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Kapitel 20
Die zauberhafte Welt der Menschen
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Da wir letzte Nacht lange wach waren, bin ich mir ziemlich sicher, dass Killian auch dementsprechend lange schlafen wird. Zufrieden, aber dennoch aufgeregt wegen meines Vorhabens, drücke ich den Menschen. Killian schmatzt im Schlaf, doch dann sehe ich, dass er grinst. Er sieht so zufrieden aus, wie ich mich fühle. Ich gebe ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Wange und streichle seinen Brustkorb. Heute werde ich ihm beweisen, dass ich seine Hilfe durchaus zu schätzen weiß, sie aber nicht immer brauche.
Aus meiner Schublade nehme ich einige meiner Kleidungsstücke und lege sie auf das Bett. Erst streife ich die kurze Kleidung ab, die ich letzte Nacht getragen habe, ehe ich lange Kleidung anziehe, um meine Schuppen zu verstecken. Der schlafende Mensch bekommt nichts von all dem mit, genau wie ich es bereits vermutet habe. Killian hat einen sehr tiefen und festen Schlaf, wahrscheinlich würde er sogar ein Erdbeben verschlafen.
In meine Tasche packe ich mein Smartphone, ein Buch und auch eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank. Ein wenig nervös bin ich zwar schon, aber ich war nun oft genug mit Killian draußen, um zu wissen, wohin ich gehen kann, ohne mich zu verlaufen. Die Stadt ist sehr einfach aufgebaut. Alle Straßen, die wir entlang gelaufen sind, verlaufen geradeaus, mir den Weg zu merken fällt mir also dementsprechend leicht.
Bevor ich Killians Zuhause verlasse, schleiche ich noch einmal ins Schlafzimmer, um meinem liebsten Menschen einen Kuss zu geben. Genau genommen küsse ich Killians Wange mehrmals. Es fällt mir nicht besonders leicht, mich wieder von ihm zu lösen, doch ich möchte unbedingt losziehen und die Gegend alleine erkunden.
Zum Abschied flüstere ich Killian noch liebevolle Worte zu: „Mach dir keine Sorgen um mich, Killian, du kannst beruhigt weiterschlafen. Ich passe schon gut auf mich auf.“ Ich streichle über seinen Brustkorb. „Ich liebe dich.“
Killian bekommt einen letzten Kuss auf die Wange, außerdem streiche ich noch durch seine Haare, ehe ich das Schlafzimmer mit leisen Schritten verlasse. Falls er wider meine Erwartungen doch früher aufwachen sollte, kann er mich über das Smartphone erreichen. Wie es funktioniert, hat er mir ja selbst beigebracht, ich weiß also, was ich tun muss, wenn er mich anruft.
Bevor ich Killians Zuhause verlasse, schlüpfe ich noch in meine Schuhe, auch meine Jacke ziehe ich über. Draußen scheint zwar die Sonne, aber ich kenne San Francisco mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass das Wetter sehr wechselhaft ist. Es ist also gut möglich, dass es in einer Stunde wieder kühler ist. Killians Schlüssel steckt im Schloss, ich schließe auf, mache die Tür so leise wie möglich hinter mir zu und schließe wieder ab.
Ich sehe auf die verschlossene Tür und atme tief durch. Der Schlüssel verschwindet in meiner Tasche. Das erste Mal alleine in der Stadt unterwegs zu sein, ist aufregend. Obwohl ich nur einen einzigen Schritt gemacht habe, spüre ich bereits jetzt, wie gut es mir tut, alleine unterwegs zu sein. Das ist gut für mein Selbstbewusstsein!
Von Vorfreude erfüllt verlasse ich das Gebäude. Natürlich habe ich schon geplant, wohin ich heute gehen werde. Ich werde heute einen Park besuchen, jedoch nicht den Lafayette Park, in dem wir gestern waren. Ich erinnere mich zwar nicht mehr, wie die Menschen diesen Park nennen, doch ich erinnere mich noch genau daran, dass ich bei der vierten Straße nach dem Lafayette Park nach links gehen muss, um dorthin zu gelangen. Ich kann es nicht verfehlen.
Vorsichtig überquere ich die Straße, natürlich halte ich mich an die Regeln, die Killian mir nähergebracht hat. Ich achte auf meine Umgebung, die Menschen und die Autos und überquere die Straßen nur, wenn es sicher ist. Ehe ich mich versehe, komme ich beim Lafayette Park an. Das ist der Park, indem wir vor einigen Wochen der Fee begegnet sind. Seit diesem Tag ist mir immer wieder Magie untergekommen, doch anstatt Antworten zu bekommen, habe ich nur noch mehr ungelöste Fragen in meinem Kopf. Nachdenklich gehe ich weiter. Killian und ich haben immer wieder so wundervolle Momente, dass ich manchmal ganz vergesse, wie ich in der Welt der Menschen gelandet bin. Manchmal verdränge ich sogar alles um uns herum. Es ist einfacher, nicht daran zu denken und die schöne Zeit zu genießen.
Etwas nervös bin ich schon, da ich das erste Mal alleine in San Francisco unterwegs bin, doch anderseits fühle ich mich frei. Nachts wäre ich vielleicht etwas eingeschüchtert, doch heute Morgen gibt es nichts, das mir Angst machen könnte. Mein nächster Anhaltspunkt am Ende des Parks ist ein unglaublich hohes, weißes Gebäude. Beeindruckt sehe ich hinauf. Als Killian und ich die letzten Male daran vorbei gelaufen sind, hatte ich kaum die Möglichkeit, es genauer zu betrachten. Jedes Stockwerk ist von einem weißen Zaun umgeben, es sieht so aus, als könnte man auf jeder Ebene einmal um das Gebäude herumlaufen. Die Aussicht von oben muss unglaublich schön sein. Wenn man neben einem Bauwerk steht, dass so riesig ist, fühlt man sich beinahe winzig klein und unbedeutend. Wie viele Menschen man wohl braucht, um ein Gebäude wie dieses zu bauen, kann ich mir vermutlich kaum vorstellen.
Nachdem ich mir das Gebäude ausgiebig angesehen habe, erinnere ich mich daran, dass ich an der nächsten Ecke anfangen muss zu zählen, um mich nicht doch noch zu verlaufen.
Je weiter ich mich von Killians Zuhause entferne, desto steiler geht es bergab. Ich überquere Straße um Straße, in meinem Kopf zähle ich die Abzweigungen. Als ich an der vierten Straße nach links gehe, habe ich für einen kurzen Moment das Gefühl, die Orientierung verloren zu haben. Es kommt mir vor, als würde der Weg alleine um einiges länger dauern. Auch die Gebäude verunsichern mich ein wenig. Bis auf zwei sehr auffällige Gebäude am Anfang meines Weges, sehen die Wohnhäuser irgendwie gleich aus. Sie sind unterschiedlich, aber dann doch wieder gleich. Nach einem tiefen Atemzug vergesse ich meine Zweifel wieder, denn ich erblicke endlich den Park, nach dem ich gesucht habe. Dass ich versucht habe, mir die Welt der Menschen so gut wie möglich einzuprägen, macht sich endlich bezahlt. Je näher ich dem Park komme, desto weniger kann ich es erwarten, die Treppen hinaufzusteigen und mir einen gemütlichen Platz zum Lesen zu suchen.
Nach der dritten Treppe, die ich beinahe schon hinaufeile, werde ich mit einer großartigen Aussicht auf die Stadt belohnt. Ich nehme auf einer der Bänke am Rand der Gehwege Platz und genieße für einige Sekunden die Freiheit und das Gefühl, etwas alleine und ganz ohne Killians Hilfe geschafft zu haben. Mit meiner Hand streiche ich über das grün bemalte Holz. An einigen Stellen splittert die Farbe ab, doch das stört mich nicht besonders. Zu sehr bin ich von dem Gefühl der Unabhängigkeit und von der Aussicht über die Stadt abgelenkt, um mir über so etwas Banales größere Gedanken zu machen. Das wichtigste ist, dass ich wieder über mich selbst bestimmen kann, ohne jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen.
Selbst das Wetter spielt mit, um mir diesen Tag so angenehm wie möglich zu gestalten. Der Himmel über der Stadt ist bewölkt, die Strahlen der Sonne finden jedoch trotzdem ihren Weg hindurch, um die Welt der Menschen in ein angenehmes und friedliches Licht zu tauchen. Mit meinem Smartphone mache ich ein Foto von dem Ausblick, damit ich Killian an diesem Moment teilhaben lassen kann. Eigentlich ist es fast schon schade, dass er diesen friedlichen Augenblick verschläft.
Ich lege das Smartphone zurück in meine Tasche und greife nach dem Buch, das ich mir von Killian geliehen habe. Um es bequemer zu haben schlage ich ein Bein über das andere und platziere meine Tasche auf meinen Oberschenkeln. Die Höhe ist perfekt, um das Buch bequem lesen zu können. Nach einem tiefen Atemzug blättere ich zu der durch ein Lesezeichen markierten Stelle und setze die Geschichte über eine Zauberschule fort, die ich vor einigen Nächten angefangen habe.
„Entschuldigen Sie, Miss, ist der Platz neben Ihnen noch frei?“, höre ich eine ruhige und freundliche Stimme sprechen. Als ich aufsehe, blicke ich in ein ebenso freundliches, aber faltiges Gesicht. Der Mann hat ergrautes Haar, er ist elegant gekleidet und trägt eine Brille. Außerdem hat er ebenfalls ein Buch dabei. Wir hatten wohl dieselbe Idee. In den hellen Augen des Mannes kann ich sofort erkennen, dass von ihm keine Gefahr ausgeht.
„Natürlich“, antworte ich und rutsche ein wenig nach rechts, um ihm Platz zu machen.
„Sehr freundlich“, spricht der Mann, ehe er sich neben mich setzt. Er mustert mich einen Moment, ich lächle ihn an und wir beide widmen uns still unseren Büchern.
Der Morgen im Park ist ruhig, die sanften Sonnenstrahlen fühlen sich angenehm auf meiner Haut an. Ab und zu läuft oder spaziert ein Mensch an uns vorbei, alles in allem passiert aber nicht viel. Die Stimmung um mich herum ist friedlich und ausgelassen. Ich fühle mich ausgesprochen wohl. Ein wenig bedauere ich allerdings, dass ich das noch nicht früher gemacht habe, immerhin steht nun sicher fest, dass ich in der Welt der Menschen nichts zu befürchten habe. Mein Bedauern dringt in den Hintergrund, als ich den Beschluss fasse, in Zukunft öfter alleine spazieren zu gehen. Auf diese Weise hätte auch Killian etwas mehr Zeit für sich. Dass er sich das wünscht, hat er mir ja mehr als deutlich gemacht.
„Entschuldigen Sie, dass ich Sie noch einmal unterbreche.“ Ich lege meinen Finger an die Zeile, um sie nicht zu verlieren und sehe zu dem Mann neben mir. Er rückt seine Brille zurecht. „Ihre Haarfarbe gefällt mir. Blaue Haare sieht man selten“, erklärt der Mann mit einem Lächeln, das mich dazu einlädt, zurück zu lächeln. „Auch die Zöpfe mit den Muscheln sehen sehr schön aus. Ihr jungen Leute seid so herrlich kreativ. Es macht fast schon den Eindruck, als würde ich neben einer Meerjungfrau sitzen.“ Er lacht herzlich. Für eine Sekunde fühle ich mich ertappt, doch ich bin ziemlich sicher, dass der Mann nur einen Witz gemacht hat. „Wahrscheinlich ist es für ein junges Mädchen seltsam, von so einem alten Mann wie mir angesprochen zu werden.“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, ganz im Gegenteil. Komplimente bekommt man doch immer gerne, das ist wirklich sehr freundlich. Vielen Dank.“ Der Mann nickt und richtet seinen Blick anschließend wieder auf sein Buch. Auch ich widme mich wieder der spannenden Geschichte.
Auch wenn ich es bis jetzt nicht wusste, die Begegnung mit einem freundlichen Fremden ist genau das, was ich gebraucht habe. Die Erinnerung an den unheimlichen, fremden Mann im Waschsalon und das Gefühl, dass er in mir ausgelöst hat, geraten immer mehr in Vergessenheit.
Seite für Seite verschlinge ich das Buch. Bei einigen Worten habe ich noch meine Schwierigkeiten, doch im Großen und Ganzen fällt es mir immer leichter, die Schriftzeichen der Menschen mit den gewohnten Schriftzeichen meiner Welt zu verknüpfen. Nach einer Weile verabschiedet sich der freundliche Mann von mir und durch einen Blick auf die Zeitanzeige meines Smartphones realisiere ich, dass ich nun schon seit über zwei Stunden unterwegs bin. Ich packe das Buch zurück in meine Tasche. Auch wenn Killian mich noch nicht angerufen hat, sollte ich vielleicht trotzdem nicht riskieren, dass er aufwacht und sich Sorgen um mich macht.
Bevor ich mich jedoch wieder auf den Weg mache, werfe ich einen weiteren Blick über die Stadt, um die Aussicht noch einmal auf mich wirken zu lassen. Es dauert keine Sekunde, um zu bemerken, dass sich etwas verändert hat. Es ist möglich, dass ich es mir nur einbilde, doch das Licht wirkt irgendwie grünlich. Je genauer ich den Himmel betrachte, desto klarer wird mir, dass das grüne Schimmern zwischen den Wolken ungewöhnlich für die Menschenwelt ist. Zumindest habe ich ein solches Phänomen seit meiner Ankunft kein einziges Mal erlebt.
Unsicher sehe ich mich um, um mich daran zu orientieren, wie die Menschen auf diese Veränderung reagieren. Sie scheinen sich in ihrem Alltag jedoch nicht gestört zu fühlen. Wie so oft sind sie entweder durch ihr Smartphone abgelenkt oder sie tragen dunkle Sonnenbrillen. Um zu überprüfen, ob ich mir die Veränderung des Himmels nicht vielleicht doch einbilde, nehme ich mein Smartphone zur Hand. Erst mache ich für Killian ein weiteres Foto, dann vergleiche den Himmel mit dem ersten Foto, das ich bei meiner Ankunft gemacht habe. Es ist nicht zu übersehen, dass das Schimmern tatsächlich nicht da war, als ich angekommen bin. Die Veränderung muss schleichend eingetreten sein, sonst hätte ich das doch bemerkt. Ich werde immer nervöser, je länger ich das grüne Schimmern des Himmels betrachte. Das Gefühl wirkt erdrückend, beinahe, als würde mich eine unsichtbare Macht umhüllen, und versuchen, mich zu zerdrücken. Gleichzeitig werde ich das Gefühl nicht los, als würde etwas an meiner Seele ziehen, um sie in tausende Stücke zu zerreißen.
Eilig greife ich nach meiner Tasche und mache mich schnell wieder auf den Weg zurück zu Killian. Selbst im Gehen werfe ich noch einen Blick nach oben. Das grüne Schimmern ist genauso schön, wie es beunruhigend ist. Ich weiß nicht, was der grüne Himmel und diese beängstigenden Gefühle bedeuten, aber ich bin ziemlich sicher, dass es sich dabei um Magie handelt.
Auf dem Weg zurück erblicke ich immer mehr Menschen, die den veränderten Himmel bemerken. Sie sehen nach oben, machen sich gegenseitig auf das Schimmern aufmerksam und nutzen ihre Smartphones für Videoaufnahmen und Fotos. Die Menschen können das Schimmern also auch sehen. Ob sie sich genauso fühlen wie ich?
Die angespannte Atmosphäre in der Stadt wirkt sich negativ auf meine Stimmung aus. Überall wohin ich sehe, erkenne ich Verwirrung und Faszination, aber auch Angst und Unsicherheit. Ich ziehe meine Kapuze tief in mein Gesicht, um mich zu verstecken. Als ich endlich zurück in das Wohngebäude verschwinde, bin ich erleichtert.
An der Tür angekommen, schließe ich sofort auf und drücke die Tür hinter mir schnell wieder zu. Den Schlüssel stecke ich zurück ins Schloss. Durch einen weiteren Handgriff sorge ich dafür, dass ich wieder vor der Welt sicher bin. Ich atme einige Male tief durch.
„Ilaria?“, höre ich Killian verschlafen fragen. Vollkommen schlaftrunken torkelt er in meine Richtung. Mit einer Hand reibt er sich das Gesicht, dabei brummt er. „Willst du weg?“
Ich schüttle den Kopf und lasse meine Tasche sinken. „Ich war draußen.“
„Was? Alleine?“, fragt er nach. „Warum?“
Ich nehme mir nicht einmal die Zeit, aus meinen Schuhen und meiner Jacke zu schlüpfen, sondern falle dem Menschen gleich um den Hals. Killian wirkt überrumpelt. Er braucht einen Moment, um seine Arme um mich zu legen, doch dann streichelt er meinen Rücken.
Killian drückt mich leicht an sich, er klingt sehr müde, als er spricht: „Geht es dir gut?“
„Der Himmel ist grün.“
„Was?“, fragt Killian verwirrt nach. Er kann seine müden Augen kaum offen halten. „Ich, äh… Gib mir ein paar Minuten, ich bin noch nicht ganz da.“
༄ ♫ ༄
Während ich mich im Schlafzimmer wieder in kürzere, bequeme Kleidung hülle, sitzt Killian im Wohnzimmer und sieht auf den Fernseher. Ich schnappe Worte wie grüner Himmel und ungewöhnliches, weltweites Phänomen auf. Killian sieht sofort zu mir, als ich das Schlafzimmer wieder verlasse. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee liegt in der Luft.
„Was ist das?“, fragt Killian mich und deutet auf den Fernseher. „Das grüne Schimmern ist nicht normal für unsere Welt. Ist das Magie?“
„Ich schätze schon. Ich bin mir aber nicht sicher, was es bedeutet“, antworte ich ruhig und setze mich zu ihm. Auf dem Bildschirm sind Menschen zu sehen, die über den grünen Himmel sprechen. Keiner der menschlichen Experten weiß, was vor sich geht. Nicht nur sie sind ratlos, ich bin es ebenfalls. „Das Schimmern strahlt eine beunruhigende Energie aus. Ich denke, dass es ein magisches Phänomen ist, allerdings weiß ich nicht genug über Magie, um es einordnen zu können.“
„Hat der Himmel bei euch auch so ausgesehen, bevor sich das Portal geöffnet und dich verschluckt hat?“
Ich überlege einige Sekunden. „Nein, der Himmel war grau. So ähnlich als würde ein Sturm aufziehen.“ Killian legt die Stirn in Falten. „Aber du hast Recht, das Gefühl, dass der Sturm in mir ausgelöst hat, war ähnlich.“
Killian reibt sich die Schläfen. „Okay. Lass uns das alles irgendwie ordnen.“ Gerade, als er wieder die Lippen öffnen will, wird es still. Der Fernseher ist plötzlich dunkel, die Stimmen sind verschwunden. „Ach, fuck. Come on, ich hab die scheiß Rechnung doch bezahlt.“
Der plötzliche Stimmungswechsel des Menschen lässt mich instinktiv Abstand von Killian nehmen. Er greift nach der Fernbedienung, doch auch nach mehreren Versuchen, den Fernseher wieder einzuschalten, bleibt er schwarz. Killian steht auf, er lässt die Fernbedienung auf die Couch neben mich fallen. Auch seine Versuche, das Licht einzuschalten schlagen fehl. Die Lampen über mir bleiben dunkel.
„Das gibt’s doch nicht“, gibt er genervt von sich, doch dann verlässt er das Wohnzimmer.
„Wohin gehst du?“
„Nachsehen, ob das Licht im Treppenhaus funktioniert.“
Eingeschüchtert verschränke ich die Arme vor meinem Brustkorb. Wie kann ein Tag, der so gut begonnen hat, sich in so eine unangenehme Richtung entwickeln? Neugierig, aber hauptsächlich durch mein Unbehagen getrieben, folge ich Killian. Nach dem ersten Schritt in den Gang, werden meine Knie weich. Der Boden unter meinen Füßen bewegt sich. Ein weiteres Erdbeben lässt die Stadt erzittern.
„Killian!“, gebe ich erschrocken von mir.
Der Mensch schließt die Tür und eilt sofort zu mir, um mich in den Arm zu nehmen und mich an seine Brust zu drücken. Von meinen Gefühlen überfordert schließe ich die Augen. Schon die letzten beiden Erdbeben haben mir große Angst eingejagt. Obwohl ich weiß, dass ich mich nicht fürchten müsste, machen die neuen Umstände es nicht weniger unheimlich, sondern verschlimmern das negative Gefühl sogar. Die Erschütterung wird etwas stärker. Ich klammere mich an Killians Oberkörper, als würde mein Leben davon abhängen. Selbst als die Welt wieder stillsteht, ist es mir nicht möglich Killian wieder loszulassen. Ich bin wie erstarrt. Das alles ist zu viel für meine Seele.
„Es ist schon wieder vorbei“, spricht Killian mir gut zu. Er reibt meinen Rücken und drückt mich an sich. „Es ist alles gut, Ilaria.“
Obwohl ich Killian loslassen sollte, kann ich es noch nicht. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, der es mir unmöglich macht, zu sprechen. Alles, was aus mir herausplatzt ist ein Schluchzen und Tränen, die über meine Wangen laufen und direkt von Killians Shirt aufgesaugt werden.
„Oh nein. Bitte nicht weinen. Es ist alles in Ordnung.“
Vorsichtig manövriert Killian mich einige Schritte Richtung Wohnzimmer, doch mein ganzer Körper fühlt sich an, als würde ich bei jedem Schritt zu Boden fallen. Auch der Mensch scheint das zu bemerken. Killian hebt mich hoch und trägt mich zurück zur Couch. Er löst mich von sich und ich lasse mich sofort auf die weiche Decke, die auf der Couch liegt, sinken. Killian setzt sich neben mich und legt einen Arm um meine Schultern. Der Boden unter uns vibriert noch ein weiteres Mal, allerdings nur für wenige Sekunden. Von draußen dringen schrille, laute Geräusche in das Wohnzimmer. Ich zucke zusammen. Killian drückt mich sofort an sich. Dass die Stadt der Menschen laut ist, ist nichts Neues, diese Laute habe ich jedoch noch nie gehört.
„Das sind nur die Alarmanlagen der Autos“, beruhigt Killian mich sofort. Ich bekomme einen Kuss auf die Schläfe, außerdem wiegt er mich sanft. Obwohl ich noch zittere, kann ich meine Emotionen nach und nach wieder ordnen. Ich werde ruhiger und ruhiger, bis ich schließlich wieder klarer denken kann.
Vorsichtig löse ich mich von Killian. Er legt seine Hand an meine Wange und wischt mit dem Daumen meine Tränen weg.
Ich räuspere mich, ehe ich leise spreche: „Es geht schon wieder. Das war alles nur etwas viel auf einmal.“
Killian nickt. „Nimm dir so viel Zeit wie du brauchst.“ Er möchte gerade aufstehen, doch ich greife nach seiner Hand.
„Warte. Geh nicht wieder weg.“
„Ich wollte eigentlich nur …“ Der Mensch schüttelt den Kopf. „Egal.“
Killian und ich legen uns auf die Couch. Ich mache es mir an seiner Brust bequem. Sein beruhigender Herzschlag entfaltet schnell seine Wirkung. Killian spielt mit einer meiner Haarsträhnen.
„Wo warst du?“, fragt Killian mich ruhig. Die Frage klingt nicht anklagend oder vorwurfsvoll, sondern als wäre er ehrlich daran interessiert, was ich gemacht habe.
„Ich war im Park und habe gelesen.“
„Wenn du mir Bescheid gegeben hättest, wäre ich mitgekommen.“
Ich atme tief durch. „Ich wollte dir und auch mir selbst beweisen, dass ich ein paar Stunden alleine unterwegs sein kann, ohne dass mir etwas passiert.“
„Okay. Wieso hast du nichts gesagt? Du musst mir so etwas doch nicht verheimlichen. Ich bin kein Unmensch, Ilaria.“
„Ich weiß, aber ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst.“
Killian schnaubt. „Punkt für dich. Ich hätte mir Sorgen gemacht.“ Er streicht über meinen Rücken. „Ich gebe dir meinen zweiten Schlüssel. Dann kannst du auch nach draußen gehen, wenn ich nicht hier bin. Können wir uns darauf einigen, dass du mir Bescheid gibst, bevor du weggehst? Es war schon unangenehm, dich nicht gleich zu finden. Ich schätze, dass ich mich schon daran gewöhnt habe, als erstes dich zu sehen, sobald ich aufwache.“
Ich richte mich auf und beuge mich zu Killians Gesicht, um ihn zu küssen. Er drückt mich sanft gegen sich, als er den Kuss erwidert. Nachdem sich unsere Lippen voneinander lösen, lächeln wir uns an. „Ja, darauf können wir uns einigen.“
„Perfekt“, antwortet er mir. „Und jetzt erzähl mir, was da draußen passiert ist.“
„Bekomme ich vorher noch einen Kuss?“
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. „Du musst ihn dir nur holen, Prinzessin.“
Seine Antwort bringt mich zum Lächeln. „Du weißt aber, dass ich gar keine Prinzessin bin, richtig?“, frage ich amüsiert, worauf Killian nur breit grinst.
„Für mich bist du eine.“ Er streicht mir die Haare hinter mein Ohr. Das freche Grinsen macht Killian unwiderstehlich, ich kann nicht anders, als ihn zu küssen. Meine Geschichte über den grün schimmernden Himmel läuft uns nicht davon.
༄ ♫ ༄
Der Strom erhellt das Wohnzimmer wieder, noch ehe ich Killian alles erzählt habe, was mir heute Morgen passiert ist. Eines bleibt uns jedoch ein Rätsel. Das grüne Schimmern am Himmel über der Menschenwelt verschwindet so schleichend, wie es aufgetaucht ist. Die Experten messen mit ihren technischen Geräten verschiedene Strahlungen, stellen Theorien auf, und suchen nach Erklärungen für die kurzzeitige Veränderung des Himmels. Schädlich soll es für die Menschen jedenfalls nicht gewesen sein. Auch Killian spürt keine Veränderung. Mich hat das grüne Schimmern jedoch deutlich beeinflusst. Erst hatte ich das Gefühl zerdrückt und zerrissen zu werden und nun da dieses Gefühl verschwunden ist, fühle ich mich kraftlos und müde.
Obwohl Killian sich Sorgen um mich macht, ist er auch hin und weg von den neuen Informationen. Nach den heutigen Ereignissen, ist er fest davon überzeugt, in einer magischen Welt zu leben. Die Begeisterung ist ihm deutlich anzusehen, während er an seinem Tablet Recherchen betreibt.
„Hör dir das an, Ilaria“, bittet Killian mich. Er streicht über meinen Unterschenkel. „Ich habe einen Artikel gefunden, der das grüne Schimmern am Himmel mit der Sichtung eines Seeungeheuers verbindet.“
„Ein Seeungeheuer?“, frage ich verwirrt nach.
„Hör einfach zu.“ Killian räuspert sich, ehe er vorliest: „Neue Sichtung von Champ – Grünes Schimmern verantwortlich? Burlington. Mehrere Zeugen haben berichtet, dem sagenumwobenen Seeungeheuer Champ im Lake Champlain begegnet zu sein. Ein Ehepaar gab an, gegen Mittag den Hals und Kopf einer riesigen Seeschlange nur ein paar Meter vom Ufer entfernt auftauchen gesehen zu haben. Nachmittags informierte ein Fischer die lokale Behörde, dass sich in einem seiner Fischernetze einen fünfzehn Zentimeter langer Zahn verfangen habe. Zusätzlich gingen mehrere Fotos und Videos ein, die die oben geschilderte Kreatur zeigten und derzeit von Forschern auf ihre Echtheit überprüft werden.“ Ich höre aufmerksam zu und nicke. „Früheren Berichten und Sichtungen zufolge ist Champ eine große Seeschlange mit silbergrauen Schuppen, einem länglichen Maul sowie zwei Reihen scharfer Zähne. Forscher vermuten, dass die wiederholten Sichtungen mit dem grünen Schimmern am Himmel zusammenhängen könnten. Während dieses anhielt, wurden auf der ganzen Welt Sichtungen der lokalen Sagengestalten geschildert. So ist auch Memphre, das Seemonster des Lake Memphremagog in Kanada, vor Zeugen aus dem Wasser aufgetaucht.“
Die Begeisterung, mit der Killian mich ansieht, weckt auch sofort mein Interesse. Seeschlangen kenne ich auch aus meiner Welt. Die Beschreibung der Schuppen und des Kopfes dieses Wesens stimmt mit den Seeschlangen meiner Welt überein.
„Darf ich mir ein Foto ansehen?“, frage ich müde, aber interessiert nach und ziehe meine Beine von Killians Oberschenkeln. Ich setze mich auf und klettere zu ihm.
„Selbstredend.“ Killian dreht das Tablet sofort in meine Richtung, sodass ich einen guten Blick darauf habe. „Hast du so etwas schon einmal gesehen?“, fragt er nach.
Ich brauche nur wenige Sekunden, um zu erkennen, dass meine Vermutungen sich bestätigen. „Ja, das sind ganz gewöhnliche Seeschlangen.“ Ich sehe Killian an. „In meiner Welt gibt es einige Seen in denen Seeschlangen leben. Es gibt allerdings nicht mehr viele von ihnen. Die Meinungen über diese Wesen sind gespalten.“
„Die Meinungen über sie sind gespalten? Kannst du mir mehr darüber erzählen?“
„Mhm“, antworte ich und deute auf die Fotografie. „Naturverbundene Völker wie der Großteil der Elbenstämme oder auch mein Volk haben keine Schwierigkeiten mit ihnen. Ich hatte schon das Vergnügen, mir bei einer Reise ein Gewässer mit einer Seeschlange zu teilen. Sie sind eigentlich ruhige und sanfte Wesen mit einer tiefen Seele.“ Killian ist vollkommen fasziniert von meinen Erzählungen. „Leider gehen nicht alle Völker respektvoll mit ihnen um. Der nördliche Clan der Zwerge hat viele Jahrhunderte lang Jagd auf die verschiedensten Seeschlangen gemacht. Es galt als Mutprobe und Beweis von großer Stärke, die Schuppe einer Seeschlange zu erbeuten. Dabei wurden nicht nur Seeschlangen verletzt, auch viele Zwerge haben ihr Leben gelassen.“
„Und was haben die Zwerge, die überlebt haben, mit den Schuppen gemacht?“, fragt Killian gespannt nach.
„Die Schuppen sind sehr robust. Eine zu entfernen ist nicht nur sehr schmerzhaft für die Seeschlange, man braucht auch eine äußerst scharfe Klinge, um das überhaupt zu bewerkstelligen. Ich habe dir doch bereits erzählt, dass die Zwerge für ihre Schmiedekunst berühmt sind.“ Killian erinnert sich, er nickt. „Die Schuppen sind vielseitig einsetzbar, wenn man weiß, wie man sie verwerten kann. Vor ungefähr zweihundert Jahren soll eine Seeschlangenschuppe dem Clanführer Dolgthrasir in einer Schlacht das Leben gerettet haben. Er hat die Schuppe dazu genutzt, um seine Brustplatte zu verstärken.“ Ich verziehe die Lippen. „Er war nicht mein liebster Clanführer in der Geschichte der Zwerge. Ganz im Gegenteil. Er war selbst für einen Zwerg sehr dickköpfig, stur und streitlustig. Nach seinem Tod, einige Jahre nach dieser Schlacht, gab es endlich das erste Mal seit Jahrzehnten wieder Frieden im Norden.“
Im Augenwinkel sehe ich, dass sich das Display des Tablets verdunkelt. Killian sieht mich so intensiv an, dass ich ein wenig zurückweiche. Sein Blick gibt mir ein eigenartiges, aber dennoch angenehmes Gefühl, das ich nicht ganz verstehe. Ohne den Blickkontakt abzubrechen, legt er das Tablet weg und streicht mit seiner Hand meinen Oberschenkel entlang.
„Du hast absolut keine Ahnung, wie sexy es ist, wenn du deinen inneren Nerd heraushängen lasst“, gibt Killian fast schon ernst von sich. Auch wenn seine Mimik zeigt, dass er keinen Witz macht, muss ich lachen.
Verlegen senke ich den Blick. „Du bist der erste, der sich dafür interessiert.“ Ich zucke mit den Schultern. „Abgesehen von Aurelius natürlich. Er war derjenige, der mir die Sprache der Zwerge nähergebracht und viele der Geschichten für mich übersetzt hat.“ Ich seufze. „Mir wird gerade klar, wie sehr ich ihn vermisse.“
„Dann seid ihr wohl sehr gute Freunde, hm?“
Ich nicke und sehe Killian wieder an. „Ja, er hat sich nicht von den Worten der Magier beeinflussen lassen. Sie finden mich seltsam.“
Killian schnaubt. „Ist nicht jeder auf seine Art ein wenig seltsam?“
Ich richte meinen Blick wieder auf Killian. „Möglich. Vor einigen Jahren haben die Magier angefangen, mich zu meiden, da sie etwas in meinen Augen gesehen haben, dass sie nicht verstanden haben. Die anderen konnten es nicht sehen, für die Magier ist es allerdings immer noch ein Problem.“
Killian zieht überrascht die Brauen hoch. „Hast du nicht gesagt, dass euch das nur bei anderen Wesen passiert?“
„Genau das war ihr Problem, Killian.“ Ich sehe auf Killians Hand, die immer noch an meinem Oberschenkel ruht. „Ich schätze aber, dass ich mittlerweile den Grund dafür gefunden habe.“ Mit einem Lächeln sehe ich ihn an. „Ich nehme an, dass sie die Verbindung zu dir gesehen haben.“
Killian zieht seine Brauen zusammen. „Wenn du es schon ansprichst. Könnten wir uns über diese Verbindung unterhalten? Da gibt es noch einiges, das ich nicht ganz verstehe.“
„Natürlich. Ich beantworte gerne all deine Fragen“, antworte ich ihm offen. „Was verstehst du denn nicht?“
Killian schnaubt. „Eigentlich verstehe ich es gar nicht.“ Er reibt sich den Nacken. „Eure Beziehungen sind doch recht unschuldig und spirituell, wenn ich das richtig verstanden habe. Du hast gesagt, dass meine Gefühle sich verändern werden und vorhin, als du geweint hast, hatte ich das Gefühl, dass mir irgendwie kalt wird. Das war merkwürdig.“ Killian legt seine Stirn in Falten. „Mir war nicht körperlich kalt, sondern seelisch?“ Mit seiner flachen Hand klopft er leicht gegen seinen Brustkorb. „Das Gefühl war in diesem Bereich.“
„Ich hätte dich besser vorwarnen sollen, entschuldige“, antworte ich ihm. „Es war nur schwer, einzuschätzen, wann ich es dir erklären soll. Du warst zwar nicht abgeschreckt, aber ich war mir nicht sicher, wie viel ich dir auf einmal zumuten kann. Ich kann manchmal sehr aufdringlich sein und ich wollte dich nicht überfordern.“
„Du musst dich nicht entschuldigen.“ Er winkt ab. „Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte dieses Thema ernster nehmen sollen. Es ist dir wichtig, also ist es mir auch wichtig.“
Killian zieht einen Mundwinkel hoch. Er beugt sich zu mir und küsst meine Stirn. Wir machen es uns auf der Couch bequem, sie quietscht ein wenig, als wir uns hinlegen. Zu meiner Freude legen wir uns seitlich nebeneinander, sodass wir Augenkontakt halten können. Der Mensch legt seine Hand an meine Taille.
„Erzähl mir alles über diese Seelenverbindung“, bittet er mich.
„Alles beginnt damit, dass zwei Wesen sich treffen. Im Normalfall erkennen wir schneller, dass wir für einander bestimmt sind.“ Ich schmunzle. „Es hat bei uns wahrscheinlich etwas länger gedauert, weil ihr Menschen diese Art von Verbindung nicht sehen könnt. Sicher bin ich mir nicht, aber das würde es am besten erklären.“
„Und was ist mit dir? Kannst du diese Verbindung jetzt sehen? Ich kann mir schwer vorstellen, was man da genau in den Augen erkennt.“
Ich nehme mir einen ausgedehnten Augenblick Zeit, um die passenden Worte zu finden. Die Kräfte meines Volkes zu erklären, ist nicht so einfach. „Es ist eine Mischung zwischen sehen und fühlen. Durch intensiven Blickkontakt ist die Verbindung der Seelen am mächtigsten. Wenn ich einem Mitglied meines Volkes in die Augen sehe, dann können wir die Gefühle des jeweils anderen wahrnehmen. Die Verbindung wird intensiver, je besser man miteinander harmoniert. Man nimmt die Gefühle eines Freundes stärker wahr, als die Gefühle eines Fremden.“
„Wow, das ist wirklich ein interessantes Konzept von Gemeinschaft“, meint Killian nachdenklich. „Und bei uns Menschen funktioniert das nicht so richtig, oder?“
„Zu meinem Bedauern leider nicht. Bei euch Menschen kann ich auf den ersten Blick einschätzen, ob ich etwas zu befürchten habe oder nicht. Die meisten Informationen sind wie durch eine Art Nebel verschleiert.“
„Hm“, gibt Killian nachdenklich von sich.
„Ich kann viele Wesen durch Blickkontakt einschätzen, allerdings nicht alle. Bei Elben ist es schwerer als bei Zwergen. Bei Orcs ist es kaum möglich. Feen hingegen sind leichter zu lesen. Jedoch ist nicht jedes Wesen gleich. Einige sind offener als andere. Manchmal ist es schwer für mich, mein Gegenüber zu verstehen, wenn mir seine Empfindungen fehlen.“
Killian wirkt beeindruckt. „Aber mich verstehst du gut, oder?“
„Ja, deine Augen sprechen Bände. Ich kann zwar nicht alles sehen, aber das, was ich sehen kann, empfinde ich als sehr reizvoll.“ Killian grinst. Ich mustere ihn, ehe ich mich wieder auf seine Augen konzentriere. „Bei einer romantischen Verbindung, wie wir sie haben, gehen die Gefühle noch etwas tiefer als bei Freundschaft. Durch unsere Verbindung sind unsere Seelen Eins geworden. Die stärksten Gefühle unseres Seelenverwandten nehmen wir auch selbst wahr, dazu benötigen wir keinen Augenkontakt.“
Killian streicht nachdenklich durch seinen Kinnbart. „Dann war dieses Gefühl von Kälte die Angst, die du gespürt hast? Verstehe ich das richtig?“
„Ja“, antworte ich ihm „Wenn wir voneinander getrennt sind, kann es sein, dass du das Gefühl hast, dass dir etwas fehlt, aber lass dich davon nicht beunruhigen. Sobald wir uns wieder annähern, verfliegt dieses Gefühl wieder.“
„Okay, dann spüren wir, was der andere spürt. Das ist so verdammt unwirklich für mich.“ Killian schweigt einige Sekunden. „Aber Verletzungen spürt du nicht, oder?“, hakt Killian nach, dabei deutet er an seine Stirn. Die Narbe, die er sich durch die Wunde an seinem Kopf zugezogen hat, ist noch sichtbar. „Du hattest keine Kopfschmerzen, als du mich angesehen hast, oder?“
Ich schüttle den Kopf. „Nein, so funktioniert das nicht.“
„Gott sei Dank“, gibt Killian erleichtert von sich. „Es wäre nicht sehr schön, wenn du es jedes Mal spürst, wenn ich mir den kleinen Zeh stoße.“
Killians Beispiel bringt mich zum Lachen. Ich stupse gegen seine Brust. „Hör auf damit.“ Der Mensch grinst mich breit an. „Ich versuche hier, dir etwas zu erklären. Ich bin noch nicht fertig.“
„Sorry. Bitte erzähl weiter.“
„Vorhin hast du diese Kälte gespürt.“ Killian nickt. „Mit unserem ersten Kuss haben unsere Seelen angefangen, sich zu verbinden. Seitdem wurden deine Gefühle für mich immer stärker, richtig?“
Der Mensch nickt ein weiteres Mal, dann schnaubt er. „Okay, dann waren die ernsten Konsequenzen, vor denen du mich vor unserem Kuss gewarnt hast, dass ich anfange zu fühlen, was du fühlst.“
„Ja. Ich wusste nur nicht, ob und wie intensiv es sich auf euch Menschen auswirkt. Jetzt wissen wir schon ein wenig mehr.“ Ich lege eine Hand an seine Brust. „Damit du die Gefühle noch etwas besser einordnen kannst, gibt es noch etwas, das du wissen musst. Alle negativen Gefühle sind kalt. Angst, Wut, Trauer, Enttäuschung. Je einschüchternder sie sind, desto kälter und leerer fühlen sie sich an. Positive Gefühle wie Freude, Hoffnung oder Liebe sind warm, sie erfüllen einen.“
„So wie in diesem Moment, hm?“ Killian fasst an meine Hand, hebt sie an und küsst meine Finger. „Wird sich noch etwas ändern?“
„Es könnte durchaus sein, dass unsere Gefühle tiefer gehen, sobald unsere Liebe wächst und unsere Verbindung zueinander stärker wird. Wir bleiben bis an unser Lebensende miteinander verbunden.“
Killians Bart kitzelt an meinem Arm, als er mich noch einige weitere Male küsst. Er legt meine Hand zurück an seine Brust und streicht über mein Bein, ehe er mich mit einem überraschenden Ruck zu sich zieht. Als unsere Hüften sich berühren, schließe ich meine Augen und schmiege mich gegen Killians Körper.
„Dann habe ich jetzt also eine wunderschöne, fürsorgliche Frau, die weder vor mir flüchten will, noch flüchten kann“, gibt er mit amüsiertem Unterton von sich. „Die ernsthaften Konsequenzen sind nicht besonders einschüchternd, Ilaria.“
Ich sehe auf und blicke in Killians blaue Augen. „Ich bin froh, dass meine Warnung dich nicht verschreckt hat.“
„Es braucht schon ein bisschen mehr, um mich abzuschrecken, glaub mir.“
Killian streicht über meinen Schenkel bis zu meinem Hintern. Das freche Grinsen bringt mich zum Nachdenken. Zu gerne wüsste ich, was ihm im Moment durch den Kopf geht. Ich komme kaum dazu, es mir auszumalen, schon werde ich in einen leidenschaftlichen Kuss verwickelt. Um das wärmende Gefühl vollkommen auszukosten, schließe ich meine Augen. Wenn dieses Grinsen noch mehr Küsse prophezeit, dann kann er es gerne öfter einsetzen.