Als sich von hinten eine Hand auf meine Schulter legt zucke ich so heftig zusammen, dass ich mit dem Kopf gegen den Ast über mir stoße. Beinahe noch in der selben Sekunde wirbele ich bereits herum, wer mich da erwischt hat – Freund oder Feind? Wurde ich doch noch entdeckt, obwohl ich bereits so nah dran war? – und blicke in das dämlich grinsende Gesicht meines Teammitglieds. Ich öffne bereits den Mund, um ihn ordentlich zusammen zu stauchen, doch Mick ist schneller. Innerhalb von Sekunden drückt er mir seine Hand auf den Mund und erstickt meine Schimpftirade damit im Keim. Sein Grinsen ist verschwunden. Beinahe gruselig, wie schnell er zwischen den Gesichtsausdrücken absolut ernst und überheblichem Grinsen wechseln kann. Seine andere Hand nutzt er, um seinen Zeigefinger gegen seine Lippen zu drücken und mir damit zu signalisieren, dass ich bloß die Klappe halten soll. Ich nicke ihm genervt zu, als hätte ich ihn nicht gerade anschreien wollen, weil er mich erschreckt und ich die Situation vergessen hatte. „Hast du die Regeln etwa schon wieder vergessen?“, flüstert er leise. „Du weißt doch: Reden ist Silber…“ „Und Schweigen ist Gold. Schon klar“, flüstere ich mit genervtem Unterton zurück. Mick grinst wieder. „Aber jetzt lass uns weitergehen, wir haben schließlich nicht den ganzen Tag Zeit. Und bitte hör auf so dämlich zu grinsen“, hänge ich noch hinten dran, doch Micks Grinsen wird lediglich breiter. Er nimmt die Dinge, die ich sage, niemals wirklich ernst, habe ich das Gefühl. Leise muss ich seufzen und mein rechtes Katzenohr zuckt verräterisch. Ich hasse es, keine Kontrolle über meine Hybridkörperteile zu besitzen, weil diese es beinahe unmöglich machen, meine wahren Gefühle zu verbergen. Immerhin reagieren sie intuitiv und sind absolut von meinen Emotionen gesteuert.
Ein paar Sekunden später schleichen wir gemeinsam durch den Wald, solange, bis ich ein leises Geräusch höre, welches sich uns ganz deutlich nähert. Eine Patrouille, na wunderbar. Ich berühre Mich am Arm und bringe ihn damit zum Stehenbleiben, während ich mich bereits nach einem versteck umsehe. Ein Rücktritt ist keine Option und während uns auf der rechten Seite Felsen den Weg versperren, liegt auf unserer linken die Lichtung, die vermutlich unser Ziel markieren wird. Und bleibt also im wahrsten Sinne des Wortes nur die Flucht nach oben. Blitzschnell – beinahe schon intuitiv könnte man sagen; müssen wohl die Katzengene sein – einen der Bäume nach oben. Micks Hundegene scheinen diese Instinkte jedoch nicht zu haben, denn er sieht mir nur ungläubig dabei zu, wie ich nach oben klettere. „Bist du verrückt?“, zischt er leise, als ich ihm bedeute, endlich nach oben zu kommen. Womit er wertvolle Zeit verschwendet. „Jetzt mach schon“, zische ich zurück. „Oder seid ihr Köter etwa nicht in der Lage, einen Baum hochzuklettern?“
Meine Beleidigung hat die gewünschte Wirkung und kurz darauf sitzt Mich neben mir auf dem Ast. Während unter uns die vierköpfige Patrouille vorbeigeht, sehe ich mir die Lichtung ein wenig genauer an: und entdecke beinahe augenblicklich die weiße Capture the Flag-Flagge, die weiß in der Sonne leuchtet. Sie steckt leicht erhöht auf einem abgebrochenen Baumstamm und ist umgeben von einem Ring aus Wächtern, die ihre Aufgabe definitiv ernster nehmen als die Patrouille vorhin. Aber sie rechnen mit einem Angriff von unten, was mir beinahe unmöglich erscheint. Von den Bäumen aus jedoch... Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten.
„Warte kurz hier“, murmele ich und beginne, von Ast zu Ast und von Baum zu Baum zu klettern
Und zwar so lange, bis ich den Ast genau über der Flagge erreicht habe, was etwas fünfzehn Minuten später der Fall ist. Ganz leise und vorsichtig lasse ich mich kopfüber von dem Ast baumeln, strecke mich nur ein ganz kleines Stück und – hab die Flagge. Ich unterdrücke ein ungläubiges Lachen. Das war schonmal einfacher als gedacht. Damit ich die Hände frei habe klemme ich mir die weiße Fahne zwischen die Zähne und klettere denselben Weg, den ich gekommen bin, genauso leise und vorsichtig wieder zurück.
Als ich wieder bei Mick angekommen bin angekommen bin erwartet mich ein ungläubiges Gesicht und jetzt bin ich damit an der Reihe, dämlich zu grinsen. Gemeinsam klettern wir den Baum nach einem kurzen Check der Lage wieder hinab und kaum berühren unsere Füße den Boden, fangen wir an zu rennen. Kurz darauf bricht hinter uns das pure Chaos aus – scheinbar hat das gegnerische Team ihren Verlust bemerkt – doch wir rennen einfach weiter, immer weiter. Kurz darauf können wir auch schon unsere grenze erkennen und jetzt, jetzt bricht auch das ausgelassene Lachen aus mir heraus, das ich zurückhalte, seitdem ich die Flagge erfolgreich und absolut unbemerkt an mich genommen habe, genau in dem Moment, indem wir unsere Grenze überqueren. Unser Team hat gewonnen!