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Kapitel 15
Magische Anomalie
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Der Mensch ist so freundlich, mir heute ein weiteres Geschäft zu zeigen. Thrift Shop hat er es genannt. Killian meinte, dass wir dort billige Kleidung und vielleicht auch eine Tasche für mich finden werden. Wenn es nach mir geht, bräuchte ich nicht mehr Kleidung, auch der Sinn der Tasche erschließt sich mir nicht ganz. Ich besitze gar keine Sachen, die ich darin tragen könnte.
Der Weg zum Thrift Shop ist nicht weit, wir sind zu Fuß unterwegs und innerhalb weniger Minuten an unserem Ziel. Das Gebäude an der Ecke ist nicht zu übersehen. Die pinke Farbe sticht deutlich heraus, auch wenn die Fassade durchaus einen neuen Anstrich vertragen könnte. In den großen Fenstern erkenne ich bereits einige farbenfrohe Kleidungsstücke. Sie dienen wohl dazu, Leute in das Geschäft zu locken.
„Bevor wir hineingehen, möchte ich dich kurz vorwarnen: Du wirst von der Auswahl wahrscheinlich erschlagen werden. Es gibt da drinnen sehr, sehr viel Kleidung. Nicht alles ist für Frauen und nicht alles, was für Frauen gedacht ist, wird dir passen.“ Killian mustert mich, dann grinst er. „Dir wird wahrscheinlich einiges zu groß sein, immerhin bist du ja sehr schlank.“
Ich sehe an mir herunter. „Ist das ein Problem?“
Der Mensch schnaubt. „Nein, ganz und gar nicht. Ich wollte es dir nur sagen, damit du nicht enttäuscht bist, falls es länger dauert, bis du etwas Passendes gefunden hast.“
„Oh. Dein Tonfall klang etwas seltsam. Das hat mich für einen Moment verunsichert“, erkläre ich meine Reaktion.
„Entschuldige.“ Killian lächelt mich aufmunternd an. „Es gibt hier übrigens nicht nur Kleidung. Wenn du irgendetwas Anderes findest, dass dir gefällt, dann können wir es auch mitnehmen. Kommt dann auf den Preis an.“ Ich nicke verstehend.
Killian und ich betreten den Laden. Wir werden bereits am Eingang begrüßt. Neugierig sehe ich mich um. Schnell stelle ich fest, dass Killian wieder einmal recht hatte. Die Auswahl überfordert mich im ersten Moment tatsächlich. Überall in dem ausgesprochen großen Raum befindet sich Kleidung. Selbst die Wände sind zum großen Teil mit Kleidung behangen. Verschiedene Farben, verschiedene Größen und verschiedene Formen. Wenn ich mir das alles ansehen möchte, werden wir hier wohl einige Zeit verbringen. Killian spricht mit der Menschenfrau, die uns eben begrüßt hat, während ich mich umsehe und die ersten Eindrücke verarbeite.
„Komm, da drüben finden wir Kleidung für Frauen.“ Ich folge Killian ohne Widerworte. „Möchtest du wieder etwas Blaues haben?“
„Ja, aber schwarz gefällt mir auch. Du hattest recht, die Farbe steht jedem. Ich fühle mich darin sehr wohl.“
Der Mensch schnaubt und reibt sich den Nacken, als er stehen bleibt. „Ich bin dir heute wahrscheinlich keine große Hilfe. Such dir aus, was dir gefällt.“ Er lässt meine Hand los. „Du kannst die Kleidung ruhig vom Kleiderständer nehmen und sie dir genauer ansehen.“ Er deutet auf ein rundes Gestell aus Metall.
Ich fühle mich ein wenig allein gelassen, als Killian mir sagt, dass er mir wohl keine Hilfe sein wird, doch ich versuche, das Beste aus der Situation zu machen. Ein Blick durch den Laden zeigt mir, wie ich mich verhalten muss. Die Menschen drehen die Kleiderständer und nehmen ab und zu eines der Kleidungsstücke zur Hand, um es sich anzusehen. Dieses Verhalten nachzuahmen, ist einfach.
„Welche Kleidung gefällt dir an Frauen, Killian?“, frage ich ihn, als ich eine schwarze Jeans von dem Kleiderständer nehme und sie begutachte. Sie ähnelt der Hose, die ich gerade trage. „Du bist derjenige, der mich ansehen muss. Ich möchte dir gefallen.“
Ich erwarte eine Reaktion, doch ich bekomme keine. Interessiert hebe ich meinen Kopf und sehe zu Killian hinüber. Er wirkt etwas verlegen, fast schon schüchtern, als er mir antwortet: „Ist das so?“
„Ja, das ist so.“
Etwas hilflos zuckt er mit den Schultern. „Das Kleid, das wir im Internet bestellt haben, steht dir sehr gut.“
„Dann verschwende ich meine Zeit, wenn ich nach einer Hose suche“, antworte ich amüsiert und hänge die Hose zurück. Ich verschaffe mir einen Überblick und finde hinter mir einen Kleiderständer, auf dem ich wohl eher fündig werde.
„Du kannst aber nicht immer Kleider tragen, Ilaria. Ich will nicht, dass du frierst.“
„Ich friere nicht, solange ich mich immer an dich kuscheln kann“, antworte ich ihm frech. Meine Antwort scheint ihn zu überraschen, er zieht seine Brauen hoch. Killian setzt zu einer Antwort an, doch dann reibt er sich nur den Nacken. Ich habe ihn eindeutig in Verlegenheit gebracht. Um ihn nicht weiter unter Stress zu setzen, widme ich mich alleine meiner Kleidersuche. Die Stille zwischen uns hält allerdings nicht länger als wenige Minuten, denn ich entdecke ein Kleid, das mir gefällt. „Was hältst du davon?“, frage ich Killian, als ich das Kleid an meine Brust halte. Er zuckt ein weiteres Mal mit den Schultern.
„Du siehst wahrscheinlich in jedem Fummel gut aus.“
„Du bist tatsächlich nicht besonders hilfreich“, antworte ich und lache im Anschluss.
„Wenn es dir gefällt, kannst du es dort hinten in den Umkleiden anprobieren.“ Er deutet mit dem Kopf in den hinteren Teil des Ladens. Ich nicke.
„Gibt es Regeln, die ich zu beachten habe?“
„Es ist ganz einfach. Du suchst dir eine freie Kabine aus, ziehst den Vorhang vor und ziehst dich darin um.“ Killian reicht mir die Hand. „Ich begleite dich selbstverständlich. Umziehen musst du dich aber alleine.“
„Ist wohl besser so, du magst es ja nicht besonders, wenn ich nackt vor dir stehe.“
Killian schnaubt. „Du hast ja keine Ahnung.“
In der Kabine lege ich meine Kleidung ab, natürlich nicht, ohne den Vorhang vorzuziehen. „Aber du wartest da draußen auf mich, oder?“
„Selbstredend.“
Ich schlüpfe in das dunkelblaue Kleid und betrachte mich in dem großen Spiegel. Mit beiden Händen greife ich nach hinten, um es zu verschließen, doch das stellt sich als etwas komplizierter vor, als ich es mir vorgestellt habe. Wenn man nicht sieht, was man tut, ist es nicht besonders einfach, das Kleid zu verschnüren. Ich brauche Hilfe. Zaghaft ziehe ich ein Stück des Vorhangs zur Seite. Killian tritt sofort näher an die Kabine heran und sieht zu mir hinein. „Alles in Ordnung?“
„Könntest du mir helfen?“, frage ich, wobei ich Killian den Rücken zudrehe und meine Haare über meine Schulter nach vorne streiche, um ihm diese Aufgabe zu erleichtern.
„Natürlich“, antwortet er mir. Kaum hat er ausgesprochen, beugt Killian sich zu mir und gibt mir einen sanften Kuss auf meinen entblößten Hals. Nicht nur das Kitzeln seines Bartes, sondern seine Geste an sich bringt mich zum Kichern.
„Doch nicht so! Du musst mir helfen, das Kleid zu verschließen“, erkläre ich amüsiert.
„Ich weiß“, antwortet er mir. Durch den Spiegel kann ich erkennen, dass er breit grinst. Killian beginnt damit, mit den dünnen Schnüren an meinem Rücken zu hantieren. Seine Mimik belustigt mich noch mehr als der unerwartete Kuss. Killian sieht hochkonzentriert aus, als er mit seinen eher grobmotorischen Handgriffen versucht, mein Kleid zu schnüren. Mit gerunzelter Stirn zieht er an den Fäden.
„Das ist so filigran, dass ich Angst habe, dir das Kleid gleich wieder vom Leib zu reißen.“ Ich lege eine Hand über meinen Mund, um mein Lachen etwas zu dämpfen. Es ist nicht nötig, die gesamte Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. „Das ist doch locker genug, oder?“
„Ja.“ Durch den Spiegel beobachte ich Killians Bewegungen. Ich kichere ein weiteres Mal, als er fast schon verwirrt meinen Rücken ansieht. Er zieht die Brauen zusammen.
„Was amüsiert dich so?“, erkundigt er sich und sieht in den Spiegel, um mich ebenfalls ansehen zu können.
„Nichts“, antworte ich und kämpfe regelrecht damit, meine Gesichtszüge im Zaum zu halten.
„Hab’ Erbarmen mit mir, das habe ich noch nie gemacht.“
„Ich kann deutlich sehen, dass du dir sehr große Mühe gibst“, antworte ich schmunzelnd. An meinem Steißbein bindet er eine kleine Schleife, ehe er von mir ablässt. Als ich mich umdrehe und zu ihm aufsehe, bekomme ich einen Kuss auf die Stirn. „Vielen Dank, Killian.“
„Nicht dafür.“
Mit einem Lächeln auf den Lippen drehe ich mich wieder zu dem großen Spiegel und streiche über den angenehmen Stoff des Kleides. An meiner Brust und meiner Taille liegt es an meinem Körper an, beengend ist es Dank Killian allerdings nicht. Der restliche Stoff fällt locker über meine Oberschenkel. Zufrieden drehe ich mich vor dem Spiegel. Wenn ich mich so betrachte, fühle ich mich ausgesprochen hübsch, selbst wenn das Licht in der Umkleide nicht besonders schmeichelhaft ist. Am besten gefällt mir die elegante Spitze. Um das Kleid in der Öffentlichkeit tragen zu können, müsste ich allerdings eine Strumpfhose tragen. Die Schuppen an meinen Beinen sind deutlich zu sehen. Ich drehe mich zu dem Menschen und sehe ihn erwartungsvoll an.
Da Killian mich anschweigt, frage ich nach seiner Meinung. „Was sagst du?“ Ich drehe mich erst nach links und dann nach rechts, um Killian das Kleid noch einmal zu präsentieren.
Er mustert mich sehr genau. Erst meinen Oberkörper, aber dann liegt sein Augenmerk auf meinen Beinen. „Mhm.“
„Das ist alles?“, frage ich nach. Er zuckt mit den Schultern. Nicht das erste Mal heute und vermutlich auch nicht das letzte Mal. „Wenn es dir nicht gefällt, dann sag es.“
„Du siehst hübsch aus.“ Er legt seine Stirn wieder in Falten. „Ich weiß nur nicht, was ich dazu sagen soll. Wie gesagt, es ist egal, was du trägst, du bist immer wunderschön.“
„Danke, Killian.“
Dann ist er mir also deswegen keine besonders große Hilfe. Er weiß nicht, was er sagen soll. Verstehe. Ich drehe Killian erneut den Rücken zu. „Wärst du so freundlich?“
„Beim nächsten Mal trägst du das Kleid länger, damit ich mir hier nicht umsonst das Leben schwer mache“, antwortet er amüsiert und macht sich daran, das Kleid wieder zu öffnen.
„In Ordnung.“
༄ ♫ ༄
Der Stapel Kleidung wird immer größer. Nicht nur ich finde etwas, auch Killian legt etwas dazu. Als ich gerade einen Kleiderständer durchsuche, spüre ich, dass plötzliche Nervosität in mir aufflammt. Schnell sehe ich mich nach Killian um. Da er nicht weit weg ist, atme ich erleichtert durch. Solange er in meiner Nähe ist, wird mir nichts passieren, dem kann ich mir immer sicher sein.
Ich greife nach einem Hoodie und betrachte ihn. Da mir das Motiv darauf nicht gefällt, hänge ich ihn gleich wieder zurück. Meine Suche geht weiter. Als ich den nächsten Kleiderständer durchforste, kommt mir ein Gespräch zwischen zwei Fremden zu Ohren. Neugierig werfe ich einen Blick auf die beiden. Der Mann ist um einiges größer als Killian und außerdem ausgesprochen blass. Die Frau hat ungefähr meine Größe und langes, pinkes Haar. Da Killian mir davon abgeraten hat, Menschen zu lange anzusehen, widme ich mich wieder dem Kleiderständer und sehe mir die Kleidung an. Trotzdem höre ich den beiden interessiert zu. Ich bin zu neugierig, um es nicht zu tun.
Das Mädchen mit den pinken Haaren spricht: „Zieh ihn jetzt an.“
„Warum brauche ich einen Pelzmantel? Ich dachte, wir kaufen nur das Notwendigste.“
„Ähm.“ Sie zögert einen Moment, bevor sie weiterspricht: „Der hat Style? Und Macklemore hat in seinem Song ‚Thrift Shop‘ genauso einen Mantel an.“
„Wer?“, erklingt die fragende Stimme des Mannes. Ein flüchtiger Blick verrät mir, dass der Mann gerade in den Pelzmantel schlüpft. Das Mädchen fängt beherzt an zu lachen. Der Mann sieht in dem Mantel tatsächlich etwas amüsant aus.
Ich senke meinen Blick wieder und begutachte einen Hoodie in hellem Blau. Interessiert halte ich meinen Unterarm gegen den Stoff und schüttle den Kopf. Die Farbe ist zu hell. Der Hoodie kommt zurück an seinen Platz.
„Du schaust wie ein Zuhälter aus“, erklärt das Mädchen hörbar belustigt.
„Du läufst wie ein Freudenmädchen umher“, kontert der Mann neutral. Ein Blitzlicht erhellt den Raum. „Warn’ mich vor, bevor du dein Blitzding verwendest.“
Das Mädchen kichert. „Du musst doch langsam wissen, dass ich alles fotografiere. Außerdem ist das Bild Instagram-würdig!“
Der Mann lässt einen Seufzer los, der so verzweifelt klingt, dass selbst ich dieses Gefühl deutlich wahrnehme. „Ich versteh’ dich manchmal nicht.“
„Musst du auch nicht, wir kaufen den Mantel.“
Obwohl ich das Gespräch der beiden Menschen gerne weiterhin verfolgen würde, zieht nun Killian meine Aufmerksamkeit auf sich. „Ilaria, ich habe etwas gefunden.“ Froh darüber, dass Killian mir nun doch hilft, tänzle ich schon fast in seine Richtung. Er deutet mir, mich umzudrehen. Natürlich komme ich dieser Aufforderung sofort nach. Killian hilft mir in das schwarze Kleidungsstück, das sich nun als Jacke herausstellt. Im Gegensatz zu meiner anderen Jacke ist diese jedoch etwas länger. Das Material ist ebenfalls anders. Der Stoff wird mich bestimmt warm halten, wenn es draußen kühler wird. Als ich mich zu Killian drehe, zieht er einen Mundwinkel hoch. Knopf für Knopf verschließe ich die Jacke, um zu überprüfen, ob mich dieses Kleidungsstück einengt. Als ich damit fertig bin, greift Killian um meine Taille, um nach den breiten Bändern zu greifen und eine Schleife an meinem Bauch zu binden. Dass er dabei wieder diesen konzentrierten Gesichtsausdruck wie in der Umkleidekabine aufsetzt, macht diese Geste nur noch liebenswerter.
Killian räuspert sich, bevor er spricht: „Wie fühlst du dich?“
„Hübsch“, antworte ich lächelnd, als ich an dem Kleidungsstück herunter sehe. Es ist ungefähr so lang wie das Kleid, das ich bereits besitze. „Gefällt es dir auch?“ Ich sehe Killian erwartungsvoll an. Dieses Mal muss er mir doch eine richtige Antwort geben, immerhin hat er das Kleidungsstück selbst ausgesucht.
Er mustert mich für einen Moment. Das Lächeln an Killians Lippen bringt seine niedlichen Grübchen wieder zum Vorschein. „Man sieht, dass du dich in dem Trenchcoat wohlfühlst.“ Er sieht auf die Sachen, die wir bereits gefunden haben. „Ist dir noch etwas ins Auge gesprungen?“
Die Formulierung bringt mich dazu, meine Stirn zu runzeln. „Du meinst, ob mir noch etwas gefällt, richtig?“
Er nickt. „Ja, genau.“
Ich löse die Schleife, die Killian an meinem Bauch gebunden hat, und öffne meine neue Jacke wieder. Trenchcoat. So hat Killian diese Jacke genannt. Wieder ein neues Wort, das ich mir merken muss.
„Ich hab mir außerdem gedacht, dass es vielleicht klug wäre, eine Schutzhülle für dein Smartphone zu besorgen.“
„Denkst du, dass ich nicht vorsichtig damit umgehe?“, frage ich nach.
„Doch, natürlich, aber die Hüllen sind bunt und ich bin sicher, dass du eine findest, die dir gefällt. Die meisten Frauen mögen das. Außerdem kann es nicht schaden. Es kann immer passieren, dass ein Smartphone auf den Boden fällt, egal wie gut man darauf aufpasst.“
Mit einem Nicken nehme ich Killians Erklärung zur Kenntnis.
Wie sich herausstellt behält der Mensch ein weiteres Mal recht. Ich finde tatsächlich etwas, das mir gefällt. Wir entdecken eine blaue Tasse mit Fischen, eine Schutzhülle mit Meeresmotiv, eine schlichte, schwarze Tasche, eine kleinere, mit winzigen Perlen geschmückte Tasche in Muschelform, die wohl für die Aufbewahrung von Münzen gut ist und sogar einen Regenschirm, der aussieht, als wäre er mit den bunten Schuppen eines Fisches bedruckt.
Auf meine Frage, warum es so viele durch das Meer inspirierte Gegenstände gibt, kann Killian mir keine eindeutige Antwort geben. Fest steht jedenfalls, dass viele Menschen das Meer lieben, so wie ich es tue.
Killian trägt unsere Ausbeute zu der Theke. Ich weiß bereits, dass er dort Münzen gegen die Ware eintauschen wird. Die Frau, dieselbe, die uns beim Betreten des Ladens begrüßt hat, übernimmt diesen Tauschvorgang. Während der Mensch sich darum kümmert zu bezahlen, betrachte ich die glitzernden Schmuckstücke, die sich hinter Glas, ganz in der Nähe der Theke befinden.
„Hast du noch etwas gefunden, Ilaria?“, fragt Killian mich.
Ich drehe mich zu ihm und sehe, dass er mich lächelnd ansieht. „Nein, ich bin vollkommen zufrieden.“ Mit einem Kuss auf seine Wange bedanke ich mich für die neuen Sachen.
„Dann wäre das alles“, spricht er zu der Frau, die nickt und auf einem sperrig wirkenden Gerät herumtippt.
Mit unseren neuen Sachen verlassen wir das Geschäft. Ich biete Killian an, ihm beim Tragen zu helfen, doch er besteht darauf, dass er alles alleine trägt. Soll mir recht sein.
Auf dem Rückweg besuchen wir ein weiteres Geschäft, in dem wir einige Kleinigkeiten besorgen, außerdem nimmt Killian noch eine Schachtel der köstlichen Donuts mit, die wir zusammen am Strand gegessen haben.
Der restliche Tag wird wohl sehr gemütlich werden.
༄ ♫ ༄
Nach einem langen Bad begebe ich mich ins Wohnzimmer. Wie erwartet sitzt Killian auf der Couch. Der Fernseher läuft, seine Aufmerksamkeit liegt jedoch auf dem Smartphone in seinen Händen. Wozu er den Fernseher einschaltet, wenn er ihn dann gar nicht beachtet, ist mir schleierhaft, doch ich schüttle diese Frage gleich wieder ab.
Um Killians Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, klettere ich auf die Couch und nehme ihm sein Smartphone aus den Händen. Mit einem Lächeln lasse ich den hellen Bildschirm durch einen Knopfdruck erlöschen. Etwas verwundert blinzelt Killian mich an. Ich erwidere dieses Blinzeln mit einem Kichern. Da das Smartphone sehr wertvoll und empfindlich ist, lege ich es vorsichtig auf den Couchtisch, doch dann widme ich mich dem eigentlichen Ziel meiner Begierde.
Ich setze mich auf Killians Schoß und lege meine Arme um seinen Hals. Er scheint sich nicht daran zu stören, im Gegenteil, sein zufriedenes Lächeln spricht Bände. Mich gegen das Smartphone einzutauschen hat gut funktioniert.
„Was wird das?“, fragt er, wobei er seine Hände an meine Hüfte legt.
„Ach, gar nichts, ich hole mir nur deine volle Aufmerksamkeit.“
Killian lacht leise. „Die hast du.“ Ich beuge mich zu ihm und gebe ihm einen sanften Kuss. „Willst du etwas Bestimmtes?“
„Ja“, antworte ich vage und streiche mit einer Hand von seinem Nacken bis zu seinem Hals. Mit meinem Daumen streichle ich seine Wange, ich spüre die Bartstoppeln auf seiner Haut. „Ich will mich bei dir bedanken. Der Tag hat mir gut gefallen und meine neue Kleidung ist auch sehr schön. Vielen Dank.“ Ich beuge mich ein weiteres Mal zu ihm, um seine Lippen zu küssen.
Erst erwidert Killian den Kuss, doch dann beugt er sich nach hinten, um sich von mir zu lösen. „Du musst dich nicht dauernd bedanken.“
„Aber ich bin dir dankbar.“ Killian bekommt einen weiteren Kuss von mir. „Sehr sogar.“
„Das ist nicht zu übersehen“, antwortet er grinsend. Er streicht mir eine feuchte Haarsträhne hinter mein Ohr.
„Ich bin sehr froh, dass du mich gefunden hast.“
„Das bin ich auch.“ Killian verwickelt mich in einen Kuss, dabei wandert seine Hand an meinen Hintern. Etwas irritiert löse ich meine Lippen von seinen und drehe mich zur Seite, um seine Hand ansehen zu können. „Entschuldige. Stört dich das?“ Er nimmt seine Hand weg, doch ich lege sie gleich wieder an den Platz, an dem sie vorher war.
„Nein, ich war nur überrascht.“
„Und das?“ Killian schiebt seine zweite Hand unter mein Shirt. Mit seinen Fingern fährt er über die Haut an meinem Bauch. Ich spüre jedoch genau, dass meine Schuppen besonders viel Aufmerksamkeit von ihm bekommen. „Ist das auch in Ordnung?“
Ich nicke und lehne mich ihm wieder entgegen. Die Hand, die gerade noch meinen Bauch liebkost hat, befindet sich nun an meinem bloßen Rücken. Sanft drückt Killian mich an sich. Ich kraule seinen Nacken, was ihm ein wohliges Brummen entlockt.
„Das könntest du gerne öfter machen“, meint Killian ruhig.
„Wenn dir das gefällt, dann lässt sich das einrichten.“
Killian küsst mich ein weiteres Mal. Ich erwidere seine Zuneigung liebevoll. Seine Hand fährt meinen Rücken entlang. Es ist immer wieder ein besonderes Gefühl, seine warme Haut an meiner zu spüren. Ich versenke meine Hand in seinen Haaren, auch das scheint Killian gut zu gefallen. Sein Griff an meinem Hintern wird etwas kräftiger. Er lässt von meinen Lippen ab. Mit seinen Küssen wandert er Zentimeter für Zentimeter meinen Kieferknochen entlang. Unter meinem Ohr setzt er seinen letzten Kuss. Als nächstes spüre ich seine Lippen wieder, als er meinen Hals berührt. Doch anstatt mich zu küssen, erklingt seine Stimme.
„Fühlst du dich gut?“
„Ja“, antworte ich leise.
„Wenn dir etwas unangenehm ist, musst du mir das sagen, in Ordnung?“
„Mhm.“
Sein Bart kitzelt mich, als Killian meinen Hals küsst. Ich schließe meine Augen und atme tief durch. Das Gefühl, das Killian in mir auslöst ist unbeschreiblich. In meinem Brustkorb breitet sich eine wohlige Wärme aus, wie ich sie noch nie zuvor gespürt habe. Mit einem sanften Ruck zieht Killian mich fester an sich. Seine Hand liegt weiterhin auf meinem Hintern. Er greift noch einmal beherzt zu. Killian küsst meinen Hals, an meiner Schulter stoppt er jedoch plötzlich. Er schnaubt.
„Ist irgendetwas?“, frage ich ihn überrascht über den unerwarteten Stimmungswechsel. Interessiert versuche ich, etwas in seinem Gesicht zu erkennen, doch er sieht mich nicht an, sondern deutet mit dem Kopf Richtung Fernseher.
Ich möchte von Killians Schoß klettern, doch er hält meinen Oberschenkel fest. Um trotzdem etwas sehen zu können, drehe ich meinen Oberkörper, um zum Fernseher sehen zu können. Auf dem großen Bildschirm werden einige Fotos gezeigt. Sie scheinen wohl in einem Wald und den Bergen aufgenommen worden zu sein. Es ist eine oftmals dunkle und verschwommene, aber große Gestalt zu erkennen.
„Was ist das?“, frage ich nach.
„In letzter Zeit gab es wohl einige Bigfoot-Sichtungen.“
„Und das bedeutet?“, hake ich nach, wobei ich mich wieder zu Killian drehe. Es ist viel bequemer, so verrenke ich mich nicht. „Was ist Bigfoot?“
Killian nimmt wieder Augenkontakt auf. „Bigfoot ist ein Mythos. Er soll ein Wesen sein, das halb Mensch und halb Affe ist. Seine Heimat sollen Wälder und Berge von Amerika sein. Der Name Bigfoot kommt daher, dass er sehr große Füße haben soll. Albern, nicht?“ Ich sehe Killian fragend an. Er tätschelt meinen Oberschenkel. „Musst du nicht verstehen. Aber seltsam, dass ausgerechnet jetzt eine Welle von Bigfoot-Sichtungen beginnt.“
„Denkst du, dass das etwas mit Magie zu tun hat?“
Killian zuckt mit den Schultern. Er sieht wieder zum Fernseher, nimmt aber gleich wieder Blickkontakt zu mir auf. „Vielleicht ist er ja doch ein magisches Wesen. Wir haben doch auch diese Fee gesehen.“ Killian mustert mich. Besonderes Augenmerk gilt wohl meinen Oberschenkeln. „Und du bist auch hier.“ Er grinst frech. „Deine Füße sind aber deutlich kleiner und du bist nicht so behaart, wie Bigfoot es sein soll. Außerdem bist du viel hübscher.“
Killian bringt mich zum Lachen. „Vielen Dank.“ Lächelnd streiche ich über seinen Brustkorb. „Möchtest du da weitermachen, wo Bigfoot uns unterbrochen hat?“
Meine Frage scheint Killian zu überraschen, denn er zieht beide Brauen hoch. „Oh, okay, wow.“ Nun ist er derjenige, der lacht. Es ist wieder einmal dieses verlegene Lachen, das ich schon so oft gehört habe. Außerdem reibt er sich mit der flachen Hand über das Gesicht.
„Bin ich dir zu fordernd?“, frage ich nach, dabei greife ich nach seiner Hand, um sie aus seinem Gesicht zu nehmen.
„Du hast mich nur etwas überrascht. Ich habe nicht damit gerechnet, dass du das sagen wirst.“ Killian räuspert sich. „Können wir über uns reden, bevor wir weitermachen?“
Sein Blick wirkt etwas betrübt. Ich mache mir sofort Sorgen um ihn. „Was möchtest du besprechen?“, frage ich nach.
„Ich würde gerne wissen, was du von mir erwartest.“
„Wie meinst du das?“
Killian kratzt sich am Kopf. Er seufzt und mustert mich im Anschluss. Die Hand, mit der er sich eben noch gekratzt hat, legt er auf meinen Oberschenkel. Es dauert einen Moment, bis er mir antwortet.
„Ich bin nicht besonders gut darin, meine Gefühle auszudrücken.“ Er räuspert sich ein weiteres Mal. „Du hast doch gesagt, dass ihr bis an euer Lebensende zusammen bleibt. Das würde in unserem Fall doch nicht funktionieren, oder?“ Auf meinen fragenden Blick spricht er gleich weiter. „Was passiert mit uns, wenn du zurück in deine Welt gehst?“
Natürlich bedrückt ihn dieser Gedanke. Wie konnte ich nur so ignorant sein? Ich hätte ihm längst klarmachen müssen, dass ich ihn nicht verlassen werde.
Mit einem Lächeln auf den Lippen lege ich eine Hand an seine Wange, ehe ich ihm antworte: „Nichts kann uns mehr trennen, Killian. Ich bleibe bei dir.“
Auch damit scheine ich ihn zu überraschen. „Dann willst du nicht zurück nach Hause?“
„Natürlich will ich zurück in meine Welt, aber ich kann dich schlecht mit in die Flüsternde Stadt nehmen.“ Ich schüttle den Kopf. „Wir gehören zusammen, Killian und es ist mir egal, ob ich hier bin oder in meiner Welt lebe. Die Hauptsache ist, dass ich endlich meinen Seelenverwandten gefunden habe.“
„Mich?“, fragt Killian verwirrt und zeigt dabei auf sich selbst. „Ich bin dein Seelenverwandter?“
„Hast du daran Zweifel?“, antworte ich mit einer Gegenfrage.
Er zuckt mit den Schultern. „Ich bin doch kein …“ Killian deutet auf die Schuppen an meinem Oberschenkel. „Bist du dir sicher?“
Ich nicke. „Natürlich bin ich mir sicher. Deine Augen haben mich nicht ohne Grund fasziniert.“ Liebevoll streiche ich durch Killians Haar. „Hattest du schon einmal das Gefühl, dass du nicht in diese Welt gehörst?“
Killians Augen weiten sich. Er schnaubt. „Öfter als ich zugeben möchte.“
Die Hand, mit der ich gerade noch seinen Kopf gestreichelt habe, ruht nun auf seiner Brust. „Das war deine Seele, die nach meiner gesucht hat. Auch ich habe mich mein Leben lang unvollständig gefühlt.“ Killian sieht mich ungläubig an. „Mir ist klargeworden, dass wir füreinander bestimmt sein müssen. Sonst wäre ich doch unmöglich hier in deiner Welt gelandet. Es kann kein Zufall sein, dass ausgerechnet du mich gefunden hast.“
Killian legt seine Stirn in Falten. Er wirkt nachdenklich. „Dann denkst du also, dass unsere Begegnung Schicksal war?“
„Genau.“
Der Mensch reibt sich die Stirn, dann sieht er mich jedoch an. „Das klingt ziemlich verrückt.“ Er zieht einen Mundwinkel hoch. „Aber was ist in meinem Leben schon normal? Immerhin bist du hier. Und wir haben eine Fee getroffen. Und die leuchtende Rune vergesse ich auch nie wieder.“ Er schüttelt den Kopf.
Ich lächle den Menschen an, doch Killian wirkt nachdenklich, als er meinen Schenkel streichelt. „Das ist ein bisschen viel auf einmal für dich, oder?“, erkundige ich mich nach seinem Wohlbefinden.
„Ich muss das noch verdauen, ja.“ Killian seufzt. „Und was erwartest du von mir? Wie ist das in euren romantischen Beziehungen? Wie sieht euer Alltag aus? Ist es anders bei uns?“
Ich überlege einen Moment. „Eigentlich macht es kaum einen Unterschied. Wir verbringen viel Zeit mit unseren Gefährten. Der Alltag gestaltet sich je nachdem, womit man sich eben gerne beschäftigt.“
„Hm“, erklingt Killian nachdenklich. „Dann ist das mit euren romantischen Beziehungen eigentlich ziemlich ähnlich wie bei uns. Nur, dass bei euch das mühsame Dating wegfällt und ihr gleich die Liebe eures Lebens trefft.“
„Kann man wohl so sagen“, stimme ich ihm zu.
„Dann bleiben wir jetzt also für immer zusammen, ja? Wie am Ende eines Märchens?“, fragt er nach. Killian sieht genauso amüsiert aus, wie er klingt, als er mir diese Fragen stellt.
Dass er mich nicht ernst nimmt, ärgert mich ein wenig. „Findest du das lustig?“
Er schnaubt. „Die Umstände sind amüsant. Ich hatte einen Auftritt und gehe geschlaucht nach Hause. Alles was ich in dieser Nacht wollte war duschen und schlafen. Dann höre ich, wie einige Mülltonnen umfallen und finde eine Meerjungfrau. Und nach ein paar Wochen sitzt du hier auf meinem Schoß und erzählst mir, dass du fest davon überzeugt bist, dass wir seelenverwandt sind.“ Killian grinst. „Das passiert Menschen normalerweise nicht. Das ist so surreal für mich.“
„Dann fühlst du es nicht?“, frage ich etwas enttäuscht. Ich lasse die Schultern hängen. Nachdem Killian mich im Park geküsst hat, dachte ich, dass er dasselbe fühlt wie ich.
„Doch, ich …“ Killian seufzt und kratzt sich am Hinterkopf. „Ich kann es nur schwer in Worte fassen. Entschuldige.“ Der Mensch zieht einen seiner Mundwinkel hoch. „Ich habe dir schon gesagt, dass ich dich gerne bei mir habe und dass ich nicht will, dass du gehst. Und das meinte ich auch so. Es ist schön, dich um mich zu haben, Ilaria. Nur ist diese Sache mit der Seelenverwandtschaft doch etwas, das ein wenig intensiv klingt, verstehst du?“
„Du sagst das, als wäre es etwas Schlechtes.“
„Nein, das verstehst du falsch. Ich habe nicht gesagt, dass es etwas Schlechtes ist. Bei Menschen funktioniert das nicht von einer Sekunde auf die andere. Dieses sofortige Happy End passt nicht zu den Erfahrungen, die ich gemacht habe. Viele Menschen denken, dass sie bis ans Ende ihrer Tage zusammen sind. Dann heiraten sie und mehr als die Hälfte dieser Ehen wird wieder geschieden. Die Liebe vergeht und man trennt sich. Bei euch ist es rosarot und romantisch und ihr bleibt bis an euer Lebensende zusammen, aber bei uns Menschen ist das anders. Für Menschen ist diese ‚wahre Liebe‘ tatsächlich eher die Ausnahme.“
Ich lasse einen tiefen Seufzer los. Jetzt bin ich mir sicher. Killian fühlt nicht dasselbe wie ich. Wenn seine Gefühle so intensiv wären wie meine, dann würde er nicht so über die Liebe sprechen. Vielleicht spürt er nicht, dass wir füreinander bestimmt sind, weil er ein Mensch ist. Es ist enttäuschend. Nach unserem ersten Kuss war ich mir so sicher.
Ich merke erst, dass ich meinen Blick gesenkt habe, als Killian seine Hand an mein Kinn legt und dafür sorgt, dass ich ihn wieder ansehe.
„Du siehst so aus, als hätte ich dir gerade einen Korb gegeben.“
„Einen Korb gegeben?“, frage ich verwirrt.
Killian sieht mich ebenfalls verwirrt an, doch dann schnaubt er. „Das ist eine Redewendung, entschuldige. Ich wollte damit ausdrücken, dass du so aussiehst, als hätte ich dir gerade gesagt, dass ich kein Interesse an dir habe.“ Der Mensch mustert mich unsicher. „Ich bin wirklich nicht gut darin, meine Gefühle auszudrücken.“ Er reibt sich den Nacken. „Bitte interpretiere nicht zu viel in meine Worte, okay? Das kam alles ganz falsch an.“
„Nein, ich verstehe schon.“ Vorsichtig löse ich mich von Killian. Ich nehme nicht nur Abstand zu ihm, sondern klettere auch gleich von der Couch. „Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich mir etwas Zeit für mich selbst nehme?“
Er zögert eine Sekunde, ehe er antwortet: „Nein, natürlich nicht.“
„Danke.“ Bevor ich das Zimmer verlasse, reiche ich Killian noch sein Smartphone, immerhin habe ich ihn vorhin unterbrochen. Ich spüre seinen Blick förmlich auf mir, als ich ihm den Rücken zudrehe.
Etwas deprimiert schließe ich die Tür des Schlafzimmers und lasse mich auf das Bett sinken. In meinem Brustkorb breitet sich ein drückendes Gefühl aus. Ich weiß, was Killian mir sagen wollte, allerdings befürchte ich, dass die Unterschiede in unseren Gefühlswelten und auch die Unterschiede in unserer Kultur ein Problem darstellen könnten. Vielleicht habe ich mich doch geirrt und Killian ist gar nicht mein Seelenverwandter? Er müsste es spüren, wenn es so wäre.
Frustriert sehe ich an die Decke über mich. Die Menschenwelt ist so verdammt kompliziert.
༄ ♫ ༄
Ein prüfender Blick ins Wohnzimmer verrät mir, dass Killian auf der Couch eingeschlafen ist, während ich im Schlafzimmer versucht habe, all meine Gedanken zu sortieren.
Draußen ist es bereits dunkel, als ich auf die Feuertreppe klettere, um etwas Luft zu schnappen. Mein Kopf findet endlich wieder Ruhe. Mir ist klar, dass Killian mich nicht verletzen wollte, dennoch habe ich wohl etwas mehr menschliche Realität abbekommen, als ich verkraften kann. Nicht nur unsere Welten sind sehr unterschiedlich, auch unsere Mentalität ist vollkommen verschieden. Ich will nicht enttäuscht sein, aber ich bin es dennoch.
Durch ein seltsames Leuchten werde ich aus meinen Gedanken gerissen. Über dem Haus, das sich mir gegenüber befindet, sammeln sich winzige grüne Lichter. Ich spüre, wie sich Nervosität in mir breit macht. Mit weit geöffneten Augen beobachte ich, wie die winzigen Lichter immer mehr werden und sich zu einem immer größer werdenden, kugelförmigen Licht zusammenschließen. Ich erkenne vereinzelte grüne Blitze. Sie ähneln denen, die ich über dem Meer gesehen habe, allerdings sind sie viel kleiner. Aufgeregt stehe ich auf. Ich blicke hinter mich in die Wohnung. Für eine Sekunde öffne ich meine Lippen. Ich will nach dem Menschen rufen, ich will ihm das grüne Licht und die Blitze zeigen, doch mir kommt kein Wort über die Lippen. Es ist keine gute Idee, durch lautes Rufen die Aufmerksamkeit der fremden Menschen auf mich zu ziehen und schon gar nicht, wenn sich ein grünes Licht wie dieses auf dem Dach eines Hauses befindet.
Gerade als ich mich umdrehe, schlüpft eine Eule durch das Licht. Sie schlägt zweimal mit ihren großen, weiß-blau gefiederten Flügeln, ehe auf dem Dach des Gebäudes sitzen bleibt. Das Tier sieht in meine Richtung. Ich bin mir ganz sicher, dass sie mich direkt ansieht, denn sie beugt sich sogar etwas nach vorne.
Eine Eule wie diese habe ich schon einmal in meiner Welt gesehen. Die leuchtenden, blauen Augen verraten mir, dass es sich um eine Mondschatteneule handelt. Auch das überdurchschnittlich lange Schwanzgefieder ist sehr charakteristisch für diese Eulenart. Das überwiegend weiße Gefieder ist in der Dunkelheit gut zu erkennen, die blauen Schwingen in der sitzenden Position gut versteckt. Normalerweise sind diese Vögel Begleittiere der Waldelben. Begegnet man einer Mondschatteneule sind Waldelben also nie weit entfernt.
Die Eule sieht mich genauso starr an, wie ich sie. Es ist kaum zu glauben, dass sie hier aufgetaucht ist. Das grüne Licht muss eine Art Portal gewesen sein, doch Mondschatteneulen können keine Magie wirken und schon gar keine Portale erschaffen. Jemand muss sie also hergebracht haben, ob beabsichtigt oder durch Zufall.
Nervös hebe ich meine Stimme, um das Tier anzusprechen: „Was willst du hier? Bist du auf der Suche nach deinem Herren?“ Natürlich bekomme ich keine Antwort, doch irgendetwas muss ich tun. Die Eule richtet sich wieder auf. Sie gibt einen schrillen Schrei von sich, schlägt mit ihren Flügeln und fliegt los. „Warte!“, rufe ich schon beinahe, doch dann halte ich mir eine Hand vor den Mund und klettere schnell zurück ins Schlafzimmer, um nicht entdeckt zu werden.
Ich lasse mich auf das Bett sinken und atme tief durch. Was macht eine Mondschatteneule hier in der Welt der Menschen? Wer würde die Kraft aufwenden, nur um eine Eule durch ein Portal zu schicken? Und wieso in die Welt der Menschen? Wenn sie gezielt in diese Welt geschickt wurde, muss das bedeuten, dass jemand aus meiner Welt von der Menschenwelt weiß. Und nicht nur das. Dieses Wesen weiß auch, wie man zwischen unseren Welten reisen kann.
Nachdenklich sehe ich auf den Boden vor meinen Füßen. Eine von Killians Socken liegt mitten im Weg. Ich fixiere sie für eine Sekunde.
„Hast du irgendwas gesagt?“, fragt Killian mit verschlafener Stimme. Er steht in der Tür und reibt sich über das Gesicht.
Für eine Sekunde möchte ich ihm sagen, was ich gerade gesehen habe, doch ich schüttle den Kopf. „Nein. Komm ins Bett.“
Schwerfällig torkelt Killian ins Schlafzimmer. Müde legt er sich hin und deckt sich zu. „Mist. Ich hab vergessen, den Fernseher auszumachen.“ Gerade als er sich wieder aufsetzen will, beuge ich mich zu ihm und drücke ihn zurück in die Matratze.
„Schon gut, ich erledige das.“
„Danke“, gibt er brummend von sich und kuschelt sich schon in sein Kissen. Kaum bin ich auf den Beinen, erklingt sein Schnarchen.
Kopfschüttelnd wende ich mich von dem Menschen, um im Wohnzimmer den Fernseher auszuschalten. Schon wieder eine dieser Newssendungen. Mit einem Knopfdruck wird der Bildschirm schwarz.
Ich brauche einen Moment, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen, doch ich finde meinen Weg ins Schlafzimmer und natürlich auch in Killians Arme. Ich schlüpfe unter seine Decke und schmiege mich an seinen warmen Körper. Der schlafende Mensch hebt seinen Arm und drückt mich an sich. Mit einem Lächeln schließe ich meine Augen. Dass wir vorhin eine kleine Meinungsverschiedenheit hatten, ist bereits wieder vergessen.
Sobald Killian morgen wach genug ist, werde ich ihm erzählen, was ich heute Nacht gesehen habe. Die Eule und dieses plötzlich auftauchende Portal sind nur ein weiterer Beweis dafür, dass es in der Menschenwelt Magie gibt. Wir müssen nur noch jemanden finden, der uns helfen kann, herauszufinden, warum sie nun für die Menschen sichtbar geworden ist und wieso ich hier gelandet bin.
Meine Prioritäten haben sich vielleicht geändert, dennoch habe ich nach wie vor noch viele Fragen, die beantwortet werden müssen.