Gemurmel erfüllte den großen Saal und Andrew spürte das Verlangen, sich wieder umzudrehen und einfach wieder zu gehen. Aber das konnte er nicht bringen, er war schließlich eine der wichtigsten Personen heute hier. Besonders für seinen Mandanten. Wenn er sich jetzt umdrehte und ging, war er seinen Job auf alle Fälle los. Mit mulmigem Gefühl im Bauch machte er sich auf den Weg nach vorne, wo auch sein Mandant schon saß, die Hände locker verschränkt und absolut entspannt. Er verließ sich auf Andrew und darauf, dass dieser ihn hier sicher wieder rausbrachte. Also straffte Andrew die Schultern und hob sein Kinn ein wenig an; er wusste aus Erfahrung, dass Selbstbewusstsein ein ganz entscheidender Teil eines Anwalts war. Auch sein Gegner war bereits da und sortierte, nach außen hin ebenfalls ganz entspannt, seine Zettel. Doch Andrew konnte die Anspannung sehen, die der Mann so schlecht versteckte, und aus irgendeinem Grund machte ihm das die gesamte Sache einfacher. Nicht nur er war angespannt, auch sein Gegner. Er kämpfte also vielleicht nicht auf verlorenem Posten. Zusätzlich konnte er sich den Fehler seines Gegenüber auch als Spiegel vorhalten, und so verbannte Andrew die letzten Reste seiner Anspannung in sein Inneres, um nach außen hin die Ruhe in Person zu sein. Es funktionierte, und als der andere ihn so erblickte, schien er noch unsicherer zu werden. Er hieß Williams, wie Andrew an seinem Namensschild ablesen konnte, und war noch jünger als er selbst, was Andrew überraschte. Er hatte sich mit seinen fünfunddreißig Jahren schon ziemlich jung eingeschätzt, doch Mr. Williams war noch einen Tick jünger als er. Die Richterin betrat den Raum und langsam kehrte Ruhe ein. Es waren eigentlich sowieso nicht so viele Leute da, schließlich war das hier kein besonderer Fall. Zu diesen wollte Andrew eines Tages hin, aber bis es soweit war, war es noch ein weiter Weg. Aber er konnte ja hier anfangen, und wenn er doch verlor, war das eben auch kein Drama. Es wäre zwar nicht schön, doch der Weltuntergang wäre es auch nicht. Das war es, was seine Frau ihm gesagt hatte, kurz bevor er gegangen war, total nervös und ein wenig kopflos (er hätte beinahe seine Schlüssel vergessen): „Ich glaube an dich, aber wenn du verlierst, ist das auch kein Weltuntergang. Dann versuchst du es beim nächsten Mal einfach nochmal und versuchst, das zu verbessern, was bei diesem Mal nicht geklappt hat. Selbst der beste Anwalt verliert mal.“ Ja, das waren ihre Worte gewesen, bevor sie ihn auf die Wange geküsst und sanft ermahnt hatte, sich zu beeilen, damit er nicht zu spät käme. Jetzt wartete sie zu hause auf ihn, und egal ob er verlieren oder gewinnen würde, sie würde da sein, gemeinsam mit Danny, ihrem gemeinsamen Sohn. Andrew atmete noch einmal tief durch, dann sah er entschlossen zu der Richterin hoch. Er würde das schaffen.
„Die Indizien sprechen für sich und für meinen Mandanten“, endete Andrew circa eine Stunde später, mit dem Gefühl, alles richtig gemacht zu haben und nun ein schweres Gewicht losgeworden zu sein, von dem er vorher noch gar nichts gewusst hatte. Er hatte es tatsächlich geschafft, er hatte gewonnen. Auch sein Mandant sah erleichtert aus, obwohl er während des gesamten Prozesses eigentlich nicht beunruhigt ausgesehen hatte. Andrew erhob sich, sortierte seine Zettel zu einem ordentlichen Haufen zusammen, verabschiedete sich und verließ den Saal. Erst, als er das Gebäude verlassen hatte und allein draußen in der kühlen Abendluft stand, erlaubte er es sich, seinem Hochgefühl freien Lauf zu lassen und ein strahlendes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Mit dem Gefühl, zu schweben, machte er sich auf den Weg zu seinem Auto und auf dem Weg nach Hause summte er die Lieder aus dem Radio mit. Er konnte bereits Lisa bereits vor seinem inneren Auge sehen, als er in seine Straße einbog. Lisa, wie sie den kleinen Danny auf dem Arm trug und ihm zur Begrüßung zu lächelte.