Die Flammen prasseln im Kamin, der Regen prasselt gegen die Scheibe draußen. Nachdenklich betrachte ich die graue Welt da draußen, erinnere mich, wie es noch vor zwei Tagen aussah. Da war die Welt da draußen nämlich noch mit weißem Schnee bedeckt und sah aus, wie ein echtes Winterwunderland. Puderzuckerschnee auf Tannen, ein paar Tierspuren im Schnee. Da kann es wirklich Vorteile haben, mitten im Nirgendwo zu leben: Der Schnee bleibt weiß und wird nicht grau durch all die Autos, wie die die täglich durch die angrenzende Stadt fahren und nur Schneematsch hinterlassen; und selbst wenn man im Park ist, ist der Schnee nicht mehr überall weiß, da die Hunde all der Stadtmenschen weiterhin überall ihre Markierungen hinterlassen, die man auf dem weißen Schnee so viel besser sieht, als auf grauem Asphalt oder meinetwegen auch grünem Gras. Falls man etwas von diesem in der Stadt finden sollte.
Jetzt gerade bringt es allerdings auch nichts, mitten im Nirgendwo zu leben (genauer gesagt in einem kleinen Wäldchen, das, wenn man ganz ehrlich ist, eigentlich gar nicht mitten im Nirgendwo liegt sondern nur zwanzig Minuten entfernt von der nächstgrößeren Stadt-aber wenn man zwölf Jahre alt ist kommt einem das schonmal vor wie mitten im Nirgendwo), denn es regnet bereits seit diesem Morgen ununterbrochen. Irgendwie deprimierend; statt mit Holly und Mark im Schnee spielen zu können, ist alles, was uns bleibt, den Schnee beim Schmelzen zu beobachten. Dabei hat Mark Holly und mir dieses Jahr versprochen, uns zu zeigen, wie man eine riesige Schneeburg baut, die nicht wieder einstürzt. Und eine Schneeballschlacht-Revenge vom letzten Jahr schuldet er uns auch noch. Ich rümpfe die Nase. Aber mit diesem blöden Regen wird das natürlich nichts. Die Stufen knarren und kurz darauf kommt Holly ins Wohnzimmer, von wo aus ich mürrisch den Regen betrachte. Auf dem Gesicht meiner Zwillingsschwester kann ich denselben Gesichtsausdruck sehen, der wahrscheinlich gerade auch auf meinem Gesicht liegt.
„Glaubst du, es schneit dieses Jahr noch?“, fragt sie, einen sehnsüchtigen Ton in der Stimme, der mir zeigt, dass sie sich ebenso wie ich an Marks Versprechen erinnert.
„Weiß nicht“, murmele ich. „Das ist doch ein beschissenes Weihnachten so.“
„Ach, seit doch nicht so pessimistisch!“, verkündet meine Mama, die in genau in diesem Moment das Wohnzimmer betritt, beladen mit Keksdosen und Spielen. Meine Mama hat wirklich immer gute Laune, etwas, was Holly und ich eigentlich von ihr geerbt haben und eine Eigenschaft, die Mark unglaublich auf die Nerven gehen kann. Mark ist unser Bruder, der irgendwie keinem von uns ähnlich sieht: Während wir beiden Mädchen aussehen, wie Kopien meiner Mutter in klein-rotbraunes, lockiges Haar mit braunen Augen-hat Mark schwarzes, glattes Haar und blaue Augen, die er wohl beide von unserem Vater haben muss, den wir allerdings nicht kennen. Mama erzählt nie von ihm und es gibt auch keine Bilder. Wir sind jedoch alle der Meinung, dass das nicht so dramatisch ist: Wir sind bisher schließlich gut ohne ihn ausgekommen. Außerdem haben wir dafür ja Christoph, den neuen Freund meiner Mutter, der blond und ziemlich witzig ist. Und unsere Vatervorstellungen zur Genüge erfüllt. Er und Mark kommen hinter meiner Mutter her, die ihre Keksdosen mittlerweile auf unserem Wohnzimmertisch abgeladen hat.
„Es ist der vierte Dezember heute, und von dem bisschen Regen wollen wir uns doch wohl nicht unsere Weihnachtsstimmung zerstören lassen, oder?“ Fordernd blickt sie Holly und mich an und wir schütteln synchron den Kopf. „Na seht ihr. Die in den Nachrichten sagen, an Weihnachten soll es wieder schneien, und bis dahin essen wir einfach Kekse, spielen Brettspielen und machen uns einen gemütlichen Tag, was haltet ihr davon?“
Tatsächlich hört sich das ziemlich verlockend an, da wir generell kaum zusammen spielen; besonders Mark ist selten dabei, da er viel für seine Klausuren lernen muss. Begeisterung macht sich in mir breit und ich fange an zu grinsen. „Eine gemütliche Zeit mit Keksen und Spielen? Klar!“, gibt auch Holly begeistert ihre Zustimmung und kurz darauf sitzen wir gemeinsam um den Tisch und bauen unser Monopoly Brett auf. Und mit einem mal wirkt der Regen draußen richtig gemütlich und unser Wohnzimmer wie der beste Ort der Welt. Die Schneeburg können wir ja schließlich auch noch an Weihnachten bauen.