Fröstelnd zog sich Lea ihren dicken flauschigen Schal noch ein Stückchen höher, sodass die weiche Wolle beinahe ihre Nasenspitze berührte. Dann schob sie ihre Hände wieder in die Jackentaschen ihrer dicken Winterjacke und stapfte eilig weiter durch den Schnee, der das Licht der untergehenden Sonne reflektierte und selbst aussah, als würde sich Feuerschein darauf spiegeln. Feuerschein war genau das, was Lea sich gerade wünschte, denn ihr war nach der Wanderung durch die zwar wunderschöne, aber eben auch eisige Winterlandschaft, erbärmlich kalt. Dabei ging es schon in großen Schritten auf den Frühling zu. Naja, oder besser: es sollte in großen Schritten Richtung Frühling gehen, immerhin war es schon Mitte März. Allerdings schien es momentan nicht so, als würden sie pünktlich zum Frühlingsanfang echtes Frühlingswetter bekommen, woran Lea durch den unter ihren Stiefeln knirschenden Schnee mit jedem Schritt erinnert wurde.
Lea seufzte und ihr Atem hinterließ weiße Wölkchen in der Luft. Der Schal war schon wieder hinuntergerutscht. Andererseits war sie ja wohl wirklich die Letzte, die sich über Schnee beschweren würde, schließlich liebte sie die kalten weißen Flocken seit ihrer Kindheit. Dennoch freute sie sich auf ein warmes Bad zu Hause. Was zum Glück auch gar nicht mehr weit entfernt lag, wie sie feststellte, als sie die ihr bekannte Umgebung erkannte. Noch einmal beschleunigte sie ihre Schritte und die letzten Meter rannte sie sogar, wie sie es zuletzt in der Grundschule getan hatte: Ausgelassen und lachend wie ein kleines Kind. Sanft fallende Schneeflocken begleiteten sie auf dem letzten Rest ihres Weges und sie legte den Kopf in den Nacken, um spüren zu können, wie die Flocken auf ihr Gesicht vielen, bevor sie an der Haustür klingelte. Kurz darauf öffnete ihr eine verschlafen aussehende Jenny die Tür und Lea begrüßte sie mit einem glücklichen Kuss, bevor sie sich an ihrer Freundin vorbei in das Innere des kleinen Hauses drückte. „Deine Nase ist kalt, Lea“, grummelte Jenny missmutig und schloss die Haustür wieder. Lea grinste bloß und griff mit ihren ebenso kalten Fingern nach ihr. Oder in die Richtung, in der sie ihre Freundin vermutete, denn durch die ofenwarmen Temperaturen, die hier im Haus zu herrschen schienen – zumindest kam es Lea so vor, nachdem sie sich gerade mehr oder weniger an die Minusgrade draußen gewöhnt hatte – war ihre Brille beschlagen und nahm ihr so die Sicht. Jetzt lachte Jenny, als sie ihr mühelos auswich, dafür küsste sie Lea nun ihrerseits, wenn auch nur auf die Wange, um schnell wieder aus der Reichweite ihrer kalten Finger kommen zu können. Lea verzog ihre Lippen zu einem Schmollmund, doch Jenny tippte ihr nur auf die Nase und verschwand in Richtung der Küche, mit den Worten: „Geh lieber warm duschen oder baden, bevor du noch krank wirst. Und denk dran, dass heute die Zwillinge kommen!“
„Als ob ich das vergessen würde!“, rief Lea ihr noch hinterher, in dem Wissen, dass sie es absolut vergessen hatte, bevor sie schnell im Badezimmer verschwand. Dort lag bereits ihr Handtuch bereit, daneben ein Teller mit Keksen, bereit, Lea ein Lächeln zu entlocken. Jenny war wirklich süß. Schnell ließ sie Wasser ein und nur kurze Zeit später entspannte sie in dem warmen Wasser.
Eine gute Stunde später war sie fertig und lag neben Jenny auf ihrem gemeinsamen Bett. Jenny bürstete ihr immer wieder vorsichtig durch das lange Haar, obwohl es eigentlich bereits absolut knotenfrei war und ihr in sanften Wellen über den Rücken fiel. Doch sie wusste, dass ihre Freundin es liebte, ihr die Haare zu bürsten, und so ließ sie sie gewähren.
„Wie war denn eigentlich deine Wanderung?“, wollte Jenny schließlich wissen, als sie begann, Leas Haare zu einem Zopf zu flechten.
„Gut. Die Landschaft hier kann so schön sein. Das heißt, wenn man bereit ist, ein bisschen dafür zu laufen.“ Lea grinste, und obwohl sie es nicht sehen konnte, würde sie sofort ihr Leben darauf verwetten, dass auch Jenny grinste. Sie kannte ihre Freundin mittlerweile schließlich gut genug.
„Naja, ich fürchte, dass die Schönheit der Natur dann wohl ohne mich auskommen muss“, verkündete Jenny ungerührt. Sie wanderte nicht gerne, dabei war sie keinesfalls unsportlich. Faul traf es wohl besser.
„Schade.“ Lea drehte sich um, kaum das Jenny fertig war. „Dabei würdet ihr beide euch in eurer Schönheit so perfekt ergänzen.“ Und bevor Jenny widersprechen konnte, legte Lea ihre Lippen auf Jennys, die den Kuss nach einem kurzen Überraschungsmoment sofort erwiderte.