrascht. Lauren legt ihre Tasche auf die Theke, in denen das Waschbecken und die Wasserhähne eingearbeitet sind. Sie öffnet ihre Tasche und nimmt ein kleineres Täschchen heraus. Ich beobachte sie für einen Moment, wie sie die Farbe auf ihren Lippen auffrischt. Wenn ich schon einmal hier bin, tue ich es ihr gleich.
„Manchmal sind die Jungs ziemlich unsensibel. Das tut mir leid.“
„Schon in Ordnung. Andere Mentalität.“
„Das ist keine Mentalität, das ist Dummheit“, antwortet sie amüsiert.
Ich kichere. „Ich bin sicher, dass es nicht böse gemeint war.“
„Naja, das wäre ja echt die Kirsche auf dem Eisbecher der Dummheit.“ Sie kichert über ihren eigenen Witz, den ich leider nicht ganz verstehe. Vermutlich noch so eine Floskel, die unter den Menschen geläufig ist. Heute muss ich mir vergleichsweise viel aus dem Kontext erschließen, da ich nicht die Möglichkeit habe, ständig nachzufragen.
Lauren mustert mich. „Unglaublich, dass ein Mädchen wie du ganz alleine nach Amerika kommt, um ihren Traum zu leben.“
Ich bin gerade damit beschäftigt, meine Lippen nachzuziehen, ihren Blick kann ich jedoch trotzdem im Augenwinkel sehen. So wie ich es im Internet gesehen habe, presse ich die Lippen aufeinander, damit sich die Farbe gut verteilt. Einen großen Unterschied macht es nicht, immerhin sind meine Lippen von Natur aus blau, doch er hilft mir ein wenig, mich zu tarnen. Wenn ich meine Lippen schminke, würde niemand auf die Idee kommen, dass meine Lippen ungewöhnlich aussehen. Obwohl ich anfangs nicht besonders begeistert davon war, gefällt mir der leichte Schimmer auf meinen Lippen sehr gut. Ich betrachte mich noch einen kurzen Moment im Spiegel und streiche durch meine Haare.
„Was meinst du?“, frage ich und packe meinen Lippenstift wieder in meine Tasche. Gleich nachdem ich die Tasche verschlossen habe, drehe ich mich zu Lauren und lächle sie an.
Sie zuckt mit den Schultern. „Ich würde mich nie trauen, mein altes Leben zurückzulassen und ganz neu anzufangen. Das erfordert verdammt viel Mut.“
„Im Prinzip hatte ich keine Wahl“, antworte ich ihr. Kaum habe ich ausgesprochen, fällt mir auf, dass ich mit diesem Satz aus meiner Rolle fallen könnte. Ich muss mir schnell etwas einfallen lassen.
„Was meinst du damit?“, fragt Lauren wie erwartet nach.
„Manchmal muss man etwas riskieren und sich in ein Abenteuer stürzen, wenn man etwas Neues erleben möchte.“
„Hm“, gibt sie überlegend von sich. „Ja, das stimmt wohl.“
„Und auch wenn das mit meinem Schmuck für den Moment nicht funktioniert hat, habe ich zumindest Killian gefunden und ich kann dir kaum beschreiben, wie glücklich es mich macht, ihn zu haben.“
„Ach, ist das so?“, fragt sie grinsend nach. Die Neugierde ist ihr deutlich anzusehen. „Dann war es für dich also doch so etwas wie die Liebe auf den ersten Blick, hm?“ Sie wackelt mit den Augenbrauen, so wie Marc es vorhin gemacht hat.
Ich kichere. „Nein, vielleicht nicht unbedingt der erste Blick. Vielleicht war es der zweite oder der dritte Blick. Er ist sehr nett zu mir. Von der ersten Sekunde an, war er sehr charmant und zuvorkommend.“
„Mhm, so ist er. Auch wenn er manchmal ein ziemlicher Arsch sein kann.“ Sie schüttelt den Kopf. „Da lässt man ihn dann am besten grummeln und grübeln. Er kommt von selbst wieder, wenn er sich wieder beruhigt hat. Gut gemeinter Rat.“
„Ja, manchmal braucht man einen Moment für sich, um seine Gedanken wieder zu klären. Mir geht es nicht anders, wenn ich mich über etwas aufrege.“ Nun bin ich diejenige, die mit den Schultern zuckt.
Lauren sieht sich verschwörerisch um, beinahe so, als würde sie prüfen, ob uns jemand belauscht. „Sag mal. Jetzt, da wir unter uns Mädels sind... Was magst du an Killian?“ Sie lehnt sich seitlich an die Theke. Ihr Blick wirkt interessiert. „Erzähl.“
„Vieles?“ Ich zögere mit meiner Antwort, weil ich nicht weiß, wo ich genau anfangen soll. „Ich mag seine Art. Er ist freundlich, zuvorkommend, aufopferungsvoll. Er ist ein Beschützer. Killian hat mich gerettet, als ich nicht wusste, wohin ich gehen soll.“
„Klingt, als wärst du ihm sehr dankbar.“
„Das bin ich“, antworte ich. „Killian ist ein wundervoller Mensch. Ich weiß zu schätzen, was er alles für mich macht.“
Sie mustert mich von oben bis unten. „Gefällt er dir auch optisch? Ich meine. Im Prinzip könntest du wahrscheinlich jeden haben, der auf dieses alternative Styling steht. Wie eine Mischung aus Corpse Bride und Disney Prinzessin.“
Ich verstehe zwar nicht ganz, was sie meint, lächle aber trotzdem. „Danke.“ Ich lächle noch breiter, als ich an Killian denke. „Am besten gefallen mir seine Augen. Ich kann mich an diesem Blau nicht sattsehen.“
„Meinst du? Ich finde seine Augen ziemlich kalt.“
„Gerade das gefällt mir daran. Sie erinnern mich an den eiskalten Ozean und ich liebe das Meer“, erkläre ich.
„Hm.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Jeder hat seine Vorlieben. Apropos Vorlieben.“ Nun grinst Lauren schelmisch. „Ist Killian wirklich so ausdauernd im Bett wie man sagt?“
„Ja, er schläft tatsächlich sehr viel“, antworte ich ihr.
Lauren wirkt für eine Sekunde überrascht, doch dann lacht sie los. „Nein, nein. Ich meinte Sex! Wie ist euer Sexleben?“
„Oh, wir haben keinen Sex.“
Nun sieht sie mich noch ungläubiger an, als vor wenigen Sekunden, doch sie knüpft wieder schnell an das Gespräch an. „Was? Ihr kennt euch schon einen Monat, da kommt man sich doch schon näher.“
„Entschuldige, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich war einem Mann noch nie so nahe wie Killian.“
Lauren mustert mich noch einmal von oben bis unten. Sie verschränkt die Arme. „Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass du noch Jungfrau bist, oder?“
Ich zögere mit meiner Antwort, da ich nicht weiß, worum es im Moment eigentlich geht. Da ich aber nicht unhöflich sein möchte und Lauren auch nicht so wirkt, als würde sie sich über mich lustig machen, erkläre ich mich: „Entschuldige, Lauren, ich weiß nicht, was du meinst.“
„Sprachbarriere, hm?“ Sie lächelt freundlich. „Ich wollte nur wissen, ob du schon einmal Sex hattest. Wenn du mir die Frage nicht beantworten willst, ist das für mich auch in Ordnung.“
Ich schüttle den Kopf, ehe ich ihr antworte: „Nein, ich hatte noch nie Sex.“
„Und warum nicht? Willst du bis zur Ehe warten? Falls es so ist, solltest du unbedingt mit Killian darüber sprechen. Er will nicht heiraten. Das ist nicht sein Ding.“
„Nein, das hat nichts mit der Ehe zu tun.“ Nervös überlege ich, was ich am besten antworten soll. Ich muss aufpassen, dass meine Unkenntnis über all diese Dinge mich nicht verrät. Bis jetzt hält sie es für eine Sprachbarriere, ich habe also noch einmal Glück gehabt.
Lauren scheint einen Moment zu überlegen. „Schon okay, du musst es mir nicht verraten, wenn du nicht willst.“ Sie winkt ab. „Wenn du niemals Sex haben willst, wird das aber ziemlich kompliziert zwischen euch, das kann ich dir gleich sagen. Killian mag zwar seine netten Seiten haben, aber er ist immer noch ein Kerl. Und früher oder später bekommt auch ein netter Kerl blaue Eier.“ Sie zwinkert mir zu.
„Das könnte also ein Problem werden?“, frage ich so ruhig wie möglich nach.
„Wahrscheinlich. Er hatte ziemlich viele Frauen in den letzten Jahren.“ Lauren streicht sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Ihr solltet das wirklich besprechen, bevor das zwischen euch etwas Ernstes wird. Du bist ein süßes Mädchen, Ilaria. Es wäre schade, wenn eure fast schon magische Geschichte mit gebrochenen Herzen enden würde. Das würde mir wirklich sehr leidtun. Es ist schön zu sehen, dass Killian eine Frau gefunden hat, die er so gern hat, dass er sie nicht mehr gehen lassen will. Das passiert ihm nicht oft.“
„Was ist denn das Problem mit den anderen Frauen?“, erkundige ich mich vorsichtig.
„Ach, es gibt so viele Gründe, wieso es nicht funktioniert. Das größte Problem für ihn ist denk ich die Oberflächlichkeit der Frauen. Darüber hat er sich oft beschwert. Du sollst da ganz anders sein, hab ich gehört.“ Sie grinst mich an. „Auf was für Kerle stehst du denn normalerweise? Was gefällt dir an Männern?“
Da ich mit so einer Frage nicht gerechnet habe, bin ich vollkommen unvorbereitet und weiß dementsprechend nicht, was ich sagen soll. Ich entschließe mich kurzerhand für die Wahrheit.
„Was mir allgemein an Männern gefällt? Das ist schwer zu beantworten. Killian ist für mich wirklich etwas Besonderes. Ich habe seine Augen gesehen und war fasziniert. Das ist mir noch nie zuvor passiert.“
Lauren kichert. „Du bist wirklich herzallerliebst“, antwortet sie mit einem ehrlichen Lächeln. „Na komm, wir sollten die Jungs nicht zu lange warten lassen.“
Zusammen mit Lauren begebe ich mich wieder nach draußen. Killian sieht sofort auf und lächelt, als wir das Gebäude verlassen. Sobald ich sitze, legt er wieder einen Arm um mich.
„Was haben wir verpasst?“, fragt Lauren in die Runde.
Ihr Freund gibt ihr schnell eine Antwort: „Nicht viel. Wir haben Killian gerade von UNSF Europe erzählt und ihm ans Herz gelegt, dass er sich die Serie auch ansehen soll. Das wäre bestimmt genau sein Ding.“
Mit einem Ruck zieht Killian den Stuhl, auf dem ich sitze, so nah wie möglich an sich heran. Er beugt sich zu mir und küsst meine Schläfe, doch dann höre ich ihn flüstern: „Du machst einen guten Eindruck bei meinen Freunden.“
Lächelnd sehe ich Killian an. Sein Gesichtsausdruck verrät mir, dass seine restliche Nervosität vollkommen verflogen ist. Ich schätze, dass ich meine Sache bis jetzt sehr gut gemacht habe. Stolz auf mich selbst nehme ich meine Tasse zur Hand und trinke einen Schluck der nicht mehr ganz so heißen Schokolade.