Nachdenklich betrachte ich die Seerosen, die auf dem glatten Wasser des Teiches schwimmen. Das Wasser ist absolut unberührt, wenn man einmal von den Blütenblättern des Kirschbaums absieht, die von Zeit zu Zeit immer mal wieder hinab segeln und kleine Ringe über die Oberfläche ziehen, wenn sie federweich auf dem Wasser landen. Ein ironisches Lächeln zupft an meinen Mundwinkeln, doch ich unterdrücke es, so gut es geht: Schließlich gehört ein ironisches Lächeln nicht eine Welt, in der alles perfekt ist, nicht wahr? Von uns Bediensteten wird erwartet, dass wir genauso sind wie dieser kleine Teich: still, unauffällig und perfekt. Und da die wenigsten genau das sind, sollen wir auch so sein, wie die Seerosen: fake. Denn auch wenn niemand es erahnen würde, sind die Seerosen Plastikblumen und keineswegs von Natur aus so perfekt. Wahrscheinlich bin ich deshalb so gerne an diesem Teich, wenn ich mal so etwas ähnliches habe wie Freizeit.
Seufzend stehe ich wieder von dem kleinen Felsen auf, auf dem ich immer sitze – auf die kleine Bank würde ich mich nicht einmal setzten, wenn mein Leben davon abhängen würde, immerhin ist sie ausschließlich für die hochangesehenen Studenten dieser Akademie reserviert – und mache mich wieder auf den Weg in die Küche. Ich würde mich selber nicht unbedingt als dumm bezeichnen, dennoch werde ich wohl niemals einer dieser Studenten sein, denn eines unterscheidet mich ganz klar von den Studenten: Ich bin nicht reich. Und das ist die eigentlich benötigte Qualifikation, die essentiell ist, um hier aufgenommen zu werden. Vertraut mir; ich bin hier aufgewachsen und habe noch nie eine arme Person hier gesehen. Jeder der Studenten hier hat Eltern, die sich wahrscheinlich ohne auch nur mit der Wimper zu zucken eine Uhr kaufen könnten, die ungefähr so viel kostet, wie meine Familie und ich in einem Jahr verdienen. Viele der Studenten tragen eine solche Uhr an ihrem Handgelenk, ich weiß, wovon ich rede.
Dennoch würde ich mein Leben in neunzig Prozent der Fälle nicht mit ihrem tauschen wollen; dafür bekomme ich, als unauffällige Dienerin, eben auch zu viel aus ihrem Privatleben mit. Eltern, die keine Zeit für ihre Kinder haben, Beziehungen, die nur wegen des Nutzens gepflegt oder geschlossen werden und vor jeder Handlung eine kalte Berechnung anstellen: das wäre nichts für mich.
Die restlichen zehn Prozent beneide ich sie allerdings doch heimlich, denn welches Mädchen möchte schon nicht einmal wie eine Ballkönigin aussehen und von einem gutaussehenden jungen Mann auch wie eine Königin behandelt werden? Bälle gibt es hier schließlich oft genug.
Oder studieren. Ich sauge jedes bisschen Wissen in mich auf, egal woher es kommt, allerdings weiß ich, dass ich auf diese Weise niemals so viel lernen kann wie die Studenten hier.
Aber schöne Kleider und Wissen gegen meine Familie und meine Freiheit eintauschen? Das klingt für mich nicht nach einem fairen Tausch. Ich entdecke meinen Zwillingsbruder Terry und muss lächeln. Nein, Terry könnte ich wirklich niemals gegen irgendetwas eintauschen, dafür liebe ich ihn einfach viel zu sehr. „Du siehst aus, als wärst du gerade erst aus dem Bett aufgestanden“, ziehe ich ihn auf, als wir auf dem Gang zusammentreffen. „Lass das nicht den Chef sehen, sonst streicht der dir gleich den Lohn.“ Sofort fährt Terry sich durch die Haare, die jedoch weiterhin in alle Richtungen abstehen. Ich reiche ihm wortlos eines meiner Haargummis und dankbar nimmt er es an, um sich einen kurzen Zopf zu binden. „Wo bist du heute eingeteilt?“, fragt er mich, während er sich sein widerspenstiges Haar noch nach hinten bindet.
„Küche“, seufze ich. „Schon wieder. Und du?“
„Garten. Scheint so, als müssten Bäume gefällt werden.“
Schweigend gehen wir nebeneinander her, bis Terry zum Garten abbiegen muss. Eine schnelle Umarmung, dann trennen wir uns, bis wir heute Abend in unserem Apartment, das wir uns mit unseren Eltern und unserer kleinen Schwester teilen, wieder zusammentreffen werden. Bis dahin heißt es arbeiten und die perfekte Fassade aufrechterhalten. Seufzend mache ich mich auf den Weg in Richtung Küche und Langeweile. Immerhin ist Maria, die Chefin der Küche, eine absolut entspannte Arbeitgeberin. Vielleicht kann ich sie dazu überreden, mich das Mittagessen ausliefern zu lassen, um wenigstens etwas Abwechslung zu haben.